Interview mit HR1 zur Ortszeit in Stadtallendorf

Schwerpunktthema: Interview

16. März 2025

Bundespräsident Steinmeier hat mit dem HR1 über seine kommende Ortstzeit in Hessen gesprochen. Vom 18. bis zum 20. März 2025 verlegt er seinen Amtssitz für drei Tage nach Stadtallendorf.

Interview mit dem HR1

Das Interview können Sie auch in der Mediathek des HR1 hören und herunterladen:

Drei Tage ‘Ortszeit Deutschland‘ in Hessen

Heute wird unsere kleine Radiosendung geadelt, denn wir sind nicht im Studio, sondern zu Gast in Schloss Bellevue in Berlin, im offiziellen Amtszimmer von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Herzlichen Dank für die Einladung.

Lieber Herr Berndt, herzlich willkommen mitten in Berlin, hier im Schloss Bellevue. 

Und dies ist ein historischer Ort. In dieser Sitzgruppe empfangen Sie normalerweise Ihre Staatsgäste. Manch ein Gespräch an diesem Tisch wird vielleicht irgendwann mal im Geschichtsbuch stehen. Mit wem haben Sie hier alles schon so gesessen und geredet?  

Ganz viele Präsidenten, Staatsoberhäupter, Könige und Königinnen haben hier gesessen, aber auch in schwierigen Zeiten Mitglieder der Bundesregierung und Fraktionsvorsitzende aus dem Parlament. Es ist kein bunter Reigen, aber eine ansehnliche Gruppe von Menschen, die aus unterschiedlichen Anlässen sich hier versammelt haben oder meine Gesprächspartner waren. 

Also dieser Tisch könnte viel erzählen. Über dem Sofa, ich schaue mich mal um, hängt ein Gemälde: Heidelberg, der Sonnenuntergang in Heidelberg. Und das wichtigste Utensil ist natürlich neben Ihrem offiziellen Arbeitstisch die Standarte, also die Flagge mit dem Bundesadler. Welche Bedeutung hat die?

Sie hat für mich eine große Bedeutung. Es ist immer wieder die Erinnerung daran, dass es erstens eine Ehre ist, Bundespräsident dieses wunderschönen Landes zu sein, und zweitens sich auch der Pflicht und der Verantwortung bewusst zu sein, die man in diesem Amt innehat. Daneben kann ich Ihnen sagen, dass die vielen Besucher und Besuchergruppen, die sich hier durchs Schloss führen lassen, gerne ein Foto von dieser Standarte mit nach Hause nehmen.

Und müssen Sie die auch einpacken, wenn Sie kommende Woche Ihren Amtssitz nach Hessen verlegen?

Ich darf Ihnen verraten: Wir haben zwei davon. 

Aber eine kommt mit.  

Eine kommt mit, ganz selbstverständlich. 

Denn dies ist der Anlass für unser Gespräch. In der kommenden Woche wird unser Staatsoberhaupt drei Tage in Stadtallendorf residieren. Darüber reden wir gleich zu Beginn mit Frank-Walter Steinmeier. Ortszeit Deutschland nennt sich eine Aktion des Bundespräsidenten. Dafür verlässt er das schicke Schloss Bellevue für drei Tage und verlegt seinen offiziellen Amtssitz in eine Kleinstadt irgendwo in Deutschland. In Hessen war er mit dieser Aktion noch nie. Wie fiel Ihre Wahl auf Stadtallendorf? 

