Bundespräsident Joachim Gauck hat am 24. Januar der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein Interview gegeben.
Herr Bundespräsident, Sie haben sich beim Festakt zur Gründung des Walter Eucken Instituts zur Freiheit in der Wirtschaft bekannt. Fühlen Sie sich als der erste oder vielleicht auch letzte Neoliberale in Deutschland?
Ich habe den Anlass sehr begrüßt, über die Geschichte und den Wert der Sozialen Marktwirtschaft und in diesem Zusammenhang auch über die Bedeutung von Liberalismus in einer freiheitlichen Gesellschaft zu sprechen. Mit Respekt habe ich an die Leistungen der Vordenker erinnert, die der alten Bundesrepublik diese besondere Prägung gegeben haben. Und wenn ich in meiner Freiburger Rede den Begriff des Neoliberalismus aufgegriffen habe, so nicht im heute gebräuchlichen Sinn eines Raubtierkapitalismus, sondern im originären Sinn einer Verbindung von wirtschaftlicher Freiheit mit sozialer Verantwortung. Die Soziale Marktwirtschaft ist geradezu ein geniales Markenzeichen der Bundesrepublik geworden. Und weil ich in einem System von Planwirtschaft und Diktatur aufgewachsen bin, habe ich diese Kombination immer besonders geschätzt. Auch andere Länder erkennen, was für ein überzeugendes Modell da entwickelt worden ist. Übrigens: Dieses Modell ist damals von unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kräften getragen worden - und der Begriff "soziale Marktwirtschaft" ist inzwischen auch von fast allen akzeptiert.
Das liberale Gedankengut ist außer in der FDP inzwischen ja auch in anderen Parteien, in CDU, CSU und SPD, vorhanden. Womöglich bedarf es gar nicht mehr einer Partei des organisierten Liberalismus.
Es ist richtig, dass andere Parteien - die Grünen gehören übrigens auch dazu - zentrale Felder des Liberalismus wie die intensive Beschäftigung mit der Marktwirtschaft, aber auch mit den Bürgerrechten besetzt haben. Da kann es natürlich schwierig werden für diejenigen, die beanspruchen, originär für liberale Themen zu stehen. Es ist aber wichtig, dass die Parteien unterscheidbar sind - und das nicht nur während der Wahlkämpfe. Hinzu kommt: In Zeiten, in denen Menschen aus ökonomischen Ängsten sehr viel von einem fürsorglichen Staat erwarten, erscheint es mir besonders wichtig, im politischen Diskurs beharrlich an die Vorzüge der Freiheit zu erinnern.
In diesen Zusammenhang gehört die Frage, ob die Fünfprozentklausel noch angemessen ist. Immerhin gingen bei der Bundestagswahl fast zehn Prozent an zwei Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, wirtschaftsliberal zu sein, jetzt aber nicht im Bundestag sind.
Bei aller gebotenen Zurückhaltung und unabhängig von den Ergebnissen der Bundestagswahl: Wir sind mit der Fünfprozentklausel bisher gut gefahren. Aber natürlich kann man darüber diskutieren, ob eine niedrigere Hürde einen Zugewinn an demokratischer Mitwirkung bedeuten würde.
Das Überwinden der Fünfprozenthürde ist doch auch eine Art demokratischer Reifeprüfung zur Programmatik und Festigkeit einer Partei.
Ja, und wir machen mit dieser Hürde auch sehr gute Erfahrungen. Aber die Erfahrungen europäischer Nachbarn mit anderen Quoren können wir uns schon anschauen. Unabhängig davon finde ich es übrigens richtig, sich mit allen Möglichkeiten zu beschäftigen, noch mehr Menschen für Politik zu interessieren.
Sie sind also für plebiszitäre Elemente?
