In meinem Terminkalender ist die Verleihung des Deutschen Umweltpreises fest etabliert. Jahr für Jahr sehen wir uns aus diesem Anlass. Aber die Verleihung selbst ist alles andere als ein Routinetermin, ganz im Gegenteil: Diese Preisverleihung gewinnt von Jahr zu Jahr an politischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Und das hat Gründe. Artensterben und der Klimawandel, wir alle wissen es, schreiten mit zunehmender Geschwindigkeit voran. Extreme Wetterereignisse begleiten auch uns mittlerweile durch das Jahr. Ich denke nicht nur an die todbringenden Wasserfluten an Erft und Ahr. Nicht minder gefährlich die langen Dürreperioden, die wir hier im norddeutschen Raum, in Brandenburg und Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren hatten. Mehr denn je brauchen wir Menschen, die uns Wege aufzeigen, um Tiere und Pflanzen zu erhalten und die Erderwärmung zu stoppen. Mehr denn je brauchen wir Menschen, die es möglich machen, dass wir in Zukunft besser im Einklang mit der Natur leben und wirtschaften.
In diesem Herbst geht von der Verleihung des Deutschen Umweltpreises ein ganz besonderes Signal aus. Russlands brutaler Angriffskrieg bringt Tod, Leid und Zerstörung über die Menschen in der Ukraine; er beeinträchtigt europaweit die Energieversorgung, treibt die Preise in die Höhe, belastet Unternehmen und Bürger; er verschlechtert die Ernährungslage vor allen Dingen in den ärmeren Ländern dieser Welt.
Und dieser Krieg, auch das gehört zur Wahrheit, hat katastrophale Folgen für Umwelt und Klima, und ich meine nicht nur die in der Ukraine in Brand geschossenen Raffinerien, Chemiewerke, Kohlegruben und Tanklager: Der Krieg wirft uns in der dringend notwendigen Klimadebatte wieder zurück; er kostet Geld und politische Energie, und beides brauchen wir so dringend im Kampf gegen das Artensterben und die Erderwärmung heute. Er führt vor allen Dingen – das sage ich jetzt in den Tagen vor Sharm El Sheikh – zu neuen Frontbildungen weltweit und verschlechtert damit die Chancen für gemeinsames globales Handeln, das doch nie dringender war als jetzt gerade in diesen Zeiten! Und wir wissen doch: Der Klimawandel macht wegen des Krieges keine Pause.
Dieser Krieg ist ein Verbrechen, das Russland an den Ukrainerinnen und Ukrainern begeht. Er ist ein Angriff auf ihr Recht auf Selbstbestimmung, auf ihre Demokratie, auch auf die Freiheit in ganz Europa. Und er ist auch ein Anschlag auf Wirtschaft, Umwelt und Klima. Dieser Krieg stellt unser Land und unsere Gesellschaft vor wirklich gewaltige Herausforderungen, und es muss uns gelingen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun – und möglichst nichts davon halbherzig.
Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen, militärisch, politisch, finanziell und humanitär. Wir müssen auch unsere Demokratie verteidigen, alles stärken, was uns verbindet. Wir müssen unsere Energieversorgung, unsere Wirtschaft krisenfest machen, die weltweite Vernetzung ausbauen und einseitige Abhängigkeiten von rohstoffreichen Staaten überwinden, wo immer das möglich ist. Und wir müssen den ökologischen Umbau unseres Landes noch entschlossener voranbringen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass der Kampf gegen den Klimawandel auf der politischen Tagesordnung nach unten rutscht, dass der Umwelt- und Klimaschutz angesichts des Krieges vielleicht sogar auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Unsere Handlungsmaxime darf jetzt nicht dann eben später
lauten, sondern vielmehr: Jetzt erst recht!