Erstens, in der Tat ist es jetzt die 14. Ortszeit. Das 14. Mal, dass wir meinen Amtssitz von hier aus, von Berlin, in eine Region in Deutschland verlegen. Das erste Mal zu Recht, wie Sie sagen, in Hessen. Und viele Leute verstehen das gar nicht, stellen die Frage “Warum verlässt er dieses wunderbare Schloss?“ Ja, die Frage ist berechtigt. Ich bin ja auch gern hier. Aber das versteht man nur, wenn man weiß, dass die Idee der Ortszeit auf die Corona-Zeit zurückging. Damals eine Zeit, in der die Menschen ja nicht nur Angst davor hatten, angesteckt zu werden, infiziert zu werden, sondern das war ja eine Zeit, in der das gesellschaftliche Gespräch geradezu stillgelegt war. Es fanden keine Veranstaltungen statt, keine politischen, keine Sportveranstaltungen. Das Gespräch mit der Nachbarschaft erstarb und selbst die Familien konnten nicht zueinander kommen. Das ist für eine Demokratie ein schwieriger Zustand, weil: Die Demokratie braucht den Dialog, braucht den Austausch. Und deshalb habe ich mich entschieden, um das Gespräch der Gesellschaft mit sich selbst wieder in Gang zu bringen, müssen wir etwas verändern. Wir gehen raus und zwar nicht nur, um irgendwo in Deutschland eine Rede zu halten, Limousine vorfahren zu lassen, nach der Rede wieder raus. Sondern: Wir nehmen uns die Zeit und kommen ins Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern und eben gerade dort, wohin das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit nicht jeden Tag fällt. Deshalb ist auch Stadtallendorf in die Auswahl gekommen. Auch deshalb, weil wir ja mit den Ortszeiten nicht auf der Suche nach den touristischen Hotspots in Deutschland sind. Sondern ich bin auf der Suche nach Orten und Regionen, die mich neugierig machen, wo sich etwas tut, wo Menschen anpacken, um ihre Kommune, ihren Ort zu gestalten und möglicherweise zu verändern. Und als wir im letzten Jahr diskutierten, wohin gehen wir in Hessen, fiel mir ein Artikel in die Hände, der schlicht und einfach beschrieb, dass in Stadtallendorf Dinge gelingen, die anderswo nicht gelingen, zum Beispiel bei der Integration von Eingewanderten. Und da habe ich gesagt: Mensch, das lohnt sich, da schauen wir mal genauer hin. Nicht in der Erwartung, dass wir dort auf die heile Welt treffen, aber um zu erfahren: Was ist gelungen? Was kann möglicherweise auch Vorbild für Städte in anderen ländlichen Regionen sein? Was fehlt? Was erwartet man von der Landes- und der Bundespolitik? Das hat mich neugierig gemacht und deshalb sind wir in Stadtallendorf. 

Und dafür nehmen Sie sich sogar drei Tage Zeit. Das ist außergewöhnlich. Manch ein Staatsbesuch ist nicht so lang. Was sind so die Themen? Was ist Ihr Eindruck, was den Leuten besonders auf den Nägeln brennt im Augenblick? Ein Punkt ist ja zum Beispiel "Kaffeetafel kontrovers“ und das heißt schon, da kann man dann auch seine Meinung sagen.  

Da kann man nicht nur, sondern mit dem Format ist das gewollt. Wir wollen ja keinen Einheitsbrei organisieren, sondern wir sagen bewusst, wenn wir einladen, wollen wir Menschen ganz unterschiedlicher Positionen am Tisch haben. Und das ist auch jedes Mal gewährleistet, da muss man sich gar keine besondere Mühe geben. Das sind manchmal kleine Themen, da geht es um die Energieversorgung in einem Ort. Es sind die großen Themen, die wir vor allen Dingen bei Ortszeiten im Osten unseres Landes immer wieder diskutiert haben. Die Frage von Krieg und Frieden: Wie stehen wir zu Russland, wie stehen wir zur Ukraine? Und auch umgehen mit Kritik an der militärischen Unterstützung, die wir gehört haben und die wir sehr, sehr ausgiebig diskutiert haben. Ich habe eigentlich noch nie erlebt, in einer dieser Runden, dass nach zwei, zweieinhalb, manchmal auch drei Stunden Diskussionen, dass jeder bei der Meinung geblieben ist, mit der er gekommen ist. Nicht jeder hat seine Meinung völlig verändert, aber ich glaube, viele am Tisch lernen in diesen Runden wieder, dass Demokratie eben heißt, auch mit dem Risiko zu leben, dass der andere Recht haben könnte. Dieses wieder zu erlernen, das ist ganz wichtig aus meiner Sicht. 

