Richterwechsel am Bundesverfassungsgericht – Entlassung und Ehrung von Monika Hermanns und Peter Michael Huber sowie Ernennung von Rhona Fetzer und Thomas Offenloch

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 11. Januar 2023

Der Bundespräsident hat am 11. Januar bei der feierlichen Entlassung und Ehrung von Monika Hermanns und Peter Michael Huber sowie Ernennung von Rhona Fetzer und Thomas Offenloch zu Richtern des Bundesverfassungsgerichts eine Ansprache in Schloss Bellevue gehalten: "Es bleibt aus meiner Sicht wichtig, den Dialog der Gerichte in der Europäischen Union nach den dafür gemeinsam aufgestellten Regeln zu führen. Anders können wir den Fliehkräften, denen die europäische Rechtsgemeinschaft erkennbar ausgesetzt ist, kaum entgegenwirken. "

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache neben einer Standarte im Großen Saal in Schloss Bellevue

Ich freue mich, dass wir den Richterwechsel am Bundesverfassungsgericht erneut in größerer Runde begleiten können. Ich freue mich auch, dass ich viele von Ihnen bei dieser Gelegenheit wiedersehen kann. Aber ich weiß auch, dass dies immer wieder Tage der zwiespältigen Gefühle sind. Was für die einen der Beginn von etwas Neuem ist, was sie angestrebt oder gar ersehnt haben, ist für andere Abschied aus einem Amt, das sie mit Hingabe und Leidenschaft über viele Jahre ausgeübt haben. Ich darf heute mit Ihnen, liebe Frau Hermanns, und mit Ihnen, lieber Herr Huber, gleich zwei herausragende Persönlichkeiten ehren und verabschieden, und zugleich Sie, liebe Frau Fetzer, und Sie, lieber Herr Offenloch, ernennen und vereidigen.

Der Anspruch, den die Eidesformel an die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts stellt, könnte höher nicht sein: Der Eid beinhaltet – wie wir nachher hören werden – das Versprechen, allezeit in zuverlässiger Weise zum Grundgesetz zu halten und dieses nach bestem Wissen und Gewissen anzuwenden und zu hüten. Denkt man darüber nach, so stellt man sich unweigerlich die Frage, wer diesen Anforderungen gerecht werden soll. Das Grundgesetz hat die Antwort darauf parat. Es sieht in Artikel 94 vor, dass das Bundesverfassungsgericht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern besteht. Dass das Bundesverfassungsgericht sich aus Menschen mit unterschiedlichen Berufswegen und Prägungen zusammensetzt, das will das Grundgesetz also selbst. Und es ist ja richtig: Ihre richterlichen Entscheidungen entstehen nicht im luftleeren Raum. Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts eint ihre höchste fachliche Kompetenz. Das Grundgesetz versteht es zugleich als Stärkung, wenn ganz unterschiedliche Biographien und Prägungen, richterliche Erfahrung, rechtswissenschaftliche Tätigkeit, politische und anwaltliche Praxis in diesem Gericht vertreten sind.

Ich bin überzeugt davon, dass die Unterschiedlichkeit der Richterpersönlichkeiten das Bundesverfassungsgericht als Institution stärkt. Denn wenn Entscheidungen aus möglichst verschiedenen Blickwinkeln diskutiert und abgewogen werden, so erhöht dies deren gesellschaftliche und politische Akzeptanz. Das ist für unsere Demokratie lebensnotwendig. Sie funktioniert nur dann, wenn die Regeln des Rechtsstaats respektiert und eingehalten werden. Darüber wachen Sie, die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts. So sichern Sie den Bestand unserer Demokratie mit ab – auch wenn das bedeutet, dass Ihre Entscheidungen manchmal kontrovers aufgenommen werden.

Sie, liebe Frau Hermanns, und Sie, lieber Herr Huber, haben Ihr mit dem Amtseid verbundenes Versprechen nicht nur eingelöst. Sie haben sich selber in zwölf Richterjahren am Bundesverfassungsgericht sehr viel abverlangt, und dafür will ich Ihnen heute danken.

