Matinee zum 100. Jahrestag der Wahl von Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 11. Februar 2019

Der Bundespräsident hat am 11. Februar bei einer Matinee zum 100. Jahrestag der Wahl von Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten in Schloss Bellevue eine Ansprache gehalten: "Friedrich Ebert ist einer der Großen der deutschen Demokratiegeschichte. Er ist ein Beispiel für eine aufrechte demokratische Haltung und darin ein Vorbild. Ebert lehrt uns, für die Freiheit und Demokratie einzutreten, auch gegen Zeitgeist und Ignoranz. Wir brauchen diese republikanische Leidenschaft."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei einer "Matinee in Gedenken an Reichspräsident Friedrich Ebert" im Großen Saal von Schloss Bellevue

Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam an einen großen deutschen Staatsmann und Demokraten erinnern dürfen: an Friedrich Ebert, den die Weimarer Nationalversammlung heute vor 100 Jahren, am 11. Februar 1919, zum ersten deutschen Reichspräsidenten wählte. Herzlich willkommen zu dieser Matinee!

Ich sehe Friedrich Ebert täglich. Die Büste hier neben mir steht normalerweise in meinem Amtszimmer, wie sie bei jedem meiner Vorgänger im Amtszimmer gestanden hat. Ich freue mich, dass Sie sozusagen stellvertretend für alle meine Vorgänger hier sind: herzlich willkommen, lieber Joachim Gauck! Vielleicht ist Ihnen auch das Bild im Foyer aufgefallen. Ein Ebert-Porträt von Emil Orlik aus dem Jahr 1920: Ebert als ziviler Präsident, zum ersten Mal ein deutsches Staatsoberhaupt in Anzug und Krawatte, vor dem Nationaltheater in Weimar und vor der neuen Deutschlandflagge in Schwarz-Rot-Gold – das war seinerzeit unerhört neu und unerhört modern.

Daneben hängt ein zweites Bild, das Theodor Heuss zeigt. Für uns, die Nachfolger, bilden diese beiden großen Staatsmänner die Traditionslinie, in der wir uns bewegen: Friedrich Ebert, das erste demokratisch legitimierte Staatsoberhaupt in der deutschen Geschichte, und Theodor Heuss, der erste Bundespräsident. Heuss hat Ebert sehr geschätzt. Er nannte ihn den Abraham Lincoln der deutschen Geschichte.

Nicht nur ich frage mich: Bekommt Friedrich Ebert, der doch der erste Präsident eines demokratischen Deutschland war, heute die Aufmerksamkeit, die er verdient?

Ja, natürlich, es gibt unzählige Straßen, Plätze, Schulen, die seinen Namen tragen. Zwei Stiftungen führen sein Erbe fort, und ich begrüße noch einmal herzlich ihre Vertreterinnen und Vertreter: von der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie leisten enorm wichtige Arbeit. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass gerade junge Menschen sich heute fragen: Was hat uns dieser Friedrich Ebert noch zu sagen?

Ich muss gestehen, ich habe mich seit meinen Studentenzeiten gewundert und später geärgert, wie abschätzig Friedrich Ebert – ganz rechts wie ganz links – beurteilt wurde. Noch über seinen Tod hinaus wurde er von den einen angefeindet, von den anderen bestenfalls ignoriert.

Heute, und darüber bin ich froh, haben wir ein deutlich differenzierteres Bild. Wir sehen die Verdienste Eberts klarer, aber auch die Widersprüche. Mögen ihn auch seine Gegner von links und rechts als Verräter geschmäht haben, heute wissen wir: Friedrich Ebert war tatsächlich einer der Väter der deutschen Demokratie und ihr Verteidiger in schwierigsten Zeiten. Ebert war ein Republikaner aus Leidenschaft. Wir verdanken ihm viel, sehr viel – auch 100 Jahre später noch.

Ebert hatte ein klares Ziel: die parlamentarische Demokratie und einen sozialen Rechtsstaat. Einen Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Freiheit garantierte. Er wusste aber: Freiheit ohne Recht, das kann es nicht geben.

