Ordensverleihung während der "Ortszeit Quedlinburg"

Schwerpunktthema: Rede

Quedlinburg, , 12. Mai 2022

Der Bundespräsident hat am 12. Mai bei einer Ordensverleihung während seiner "Ortszeit Quedlinburg" eine Rede gehalten: "Menschen, die etwas verändern wollen, die die Welt von morgen mitgestalten wollen und es auch tun. Sie alle tragen damit zu etwas bei, das gerade in dieser bedrückenden, belastenden Zeit des Krieges gegen die Ukraine so unermesslich wichtig ist für unsere Gesellschaft: Sie stärken den Zusammenhalt."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält bei der Ordensverleihung im Festsaal des Rathauses Quedlinburg eine Rede

Ortszeit Quedlinburg – das ist das Motto dieser Tage, in denen mein Amtssitz nicht in Berlin, sondern hier in dieser Stadt war. Es waren für mich Tage voller intensiver Eindrücke, und ich habe in Quedlinburg eine ganz besondere Gastfreundschaft erlebt. Vor allem hatte ich das Glück, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, wie sie auf die Fragen unserer Zeit blicken, was sie umtreibt und was sie täglich beschäftigt. Ich habe viel gelernt, und das nehme ich jetzt mit nach Berlin. Zum Abschluss dieser Ortszeit, und das ist mir eine ganz besondere Freude, darf ich nun Sie alle, engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Sachsen-Anhalt, hier im Rathaus von Quedlinburg auszeichnen.

Um Begegnungen, um Gespräche, genau darum geht es mir bei der Ortszeit Deutschland. Auch in meiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident möchte ich dahin gehen, wo immer noch die meisten Menschen in unserem Land leben und arbeiten: nicht in den Metropolen, sondern in den kleineren Städten und auch im ländlichen Raum. In dieser Zeit, in der sich so vieles verändert, in der uns Krieg und Krisen erschüttern, in dieser Zeit möchte ich sehen, hören und spüren, wie es unserem Land geht. Ich möchte es noch einmal neu entdecken, gerade nach den zwei Jahren der Pandemie.

Und deshalb ist jede dieser Ortszeiten – die erste hat mich vor Kurzem nach Altenburg im südlichen Thüringen geführt – nicht nur eine Gelegenheit zu kommen, um eine Rede zu halten und wieder zu fahren, nicht nur eine kurze Stippvisite. Sondern ich will mir einen eigenen, einen tieferen Eindruck verschaffen, auch mit mehr Zeit: Wo steht unser Land nach zwei Jahren Pandemie? Und wo stehen wir nach zwei Monaten Krieg in Europa, einem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der so unendlich viel Leid für die Menschen dort bringt? Was sind hier in Quedlinburg die Sorgen und was macht Hoffnung? Was macht Sie optimistisch für den Weg in die Zukunft?

Ganz bewusst habe ich in den beiden ersten Ortszeiten Orte im Osten unseres Landes besucht. Denn ich bin überzeugt: Auch jetzt, mehr als dreißig Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung, sind viele Geschichten der Menschen hier im Osten noch immer nicht ausreichend erzählt. Auch darum geht es mir: Ihren Geschichten zuzuhören und daraus etwas zu lernen – für mich ganz persönlich, aber vor allem für die künftige Politik in unserem Land.

Ich will Ihnen gestehen: Es gehört zu meinen schönsten Pflichten als Bundespräsident, Menschen wie Sie zu ehren und mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Oft kann ich diesen Orden gar nicht selbst aushändigen, sondern unterzeichne nur die Urkunde dafür. Es gibt in diesem Land sehr, sehr viele Menschen, die nicht einfach nur fragen, was andere für sie tun können, sondern die selbst sehr viel für andere tun.

Umso mehr freue ich mich, dass ich heute Ihnen, drei Frauen und zwei Männern hier aus Sachsen-Anhalt, diese Auszeichnung persönlich überreichen kann. Ich danke Ihnen, lieber Herr Ministerpräsident, lieber Reiner Haseloff, ganz herzlich, dass Sie das möglich gemacht haben! Ganz besonderen Dank, dass Sie heute persönlich bei dieser Auszeichnung dabei sind!