Liebe Frau Hermanns, Sie stammen aus Niedersachsen und sind im Emsland aufgewachsen. Aber schon lange sind Sie im Saarland beheimatet. Dahin zog es Sie 1986 nach Ihrer juristischen Ausbildung. In Saarbrücken waren Sie zunächst als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am renommierten Institut für Europäisches Recht der Universität des Saarlandes tätig; von dort nahm Ihre außergewöhnliche juristische Karriere ihren Lauf. 1990 traten Sie in den Justizdienst des Saarlandes ein – und zwar gleich als persönliche Referentin des damaligen Justizministers Arno Walter, den ich selbst noch in guter Erinnerung habe. Ihre erste Verwendung als echte Richterin folgte 1993 am Landgericht Saarbrücken. Nach weiteren Stationen am Bundesgerichtshof, in der saarländischen Staatskanzlei und am Saarländischen Oberlandesgericht wurden Sie 2004 Richterin am Bundesgerichtshof. Gleichzeitig waren Sie Mitglied des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes. Dieses Amt mussten Sie aufgeben, als Sie vor zwölf Jahren in Karlsruhe das Erbgroßherzogliche Palais für den Schlossbezirk eintauschten und seither am Bundesverfassungsgericht wirkten – und zwar nicht nur im Zweiten Senat. Doch dazu komme ich nachher noch.

Sie brachten damals den Erfahrungsschatz der Bundesrichterin mit ins Amt, waren eine sogenannte Richter-Richterin. Unbekannt, aber brillant – so beschrieb die Süddeutsche Zeitung Sie im November 2010 anlässlich Ihrer Wahl zur Bundesverfassungsrichterin. Einige Jahre später schrieb die Saarländische Zeitung über Sie: Sie zählt zu jener Sorte Richter, die jedwedes Tamtam um ihre Person mit Rücksicht auf die Würde ihrer hoheitlichen Aufgabe scheut. Dass Sie heute unbekannt wären, will ich bezweifeln. Aber Sie haben nie Aufhebens um Ihre Person gemacht. In der Öffentlichkeit zu stehen, das war nicht Ihr Ansinnen. Bei Ihnen spürt man deutlich: Sie haben den Anspruch, durch Ihre Urteile zu sprechen. Das ist Ihr richterliches Ethos. Zu diesem Ethos gehört auch, dass Sie für Ihre Entscheidungsfindung stets nach den überzeugendsten juristischen Argumenten gesucht haben – nüchtern, unbeeindruckt und unabhängig von der politischen Brisanz des zu entscheidenden Falles. Dafür wurden Sie im Karlsruher Umfeld sehr geschätzt.

Angefangen haben Sie im Zweiten Senat mit der Untersuchungshaft, der Wiederaufnahme von Strafverfahren, dem Zwangsvollstreckungsrecht, dem Waffenrecht und dem Insolvenzrecht, daneben haben Sie sich wie andere auch dem Allgemeinen Zivilrecht gewidmet. Nach etwa einem Jahr konnten Sie die Untersuchungshaft abgeben und erbten vom scheidenden Richter Mellinghoff den Rechtsbereich, für den Sie bis zum heutigen Tage als Berichterstatterin zuständig waren: das Abgaben- und Steuerrecht.

Dieser Bereich stand fortan im Mittelpunkt Ihres Dezernates. Mit dieser doch sehr technischen Materie waren Sie als Richterin der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorher nicht befasst. Umso beeindruckter waren manche juristischen Weggefährten davon, mit welcher Tiefenschärfe und mit welcher Präzision Sie sich das neue Rechtsgebiet zu eigen machten. Und es ging furios los, als der Senat auf Ihre Berichterstattung hin im Mai 2013 die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen beim Ehegattensplitting für verfassungswidrig erklärte. Später machten Sie sich etwa mit der Entscheidung zum Mantelkauf einen Namen – wobei es, wie die Öffentlichkeit lernte, nicht um Pelzmäntel ging, sondern um komplizierte Vorschriften zum steuerlichen Verlustvortrag bei Kapitalgesellschaften, die der Senat für verfassungswidrig erklärte. Das war ein Paukenschlag im Steuerrecht, für den das Gericht große Zustimmung in der Fachwelt erntete. Weitere prominente Verfahren, für die Sie als Berichterstatterin zuständig waren, drehten sich um die steuerliche Behandlung von Erstausbildungskosten, um den Vertrauensgrundsatz bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen und um die steuerliche Privilegierung von Gewinneinkünften gegenüber Überschusseinkünften. Manchmal steckte im Mantel des Steuerrechts ein wesentliches staatsorganisationsrechtliches Problem, etwa hinter der Biersteuer, was in einem wegweisenden Senatsbeschluss zur Kompetenz des Vermittlungsausschusses mündete.