Diese Frage hat mich lange beschäftigt. Nach dem Ende der DDR erschien mir der Ruf nach Plebisziten wie eine Heilsformel. Nach vielen Jahren in der Bundesrepublik und auch im Hinblick auf die Entwicklung jenseits unserer Grenzen kann ich mir Plebiszite zumindest auf Bundesebene in Deutschland nicht gut vorstellen. Die repräsentative Demokratie hat doch erhebliche Vorteile. Sie reduziert schwierige Sachfragen nicht auf ein Ja-Nein-Schema und bietet weniger Raum für Populisten. Es soll allerdings auch nicht so getan werden, als müsste die deutsche Politik Angst vor Volksabstimmungen haben, wie sie noch nach dem Krieg existierte. Heute leben in Deutschland viele Millionen zutiefst überzeugter Demokraten, denen nur wenige Demokratiefeinde gegenüberstehen.
Befürchten Sie, dass wegen der 80-Prozent-Mehrheit der großen Koalition im Bundestag populistische oder gar extremistische Strömungen in Deutschland außerhalb des Parlaments entstehen?
Meine Befürchtungen halten sich in Grenzen. Ja, es gibt unterschiedliche populistische und extremistische Strömungen, aber sie sind zum Glück nicht stark. Und ich sehe auch keine Anzeichen dafür, dass sie in absehbarer Zeit größeren Zulauf bekommen. Wir haben eine wache Zivilgesellschaft, engagierte Medien und auch Politiker, die Extremismus und Populismus entgegentreten. Trotzdem müssen wir bei bestimmten Debatten darauf achten, dass sie keine Ängste schüren. Ein Beispiel: Es ist falsch und gefährlich für den inneren Frieden, wenn man suggeriert, Zuwanderer schadeten diesem Land, nähmen uns Arbeit weg oder gefährdeten unser Sozialsystem. Es ist stattdessen richtig, deutlich zu sagen: Einwanderung tut diesem Land sehr gut - nicht nur, weil sie unsere Gesellschaft davor bewahrt, noch schneller noch älter zu werden; nicht nur, weil sie hilft, unseren Lebensstandard und unsere Zukunft zu wahren; sondern auch, weil sie uns kulturelle Vielfalt beschert - und die ist, trotz der Schwierigkeiten, die sie manchmal mit sich bringt, eine Bereicherung. Zum Glück ist die Debatte über Zuwanderer inzwischen sachlicher geworden, als sie phasenweise war. Zuwanderung schafft natürlich auch Probleme. Die politische Korrektheit darf nicht verhindern, dass man sie benennt. Nehmen Sie den Streit um Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, bei dem es genaugenommen doch eigentlich um eine ganz bestimmte Gruppe geht - um einen Teil der Roma unter diesen Zuwanderern. Viele von ihnen wollen einer geregelten Arbeit nachgehen, für sich und ihre Familie sorgen, einfach in Frieden leben. Leider sind die Roma noch immer eine diskriminierte Minderheit in Europa. Das muss politisch besprochen werden, das darf nicht so bleiben. Trotzdem sollte man auch benennen, was manche Kommunen hierzulande belastet: dass es dort einen Teil von Roma-Familien gibt, die etwa ihre Kinder nicht zur Schule schicken und ihnen damit Lebenschancen verbauen. Im Gespräch mit Bürgermeistern ist mir noch mal sehr klar geworden, wie wichtig es ist, dass wir sagen: Dieses Verhalten oder andere Regelverstöße nimmt der Staat nicht hin.
Der Staat muss also bestimmte Einwanderer zur Integration zwingen?
Er soll Angebote machen und für Integration werben. Häufig ist genau dieses Element unzureichend ausgeprägt. Ganz generell gilt: Zuwanderer haben berechtigte Ansprüche an dieses Land, und dieses Land hat berechtigte Ansprüche an Zuwanderer.
Im Bundestag steht einer sehr großen Koalition eine sehr kleine Opposition gegenüber. Haben Sie Sorge, dass der öffentliche Diskurs unter diesen Mehrheitsverhältnissen leidet?
Der öffentliche Diskurs wird hoffentlich nicht leiden. Ich freue mich, dass die große Koalition sich mit den Forderungen der zahlenmäßig kleinen Opposition nach ausreichend Gehör und Minderheitenrechten auseinandersetzt. Was natürlich passieren kann, ist, dass sich eine Art Fundamentalopposition herausbildet. Ich bin aber zuversichtlich, dass das nicht geschieht. Hinzu kommt, dass wir überaus wache Medien haben.