Dass die Ortszeit auch Ordenszeit vor Ort ist, das ist mir ein Herzensanliegen. Denn Sie alle schenken unserem Land etwas sehr Kostbares: Sie helfen anderen, Sie engagieren sich, mit Kreativität, mit guten Ideen, mit sehr viel Leidenschaft und noch mehr Zeit, die Sie abends und an ungezählten Wochenenden opfern, und das schon seit vielen Jahren. Sie alle machen unser Land zu einem besseren Ort.

Und Sie sind das beste Beispiel, wie lebendig eine Demokratie sein kann, wie sehr sie Menschen wie Sie aber auch braucht. Menschen, die etwas verändern wollen, die die Welt von morgen mitgestalten wollen und es auch tun. Sie alle tragen damit zu etwas bei, das gerade in dieser bedrückenden, belastenden Zeit des Krieges gegen die Ukraine so unermesslich wichtig ist für unsere Gesellschaft: Sie stärken den Zusammenhalt. Und dafür danke ich Ihnen aus ganzem Herzen!

Ihre Leidenschaft, Ihr Engagement, das ist etwas ganz Besonderes, etwas, das Sie ausmacht, das Ihr Leben prägt, das Sie als Menschen prägt, jede Einzelne und jeden Einzelnen von Ihnen. Aber Sie sind damit nicht allein. Etwas hat mich bei dieser Ortszeit hier in Quedlinburg ganz besonders beeindruckt: das bürgerschaftliche Engagement, das bürgerschaftliche Selbstbewusstsein. Es reicht weit zurück.

Mich beeindrucken die Geschichten, die von der ungeheuren Kraft erzählen, die die Menschen damals, im Herbst 1989, auf die Straße trieb. Ihre Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie führte zur Friedlichen Revolution. Und dieser Drang nach Freiheit, das habe ich in den vergangenen Tagen immer wieder gehört, er war hier in Quedlinburg besonders ausgeprägt. Und der Geist der Friedlichen Revolution ist nicht verschwunden mit Mauerfall und Wiedervereinigung: Sie haben ihn weiter getragen bis in unsere Gegenwart.

Die Menschen hier haben eine der, wie ich finde, ganz wichtigen Errungenschaften aus der Zeit des Umbruchs von damals bewahrt. Sie haben die Runden Tische weitergeführt und sich dort auch in den vergangenen Jahren versammelt, wenn es schwierig wurde, wenn es Probleme zu lösen galt, schnell, pragmatisch, unideologisch. Und schwierig, wer wüsste das besser als Sie, schwierig war es ja oft genug in den Jahren nach der Wiedervereinigung, in den Jahren, in denen so viele sich vollkommen neu erfinden mussten, so viele ihre Arbeit verloren, die Jungen fortgezogen sind und viele Ältere zurückgeblieben sind. Der Umbruch von damals, er wirkt in vielen Familien bis heute fort.

Aber hier in Quedlinburg, hier in Ihrer Region wirkt auch eine andere wichtige Erfahrung von damals fort: Dass man gemeinsam etwas erreichen kann. Dieser konstruktive Geist beeindruckt mich. Sie alle, die ich heute auszeichnen darf, tragen ganz entscheidend zu diesem Geist des Miteinanders hier in der Region bei. Sie leben ihn tagtäglich. Ohne Sie wäre unser Land ärmer. Und ich bin überzeugt, dass wir von diesem Geist in Zukunft sehr viel mehr brauchen, um die enormen Herausforderungen zu meistern, vor denen unser Land steht! Ich weiß, dass Sie alle auch anderen ein Vorbild sind, ihnen Mut machen, sich einzumischen und sich zu engagieren.

Ich danke Ihnen allen für Ihr Engagement, für Ihren Einsatz! Unser Land, unsere Demokratie braucht Menschen wie Sie!

Herzlichen Dank!