Wir müssen noch schneller ins postfossile Zeitalter aufbrechen, wir müssen unsere Energieversorgung, unsere Industrie, unsere Mobilität noch schneller klimaneutral machen; als ressourcenarmes Land müssen wir noch schneller neue Partner gewinnen, um Abhängigkeiten von einzelnen zu reduzieren. Das ist nicht einfach, ich weiß das. Lagerstätten für Seltene Erden und andere seltene Metalle gibt es nicht überall. Aber die Maxime muss lauten: nicht nur auf die günstigsten Lieferanten schauen, sondern Chancen und Risiken weltweit streuen! Und vor allen Dingen: effiziente Materialverwendung und so viel wie möglich wiederverwertbar machen!
Das alles ist schwierig in einer Zeit, in der sich viele Menschen um ihr Unternehmen oder ihren Arbeitsplatz sorgen oder sich fragen, wie sie ihre Strom- oder Gasrechnung bezahlen sollen. Und ja, der Umbau unseres Landes wird zu Kosten und Belastungen führen. Wir dürfen niemanden im Stich lassen, der in dieser Zeit des Übergangs in Existenznot gerät. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, die Chancen sichtbar zu machen, die der ökologische Umbau mit sich bringt, gerade für unser Land.
Wir können Deutschland jetzt zu einer Industrie- und Exportnation neuen Typs machen, klimaneutral und technologisch führend, vernetzt und weniger verwundbar. Wenn wir den Schwung beim ökologischen Umbau nicht verlieren, dann bereiten wir den Boden für den Aufschwung, die Arbeitsplätze und den Wohlstand von morgen. Wir schaffen die Grundlagen für ein selbstbestimmtes, gutes, gesundes Leben, nicht nur für uns, sondern vor allen Dingen für künftige Generationen. Und wir können mit unserem Wissen, unseren Ideen, unseren Produkten auch anderen Ländern dabei helfen, ressourcenschonend zu arbeiten und klimaneutral zu werden.
Ja, es sind düstere Monate, die wir erleben, düstere Monate auch für den Umwelt- und Klimaschutz. Aber die Verleihung des Deutschen Umweltpreises ist ein Lichtblick in dieser Zeit. Denn Sie, die Preisträgerinnen und Preisträger, führen uns allen vor Augen, was alles in unserem Land steckt, was gerade wir in Deutschland alles tun können, um in eine bessere Zukunft aufzubrechen.
Gerade wir können etwas tun, weil wir in einer lebendigen Demokratie leben, in der sich viele Bürgerinnen und Bürger an ganz unterschiedlichen Orten in unserem Land für eine klimaneutrale Zukunft einsetzen, Konflikte friedlich austragen, Interessen ausgleichen, dabei den Kurs unseres Landes immer wieder neu justieren.
Gerade wir können etwas tun, weil wir ein Wissenschaftsland mit brillanten Forscherinnen und Forschern sind, ein Erfinderland mit herausragenden Ingenieurinnen und Ingenieuren, ein Industrieland mit weltoffenen Unternehmerinnen und Unternehmern, die schon oft bewiesen haben, wie wandlungsfähig sie sind, wenn es darauf ankommt.
Gerade wir in Deutschland können etwas tun, weil es bei uns immer wieder gelingt, Wissen und Ideen in Maschinen und Produkte zu verwandeln, nicht zuletzt, weil es Unternehmer und Stifter gibt, die das Kapital und den Mut haben, in neue Erfindungen zu investieren, die den ökologischen Umbau einfacher, schneller und kostengünstiger machen.
Engagierte Menschen wie Sie alle hier im Saal sind der größte Schatz unseres Landes! Mit Ihrem Erfindergeist, Ihrem Unternehmermut, Ihrer Leidenschaft und Ihrer Tatkraft bahnen Sie uns und Menschen auf der ganzen Welt immer neue Wege in ein lebenswertes Morgen. Allen, die sich in unserem Land für den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, gilt heute mein ganz, ganz herzlicher Dank.
