Staatsbankett in der Hellenischen Republik

Schwerpunktthema: Rede

Athen/Griechenland, , 11. Oktober 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 11. Oktober beim Staatsbankett in der Hellenischen Republik eine Ansprache gehalten: "Europa, die Europäische Union, ist heute noch stärker als zuvor gefordert. Denn vor den großen Herausforderungen unserer Zeit stehen wir gemeinsam: Migration, Klimawandel, Krisen in der Nachbarschaft Europas, aber auch wirtschaftliche Krisen innerhalb der Union machen nicht an unseren nationalen Grenzen halt. Nichts davon können wir allein, ohne Partner bewältigen."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache beim Staatsbankett, gegeben vom griechischen Präsidenten Prokopios Pavlopoulos  anlässlich des Staatsbesuchs in der Hellenischen Republik

Ti orea! Ime pali etho!

Sehr verehrter Herr Staatspräsident, lieber Prokopis, vielen Dank für den überaus herzlichen Empfang, den Du und Dein Land mir, meiner Frau und der ganzen Delegation bereitet habt – wieder einmal, wie ich sagen kann. Denn schon häufiger durfte ich in den vergangenen Jahren die griechische Gastfreundschaft genießen. Viele Male als Außenminister, zuletzt im vergangenen Jahr als Bundespräsident kurz nach meinem Amtsantritt, als wir gemeinsam die documenta in Athen eröffnet haben. Eigentlich müsste ich mittlerweile schon fast in der Lage sein, meine Rede auf Griechisch zu halten. Aber mein Wortschatz ist schon erschöpft. Ich bemühe mich, dass es bei jedem Besuch ein Satz mehr auf Griechisch wird!

Dass ich nun bereits zum zweiten Mal als Bundespräsident nach Griechenland komme, ist Ausdruck der besonderen Beziehungen unserer beiden Länder: Es zeigt, wie nah wir Deutsche uns den Griechen fühlen.

Das zu betonen, gerade jetzt, in dieser Zeit, ist mir wichtig!

In dieser Zeit, in der Griechenland in der Flüchtlings- und Migrationskrise weiterhin – und Tag für Tag – an der Außengrenze der Europäischen Union besonderen Belastungen ausgesetzt ist. In der es sich mitmenschlich und solidarisch zeigt mit den Menschen, die hier ankommen, und doch selbst erfahren muss, dass die Solidarität seiner europäischen Partner nicht selbstverständlich ist.

In dieser Zeit, in der Griechenland sich als konstruktiver Nachbar auf dem Balkan bemüht, langjährige Konflikte beizulegen, und die Hand ausstreckt. Das Übereinkommen zum Namensstreit mit der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien ist ein mutiger und wichtiger Schritt für eine Annäherung. Es zeigt, dass Wille und Vision, Mut und Überzeugung selbst langjähriges Misstrauen überwinden und Verständigung schaffen können. Ich weiß, dass das für beide Seiten kein einfaches Thema ist. Aber ich möchte ausdrücklich dafür werben, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Und vor allem möchte ich die Nähe betonen: in dieser Zeit, in der das Ende des ESM-Programms für Griechenland einen wichtigen Meilenstein bedeutet! Die vergangenen Jahre haben große Lasten und Herausforderungen für die Bevölkerung gebracht, sie haben vielen Menschen vieles abverlangt, manchen zu vieles. Ihr Land ist nach manchen Fehlentwicklungen der Vergangenheit einen harten Reformweg gegangen, und ja, noch immer lasten die Folgen der Eurokrise stark auf den Menschen. Ich versichere Ihnen, dass wir das wahrnehmen und anerkennen! Ich versichere Ihnen, dass die Menschen in Deutschland jenseits manch hämischer Schlagzeile, die es gegeben hat, mit großer Anteilnahme verfolgen, welche Opfer Sie erbracht haben und weiter erbringen. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Reformen der vergangenen Jahre beginnen, sich auszuzahlen. Ich bin zuversichtlich, dass sie Wachstum ermöglichen, Investitionen anziehen und dass die Menschen dies auch bald spüren werden. Deutschland, das möchte ich Ihnen versichern, wird mit Griechenland als Mitglied der Eurozone an Ihrer Seite stehen.