Sie haben sich nicht gescheut, liebe Frau Hermanns, auch unbequeme Entscheidungen herbeizuführen. Kein Oberster Gerichtshof liest es gerne, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Richtervorlagen für unzulässig erklärt oder einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter wegen einer Verletzung der Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof feststellt. Während Ihrer Zeit in der Ersten Kammer des Zweiten Senats fand diese mitunter deutliche Worte zur Sachaufklärungspflicht von Fachgerichten, etwa im Rahmen der Rehabilitierung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen oder zum Schutz von Leben und Gesundheit bei der Zwangsräumung. Kurzum: Wenn es juristisch etwas zu bemängeln gab, haben Sie dies klar benannt, oder in Ihren Worten formuliert: Wenn die Obersätze so sind, dann muss man darunter subsumieren.

Dahinter steckt sehr viel, mitunter harte Arbeit: Über 3.500 Verfahren haben Sie als Berichterstatterin erledigt. Sie wollte immer alles ausdiskutieren, bis zum Ende denken, wird mit viel Respekt über Sie gesagt. Dabei soll es in Ihrem Dezernat immer kooperativ und sehr tolerant zugegangen sein. Man habe viel von Ihnen lernen können, ohne belehrt zu werden, so heißt es. Vor allem, so habe ich es gehört, hat Ihre leise, aber starke Führung großen Respekt hervorgerufen. Ich glaube, für viele Richterinnen und Richter sind Sie so zu einem Vorbild geworden.

Schließlich, ich deutete es eingangs an, waren Sie kurzzeitig auch im Ersten Senat tätig. Im Verfahren zum Tragen des Kopftuches an öffentlichen Schulen wirkte der Vizepräsident des Gerichts, Verfassungsrichter Kirchhof, wegen der Besorgnis der Befangenheit nicht mit, so dass Sie aufrückten und besondere Verantwortung übernahmen. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ersten Senat werden sich an Ihren Einsatz erinnern, denn schließlich haben Sie nicht nur mitentschieden, sondern darüber hinaus zusammen mit Richter Schluckebier ein Sondervotum verfasst. Das war im Übrigen nicht Ihr einziges Sondervotum – auch der Zweite Senat musste Ihre abweichende Meinung beim Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas zur Kenntnis nehmen, und schließlich auch bei der Entscheidung zu Richtern auf Zeit.

Aber ganz gleich, ob Sie im Zweiten oder im Ersten Senat tätig waren, ob Sie Berichterstatterin waren oder nicht: Jedes Verfahren sollen Sie wie das eigene behandelt, sich tief eingearbeitet und höchste Anforderungen an die Stringenz der Argumente gestellt haben. Denn, so sollen Sie gesagt haben, es entscheiden acht. Und das ist nicht zu bestreiten!

Liebe Frau Hermanns, lange Senatssitzungen werden Ihren Alltag nicht mehr prägen. Auf die Frage, was Sie nach Ihrer Zeit am Bundesverfassungsgericht machen werden, sollen Sie im vergangenen Herbst geantwortet haben: Das sehe ich dann, jetzt habe ich den Tisch noch voller Akten. Sie sind Ihrem Arbeitsethos also bis zuletzt treu geblieben. Vielleicht nehmen Sie sich nun etwas Zeit für cineastische Erlebnisse: Ich hörte, Sie hätten sich zum Abschied Filme gewünscht. Und für Ihr Engagement als Saarland-Botschafterin und als Expertin in der Venedig-Kommission des Europarates für Demokratie durch Recht haben Sie nun auch mehr Zeit. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute!

