Präsentation einer Büste von Bundespräsident a. D. Joachim Gauck

Schwerpunktthema: Rede

Bundespräsidialamt, , 3. Februar 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 3. Februar in dem Berliner Amtsgebäude die Büste von Bundespräsident a.D. Joachim Gauck in der Reihe seiner Amtsvorgänger präsentiert. Bei der Beschreibung der Plastik sagte er: "Vielleicht harrt [...] das bei einem Kunstwerk der Interpretation; in der Wirklichkeit konnten die Bürgerinnen und Bürger die Kraft des Mutmachers im Präsidentenamt sehr deutlich spüren."

Bundespräsident Steinmeier und sein Amtsvorgänger Gauck gemeinsam mit Bildhauerin Bärbel Dieckmann bei der Präsentation einer Büste von Bundespräsident a. D. Gauck im Bundespräsidialamt in Berlin

Hoffnung wächst nicht aus Haben, sie wächst aus Sehnsucht nach Sein. Es ist 35 Jahre her, dass Sie, lieber Joachim Gauck, diesen Satz sagten. Im Juni 1988 war das, damals hielten Sie beim Evangelischen Kirchentag in Rostock die Predigt zum Schlussgottesdienst. Deutschland war noch geteilt. Die Mehrzahl ihrer Kinder war außer Landes, und Sie mussten fürchten, sie für eine sehr lange Zeit nicht wiederzusehen. So sprachen Sie also über Sehnsucht.

Die Vorstellung, dass unser Land kurze Zeit später wiedervereint sein würde, erschien an diesem Tag so abwegig, dass die Menschen auf beiden Seiten der Mauer an Hoffnung kaum denken konnten. Sie aber haben die Sehnsucht nach Veränderung, dieses schmerzliche Ziehen in der Herzgegend Ihrer Zuhörer damals genau gespürt und benannt. Und Sie haben diese Sehnsucht mutig weitergedacht. Es war die Sehnsucht nach Freiheit.

Der Anlass, zu dem wir heute zusammenkommen, könnte die Sache nicht schöner verdeutlichen: wie sehr Sie, lieber Herr Gauck, damals recht damit hatten, den Menschen Mut zur Hoffnung zu machen.

35 Jahre später sitzen wir hier im lichten Foyer eines Hauses, an dessen Bau damals ebenfalls noch keiner dachte. Inzwischen jedoch folgen wir damit einer schönen Tradition, die im Bundespräsidialamt des wiedervereinten Deutschlands bereits zum fünften Mal stattfindet – und die ganz nebenbei etwas über die demokratische Selbstverständlichkeit des Wechsels an der Staatsspitze erzählt: Unter dem Samttuch vor mir verbirgt sich die Büste des elften Bundespräsidenten dieser Republik, des ersten ostdeutscher Herkunft – Ihre Büste, lieber Herr Gauck. Gleich wird die Bildhauerin Bärbel Dieckmann die Skulptur enthüllen.

Ich weiß, Sie alle sind schon gespannt, wie es der Künstlerin gelungen ist, diesen – ich darf das so sagen – mecklenburgischen Charakterkopf in Bronze zu bannen. Mir geht es ebenso.

Was wird man in der Skulptur sehen können? Die Offenheit und Neugierde im Gesicht dieses Menschen, der sich immer einlässt auf sein Gegenüber? Die Klarheit, mit der er als Bundespräsident schwierige Themen ansprach, im Wissen, dass die Kontroverse folgen würde? Und vor allem: diese so prägende Eigenschaft des Joachim Gauck, den Menschen immer wieder Mut zu machen?

Vielleicht harrt all das bei einem Kunstwerk der Interpretation. In der Wirklichkeit konnten die Bürgerinnen und Bürger die Kraft des Mutmachers im Präsidentenamt sehr deutlich spüren.

In vielen Würdigungen – auch hier, zu Ihrem 80. Geburtstag, lieber Herr Gauck – sind die auf den ersten Blick wichtigsten Wegmarken Ihrer Präsidentschaft genannt worden. Ich erinnere mich allem voran an Ihre Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, als Sie die Frage nach der Verantwortung aufwarfen, die Deutschland in Europa zu übernehmen habe. Sie wissen, dieser Meinung war ich damals mit Ihnen. Und doch ahnten wir beide noch nicht die Schwere der Entscheidungen, die Politik heute zu treffen hat. Darum ist niemand zu beneiden.

