Preisverleihung des 54. Bundeswettbewerbs "Jugend forscht"

Schwerpunktthema: Rede

Chemnitz , , 19. Mai 2019

Bei der Preisverleihung des 54. Bundeswettbewerbs "Jugend forscht" am 19. Mai hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Ansprache gehalten: "Und es geht, wie immer, wenn wir von Bildungsförderung sprechen, auch um die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe. Erst ein Verständnis elementarer Vorgänge in Natur und Technik befähigt uns ja, soziale, ökonomische und kulturelle Folgen von wissenschaftlichen und technischen Fortschritten richtig einschätzen zu können."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält ein Grußwort bei der Siegerehrung des 54. Bundeswettbewerbs "Jugend forscht" im Messegelände in Chemnitz

Furchtlos, selbstbewusst und freundlich sollten wir sein – so hat es sich der russische Autor und Dichter Vladimir Nabokov einmal für sich selbst und für seine Mitmenschen gewünscht. Er hielt diese Eigenschaften für die besten, die ein Mensch haben kann.

Und daran könnte vieles richtig sein. Wahrscheinlich sind es die Eigenschaften, die unsere Spezies aus ihrer vorzeitlichen Höhle ans Licht, in eine Gemeinschaft und zu menschlichem Fortschritt geführt haben. Doch Furchtlosigkeit, Selbstbewusstsein und Freundlichkeit sind nicht nur die Grundzutaten für Mut und Neugier, Forschergeist und Kooperationsbereitschaft. Sie befähigen uns auch, ein glückliches, erfülltes Leben zu führen – vorausgesetzt, es gelingt, sie in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander zu bringen. Jedenfalls hat das meine eigene unmaßgebliche empirische Forschung in sechs Lebensjahrzehnten ergeben.

Ich erzähle Ihnen das, weil ich unlängst die große Freude hatte, mit einer Reihe furchtloser, selbstbewusster und freundlicher junger Menschen auf eine Entdeckungsreise zu gehen. Es waren drei Frauen und ein Mann aus Ihrem Kreis, Alumni von Jugend forscht, vier junge Menschen, die mich auf eine Südamerikareise begleitet haben, nach Kolumbien und Ecuador – auf den Spuren von Alexander von Humboldt – im Jahr seines 250. Geburtstags – beginnend in Cartagena in Kolumbien, an den Fuß der Vulkane im Andenhochland und auf die Galapagosinseln.

Sie müssen sich diese Reise als eine Art fliegendes Klassenzimmer vorstellen, allerdings nicht – wie bei Erich Kästner – mit mir in der Rolle des Lehrers Justus Bökh, sondern mit vertauschten Rollen: Ich war der Zuhörer und habe mir von drei jungen Rostockern und einer Göttingerin erklären lassen, was die Verschmutzung durch Mikroplastik für die Weltmeere und damit für uns alle konkret bedeutet. Und das haben die vier so leidenschaftlich, aber auch kompetent und anschaulich getan, sie hätten Alexander von Humboldt Ehre gemacht und vermutlich auch Erich Kästner restlos begeistert.

Ich freue mich sehr, heute hier bei der Bundessiegerehrung von Jugend forscht dabei zu sein. Ich freue mich darauf, damit die Preisträger zu ehren, aber auch die Institution Jugend forscht. Dass ich sie für wichtig halte, wird Sie nicht weiter wundern. Der Bundespräsident ist Schirmherr von Jugend forscht. Meine Zeit im Fliegenden Klassenzimmer, aber auch viele Begegnungen und Gespräche mit anderen, ebenso kompetenten, freundlichen, geduldig erklärenden, aber auch kritisch nachfragenden Alumni von Jugend forscht, überzeugen mich immer wieder: Dieser Wettbewerb ist von herausragender Bedeutung. Seine Teilnehmer begeistern mich – die neugierig sind und auch mich neugierig machen. Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich mit einigen von Ihnen in Berlin in der Bolle Meierei zusammengesessen beim PerspektivForum Deutscher Zukunftspreis. Wir haben ein wenig zusammen in die Zukunft geschaut und darüber gesprochen, welche Probleme uns dort erwarten, und was junge Forscher zur Lösung dieser Probleme beizutragen haben.

Sie sehen: Wer es als Teilnehmer von Jugend forscht bis hierher, in die letzte Runde, geschafft hat, der hat mit seinen Forschungsergebnissen und Entdeckungen nicht nur dazu beigetragen, dass wir die Welt ein Stück besser verstehen und vielleicht sogar in Zukunft ein wenig besser leben und arbeiten können, er findet mit seiner Stimme und seinen Anliegen auch öffentliche Resonanz. Liebe Forscherinnen und Forscher, Ihr Engagement ist das Entscheidende, Ihre Neugier und Ihre Lust auf Morgen, auf eine Zukunft, in der es viel Neues zu entdecken gibt und viel Altes zu verbessern gilt.