Lieber Herr Huber, Sie kamen nicht als klassischer Richter, also nicht als Richter-Richter ans Bundesverfassungsgericht. Im Zeitpunkt Ihrer Wahl zum Bundesverfassungsrichter waren Sie aktiver Spitzenpolitiker, Sie bekleideten das Amt des Thüringer Innenministers. Aber eigentlich sind Sie von Hause aus Hochschullehrer. Nach Ihrem Studium in München und Genf, Ihrer Doktorarbeit und Habilitation in München waren Sie bereits mit Anfang dreißig Professor für Öffentliches Recht. Ihr erster Ruf führte Sie 1991 nach Augsburg. Danach hatten Sie Professuren in Jena und Bayreuth inne. 2002 kehrten Sie an Ihre Alma Mater, die LMU München, zurück, wo Sie seither Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie sind. Zwischendurch zog es Sie immer wieder ins Ausland zu Gastprofessuren in Finnland, Portugal und Italien. Würde ich Ihre Tätigkeiten als Gutachter sowie Ihre Mitgliedschaften in Fachvereinigungen einzeln aufzählen, ich würde heute Nachmittag wohl nicht fertig werden. Sie brachten aber – das ist vielleicht nicht ganz so bekannt – auch richterliche Erfahrung mit ins neue Amt. Denn Sie waren schon als Richter im Nebenamt am Thüringer Oberverwaltungsgericht und später am Bremischen Staatsgerichtshof tätig.

Anlässlich Ihres Amtsantritts in Karlsruhe beschrieben die Medien Sie als streitbar, konservativ und als wortmächtig. Die Zeitungen hefteten Ihnen das Label der Umtriebige an – als hätte die Presse geahnt, für welch unterschiedliche Gebiete Sie in Karlsruhe zuständig werden würden. Nach dem Ausscheiden von Richter Di Fabio übernahmen Sie die Zuständigkeiten für Europa- und Völkerrecht. Daneben waren Sie als Berichterstatter unter anderem noch für das Kommunalrecht, für Zentralregistersachen, für Bund-Länder-Streitigkeiten und Klageerzwingungsverfahren verantwortlich. Ihr Dezernat war also mit besonders vielen Senatsverfahren befasst, Sie kommen auf die unglaubliche Zahl von über dreißig, darunter war eine Vielzahl mündlicher Verhandlungen!

So waren Sie über Ihre Amtszeit hinweg höchst intensiv mit grundlegenden Fragen der europäischen Integration befasst und mussten sich mit den Grenzen der Übertragung von Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen auseinandersetzen. In diesen Bereichen hat der Zweite Senat mit Ihnen als Berichterstatter mehrfach Entscheidungen getroffen, die das Verhältnis der deutschen Rechtsordnung zu zwischenstaatlichen Rechtsordnungen grundlegend prägen.

Schon im Jahr 2012 fällte der Senat drei wichtige Urteile, die insbesondere die haushaltspolitische Gesamtverantwortung und das Budgetrecht des Parlaments sowie die Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages hervorhoben. Es ging los mit dem Urteil zum Neunergremium, im Sommer folgte die Entscheidung zum ESM-/Euro-Plus-Pakt, und schließlich entschied der Senat im Herbst desselben Jahres noch über das Eilverfahren zur Ratifikation des ESM-Vertrages.

Mit dem OMT-Beschluss schrieb der Zweite Senat Geschichte. Im Januar 2014 legte das Bundesverfassungsgericht erstmals seit seinem Bestehen ein Verfahren an den EuGH zur Vorabentscheidung vor. Nach der Antwort aus Luxemburg formulierte der Senat erneut die Grenzen der Öffnung deutscher Staatlichkeit. Die Entscheidungen zur Europäischen Bankenunion und später zur vorläufigen Anwendung des CETA-Handelsabkommens buchstabierten die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle weiter aus. Vor dem Hintergrund einer Verletzung des Rechts auf demokratische Selbstbestimmung stellte der Senat im Februar 2020 die Verfassungswidrigkeit des Vertragsgesetzes zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht fest. Zudem nahm der Senat grundlegend zum Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem Stellung, so in den Beschlüssen zum Europäischen Haftbefehl und zu den Europäischen Schulen und – oder soll ich sagen: beziehungsweise – im Ökotox-Beschluss.

Einmal hat es – wie Ihr ehemaliger Kollege Paulus es in seiner Abschiedsrede formuliert hat – laut vernehmlich gekracht. Das war beim Urteil zum PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank vom 5. Mai 2020 der Fall, als der Senat ein Handeln außerhalb der unionalen Kompetenzen feststellte. Mittlerweile haben sich die Wogen wohl wieder etwas geglättet. Teile der Fachwelt lasen aus einem Ihrer letzten Senatsverfahren, nämlich aus dem Urteil zum Corona-Aufbaufonds der EU, versöhnliche Töne an den EuGH heraus. Und der Präsident des EuGH, Koen Lenaerts, sagte jüngst anlässlich des siebzigjährigen Bestehens des Gerichtshofes in einem Fernsehinterview, dass die PSPP-Entscheidung zwar ein grober Klotz sei, er aber Signale der Kooperation aus Karlsruhe vernehme, und – so wörtlich – dass das Bundesverfassungsgericht der beste Verbündete des EuGH bleibe.

