Besuch des Maji-Maji-Museums

Schwerpunktthema: Rede

Songea/Tansania, , 1. November 2023

Bundespräsident Steinmeier hat am 1. November in Tansania das Maji-Maji-Museum in Songea besucht und ein Gespräch mit Nachfahren von Chief Songea Mbano geführt. Ihnen gegenüber sagte er anschließend: "Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben [...] Deutschland ist bereit zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt eine Rose auf eines der Gräber der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer in Songea nach der Besichtigung des Maji-Maji-Museums zusammen mit Museumsdirektor Balthazar Nyamusya und Nachfahren der Opfer

Zuallererst möchte ich mich bedanken bei Ihnen, liebe Familie Mbano. Dass Sie mich hierher eingeladen haben, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Nach all dem, was vor 117 Jahren, am 7. Februar 1906 in Songea geschehen ist, bin ich zutiefst dankbar, dass ich als deutscher Bundespräsident Sie hier besuchen darf und wir miteinander sprechen konnten.

Sie haben sich viel Zeit genommen, liebe Familie Mbano, um mir Ihre Geschichte zu erzählen. Und ich bin vor allem hierhergekommen, um Ihnen zuzuhören – das ist mir ein Herzensanliegen, und es ist ein Gebot der Aufrichtigkeit.

Sie haben mir die Geschichte von Songea Mbano erzählt – die Geschichte des wohl berühmtesten Chiefs dieser Gegend, des Nationalhelden Songea, Ihres großen Ahnherrn. Sie hat mich sehr bewegt, und ich bin dankbar für Ihr Vertrauen.

Ich weiß, welch große Last das Schicksal des Chief Songea auch heute noch für Ihr Volk bedeutet, welche Seelenqual es für seine Angehörigen darstellt. Ich spüre, wie groß der Schmerz über seinen Tod und darüber, wie er ermordet wurde, auch heute noch ist. Und ich habe verstanden, dass diese grausame Tat mittlerweile viele Generationen geprägt hat und bis heute in Ihren Familien fortwirkt. Und doch ist es eine Geschichte, über die wir gerade in Deutschland zu wenig wissen. Wir wissen wenig, obwohl Songea stellvertretend für das Aufbegehren vieler weiterer Tansanierinnen und Tansanier gegen die deutsche Kolonialmacht steht.

Auch deshalb bin ich hierher nach Songea gekommen: um diese Geschichte mit mir nach Deutschland zu nehmen, damit mehr Menschen in meinem Land von ihr erfahren. Das, was hier geschehen ist, ist unsere geteilte Geschichte – die Geschichte Ihrer Vorfahren und die Geschichte unserer Vorfahren in Deutschland. Auch wir Deutsche müssen uns dieser Geschichte stellen, damit wir gemeinsam mit Ihnen an einer besseren Zukunft bauen können.

Ich habe gelernt: Chief Songea war ein tapferer Anführer der Wangoni im Maji-Maji-Krieg. Er führte seine Leute in den Kampf gegen die deutschen Kolonialherren, die Ostafrika mit grausamer Härte beherrschten. Chief Songea war ein Mann von großem Einfluss, er war mutig, und die deutschen Kolonialherren wollten ihn daher auf ihrer Seite haben und bereiteten einen zynischen Handel vor: Sie boten ihm an, ihn am Leben zu lassen, wenn er ihnen – den Unterdrückern – helfen würde. Anders gesagt: Wenn er sein Volk verraten würde.

Songea Mbano war kein Mann des Verrats. Das Leiden seines eigenen Volkes zu verlängern, auf die Seite der Unterdrücker zu wechseln, das kam für ihn nicht in Frage. Eher war er bereit zu sterben, als unter kolonialem Joch weiterzuleben. Diese Standhaftigkeit, diese Entschlossenheit kann man schon auf dem Foto erkennen, das wir oben im Maji-Maji-Museum gesehen haben. Einen solchen Blick hat niemand, der sein Volk im Stich lässt. Die deutschen Kolonialtruppen nahmen grausam Rache. Sie hängten und enthaupteten ihn, zusammen mit 66 anderen Kämpfern der Wangoni.

Liebe Familie Mbano, auch wer in Deutschland mehr über deutsche Kolonialgeschichte weiß, muss auch heute noch entsetzt sein über das Ausmaß der Grausamkeit, mit der die deutsche Kolonialbesatzung vorgegangen ist, muss entsetzt sein über das, was ich heute von Ihnen gehört habe. Es beschämt mich! Es beschämt mich, was deutsche Kolonialsoldaten Ihrem Ahnherrn, seinen Mitkämpfern und vielen anderen im Gebiet des heutigen Tansania angetan haben.