Frank-Walter Steinmeier in hr1 – und wo genau man den Bundespräsidenten kommende Woche treffen kann in Stadtallendorf, darüber reden wir in der kommenden Stunde noch ausführlich. Viele Menschen haben keine so genaue Vorstellung von der Arbeit des Bundespräsidenten. Manche halten ihn für den Grüßaugust der Nation, der Staatsgäste empfängt, der Reden hält, Reisen machen darf. Das ist aber natürlich nur die eine Seite dieses Amtes. Wenn es ernst wird, muss der Bundespräsident auch in die Politik eingreifen können. Frank-Walter Steinmeier hat das sogar schon zweimal gemacht, zuletzt erst im Dezember, als er den Bundestag aufgelöst und Neuwahlen angeordnet hat. Hätten Sie auch sagen können, kommt gar nicht in die Tüte, regiert mal schön weiter? Wie groß ist Ihr Spielraum bei so einer Entscheidung?  

Der Spielraum ist durch die Verfassung gelegt und das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland ist durch das Grundgesetz vornehmlich repräsentativ ausgelegt. Das heißt, der Bundespräsident mischt sich nicht ein in die Tagespolitik. Er hat für das Bild Deutschlands im Ausland zu sorgen, Kontakte mit unseren Partnern und Freunden in der Welt zu pflegen und natürlich eine wichtige Rolle bei der Ausfertigung von Gesetzen. Daneben ist meine Wahrnehmung, mit der härter werdenden Auseinandersetzung, mit der größeren Schwierigkeit, eindeutige Mehrheiten zu finden, verändert sich auch so ein bisschen das Bild des Bundespräsidenten. Es bleibt dabei, dass seine Rolle vornehmlich repräsentativ angelegt ist, aber ich habe es eben auch selbst erlebt und Sie haben die Beispiele genannt, dass der Bundespräsident auch manchmal gesucht wird, um schwierige Situationen zu entschärfen und Kompromisse in der Politik wieder möglich zu machen. Jenseits der Tagespolitik und nur in außergewöhnlichen Situationen, wie wir es 2017 erlebt haben, als kurz nach der Wahl keine regierungsfähige Mehrheit, keine neue Regierung zustande kam und es in der Tat drohte, dass wir kurz nach den Wahlen schon wieder Neuwahlen haben würden. Da habe ich in der Tat meine Auffassung öffentlich gemacht und gesagt: Wenn Mehrheiten möglich sind, dann darf sich derjenige, der sich um eine Mehrheit bewirbt, nicht wegdrücken vor der Verantwortung. 

Nun haben wir jetzt wieder so eine Situation, wo wir nicht genau wissen, wie es weitergeht. Bis Ostern soll die neue Regierung stehen. Es wackelt noch arg, es könnte auch noch scheitern. Sie sind natürlich überparteilich, aber wie genau verfolgen Sie diesen Prozess?  

Ich glaube, es wäre unverantwortlich, wenn ich diesen Prozess nicht verfolgen würde. Ich sitze nicht mit am Verhandlungstisch, aber soweit das möglich ist, informiere ich mich über die Verhandlungsstände. Und die Situation ist heute, das will ich gerne sagen, die ist anders als 2017. Wir haben zwei Parteien, die über eine Mehrheit im neuen Deutschen Bundestag verfügen und beide sagen, dass sie ihre Verantwortung erkennen. Insofern hoffe ich nicht nur, sondern ich gehe davon aus, dass es in absehbarer Zeit gelingen wird, eine neue Regierungskoalition zu bilden.

In der kommenden Woche soll das Grundgesetz noch vom alten Bundestag geändert werden, obwohl der neue schon gewählt ist. Und das, um ein riesengroßes Schuldenpaket durchzuwinken. Bereitet Ihnen sowas Bauchschmerzen?

Das ist keine Frage der Bauchschmerzen, sondern der Präsident hat eine Rolle, wenn politische Entscheidungen in Gesetzesform fließen. Dann hat er zu prüfen, ob die Ausfertigung möglich ist. Und bei der Ausfertigung spielt natürlich eine Rolle, ob das Parlament, das entschieden hat, die Kompetenz, die Zuständigkeit dazu hatte. Und hier gilt zunächst einmal der Grundsatz, dass die Legislaturperiode erst endet, wenn ein neuer Bundestag in Kraft tritt. Bis dahin hat der bestehende Bundestag volle Rechte – auch die zur Gesetzgebung. 

Als überparteiliches Staatsoberhaupt: Was ist Ihr Appell an die Parteien in dieser sensiblen Phase?  

