„München leuchtet“ - Herr Professor Stölzl, wir wissen, wer das gesagt hat: Thomas Mann. Heute wollen wir etwas anderes erleben, nämlich: Weimar strahlt.
Wenn Sie Ihr Programmheft aufschlagen, dann werden sie auf der Innenseite einige solcher Strahlen sehen und diese Grafik legt uns etwas nahe, nämlich dass Weimar in Bezug steht zu all den verschiedenen Teilen der Welt. Und Weimar liegt in der Mitte. Für viele Menschen, deren Kunst Lebensinhalt ist, ist das so. Das war so und das wird auch noch ein bisschen so bleiben. Und die Menschen, die heute für uns musizieren werden, sie sind ein Beleg dafür, dass das immer noch funktioniert.
Der Kreis von Pfeilen zeigt an, dass zurzeit junge Leute aus über 50 Ländern aus der ganzen Welt an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar studieren. Die Pfeilrichtung geht von außen nach innen. Gleichzeitig - durch die Art der Zeichnung - können wir vielleicht assoziieren, dass es auch eine Richtung nach außen gibt. Von innen nach außen, von Weimar selbst aus Strahlen hinaus in die Welt. Und genau der Eindruck ist beabsichtigt von dem Gestalter dieser Grafik.
Das lässt uns ein wenig an die schöne Dialektik von Kunst denken. Eigentlich an eine Dialektik des menschlichen Lebens überhaupt. Wir werden reicher durch das, was wir geben. Wir gewinnen Glanz, wenn wir andere ins rechte Licht stellen. Auch das Kleine wird groß, auch das am Rande Liegende wird zum Zentrum, wenn dort Kostbares, Einmaliges oder Unverwechselbares erdacht, getan oder ermöglicht wird.
Dieses Wechselspiel von klein- und hochbedeutend, von Überschaubarkeit und Unergründlichkeit, von Randlage und Weltbedeutung: dieses Wechselspiel ist es, das den Rang und den Ruhm Weimars ausmacht, seit den Zeiten von Goethe und Schiller, seit den Zeiten von Franz Liszt, dem ersten europaweit bejubelten Popstar.
Das gilt in gewisser Weise auch für die deutsche Kultur überhaupt. Ich brauche Ihnen, die Sie hier anwesend sind, ja keine Geschichtsstunde zu halten. Sie wissen, dass Deutschland historisch und kulturell aus seinen Regionen lebt, aus den ehemaligen kleinen Fürstentümern und Königreichen, aus den reichsfreien Städten, aus den stolzen Bürgerschaften der Hansestädte, den Universitätsorten abseits der großen Verkehrswege.
Deutsche Kultur ist eine Kultur aus den Regionen, nicht zuerst eine Kultur der Metropole. Kulturell gesehen könnten wir sagen: Wir kennen viele Regionen, aber keine Provinz. Das unterscheidet uns von anderen Ländern und das macht den Reichtum der deutschen Kultur aus, den wir übrigens immer wieder neu zu entdecken haben. Föderalismus – das ist eben nicht nur eine rechtliche Beschreibung der Staatsverfassung, sondern eine tiefe kulturelle Prägung unseres Landes.
Darum freue ich mich sehr darüber, dass es uns gelungen ist, zur Gestaltung des ersten kulturellen Abends in meiner Amtszeit hier in Schloss Bellevue, die Hochschule für Musik Franz Liszt aus Weimar gewonnen zu haben.
Wir werden gleich, das kann ich Ihnen versprechen, hinreißende musikalische und lyrische Interpretationen hören, die Studentinnen und Studenten aus Weimar uns präsentieren. Kulturelle Veranstaltungen beim Bundespräsidenten sollen aber nicht nur von herausragender Qualität sein, sondern auch etwas über seine Haltung zur Kultur unseres Landes verraten.
Dieser Abend verbindet auf sehr glückliche Art verschiedene Aspekte der Kultur und des kulturellen Lebens, die mir sehr wichtig sind und die deswegen an diesem Abend zur Sprache kommen.