Trotz dieser dunklen Geschichte haben Sie mich, den deutschen Präsidenten, heute eingeladen in Ihre Heimat, zu Ihrer Familie, um mir von dieser Geschichte zu erzählen, ganz unmittelbar, von Mensch zu Mensch. Das ist eine große Geste.

Ich trauere mit Ihnen um Chief Songea und um die anderen Hingerichteten. Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben. Ich bitte um Verzeihung, und ich möchte Ihnen versichern, dass wir Deutsche mit Ihnen nach Antworten suchen werden auf die offenen Fragen, die Ihnen keine Ruhe lassen.

Denn Sie haben mir heute nicht nur von Vergangenem erzählt. Sie haben mir viele drängende Fragen gestellt: Warum haben die Kolonialsoldaten das getan? Hier und an anderen Orten des Maji-Maji-Krieges? Was ist geschehen mit den menschlichen Überresten der Gefallenen? Und wo befinden sie sich heute, 117 Jahre später?

Was wir wissen, ist, dass damals viele Gebeine aus Ostafrika nach Deutschland gebracht wurden und dort in Museen und anthropologischen Sammlungen lagen. Hunderte, vielleicht tausende von Schädeln. Meist wurden sie nach der Kolonialzeit, nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vergessen. Inzwischen mehr als ein Jahrhundert lang. Und in dieser langen Zeit haben hier in Tansania Familien wie die Mbanos getrauert, weil man ihren Vorfahren auch die Totenruhe gestohlen hat.

Ich verspreche Ihnen, dass wir uns gemeinsam mit Ihnen darum bemühen werden, auch den Schädel von Chief Songea in Deutschland zu finden. Wenn wir bis jetzt noch nicht erfolgreich waren, dann liegt das nicht an unserem mangelnden Willen oder daran, dass wir uns nicht genug bemühen. Es ist nur so, dass die Identifizierung der menschlichen Überreste und ihre Zuordnung – auch mit qualifizierter wissenschaftlicher Expertise – sehr, sehr schwierig bleibt. Diese Ehrlichkeit schulde ich Ihnen, auch wenn es mir schwerfällt, das zu sagen. Ich verspreche Ihnen: Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um zu suchen, um zu finden, um zu identifizieren und zurückzuführen.

Meine Damen und Herren, gestern habe ich mit der Präsidentin Tansanias über Gegenwart und Zukunft der Beziehungen unserer beiden Länder gesprochen. Tansania und Deutschland verbindet heute so viel Positives, so viele gemeinsame Projekte und Partnerschaften. Und wir werden das Beste daraus machen! Aber uns verbindet eben auch die Last einer schwierigen Vergangenheit.

Meine Botschaft an Sie ist: Ich bin heute als Präsident eines anderen Deutschlands nach Songea gekommen. Eines anderen Landes als jenes, das Ihre Vorfahren kennenlernen mussten. Deutschland ist bereit zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit. Niemand soll vergessen, was damals geschehen ist. Und meine große Hoffnung ist, dass die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit gerade auch junge Menschen mit einbezieht: Schülerinnen und Schüler, Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Museumsleute.

Das Berliner Humboldt-Forum plant für das kommende Jahr eine gemeinsame Ausstellung mit dem Nationalmuseum in Daressalam: "History of Tanzania", bei der das Kapitel der Kolonialvergangenheit eine ganz wichtige Rolle spielen wird. Und ich wünsche mir, dass diese Ausstellung ein Jahr später bei Ihnen in Tansania gezeigt werden kann. Aus der bedrückenden Vergangenheit kann so etwas Gemeinsames, etwas Verbindendes, etwas Bleibendes entstehen, etwas, das uns in eine gemeinsame Zukunft führt. Und genau das wünsche ich mir für uns: eine gemeinsame Zukunft!

Ich werde nun direkt im Anschluss noch Ihre Grundschule besuchen, die nach dem Maji-Maji-Krieg benannt ist. Die Kinder dort sind Tansanias Zukunft, und sie sind auch die Zukunft der deutsch-tansanischen Freundschaft. Herr Bürgermeister hat sich eben in dem Gespräch mit der Familie sehr gewünscht, dass die Stadt Songea eine Partnerschaft mit einer Stadt in Deutschland eingehen möge. Herr Minister Ndumbaro hat diesen Wunsch, wie Sie eben in seiner Rede gehört haben, sehr unterstützt. Ich verspreche Ihnen, meine Damen und Herren, Herr Minister, Herr Bürgermeister, dass ich bei der Suche nach einer solchen Partnerstadt gerne behilflich sein werde.

Zum Abschluss sage ich noch einmal Danke. Danke, dass Sie mich und meine ganze Delegation aus Deutschland hier so herzlich empfangen haben. Arbeiten wir gemeinsam dafür, dass die Beziehungen unserer beiden Länder für alle Zukunft nur noch von Partnerschaft und Freundschaft geprägt sein werden!