Oder in seinen Worten: Freiheit und Recht sind Zwillingsschwestern, so formulierte er es damals in Weimar, an jenem 11. Februar vor 100 Jahren. Die Freiheit kann sich nur in fester staatlicher Ordnung gestalten. Sie zu schützen und wiederherzustellen, wo sie angetastet wird, das ist das erste Gebot derer, die die Freiheit lieben.

Und Ebert sah sich dabei in einer Tradition, der Tradition der deutschen Freiheitsbewegungen, vom Hambacher Fest über die Paulskirche bis nach Weimar. Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst, das gab Ebert den Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung mit auf den Weg.

Für dieses Ziel kämpfte Ebert, in den Wirren der Kriegsniederlage und der Revolution, in einer zutiefst aufgewühlten, unsicheren Zeit. Vielleicht stimmt es, dass Ebert manche Reform mutiger hätte angehen sollen. Aber wenn wir ein historisches Urteil fällen, sollten wir auch bedenken, wie dramatisch die Situation, wie gewaltig die Probleme jener Tage waren, und dass Friedrich Ebert, so die meisten Historiker, aus lauteren Motiven handelte.

Trotz dieser widrigen Umstände gelang ihm etwas, das gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Dieser Friedrich Ebert, der seine Wurzeln im preußisch dominierten Kaiserreich nicht verleugnete, führte Deutschland in die Moderne, und er wusste, dass er dafür alle gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen musste. Kompromiss, das war für Ebert eben kein Schimpfwort, sondern eine Notwendigkeit in der Demokratie – gerade in der Not und Zerrissenheit der damaligen Gesellschaft. Die Deutschen mit sich und der neuen Staatsform auszusöhnen, die enormen Gräben zu überwinden, die das Land spalteten, das sah Ebert als seine wichtigste Aufgabe als Präsident. Deshalb führten ihn seine ersten Reisen auch durch die deutschen Länder. Es war ihm wichtig, das Gespräch zu suchen, nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch mit den Menschen in der in Berlin oft belächelten Provinz.

Er, der Mann aus dem Volk, verstand sich – und das war neu – als Präsident aller Deutschen. Das Problem war nur: Nicht alle Deutschen sahen Ebert als ihren Präsidenten – in Wahrheit viel zu wenige!

Wir verstehen heute, wie sehr Ebert für die Demokratie kämpfte, aber auch, wie klein am Ende sein Spielraum war. Damit meine ich nicht nur die schwierigen äußeren Umstände und die enormen Beharrungskräfte der alten Eliten. Die extremen Vorstellungen ganz rechts wie ganz links ließen nur wenig Spielraum für eine rationale Politik, eine Politik, die auf Ausgleich und Zusammenhalt setzte. Das heißt nicht, dass diese erste deutsche Demokratie von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Friedrich Ebert hat als Präsident gezeigt, dass die Weimarer Republik – auch dank ihrer Verfassung – große Krisen durchaus meistern konnte.

Aber Ebert wusste, die Demokratie, der Ausgleich, die Vernunft waren bedroht. Die Weimarer Koalition aus jenen politischen Kräften, die die Republik uneingeschränkt unterstützten, erwies sich nur für kurze Zeit als stabil. Der Spielraum für einen rationalen Politikansatz war klein. Ebert bekam das tagtäglich zu spüren. Antidemokratische Kräfte von beiden Seiten übergossen ihn mit Hohn, Häme und Hass. Die Angriffe galten nicht nur ihm persönlich. Jeder Angriff auf Ebert war zugleich ein Angriff auf die Republik, auf die Demokratie – und von den meisten auch so gemeint!

Und jeder einzelne hat ihn tief getroffen. Lincoln wurde, und ich zitiere noch einmal Theodor Heuss, von Kugeln gemordet, Ebert mit Worten gemartert. Ich weiß nicht, was das schlimmere Schicksal war. Und doch: Nachdem Ebert 1925 so tragisch und so früh verstorben war, gingen Hunderttausende auf die Straßen, um ihm, dem Demokraten, dem Mann aus dem Volk, das letzte Geleit zu geben. Meine Sympathie ist grenzenlos, schrieb Thomas Mann 1925. Er und viele andere spürten sehr genau: Eberts Tod war eine Zäsur.