Es gibt derzeit eine Diskussion über den Wechsel eines ehemaligen Bundesministers in die Wirtschaft. Alle reden zwar davon, es müsse einen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft geben, aber wenn es ihn dann gibt, wird das lautstark kritisiert. Halten Sie in solchen Fällen Karenzzeiten für geeignet?
Zu dem konkreten Fall, auf den Sie anspielen, möchte ich nichts sagen. Losgelöst davon äußere ich mich gerne dazu - gerade in einem Land, in dem hohe Einkommen per se als verdächtig angesehen werden. Es gibt Menschen, die in der Wirtschaft wertvolle Kompetenzen erworben haben. Unternehmer haben lernen müssen, Risiken einzuschätzen, persönlich Verantwortung zu übernehmen und Mut an den Tag zu legen. Das können wir in der Politik unbedingt gebrauchen. In der Wirtschaft könnte es andererseits nützlich sein, die Kompetenz derer zu nutzen, die in der Politik Verantwortung für das Ganze gelernt haben. Generell bin ich für einen größeren Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Das geht allerdings nur mit Vertrauen und Transparenz. Jetzt ist es Sache des Gesetzgebers, sich etwa mit der Frage nach Karenzzeiten für Amtsträger auseinanderzusetzen. Ich bin optimistisch, dass eine vernünftige Lösung gefunden wird.
In Ihrer Europa-Rede haben Sie gesagt, wir brauchten weniger Bedenkenträger und mehr Bannerträger. Sind Sie der erste oder letzte Europäer an der Spitze des Staates?
Ich bin weder das eine noch das andere. Aber eins steht fest: Ich bleibe bis zuletzt Europäer, und zwar gerade weil ich Deutscher bin. Die Menschen, die Krieg und Nachkriegszeit in Europa erlebt haben, müssen einfach Europäer sein. So wird es wohl die Mehrheit der Menschen meiner Generation empfinden. Wir alle merken aber in den letzten Jahren: Viele Menschen in Europa haben Angst, ihre nationale Identität zu verlieren. Sie fürchten sich vor einem europäischen Bundesstaat. Es existiert ein mentales Innehalten im Prozess weiterer oder vertiefter Vereinheitlichung. Aber wir sollten auch bedenken: Der Euro kann schwerlich ohne mehr Gemeinsamkeiten in der Finanzpolitik bestehen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme einiger Länder bedürfen langfristiger, gesamteuropäischer Antworten. Und gegenüber globalen terroristischen und militärischen Bedrohungen kann es nur eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben.
Das heißt, auf Deutschland kommt zusätzliche militärische Verantwortung zu?
Vor 1990 konnte ich mir kaum vorstellen, dass Deutsche an Militäreinsätzen teilnehmen. Heute sehe ich das differenzierter. Ich habe vor Jahren mit Ignatz Bubis, dem ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, über das deutsche Engagement auf dem Balkan debattiert. Ich war damals wegen der deutschen Vergangenheit im Zweifel. Bubis aber sagte, gerade wegen Auschwitz müsse sich Deutschland auf dem Balkan engagieren. Was er damit meinte, war, dass man auch durch Fernbleiben schuldig und seinen Grundsätzen untreu werden kann. Ich habe dieses Argument damals verstanden und ich verstehe es heute noch besser.