Aber ich will auch nicht verschweigen: Gerade diese letzten Jahre der Finanzkrise haben die deutsch-griechische Freundschaft auf eine Probe gestellt. Nicht immer haben Sie vielleicht die Anteilnahme aus Deutschland gespürt, die Sie sich gewünscht hätten, nicht immer haben wir vielleicht auch die richtigen Worte gefunden, Ihnen unsere Solidarität zu versichern. Alte Vorurteile – auch griechische gegenüber Deutschland – haben aufgeheizte Debatten geprägt, scheinbar überwundene Klischees wurden neu belebt – in beiden Ländern. Deutsche in Griechenland und griechische Mitbürger in Deutschland haben plötzlich gespürt, wie Zweifel aufkamen, wie sich einstmals so Vertraute plötzlich mit neuem, skeptischem Blick betrachteten.

Das hat unser Verhältnis belastet – und zwar gerade weil wir uns eigentlich so tief miteinander verbunden fühlen. Eine tiefe Verbindung – das sagt man so schnell, wenn man bei einem Nachbarn zu Gast ist, aber für uns gilt das tatsächlich in besonderem Maße: Nicht nur kulturell – das hat die documenta einmal mehr gezeigt –, sondern weit darüber hinaus. Die historischen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen unseren Ländern reichen weit zurück, aber unsere Freundschaft wird vor allem getragen von einer Vielzahl persönlicher Beziehungen. Über 350.000 Menschen griechischer Abstammung leben in Deutschland! Und wie viele deutsche Touristen Jahr für Jahr von griechischer Kultur, Stränden und Meer angezogen werden, davon können Sie sicher aus persönlicher Erfahrung berichten – in diesem Jahr sind es nicht weniger als vier Millionen! Für viele Deutsche ist Griechenland emotional längst eine zweite Heimat geworden.

Und gerade diese persönlichen Verbindungen sind wichtig, für unsere Länder, aber insbesondere für die Zukunft Europas. Wer sich kennt, wer sich schätzt, wer den anderen versteht, hält zusammen. Und Zusammenhalt brauchen wir heute dringender denn je. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Europa, die Europäische Union, ist heute noch stärker als zuvor gefordert. Denn vor den großen Herausforderungen unserer Zeit stehen wir gemeinsam: Migration, Klimawandel, Krisen in der Nachbarschaft Europas, aber auch wirtschaftliche Krisen innerhalb der Union machen nicht an unseren nationalen Grenzen halt. Nichts davon können wir allein, ohne Partner bewältigen. Gerade in einer Zeit, in der Lautsprecher auf die schwierigen Fragen allzu simple Antworten geben. In der das Trennende betont und das Gemeinsame gering geschätzt wird – in dieser Zeit müssen wir jeden Tag aufs Neue zeigen, dass wir nur zusammen, auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen und rechtverstandener Solidarität, in der Lage sind, unsere Zukunft nachhaltig und gerecht zu gestalten. Die EU ist Ausdruck und Gestalt all dessen, was uns verbindet. Sie bleibt die beste Antwort auf nationale Egoismen, auf Polarisierung, Ausgrenzung und Spaltung.

