Herzlich willkommen im Schloss Bellevue! Man hat an diesem Ort ja nicht den Eindruck, dass man sich mitten in Berlin befindet, in dieser lauten, vibrierenden Stadt, deren Geschichte, deren Kultur und ja, auch deren Nachtleben jährlich über zehn Millionen Besucher aus aller Welt anzieht. Berlin hat viel zu bieten. Das einzige, was Berlin nicht anzubieten hat, ist das Meer.
Deshalb hat es die Berlinerinnen und Berliner schon immer an die Ostsee gezogen, an ihre schöne Küste, in die Seebäder, an die Strände, in die wunderbare Natur. Kein Wunder also, dass die Ostsee schon im Kaiserreich im Volksmund die Berliner Badewanne hieß. Der Schriftsteller Heinrich Mann nannte Heringsdorf auf der Insel Usedom einmal einen Vorort von Berlin. Auch sein Bruder, Thomas Mann, verbrachte sein halbes Leben an der Ostsee – von Schleswig-Holstein bis zur Kurischen Nehrung. Und wir dürfen davon ausgehen, dass diese Aufenthalte ihn zu folgender Erkenntnis brachten: Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit.
Wer wüsste es besser als Sie, meine Damen und Herren, dass die Ostsee so viel mehr als eine Landschaft ist! Die Ostsee ist Teil einer gemeinsamen Identität, von Finnland über das Baltikum, von Polen nach Dänemark, von Island, Norwegen und Schweden bis nach Deutschland. Bereits vor 800 Jahren taten sich Kaufleute von der Ostseeküste zusammen, gründeten später gemeinsam die Hanse, eine der wichtigsten Handelsorganisationen des Mittelalters. Schon immer verbindet die Ostsee die Menschen miteinander, über Kulturen, Sprachbarrieren und Generationen hinweg.
Es gab immer wieder auch die anderen Zeiten. Während des Kalten Krieges war die Ostsee über Jahrzehnte eine scharf bewachte Grenze. Und welch eine Freude, welch ein Gewinn, als sich mit den Schlagbäumen auch die Ostseehäfen wieder öffneten! Dass Deutschland in Freiheit wiedervereint werden konnte, das verdanken wir auch dem Freiheitswillen der Osteuropäer, viele davon Ostseeanrainer – und wir danken dafür und vergessen es nicht.
Russlands brutaler, völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur die Ostseeregion, er hat unseren ganzen Kontinent zurückgeworfen in eine Zeit der Konfrontation. Eine Zeit von Tod und Sterben, eine Zeit wirtschaftlicher Verwerfungen, der Energiekrise und explodierender Preise. Eine Zeit der Unsicherheit und der Angst, in der wir wieder mehr über Grenzen sprechen als über Brücken. Die Ostsee, die jahrzehntelang die Menschen aus Ost und West zusammenführte, liegt nun in Teilen wieder trennend zwischen ihnen und ihren Geschichten.
Dieser Krieg Russlands gegen die Ukraine, er erschüttert ganz Europa. Aber ich weiß, gerade bei den Menschen in Litauen, Estland, Lettland, Menschen an der Ostflanke der NATO, hat er schlimmste Erinnerungen an die Vergangenheit wiederaufleben lassen. Darüber habe ich bei vielen meiner Reisen in die Region gesprochen. Und ich habe deutlich gemacht: Wir sind an Eurer Seite! Eure Sicherheit ist auch unsere Sicherheit. Wir stehen gemeinsam gegen Putin und seinen Krieg.
Wir erinnern uns an den russischen Überfall auf die Ukraine vor etwas mehr als 18 Monaten. Ich erinnere auch an das ganz starke Zeichen, dass die Ostseeparlamentarierkonferenz als erste internationale Organisation bereits zwei Tage nach Kriegsbeginn gegeben hat und die russische Mitgliedschaft suspendierte. Inzwischen ist Russland kein Mitglied mehr – aber die Ostseeparlamentarierkonferenz wichtiger denn je. In den letzten dreißig Jahren hat sie tragfähige Verbindungen geknüpft zwischen Regierungen, Parlamenten und der Zivilgesellschaft der Ostseeanrainer. Maritime Fragen, aber auch wirtschafts- und sozialpolitische Fragen konnten so über lange Zeit immer wieder gemeinsam gelöst werden. Heute, wo der Wind wieder rauer weht, ist diese verlässliche Zusammenarbeit der Ostseeanrainer von noch größerer Bedeutung.
Die neue Bedrohungslage, aber auch die Gefahren der Desinformation, Fragen der Energiesicherheit und die Bekämpfung des Klimawandels – in der Ostseeregion stellen sich all diese Fragen noch dringender als anderswo. Und deswegen bin ich der Ostseeparlamentarierkonferenz, bin ich Ihnen allen zutiefst dankbar, dass Sie nicht müde werden, sich gemeinsam – auch gegenüber Ihren Regierungen – zu all diesen Themen klar zu positionieren.
Ich greife nur ein Beispiel heraus: Die Bergung von Munitionsaltlasten, um die auch Sie sich bemüht haben. Die deutsche Bundesregierung hat sich im vergangenen Jahr auf ein Sofortprogramm verständigt für die Beseitigung versenkter Munition in Nord- und Ostsee – und dass es so weit kam, zu dieser Entscheidung, ist nicht zuletzt auch Ihr Verdienst. Dafür danke ich Ihnen, und ich hoffe, dass Sie auch weiterhin erfolgreich für die gemeinsamen Ziele streiten und kämpfen. Denn: Das Einzige, was die Menschen bei einem Spaziergang an den Stränden der Ostsee finden sollten, ist Bernstein, nicht Munition.
Bernstein gilt als Symbol für Optimismus. Und ich glaube, ein wenig Optimismus brauchen wir alle gerade – und Ihr Treffen hier in Berlin kann uns ein wenig Zuversicht in diesen unsicheren Zeiten geben. Die Ostsee ist leider wieder ein potenzielles Konfliktgebiet. Deshalb sind Foren wie dieses hier so wichtig. Foren, in denen demokratisch gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier, verbunden über gemeinsame Werte, zusammen an Lösungen für die wirklich immer drängenderen Zukunftsfragen arbeiten. Sie alle tragen dazu bei, die verlässliche Nachbarschaft im Ostseeraum zu stärken. Denn wenn wir im Angesicht des Krieges in der Ukraine eines brauchen, dann ist es ein vertrauensvoller, ehrlicher Austausch untereinander und auf Augenhöhe. Nicht nur auf Ebene der Regierungen, sondern eben auch zwischen den Parlamenten und der Zivilgesellschaft. Ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte nur gemeinsam bestehen. Die Ostseeparlamentarierkonferenz ist der beste Beweis: Wir Europäer sind stark, wenn wir gemeinsam handeln.
Liebe Gäste, ich wünsche Ihnen allen weiterhin eine gute, eine erkenntnisreiche Konferenz miteinander. Und bitte genießen Sie Berlin – auch ohne das Geräusch der Ostseewellen.