Vor allem wir älteren Deutschen sind zu Recht selbstkritisch erzogen. Dieser selbstkritische Diskurs darf uns allerdings nicht hindern, Verantwortung zu übernehmen - und zwar auf ganz unterschiedlichen politischen Feldern. Bei fast all meinen Auslandsbesuchen oder bei Gesprächen mit internationalen Gästen habe ich den Eindruck: Die Erwartungen an Deutschland sind groß. Das betrifft längst nicht nur Erwartungen an potentielle militärische Beiträge zur Befriedung von Konflikten, sondern auch Erwartungen an politische und wirtschaftliche Initiativen. Seit über sechzig Jahren werden bei uns nun Menschen- und Bürgerrechte eingehalten. Wir haben einen stabilen Rechtsstaat. Seit Jahrzehnten leben wir in Frieden mit unseren Nachbarn. Das ist ein gigantischer Erfahrungsschatz, den es in der deutschen Geschichte noch niemals gegeben hat und der uns doch eigentlich ein Vertrauen zu uns selbst erlaubt. Deshalb genießt Deutschland in sehr vielen Ländern großen Respekt. Aber: Wie sehen wir selbst Deutschlands Rolle in der Welt? Mit dieser Frage möchte ich mich nächste Woche auch in meiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz befassen. Und diese Frage wird uns, da bin ich sicher, die nächsten Jahre immer wieder beschäftigen.
Was heißt das denn für die Realpolitik? Beteiligung an der Befriedung Syriens? War die Weigerung, am Irak-Krieg teilzunehmen, falsch?
Lassen Sie mich, statt über einzelne, konkrete Fälle zu sprechen, generell sagen: Nur in ganz besonderen Situationen und unter sehr engen Voraussetzungen ist militärisches Eingreifen legitim oder gar erforderlich. Ob diese Situationen und diese Voraussetzungen vorliegen, bedarf jeweils gründlicher Diskussion. Und die Entscheidung im Einzelfall wird immer sehr schwierig sein. Schuldig werden kann man in beiden Fällen: sowohl im Fall des militärischen Eingreifens wie auch im Fall der militärischen Enthaltung.
In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des Ersten Weltkrieges. Es werden Parallelen zum heutigen Europa gezogen.
Ich sehe diese Parallelen nicht. Die Lage in Europa ist heute zum Glück völlig anders als vor hundert Jahren. 1914 erschien vielen ein Krieg als erneuerndes, manchen sogar als läuterndes Element in einer morbiden Gesellschaft. Heute, nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen, sind Krieg und die Drohung mit Krieg aus der Politik der Europäischen Union verschwunden. Gibt es Konflikte, so werden sie im Dialog gelöst. Zudem wurden nach dem Ersten Weltkrieg die großen übernationalen Imperien gesprengt und neue Nationalstaaten errichtet. Nationalismus war verbreitet, in Deutschland führte er zu nationalistischer Hybris, die zu einem Ende mit bitterstem Schrecken führte. Heute suchen die Nationalstaaten im Prozess der europäischen Einigung nach immer engerer Gemeinschaft. Und die Völker sind sich ihrer nationalen Prägungen bewusst, ohne sie in aggressive Strategien umzusetzen.
Im vergangenen Jahr haben Sie über das Spannungsfeld zwischen außenpolitischen Interessen und Menschenrechten gesprochen. Nun haben Sie sich entschieden, die Olympischen Winterspiele in Sotschi nicht zu besuchen. Das wurde unter anderem als Kritik an der mangelnden Einhaltung der Menschenrechte in Russland verstanden.
An Ihrer Stelle würde ich diese Frage auch stellen. Aber ich bleibe dabei, meine Entscheidung nicht zu kommentieren. Deshalb nur so viel: Ich bin und bleibe ein Freund des Sports, drücke unseren Athletinnen und Athleten die Daumen und freue mich darauf, sie nach ihrer Rückkehr aus Sotschi in Empfang zu nehmen. Natürlich werde ich in meiner Amtszeit hin und wieder Sportwettkämpfe besuchen. Und ich halte an dem Plan für einen Besuch in Russland fest, bei dem man über das reden kann, was uns verbindet, und über das, was uns noch trennt. Zu den Spielen in Sotschi fahre ich nicht.
Bundeskanzlerin Merkel soll über die Absage verärgert gewesen sein. Es hieß, sie fühlte sich nicht frühzeitig genug informiert.
Wir hatten das Kanzleramt durchaus informiert, bevor meine Entscheidung öffentlich wurde.
In den Debatten über die NSA-Abhöraffäre haben Sie anfangs vor einer Überdramatisierung gewarnt. Sehen Sie das heute anders?