Drei Männer und zwei Frauen, die Herausragendes geleistet haben – fünf Gesichter des Fortschritts, wenn Sie so wollen –, zeichnen wir heute Vormittag hier in Magdeburg aus.
Der Deutsche Umweltpreis 2022 geht an Friedrich Mewis und Dirk Lehmann, zwei Ingenieure, die schon seit vielen Jahren ein perfektes Team bilden. Während Sie, lieber Herr Mewis, unermüdlich experimentieren und tüfteln, sorgen Sie, lieber Herr Lehmann, dafür, dass eine neue Erfindung aus der Werkstatt auf den Weltmarkt gelangt, indem Sie als Unternehmer ins Risiko gehen, Zweifler überzeugen und auf diesem Weg Mitstreiter gewinnen.
Gemeinsam haben Sie eine Düse entwickelt und marktreif gemacht, die dafür sorgt, dass große Frachtschiffe bis zu zehn Prozent weniger Schweröl verbrauchen. Das nützt den Reedern, weil sie Energiekosten sparen. Es nützt dem Klima, weil es den Ausstoß von Kohlendioxid senkt. Und es nützt auch den Walen und anderen Meerestieren, weil Ihre Düse die Schiffe leiser macht. All diese Effekte lassen sich auch dann nutzen, wenn Schweröl in der Schifffahrt – hoffentlich bald – durch umweltfreundlichere Treibstoffe ersetzt wird.
Lieber Herr Mewis, lieber Herr Lehmann, Sie bringen die Schifffahrt auf Zukunftskurs, auch weil sie Bewusstsein wecken für den Schadstoffausstoß auf den Weltmeeren. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz – und gratuliere Ihnen von Herzen zum Deutschen Umweltpreis 2022!
Der Deutsche Umweltpreis 2022 geht außerdem an den Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, den Biologen Christof Schenck. Er setzt sich dafür ein, die tropischen Regenwälder in Amazonien, im Kongobecken und in Südostasien zu schützen – und leistet damit einen wichtigen Beitrag, um das Artensterben und den Klimawandel einzudämmen und das Weltnaturerbe zu bewahren.
In keinem anderen Lebensraum gibt es so viele Tier- und Pflanzenarten wie in den tropischen Regenwäldern. Und es sind ganz besonders die Regenwälder, die einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie Milliarden Tonnen Kohlendioxid binden. Viele dieser Wälder werden aus ökonomischen Gründen brandgerodet oder abgeholzt, mit katastrophalen Folgen für Tiere, Pflanzen, Menschen und Klima.
Sie, lieber Herr Schenck, sorgen dafür, dass große Wildnisgebiete vom Raubbau verschont bleiben und die Menschen vor Ort im Einklang mit der Natur wirtschaften können. Sie gewinnen Geldgeber, arbeiten eng mit der Bevölkerung zusammen und helfen mit, Ökosysteme, aber auch Gesellschaften in südlichen Ländern zu stabilisieren. Das tun Sie mit großer Beharrlichkeit und Ausdauer. Kein Wunder, dass sich unsere Wege schon vor Jahren erstmals gekreuzt haben. Damals war ich noch Außenminister, habe Sie in Tansania getroffen und war begeistert von der Arbeit, die Sie dort vor Ort leisten.
Im Raumschiff Erde
, haben Sie einmal gesagt, gibt es eigentlich gar keine Passagiere, sondern wir alle gehören zur Mannschaft. Wir können es nur gemeinsam schaffen.
Lieber Herr Schenck, dass wir es gemeinsam schaffen können, das verdanken wir Menschen wie Ihnen. Auch Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Umweltpreis!
Der Ehrenpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geht in diesem Jahr an Myriam Rapior und Kathrin Muus – zwei junge Frauen, die mitgeholfen haben, die verhärteten Fronten zwischen Naturschützern und Landwirten aufzulösen und festgefahrene Konflikte zu überwinden.