Griechenland und Deutschland, so scheint mir, haben sich dies zu Herzen genommen. Wir haben unsere Beziehung in diesen schwierigen Jahren nicht aufgegeben, wir haben sie vielmehr noch einmal vertieft mit einem konkreten Aktionsplan, haben uns dadurch noch enger miteinander verbunden. Nicht nur auf politischer Ebene, wie zum Beispiel mit den Staatssekretärskonsultationen, die in den vielen Bereichen, die unsere beiden Länder berühren, engere Abstimmung bringen. Sondern gerade auch auf menschlicher Ebene, durch die Vertiefung persönlicher Bindungen. Ich freue mich ganz besonders, dass die vor vier Jahren angestoßene Idee eines deutsch-griechischen Jugendwerks erfolgreich Gestalt angenommen hat. Wir schaffen damit einen festen Rahmen für viele kommende Begegnungen unserer jungen Menschen. Wir ermöglichen mehr persönlichen Austausch und festigen damit unser gemeinsames Fundament. Wir helfen, Bindungen zu knüpfen, die nicht nur viele Einzelne zusammenbringen, sondern mit ihnen unsere beiden Länder. Die Vertrauen schaffen und damit das, was uns verbindet, für eine künftige Generation mit Leben füllt.

Und wir zeigen: Wir können Krisen gemeinsam überwinden und neues Vertrauen aufbauen. Und dass gerade wir, Deutsche und Griechen, dies miteinander schaffen, das ist – vor dem Hintergrund unserer schmerzhaften Geschichte, derer ich heute Morgen in Chaidari gedacht habe – alles andere als selbstverständlich. Dafür bin ich persönlich und im Namen meines Landes sehr dankbar.

Es ist aber nicht nur die Freundschaft unserer Länder, die tief verwurzelte Freundschaft zwischen Deutschen und Griechen, die ich mit meinem Besuch würdigen möchte. Es ist auch die Freundschaft, die Du, lieber Prokopis, mir persönlich entgegenbringst, die mich heute erneut nach Griechenland führt. Es ist schön, Dich nach dem Arraiolos-Treffen in Riga im September schon heute wiederzusehen. Seit meinem Amtsantritt haben wir uns viele Male getroffen und miteinander telefoniert. Du warst einer der ersten Staatspräsidenten, die mich in Berlin im Schloss Bellevue besucht haben, nur kurz nach meinem Besuch hier in Athen.

Wir kennen uns nun schon seit vielen Jahren, und wir teilen durchaus ähnliche Erfahrungen: Wir sind beide Juristen und, was vielleicht sogar noch verbindender ist, wir sind beide mit Juristinnen verheiratet. Du hast es zwar in Deiner akademischen Laufbahn an der juristischen Fakultät in Athen noch weiter gebracht, als ordentlicher Professor für Verwaltungsrecht. Aber auch ich darf mich immerhin seit heute, seit einer Stunde, stolz als ihr Ehrendoktor bezeichnen. Wir beide haben uns mit der Juristerei allein aber nicht begnügt, sondern den Weg in die Politik gewählt – Du zunächst im Dienste verschiedener Deiner Vorgänger und Deiner Partei, später als Innenminister, seit 2015 schließlich als Präsident. Ich schätze Dich in dieser Rolle als klugen, wertvollen Gesprächspartner, als leidenschaftlichen Europäer, der – auch in schwierigen Zeiten für Griechenland – stets für dieses Europa gestritten hat. Vielleicht auch deshalb, weil Du weißt und persönlich erfahren musstest, wie wenig selbstverständlich es ist, dass wir in dieser Gemeinschaft in Frieden und Demokratie leben: Die griechische Militärherrschaft hat Dich selbst zum Exilanten gemacht. Nicht lange nach Deiner Rückkehr aus Paris stellte Griechenland dann den Aufnahmeantrag zur Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Ich schätze Dich zudem als verlässlichen und treuen Freund. Ich fühle mich besonders geehrt, dass Du mich und meine Delegation morgen zu Dir nach Hause einlädst, in Deine Heimat Kalamata.

Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie mit mir Ihr Glas, auf das Wohl von Präsident Pavlopoulos und seiner Frau, auf das Wohl des griechischen Volkes, auf die griechisch-deutsche Freundschaft und darauf, dass wir zusammenstehen für eine gute Zukunft in einem freiheitlichen, solidarischen, starken Europa.