Das Vertrauen und die Hoffnung auf eine Zukunft in einem friedlichen Europa, die Sie und ich damals bei allen Zweifeln noch hatten, diese Hoffnung liegt in Trümmern. Der grausame Überfall Russlands auf die Ukraine hat den Krieg nach Europa zurückgebracht. Putin führt einen Krieg gegen die Menschen, Putin führt einen Krieg gegen die Menschlichkeit, und er führt einen Krieg gegen alles, woran wir in der freien Welt glauben. Wir Deutsche stehen der Ukraine bei, wir unterstützen die Angegriffenen in ihrem Kampf um ihr Land, ihre Städte, ihre Freiheit, ihr Leben und ihre Zukunft. Denn diese Zukunft, da gibt es keinen Zweifel, hängt mit unserer Zukunft zusammen.

Ich habe seit dem 24. Februar mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gesprochen, und viele von ihnen haben mir ihre Sorge vor der Zukunft geschildert. Mehr als einmal habe ich dabei an die Worte in Ihrer Antrittsrede gedacht, lieber Herr Gauck, und an das, was ich für mich ganz persönlich immer wieder aus Ihrer Präsidentschaft mitgenommen habe.

In Ihrer Rede nach der Vereidigung sprachen Sie – natürlich – über Freiheit, Ihr Lebensthema. Aber Sie sprachen auch darüber, dass die Idee der Freiheit für viele Menschen eher Verunsicherung bringe. Dass diese Verunsicherung, diese Ängste die Menschen lähmen könne. Und Sie ermahnten die politisch Handelnden, die Ängste der Menschen nicht auszublenden – sich aber auch nicht von ihnen treiben zu lassen. Ängste nicht zu ignorieren, ihnen zu begegnen, heißt, Menschen ernst zu nehmen, aber sie nicht alleinzulassen in ihrer Zukunftsangst. Zukunft ist kein Schicksal; Ermutigung zum Tun, das ist die Aufgabe von Politik und des Bundespräsidenten ganz besonders. Will sagen: Nicht die Lage schönreden, aber immer wieder die Gründe nennen, die Zuversicht erlauben. Auf meinen Reisen durch unser Land sehe ich – wie Sie in Ihren Amtsjahren – viele solcher Gründe. Überall treffe ich Menschen, die dort anpacken, wo es nötig ist, und die anderen helfen, sie unterstützen. Die Sorgen lähmen uns als Gesellschaft nicht, im Gegenteil, sie mobilisieren uns.

Wir erleben gerade, dass wir zu viel mehr fähig sind, als manche uns glauben machen wollten. Einer der größten Irrtümer von Diktatoren ist es, die innere Kraft der Demokratien zu unterschätzen. Wir wissen, welchen Wert die Freiheit hat, und wir sehen, wie sie verachtet wird, wenn wir Zeugen sind, wie aufrechte Menschen gebrochen, erniedrigt, gequält und sogar getötet werden sollen. Dass wir sie verteidigen müssen: Demokratie, Freiheit und Recht, das macht uns entschieden und entschlossen. Und in dieser Zeit der Gefahren entschlossener als noch zuvor. Gemeinsam können wir schaffen, was jetzt vor uns liegt, die Gewaltherrschaft in die Schranken zu weisen, die demokratische Selbstbestimmung und die Unabhängigkeit der Bürgerinnen und Bürger Europas zu schützen und, wo immer es geht, zu stärken.

Hier hat jetzt die Bildhauerin Bärbel Dieckmann die schöne Aufgabe, ihr Werk zu enthüllen – die Büste des elften Bundespräsidenten Joachim Gauck. Ich möchte nicht schließen, ohne wenigstens einen ganz kleinen Blick in die Werkstattsituation der Künstlerin preisgegeben zu haben. Wie ich höre, liebe Frau Dieckmann, hatten Sie gleich zu Beginn der vielen Stunden Ihrer Arbeit einen ganz klaren Eindruck von Ihrem Modell: Ich habe da jemanden porträtiert, der ganz klar und deutlich die Ausstrahlung eines Hoffnungsträgers hat. Wenn ich überhaupt nichts über ihn gewusst hätte, sollen Sie gesagt haben, ich hätte ihn als ermutigend empfunden.

Ich darf Sie bitten, die Büste zu enthüllen. Herzlichen Dank!