Jugend forscht ist jetzt seit mehr als 50 Jahren ein bewährtes Instrument zur Förderung junger Talente in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Und der Beitrag dieses Wettbewerbs zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist nicht gering: 280.000 junge Forscherinnen und Forscher haben sich an diesem Wettbewerb beteiligt, seit er 1965 ins Leben gerufen wurde und sie alle haben dafür gesorgt, dass unserem Land der Nachwuchs in den sogenannten MINT-Fächern nicht ausgeht. Denn: Neun von zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Bundeswettbewerb Jugend forscht studieren im Anschluss Ingenieurwissenschaften, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Medizin.

Die Begeisterung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ist also, einmal geweckt, in der Regel dauerhaft. Dass diese Nachwuchsförderung für moderne Industriegesellschaften unverzichtbar ist, liegt in der Natur der Sache. Doch wenn wir nach jungen Forscherinnen und Forschern Ausschau halten, suchen wir längst nicht mehr nur Talente, die den volkswirtschaftlichen Nutzen unseres Landes mehren, wir suchen auch nach Antworten auf die Frage, wie wir in Zukunft auch die Folgen unseres Wirtschaftens bewältigen können. Wir suchen Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Klimawandel, dem Artensterben und der Ressourcenknappheit beschäftigen und tragfähige Lösungsansätze finden, und die ihre Themen in Beziehung setzen, zu den großen Themen der Zeit, zur Globalisierung und Digitalisierung.

Ich glaube, wir brauchen viel Respekt für junge Menschen, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen und dabei nicht nur an sich selbst denken, sondern an die Zukunft der Menschheit. Wir brauchen aber mindestens ebenso viel Hochachtung für diejenigen, die dann mit viel Ausdauer den Problemen auf den Grund gehen und als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gute Wege in die Zukunft zeigen, an neuen Lösungen für alte Probleme arbeiten.

Und es geht, wie immer, wenn wir von Bildungsförderung sprechen, auch um die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe. Erst ein Verständnis elementarer Vorgänge in Natur und Technik befähigt uns ja, soziale, ökonomische und kulturelle Folgen von wissenschaftlichen und technischen Fortschritten richtig einschätzen zu können.

Mein ausdrücklicher Dank gilt deshalb nicht nur den Teilnehmern, sondern auch den vielen guten und engagierten Lehrerinnen und Lehrern, den Justus Bökhs dieser Republik, die den Wettbewerb in vielen ehrenamtlich erbrachten Stunden als Betreuerinnen und Betreuer unterstützen, und ebenso den vielen weiteren Mentoren, Juroren und Partnern von Jugend forscht. Herzlichen Dank!

Dass Jugend forscht zum zweiten Mal in Chemnitz zu Gast ist, unterstreicht die Bedeutung weltoffener Wissenschaft für diese Stadt. Chemnitz steht mit der Technischen Universität für internationalen Austausch, für die Vorurteilslosigkeit, die jeder Forscher braucht, und für ein Klima der Freiheit und der Toleranz. Dass diese Werte hier ein Zuhause haben, sollten wir nicht vergessen. Liebe Frau Ludwig, Sie haben das immer wieder betont und viel dafür getan. Vielen Dank dafür, dass Sie uns zur Preisverleihung des Bundeswettbewerbs hierher eingeladen haben. Herzlichen Dank. Und wenn ich sage 'hierher', dann will ich auch anfügen: Es gibt viele gute und noch zu selten erzählte Geschichten von ostdeutschen Lehrerinnen und Lehrern, die sich nach der Wende mit großem Engagement, mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung in die Organisation von Jugend forscht eingebracht haben. Ihnen allen gilt mein Dank dafür, dass Jugend forscht so erfolgreich auch gesamtdeutsch etabliert und weitergeführt werden konnte. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit.

Wir werden im Anschluss ja noch Gelegenheit haben, uns in der Technischen Universität Chemnitz anzuschauen, wie es nach der Talentsuche in einer Talentschmiede weitergeht. Ich freue mich sehr darauf.

Und nun will ich die Zukunft nicht länger aufhalten. Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Ich bin gespannt auf die Preisverleihung – auf innovative Projekte und neugierige Jungforscherinnen und Jungforscher!

Ihnen allen viel Vergnügen und viel Glück.