Das eine habe ich genannt: Das ist die Stärke unserer Kultur aus ihrer regionalen Verwurzelung. Das Zweite ist: Kultur ist immer ein Prozess der neuen Aneignung unseres Erbes auf Zukunft hin. Deswegen war es mir wichtig, junge Leute einzuladen und Ihnen, verehrte Gäste, einen Eindruck davon zu geben, mit welcher Verve und mit welcher Leidenschaft dieser Aneignungsprozess bei jungen Leuten aus aller Welt geschieht – und wie fruchtbar und beglückend das für Musiker und Hörer ist. Ich freue mich, dass die Studenten das Programm selbst zusammengestellt haben und uns ganz bewusst das präsentieren wollen, das ihnen selbst ans Herz gewachsen ist.
Kultur – und hier streife ich kurz eine aktuell aufflammende Diskussion, keine Angst: Ich streife sie nur! Es würde ja viel zu weit führen das zu vertiefen: Kultur hat ihren Preis und kostet auch öffentliches Geld.
Ganz schön, dass ich hier im Raum welche sehen, die über öffentliches Geld hinaus noch Gelder besorgen. Wenn wir über dieses öffentliche Geld sprechen, das wir brauchen, dann stellen wir als Erstes fest: Es ist gerechtfertigt, denn das reiche kulturelle Erbe will immer wieder neu entdeckt und neu angeeignet werden. Wenn eine neue Generation sich selbst und ihre Potenziale entdeckt und entwickeln kann, dann ist das nicht für sie selbst, sondern für uns alle ein großes Glück. Wir brauchen diese immer wieder neue Aneignung des Überkommenen. Wir brauchen auch Auseinandersetzung mit dem, was uns kulturell überkommen ist. Wenn Neues entsteht und immer wieder neu dazu führt, dass Menschen ihre Freiheit und ihre Potenziale erkennen, dann geschieht etwas Wunderbares, was wir in unserer Demokratie ganz generell wollen: Wir wollen in Freiheit leben zur Gestaltung und Selbstermächtigung.
Ein Drittes zeigt dieser Abend: Wie kaum etwas anderes ist Kultur – und im Besonderen dann noch einmal die Musik – etwas, das für Deutschland, für unser Land steht. Nirgendwo ist der Anteil an ausländischen Studenten so hoch wie an unseren Musikhochschulen. Das gilt nicht nur für Weimar, Weimar steht ja hier nur stellvertretend für alle 24 Musikhochschulen in Deutschland. Auf der letzten Seite des Programmheftes ist zu sehen, wo die sich alle befinden.
Die ganze Welt sieht in Deutschland das Land der Musik und der Kultur. Das ist mehr als ein „Alleinstellungsmerkmal“, wie man das heute in Agenturdeutsch so funktionell nennt. Das ist vielmehr ein ganz prägendes Merkmal unserer Identität – und das sollte auch ein Grund unseres Stolzes und unseres Selbstbewusstseins, vor allem aber unserer Freude sein. Wenn es für junge, herausragende Musiker in aller Welt im Grunde selbstverständlich ist, sich in Deutschland um einen Studienplatz zu bemühen, wenn ein Viertel aller Opernhäuser auf der Welt in Deutschland stehen, wenn wir auch die größte Theater- und Orchesterdichte der Welt haben – jeweils ganz unterschiedliche Klangkörper mit höchst unterschiedlichen Traditionen - dann ist das alles für mich ein Ansporn, dass wir uns weiterhin bemühen, dass Deutschland kulturelle Exzellenz anstrebt.
Eine erste kulturelle Soiree in meiner Amtszeit in Schloss Bellevue. Die Stichworte sind gegeben: Weimar und die deutsche Kultur, Kultur aus den Regionen, weltweite Ausstrahlung und Studenten aus aller Herren Länder, Kultur als Aneignung von Erbe und als Ermöglichung von freier Selbstgestaltung und schließlich unser Land als Heimat von Musik und Kultur.
Jetzt aber geht es zum Wesentlichen: zur Musik. Bühne frei für einen Abend voller Musik, Esprit und Weimarer Heiterkeit.