Die beiden wurden 2020 als jüngste Mitglieder in die Zukunftskommission Landwirtschaft berufen, wobei Myriam Rapior den Bund für Umwelt und Naturschutz vertrat, Kathrin Muus den Bund der Deutschen Landjugend. Sie hörten einander zu, suchten nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen, schufen ein neues Gesprächsklima und sorgten dafür, dass Vertrauen zwischen den Interessengruppen wachsen konnte.
Es ist auch ihrer beider Engagement zu verdanken, dass Naturschützer und Landwirte heute häufiger gemeinsame Ziele in den Vordergrund stellen, weil sie erkannt haben: Die Produktionsstätte der Landwirtschaft ist unser aller Lebensraum. Es ist auch ihrem Engagement zu verdanken, dass Naturschützer und Landwirte sich heute vielerorts gemeinsam für den Umbau der Agrarwirtschaft einsetzen, dass sie zusammen nach Wegen suchen, um Tiere, Pflanzen und Böden zu schonen, das Klima zu schützen, Landschaften zu bewahren, gesunde Lebensmittel zu produzieren, neue Ertragsquellen zu erschließen, gute Arbeitsplätze zu schaffen und ländliche Räume neu zu beleben.
Liebe Frau Rapior, liebe Frau Muus, in dieser Zeit der Krisen und Veränderungen sind Sie Vorbilder für eine ganze Gesellschaft. Denn wenn wir gemeinsam in eine klimaneutrale Zukunft aufbrechen wollen, dann brauchen wir mehr Austausch über die Milieus, über politische, gesellschaftliche und nationale Grenzen hinweg, mehr Aufmerksamkeit für die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebensbedürfnisse in Stadt und Land, dann brauchen wir mehr vernünftigen und respektvollen Wettstreit um die besten Ideen, um zu tragfähigen Lösungen zu kommen.
Ich kann mich noch gut an das Videogespräch erinnern, das wir im vergangenen Jahr während der Woche der Umwelt geführt haben. Es beeindruckt mich, wie Sie beide das Bild einer Zukunft entwerfen, in der wir im besseren Einklang mit der Natur leben – und wie Sie uns auch Wege in diese Zukunft aufzeigen.
Als Ehrenpreisträgerinnen stehen Sie nun in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Heinz Sielmann oder Loki Schmidt – und Sie stehen vor allem für eine neue Generation von pragmatischen Umweltschützern und Landwirten. Liebe Frau Rapior, liebe Frau Muus, ich gratuliere Ihnen von Herzen zum Ehrenpreis der Deutschen Umweltstiftung!
Unsere Preisträgerinnen und Preisträger leben uns vor, dass Veränderungen selbst da möglich sind, wo manche sie nie für möglich gehalten hätten. Sie führen uns vor Augen, welch riesiges Potenzial in diesem unserem Land steckt. Sie zeigen uns, was möglich wird, wenn wir mit Leidenschaft und guten Argumenten streiten statt mit Kartoffelbrei und Schnellkleber. Und sie machen uns bewusst, welche Chancen der ökologische Umbau bietet – für unsere Exportwirtschaft, unsere Gesellschaft, für Gesundheit und Lebensqualität jedes und jeder Einzelnen.
Ich wünsche mir, dass diese Preisverleihung auch in diesem Jahr wieder viele Menschen zum Mitmachen bewegt. Jeder kann etwas tun, um Umwelt und Klima zu schützen – allein oder mit anderen, im Alltag, im Ehrenamt oder im Beruf. Und Sie alle hier im Saal sind das beste Beispiel dafür, dass Umwelt- und Klimaschutz keine moralinsaure, schwermütige, freudlose Angelegenheit sein muss. Ganz im Gegenteil: Ökologisches Engagement stiftet Sinn und Zusammenhalt, es macht Freude und gute Laune, gerade weil es Engagement für eine bessere Zukunft ist.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit. Und ich freue mich, den Deutschen Umweltpreis gleich dann auch persönlich an die Preisträger überreichen zu können.