Ich habe in einer ersten Äußerung, als die Affäre noch jung war, vor dieser Überdramatisierung gewarnt. Als dann immer mehr bekannt wurde, habe ich wiederholt klargemacht, dass ich eine flächendeckende Speicherung von Kommunikationsdaten der Bürger für nicht hinnehmbar halte. Wir müssen offen darüber diskutieren, unter welchen Bedingungen das Sammeln von Daten zur Gefahrenabwehr legitim und ab wann es illegitim oder gar illegal ist. Das sollten wir ganz deutlich mit unseren amerikanischen Verbündeten besprechen. Mir selbst geht es so: Trotz amerikanischer Eigenwilligkeiten und Fehlern bleibe ich ein Atlantiker. Unser Land hat viele Gründe, die guten Beziehungen über den Atlantik zu pflegen. Auf der anderen Seite gilt: Auch bei der Abwehr von Gefahren können schwere Fehler passieren. Für mich war Amerika immer dann überzeugend, wenn es die Grundideen von "Freedom and Liberty" verkörperte. Ich habe Präsident Obama bei seinem Besuch hier in Berlin gefragt, ob das so bleibe oder ob nun die Sicherheit zum Schlüsselwort des amerikanischen Selbstverständnisses geworden sei. Er hat geantwortet, es bleibe beim bisherigen Selbstverständnis. Auch wenn es viel zu diskutieren gibt, so habe ich jetzt immer noch die Hoffnung, dass Amerika eine Balance zwischen Freiheitsrechten der Bürger und Gefahrenabwehr findet. Auch mir ist erst nach und nach bewusst geworden: Die technischen Möglichkeiten zur Überwachung der Kommunikation sind gigantisch und viele Menschen fühlen sich eingeschränkt oder gar bedroht. Ich hätte niemals gedacht, dass das unheimliche Gefühl, "die da oben wissen alles über mich", in einer freiheitlichen Gesellschaft entstehen könnte. Auch wenn man den Geheimdienst eines demokratischen Staates nicht mit der Stasi gleichsetzen kann, so ist es doch inakzeptabel, dass Millionen von Bürgern - darunter auch Familienmitglieder und Freunde - anfangen, sich am Telefon ähnlich zu verhalten, wie wir das früher in der DDR getan haben. Wenn es so weit gekommen ist, dann ist etwas schiefgelaufen. Dann ist die Verhältnismäßigkeit zwischen den erwünschten Abwehrmaßnahmen gegen terroristische Bedrohungen und der Freiheit offensichtlich aus dem Blick geraten. Ich freue mich, dass eine Debatte über diese Fragen auch in Amerika aufgekommen ist.
Ist das nicht ein überholtes Datenschutz-Verständnis? Gerade jüngere Leute stellen doch heutzutage alle möglichen privaten Dinge ins Internet?
Aber sie tun es freiwillig. Wenn der Staat heimlich Unmengen von Daten der Bürger sammelt, ist das etwas vollständig anderes.
Was heißt das denn für die Vorratsdatenspeicherung, die im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht?
Auch wenn ich zu denen gehöre, die einen abwehrbereiten Staat fordern, auch wenn ich zur Arbeit unserer Polizei stehe, so meine ich doch: Hier kommt es ebenfalls auf die Verhältnismäßigkeit an. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist es zwar wichtig, auch auf diejenigen zu hören, die Informationen für unser aller Sicherheit brauchen. Die Frage ist aber zu stellen, wann und wie viele Informationen benötigt und wie lange sie gespeichert werden sollen.
Herr Präsident, an diesem Freitag feiern Sie Ihren 74. Geburtstag - bei bester Gesundheit. Die Frage ist also erlaubt, ob Sie sich schon entschieden haben, eine zweite Amtszeit anzustreben.
Sie sind nicht die Ersten, die mich das fragen. Und Sie sind auch nicht die Ersten, denen ich - bei allem Respekt! - mit Vergnügen eine Antwort verweigere.
Die Fragen stellten Günter Bannas und Günther Nonnenmacher
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