Ich freue mich, dass wir heute Abend wieder einmal zusammen sind. Manche sind zum ersten Mal dabei, andere kenne ich schon von früheren Begegnungen. Herzlich willkommen Ihnen allen!
Es soll zunächst ein Abend des Dankes sein für das Engagement des Stifterverbandes und aller seiner Mitglieder. Es soll auch ein Abend des Austausches sein, deswegen freue ich mich auch auf den Impulsvortrag von Richard Socher. Und es soll nicht zuletzt, in diesen schwierigen Zeiten, ein Abend der gegenseitigen Ermutigung sein. Und halten Sie mich bitte nicht für verrückt, wenn ich – in Anknüpfung an Letzteres – gerade deshalb mit Musik beginne.
Denn in diesen Tagen jährt sich ein Ereignis, das Musik-, genauer gesagt: Jazz-Geschichte geschrieben hat. Wahrscheinlich kennen nicht wenige von Ihnen das berühmte Köln Concert von Keith Jarrett, vor nunmehr genau fünfzig Jahren aufgenommen. Was daran bis heute faszinierend ist, und darum erzähle ich das hier, das ist nicht nur die, wie immer bei Keith Jarrett, aus dem Augenblick heraus geborene Musik, sondern das sind im Fall des Köln Concert die besonderen Umstände, unter denen das Konzert zustande kam: Keith Jarrett gilt als kapriziöser Künstler, der höchste Anforderungen an das vom Veranstalter bereitzustellende Instrument hat. Ausgerechnet in Köln stand dem Musiker aus verschiedenen Gründen aber nur ein eher bescheidener Flügel zur Verfügung, der notdürftig – weil auch so schnell kein Ersatzinstrument beschafft werden konnte – in letzter Minute gestimmt und von den gröbsten Mängeln befreit werden konnte. Es soll Stunden und viel Überredungskunst gebraucht haben, um den Pianisten dazu zu bringen, trotz allem nicht abzureisen und mit dem Konzert zu beginnen.
Und dann geschah das, was der "Tagesspiegel" neulich so beschrieben hat: Jarrett lieferte an jenem Abend seine Version des Umgangs mit technologischen und kulturellen Widrigkeiten.
Er brachte mit einem bis heute faszinierenden, manche sagen: unsterblichen Stück Musik den sozusagen unüberhörbaren Nachweis dafür, dass Wegweisendes oder nie Dagewesenes oft gerade dann entstehen kann, wenn die Bedingungen widrig sind. Noch einmal der Tagesspiegel: Er münzte seinen Ärger in Kreativität um.
Und so hat er eines der erfolgreichsten, meistverkauften und vielleicht auch schönsten Jazz-Alben überhaupt eingespielt.
Warum ich Ihnen das erzähle: Wir befinden uns vielleicht in einer Lage, die der von Keith Jarrett vor 50 Jahren nicht unähnlich ist. Wir wissen alle, vor welch großen Herausforderungen unser Land, unsere Gesellschaft, wir alle stehen. Dazu gehören die Kriege in Osteuropa und im Nahen Osten, die notwendigen technologischen Umwälzungen, die unübersichtlichen geopolitischen Veränderungen und die schwer kalkulierbaren Folgen, die die neue US-amerikanische Administration und deren politische Agenda für uns alle haben werden, und nicht zuletzt die besorgniserregende wirtschaftliche Lage hier im Land.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – ich fühle mich in diesen Tagen erinnert an die Zeit um die Jahrtausendwende: Ganze Bibliotheken waren damals schon geschrieben über den "Abstieg eines Superstars"; gegenseitig haben wir uns täglich bescheinigt, dass die Lage ausweglos sei, dass wir unfähig seien zur Reform. Wir haben das Credo so lange und so lautstark vor uns hergetragen, bis auch die internationale Wirtschaftspresse mit einiger Häme uns zum kranken Mann Europas erklärte.
Das alles war noch bevor sechs Millionen Arbeitslose uns dann wirklich an den Rand der Handlungsfähigkeit brachten. Die Stimmung bei den Menschen damals: mutlos, kraftlos, ohne Zuversicht. Ich wurde um dieselbe Zeit Chef des Bundeskanzleramtes, habe geradezu körperlich unter dieser Stimmung gelitten, gleichzeitig nicht akzeptieren können, dass Wege nach vorn, eine Befreiung aus der misslichen Lage nicht möglich sein soll.