Die Frage ist: Wäre das Schicksal der Weimarer Demokratie ein anderes geworden, wenn Ebert weiter gelebt oder als Reichspräsident wieder gewählt worden wäre? Hätten Ebert oder ein durchaus möglicher Nachfolger wie der Zentrumspolitiker Wilhelm Marx den Weg in die Katastrophe aufhalten können? Eine Frage, die man natürlich nur hypothetisch beantworten kann.

Aber dass ausgerechnet Paul von Hindenburg, der einstige Generalfeldmarschall, der Repräsentant des untergegangenen Kaiserreichs, der die politischen Parteien ablehnte und die Republik nicht unterstützte, zum Nachfolger gewählt wurde, darf für den weiteren Verlauf der Ereignisse nicht unterschätzt werden. So wurde der eitle Militär, dem die Demokratie Zeit seines Lebens fremd blieb, der zweite und auch letzte Reichspräsident der Weimarer Republik. Dabei wäre die Wahl Hindenburgs vermeidbar gewesen, hätten sich damals, nach Eberts Tod, mehr Parteien gemeinsam und entschlossen hinter einen Kandidaten der republikfreundlichen Kräfte gestellt.

Hindenburgs Wahl zum Reichspräsidenten, so schreibt Udo Di Fabio in seinem jüngst erschienenen Buch Die Weimarer Verfassung, war die entscheidende Weichenstellung für den späteren Untergang der Republik. Sie führte dazu, dass sich das ohnehin fragile politische Kräfteparallelogramm in der Weimarer Demokratie endgültig verschob: Die Feinde der Republik erstarkten und gewannen schließlich die Oberhand.

Die Demokratie muss sich immer und überall behaupten. Mit Kräften, die auf Lautstärke setzen statt auf Argumente, denen Wahrhaftigkeit und Vernunft in der politischen Auseinandersetzung nicht viel wert sind, haben wir es auch heute zu tun; Kräfte, die die parlamentarische Demokratie und ihre Institutionen verächtlich machen und die von einem neuen Nationalismus träumen. Wir beobachten das in vielen Staaten – auch bei uns in Deutschland. Vielleicht ist es all das, was uns die Weimarer Republik in ihrem 100. Jubiläumsjahr wieder näher bringt und ein neues Interesse, aber auch ein neues Verständnis für diese Zeit und die Verteidiger der Republik erzeugt.

Ich finde, das ist gut so! Die Beschäftigung mit Weimar ist gut, weil sie auch lehrt, dass Demokraten in großer Bedrängnis mit Würde für die Republik einstanden. Auch wenn eines im Rückblick klar sein muss: Wir leben nicht in einer Zeit nach einem gerade verlorenen Krieg; uns drücken keine Reparationslasten; die Arbeitslosigkeit ist historisch niedrig. Und wir leben in Frieden in Bündnissen mit unseren Nachbarn. Kurz: Wir haben keine Weimarer Verhältnisse. Dennoch: An Friedrich Ebert zu erinnern heißt, sich bewusst zu machen, dass eine parlamentarische Demokratie nur stabil sein kann, wenn sich ihre Bürgerinnen und Bürger zu ihr bekennen. Und wenn sie bereit sind, für sie einzutreten, sich für sie zu engagieren.

Friedrich Ebert ist einer der Großen der deutschen Demokratiegeschichte. Er ist ein Beispiel für eine aufrechte demokratische Haltung und darin ein Vorbild. Ebert lehrt uns, für die Freiheit und Demokratie einzutreten, auch gegen Zeitgeist und Ignoranz. Wir brauchen diese republikanische Leidenschaft. Wir brauchen sie, um die Zwillingsschwestern Freiheit und Recht, um unsere Demokratie zu schützen!

Herzlichen Dank!