Ob das eine Feststellung ist oder mehr der Vorschlag für eine Zielvereinbarung, lasse ich mal dahingestellt. Jedenfalls bleibt aus meiner Sicht wichtig, den Dialog der Gerichte in der Europäischen Union nach den dafür gemeinsam aufgestellten Regeln zu führen. Anders können wir den Fliehkräften, denen die europäische Rechtsgemeinschaft erkennbar ausgesetzt ist, kaum entgegenwirken.

Aber es gab auch noch andere wichtige Themen in Ihrem Dezernat. Etwa, ob zivile Opfer bewaffneter Auseinandersetzungen individuell entschädigt werden können. Weniger sichtbar, aber sehr zahlreich waren sicherlich die Klageerzwingungsverfahren. Drei Senatsverfahren betrafen das kommunale Selbstverwaltungsrecht, den Schutz vor der Entziehung kommunaler Aufgaben oder umgekehrt vor der Übertragung neuer Aufgaben. Zudem mussten Sie über die Verfassungsgemäßheit der Optionskommunen entscheiden, über den registergestützten Zensus und über den Berliner Mietendeckel, den der Zweite Senat für verfassungswidrig erklärte. Darüber war die Hauptstadt nicht erfreut, musste aber zur Kenntnis nehmen, dass ihr schlicht die Kompetenz fehlt. Wahrscheinlich haben auch einige wenige Menschen aus Ihrer bayerischen Heimat nicht gejubelt, als sie in einem Kammerbeschluss lasen, dass eine Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik Deutschlands unzulässig ist. Kurz und knapp hieß es darin: Für Sezessionsbestrebungen einzelner Länder ist unter dem Grundgesetz kein Raum. Ich bin sicher: Selbst Ihnen als Bayer und als bekanntem Unterstützer für mehr direkte Demokratie durch Volksbegehren dürfte dieser Satz leicht aus der Feder geflossen sein.

Lieber Herr Huber, was für eine Zahl, was für Verfahren! Wie ich hörte, wurden Sie einmal in einem bayerischen Hörsaal gefragt, wie es denn so sei in Karlsruhe. Darauf sollen Sie gesagt haben: Manchmal ist es nicht ganz leicht. Dieser Satz aus Ihrem Munde mag manche Zeitgenossen zwar verwundern, die Sie öffentlich in den Medien oder bei Vorträgen erlebt haben – ich bin überzeugt, diese Äußerung zeigt Demut und Respekt vor den schwierigen Fragen und vor der noch schwierigeren Aufgabe, sie richtig zu beantworten. Wenn Sie damit auch gemeint haben, dass im Senat auch wahrhaftig gestritten wurde und nicht einfach alles von Kolleginnen und Kollegen akzeptiert wird, dann gilt: Streit ist ja oft der erste Schritt zur Lösung.

Wo der Streit trotz intensiver Beratung nicht aufzulösen ist, kennt das Verfahren einen Ausweg: Viermal haben Sie den Weg des Sondervotums beschritten. Bei der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes konnten Sie sich nicht mit der Senatsmehrheit identifizieren, ebenso wenig wie bei den Beschlüssen zum Europaratsübereinkommen über Computerkriminalität, zur Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes und zur Entfernung aus dem öffentlichen Dienst durch Verwaltungsakt.

Lieber Herr Huber, Sie werden nun wieder häufiger in den Hörsälen der bayerischen Landeshauptstadt präsent sein, aber ich bin mir sicher, nicht nur Ihre Studierenden werden Ihre Stimme weiter vernehmen, auch wir werden weiter von Ihnen hören. Und in Erinnerung an unsere früheren Begegnungen und Gespräche freue ich mich darauf. Alles Gute für Sie!