Wir haben damals zunächst ein Buch gemacht. Ein Buch gegen den Trend, das nicht aufsummiert, wo wir den Anschluss verloren haben, sondern in dem wir gesammelt haben, wo wir immer noch auf den wichtigen Märkten der Welt eine führende Rolle spielen. "Made in Germany" hieß das Buch. Dann haben wir die Innovationspartnerschaft "Wirtschaft und Politik" unter der Leitung des damaligen Bundeskanzlers gestartet. Heinrich von Pierer, Joachim Milberg, Franz Fehrenbach waren dabei, und viele andere Repräsentanten der Unternehmen, die hier heute Abend auch vertreten sind. Kurzfristig hatte das eine signifikante Erhöhung der staatlichen Forschungsförderung zur Folge; in der Fernwirkung auch die spätere Exzellenzinitiative für die Universitäten und Hochschulen.
Schließlich folgte eine Reformagenda, die politisch schwierig war, die zu Verwerfungen geführt und die Handelnden von der Regierung in die Opposition gebracht hat. Aber doch die Voraussetzung geschaffen hat, dass wir danach unglaubliche 16 Jahre lang ununterbrochen wirtschaftliches Wachstum hatten und unsere Stärke auf den Märkten der Welt zurückerobert haben – vor allem dank Unternehmergeist, Mut und Innovationsfreude in den deutschen Unternehmen.
Sind wir heute in derselben Lage? Nein. Sie ist ähnlich, was die Stimmung in der Bevölkerung angeht. Aber sie ist anders, noch schwieriger, mit Blick auf mögliche Auswege aus der Krise. Schon deshalb natürlich, weil die Welt zwanzig Jahre nach der Agenda 2010 nicht mehr dieselbe ist. Die weltweiten Gewichtsverschiebungen, politisch wie wirtschaftlich, sind unübersehbar. China ist dominanter, die USA – um es vorsichtig zu sagen – robuster geworden. Ganze Regionen in Südostasien drängen nach vorn, viele allerdings an der kürzeren oder längeren Leine von China. Stark wachsende Märkte – wie Afrika – haben wir, wenn Sie mir die Bewertung erlauben, vielleicht etwas zu sehr liegen gelassen, weil die Risiken unnötig schienen, um die Kapazitäten deutscher Unternehmen auszuschöpfen. Will sagen: Seit den letzten großen Reformen bei uns im Land hat sich der weltweite Wettbewerb geändert, ist härter, ist brutaler geworden. Und es gibt wirtschaftlich stark wachsende Branchen, IT, Big Data, KI, wo wir ebenfalls vorübergehend den Anschluss verloren haben und wo dieser mit Blick auf die neuen Konglomerate von Big Tech und amerikanischer Administration noch schwerer zu finden sein wird. Die Lage ist ohne Zweifel schwierig, auch deshalb noch schwieriger als vor zwanzig Jahren, weil uns inzwischen auch noch günstige Energiewirtschaftsbeziehungen weggebrochen sind. Aber ist die Lage schon deshalb aussichtslos? Ich kann und will das nicht glauben!
Vieles hängt davon ab, ob wir noch an uns selbst glauben. Ob wir noch einmal eine gemeinsame Anstrengung zwischen der Wirtschaft und der demokratischen Mitte in unserem Land hinbekommen. Und ich betone: der demokratischen Mitte!
Und da verstehe ich, wenn Sie sagen, da muss sich auch Staat und Politik bewegen, nicht nur bei Energiepreisen und Infrastruktur, sondern auch bei Belastungen durch Regulierung und Bürokratie. Aber auch da dürfen wir nicht zu kurz springen. Ich sehe in jedem Politikerinterview derzeit das Versprechen von Bürokratieabbau. Aber ich befürchte, der Ertrag wird beschränkt bleiben, wenn wir nicht darüber reden und streiten, wofür der Staat zuständig sein soll, welche Erwartungen an den Staat zu Recht bestehen und wo die Grenzen sind.
Deshalb habe ich mit den Herren de Maizière, Steinbrück, Voßkuhle und Frau Jäkel gerade eine Initiative auf den Weg gebracht, die einer Regierung nach dem 23. Februar Vorschläge für einen handlungsfähigen Staat machen wird und die hier an der Hertie School aufgehängt ist und von der ZEIT Stiftung Bucerius und Mercator-Stiftung unterstützt wird.
