Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 200. Geburtstag des Journalisten, Schriftstellers und überzeugten Demokraten Georg Weerth einen Beitrag für die Lippische Landeszeitung verfasst, der am 17. Februar erschienen ist.
Als der junge Detmolder Kaufmann Georg Weerth 1843 in die aufstrebenden Industriereviere Nordenglands reiste, war er schockiert von den Schattenseiten des Frühkapitalismus: vom Elend der Arbeiter und den katastrophalen hygienischen Zuständen in den Slums, in denen sie hausten, von der enormen Luftverschmutzung und der hohen Kindersterblichkeit. Man muss sich in England mit dem armen Volke abgegeben haben, um zu wissen, was es für Unglück auf der Welt gibt. Es kann einen Bären zum Weinen bringen, ein Schaf zum Tiger machen
, schrieb Weerth damals.
Dass der schrankenlose Kapitalismus allein nicht automatisch zu Wohlstand für alle führt, das ahnte Georg Weerth schon hundert Jahre bevor in Deutschland die soziale Marktwirtschaft zur Grundordnung wurde. Hatte er lange Zeit vor allem humorvolle Gedichte geschrieben, so prangerte Weerth nun mit seinen Reportagen und sozialkritischen Gedichten das soziale Elend und die Ungerechtigkeit an – und wurde so zum ersten und bedeutendsten Dichter des Proletariats
, wie Friedrich Engels einmal über ihn sagte.
Während der Revolution 1848/49 arbeitete Weerth dann in Köln für die Neue Rheinische Zeitung von Karl Marx. Er schrieb für das demokratische Blatt und für ein demokratisches Deutschland. Doch die Revolution scheiterte, Weerth wurde wieder Geschäftsmann und war bald – wie er sagt – europamüde
. Er reiste nach Lateinamerika, kletterte auf den Chimborazo im heutigen Ecuador, machte Geschäfte in der Karibik und starb 1856 in Havanna auf Kuba, fern der Heimat.
Die größten Kinder einer Stadt sind nicht immer ihre populärsten. Das gilt besonders dann, wenn ihre politischen Ideen und Ideale im Widerspruch zu den Mächtigen ihrer Zeit standen, dann hatten sie oft keinen leichten Stand – nicht im Leben und auch nicht im kollektiven Gedächtnis. Ich denke an die frühen Demokraten Ferdinand Freiligrath und Theodor Althaus, an Leopold Zunz, den Begründer der Judaistik und Streiter gegen die Diskriminierung der Juden, und an Malwida von Meysenbug, die mutige Vorkämpferin für die Frauenrechte. Wenn sich die Revolution von 1848/49 bald zum 175. Mal jährt, sollte Detmold sie ebenso umfassend würdigen wie jetzt Georg Weerth anlässlich seines 200. Geburtstages. Die Lippische Landesbibliothek, die renommierte Grabbe-Gesellschaft und viele mehr leisten hier wertvolle Arbeit, und ich bin sehr dankbar für dieses wichtige Engagement.
Zu jeder Zeit braucht es Menschen, die mit ihren Ideen und Taten vorangehen, um die Probleme ihrer Zeit zu lösen. Auf den Leistungen und Opfern von Menschen wie Georg Weerth gründet unsere heutige Ordnung von Freiheit, Demokratie und dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Menschen wie Weerth machen Mut, dass wir auch heute die Herausforderungen unserer Zeit meistern können. In dieser Erkenntnis liegt vielleicht der größte Wert der Geschichte, und deshalb ist der Blick zurück so wichtig für unsere Gegenwart und Zukunft.