Liebe Frau Hermanns und lieber Herr Huber, Ihre so unterschiedlichen Persönlichkeiten waren ein großer Gewinn für das Bundesverfassungsgericht und ein Glücksfall für unsere Demokratie.

Ich darf nun Sie, liebe Frau Hermanns, als Erste zur Überreichung der Entlassungsurkunde nach vorne bitten, gemeinsam mit Ihnen, Herr Präsident Harbarth, und Ihnen, Herr Minister Buschmann und Herr Staatssekretär Krösser.

Liebe Frau Herrmanns, unser Land ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren herausragenden Einsatz. Und ich freue mich, Ihnen dafür das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen.

Nun darf ich Sie, lieber Herr Huber, nach vorne bitten.

Lieber Herr Huber, im Namen des Deutschen Volkes danke ich Ihnen für Ihren herausragenden Einsatz für unser Land. Es ist mir eine große Freude, Ihnen nun als sichtbare Anerkennung Ihrer Verdienste das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu verleihen. Nochmals vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!

Liebe Frau Fetzer, lieber Herr Offenloch, der Deutsche Bundestag hat Sie beide am 15. Dezember 2022 zur Richterin und zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt. Dazu gratuliere ich Ihnen herzlich!

Für Sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der viele Herausforderungen mit sich bringen wird. Ich hoffe, Ihnen ist nicht angst und bange geworden, als sie hörten, wie viel Arbeit auf Sie zukommt. Es ist nun an Ihnen, die Verantwortung zu übernehmen, die das Amt der Richterin und des Richters des Bundesverfassungsgerichts mit sich bringt.

Mit Ihnen beiden ziehen gleich zwei Spitzenjuristen aus Baden-Württemberg in den Zweiten Senat ein. Dass Ihre Geburtsorte Reutlingen – da sind Sie geboren, Frau Fetzer – und Konstanz – Ihr Geburtsort, Herr Offenloch – nur knapp hundert Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen, das dürfte Zufall sein. Weniger zufällig scheint mir zu sein, dass Ihre beruflichen Wege sich doch sehr ähneln, wie ich festgestellt habe.

Liebe Frau Fetzer, wenn ich groß bin, werde ich Jura studieren – das haben Sie als Vierzehnjährige beschlossen, wie Sie letztes Jahr in einem Justizpodcast preisgegeben haben. Seit 2009 sind Sie Bundesrichterin, als Mitglied des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Dessen Vorsitz übernahmen Sie im Mai letzten Jahres. Zuvor waren Sie als Richterin in Baden-Württemberg tätig und zeichneten eine Zeit lang für die Referendarausbildung verantwortlich. Über Ihren Senat am Bundesgerichtshof haben Sie gesagt, dass dort das pralle Leben stattfinde. Ich bin gewiss: Die Fälle im Zweiten Senat werden bestimmt nicht weniger spannend werden.

Lieber Herr Offenloch, auch Sie kommen als Bundesrichter ans Bundesverfassungsgericht. Seit Oktober 2013 wirkten Sie am Bundesgerichtshof, zuletzt als Richter im 6. Zivilsenat. Davor waren Sie Richter in der baden-württembergischen Justiz, wobei Sie zwei Mal ans Justizministerium nach Stuttgart abgeordnet waren, einmal zu Beginn Ihrer Laufbahn als persönlicher Referent der Leitung und später als Referats- und stellvertretender Abteilungsleiter. Außerdem haben Sie sechs Kinder. Das heißt wohl: Neben Ihrer breiten beruflichen Erfahrung bringen Sie ein gehöriges Maß an Stressresistenz in den Karlsruher Richterring mit.

Liebe Frau Fetzer, lieber Herr Offenloch, wir haben es gehört, Sie sind bestens gerüstet für die vor Ihnen liegenden Aufgaben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich schnell in Ihre neuen Aufgaben einfinden und die Arbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Schlossbezirk genießen.

Ich darf nun Sie, liebe Frau Fetzer, als Erste zur Ernennung und zur Vereidigung nach vorne bitten, gemeinsam mit Ihnen, Herr Präsident und mit Ihnen, Herr Minister und Herr Staatssekretär.

Nun darf ich Sie, lieber Herr Offenloch, zu Ihrer Ernennung und Vereidigung zu mir bitten.

Liebe Frau Fetzer, lieber Herr Offenloch, für Ihr neues Amt wünsche ich Ihnen gutes Gelingen!