Aber noch so viel Staatsreform wird nicht ausreichen, wenn wir nicht parallel in unserem Land – zugegeben mit widrigen Umständen – gemeinsam eine Innovationsoffensive lostreten, die uns wieder Wind unter den Flügeln verleiht, die uns neues Selbstbewusstsein gibt. Haben wir das Potenzial dazu? Das wissen Sie besser als ich. Aber ich denke, ja.
Seit zwei Jahren besuche ich – unterstützt durch die BMW-Stiftung – Orte und Unternehmen in der Wirtschaft unter dem Titel "Werkstatt des Wandels". Zuletzt waren wir am Forschungscampus von Bosch in Renningen. Natürlich ist mein Blick ausschnitthaft, aber mein Eindruck ist: Wir haben keinen Anlass, uns zu verstecken, auch wenn sich weltweit Märkte und Branchen – am sichtbarsten in der Automobilindustrie – verändern. Erfolgreiche Innovationen sind aber nicht nur eine Frage von Haltung, von Willen und Selbstbewusstsein. Sie brauchen Rahmenbedingungen, die wir in Fachhochschulen, Universitäten und Forschung, denke ich, doch auf internationalem Niveau haben; die bei schulischer Bildung deutlich verbessert werden müssen. Und aufpassen müssen wir, dass uns bei der dualen Ausbildung, die nach wie vor ein Asset in unserer Volkswirtschaft ist, nicht die jungen Menschen ausgehen. Eine Neu- und Höherbewertung von beruflicher Ausbildung in unserer Öffentlichkeit halte ich für dringend notwendig.
Gelingen wird uns das alles nur, wenn wir alles, was zur kritischen Infrastruktur gehört, bewahren und verbessern. Das ist weit mehr als dass die Bahn wieder pünktlicher fährt. Wir müssen resilienter werden – gegenüber Naturkatastrophen, gegenüber Desinformation, gegenüber Bedrohungen unserer Sicherheit.
Und lassen Sie mich eines mit Blick auf gestern und das, was morgen im Deutschen Bundestag passieren wird, hinzufügen: Auch die Demokratie gehört für mich ausdrücklich mit zur kritischen Infrastruktur. Es ist nicht egal, mit wem wir uns auf die Reise begeben. Umso mehr freue ich mich, dass der Stifterverband zu den Akteuren gehört, die sich vor Herausforderungen nicht drücken, sondern sie benennen und sie angehen.
Für mich ist das alljährlich sichtbare Symbol für das Engagement des Stifterverbandes Ihre unverzichtbare Unterstützung des Deutschen Zukunftspreises. Mit der begleitenden Berichterstattung können wir Jahr für Jahr auch einer breiteren Öffentlichkeit zeigen, welches wissenschaftliche, welches Innovationspotenzial in unserem Land steckt. Weniger sichtbar, aber unverzichtbar ist das, was Sie an 365 Tagen im Jahr für eine zukunftsfähige Wirtschaft in unserem Land, für eine bessere Verbindung von wissenschaftlicher Forschung, unternehmerischer Effizienz und wirtschaftlichem Nutzen tun.
Darum und dafür sage ich als Schirmherr Ihnen allen, die heute Abend hier zusammengekommen sind, aber auch allen anderen, die im Stifterverband zusammengeschlossen sind – Unternehmen, Stiftungen, Einzelnen – und die auf diese Weise Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen, meinen herzlichen Dank.
Gleich wird Herr Socher über "deutsche Forschung auf dem Weg zur Superintelligenz" sprechen. Darauf dürfen wir gespannt sein, auch wenn wir bis auf Weiteres davon ausgehen können, dass der liebe Gott vor die künstliche die natürliche Intelligenz gesetzt hat. Und unsere natürliche Intelligenz sollte jedenfalls ausreichen, um zu erkennen, in welche Richtung es lohnt, gemeinsam weiterzugehen; wo wir Anschluss finden können; ob der Traum einer digitalen Souveränität Europas noch realistisch ist
Keine einfachen Themen. Aber es sind so viele im Raum, die dazu etwas zu sagen haben. Danke, dass Sie mich in unübersichtlicher Zeit mit diesen schwierigen Fragen nicht alleinlassen. Und danke, dass Sie gekommen sind – ich freue mich auf den Abend, ich freue mich auf den Vortrag und die anschließende Diskussion!