Die Menschen erwarten erstens, dass wir relativ schnell wieder eine stabile und vor allen Dingen handlungsfähige Regierung haben. Und ich füge hinzu: Darauf warten nicht nur die Menschen in Deutschland, sondern ganz Europa wartet darauf, dass Deutschland seine Handlungsfähigkeit wieder unter Beweis stellt. Politik ist ja nicht einfacher geworden, aber wir müssen uns daran erinnern, dass Politik vor allen Dingen eines ist, nämlich Problemlösen. Und das erwarten die Menschen von der Politik und jetzt mit hohem Anspruch von der zukünftigen Regierung. Deshalb hoffe ich, dass sich alle Beteiligten dieser Verantwortung bewusst sind. 

hr1-Talk: Heute aus dem Amtszimmer des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Mein Name Uwe Berndt. Aber Sie wohnen ja nicht hier im Schloss Bellevue.

 Ich wohne nicht mehr hier, auch deshalb, weil es hier gar keine Wohnung mehr gibt. Außerdem genieße ich die Distanz von meiner eigenen Wohnung zum Schloss. Man hat ein wenig Gelegenheit, sich auf der Fahrt hierher vorzubereiten, beziehungsweise auf der Fahrt zurück auch ein bisschen Abstand zu gewinnen von den Themen des Tages. Es ist schon ganz gut gelöst, dass seitdem Präsident Rau mit seiner Ehefrau hier ausgezogen ist, die Räumlichkeiten umgebaut worden sind – zu Besprechungsräumen und anderen. Seit der Präsidentschaft von Präsident Rau gibt es eine Residenz 20-25 Minuten entfernt von hier, wo der jeweilige Präsident mit seiner Familie wohnen kann.

Jetzt bin ich gespannt auf die präsidialen Musikwünsche. Wir spielen als erstes Joe Cocker für Sie mit "With a little help from my friends“. Was verbinden Sie mit diesem Song?

Ja, es ist nicht nur eine meiner ersten LPs, die ich gehabt habe, damals Woodstock, wo Joe Cocker aufgetreten ist. Sondern verstehen Sie es auch als einen kleinen Gruß auf die andere Seite des Atlantiks, als Erinnerung daran, dass hier noch Freunde leben.

Joe Cocker für Frank-Walter Steinmeier. [Musik-Einspieler]

Der hr1-Talk heute mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In Hessen kennt er sich übrigens gut aus, denn er hat in Gießen studiert und in Frankfurt sein juristisches Referendariat gemacht. Was waren so Ihre studentischen Lieblingsorte in Gießen?

Ja, wir haben unsere Kneipe gehabt. Damals eine Kneipe, die es schon lange nicht mehr gibt, in der ich häufiger war. Eine kleine Kneipe namens "Quadratmeter“. Viel größer war sie auch nicht (lacht) oder "Die Brezel“ und "Der Bahndamm“. Aber ich habe mich in diesen 14 Jahren in Gießen sehr wohl gefühlt. Für Juristen hatte die Universität damals einzigartige Studienbedingungen. Der Fachbereich Jura war wieder begründet worden als Formfachbereich. Es war ein Vorzeigebetrieb mit vielen Kleinveranstaltungen und nicht mehr mit den großen Frontalvorlesungen. Ich habe viel gelernt in der Zeit und ich weiß bis heute, dass da viel Grund gelegt worden ist für das, was sich später in meinem Leben ereignet hat und ereignen konnte.

Sie haben auch an einer Zeitschrift mitgearbeitet als Student, die hieß "Demokratie und Recht“. Die wurde sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Waren Sie so links?

Die wurde vom Verfassungsschutz deshalb beobachtet, weil sie in einem Verlag erschienen ist, der "Pahl Rugenstein“ hieß und der als Verlag vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Wir sind ja später vom Verlag rausgeschmissen worden. Uns ist die Redaktion entzogen worden, weil wir offenbar nicht genügend auf der Linie des Verlages waren. Also: Das Entscheidende war aber für mich, dass ich schon während des Studiums als wissenschaftliche Hilfskraft angefangen habe, fachwissenschaftlich zu arbeiten und zu publizieren. Das hat geschult für vieles, was später kam.

Mitgearbeitet hat damals auch Brigitte Zypries, die spätere Justizministerin. Also da kann man ja schmunzeln: Aus der linken Studentin wurde die Justizministerin und aus dem linken Studenten unser Bundespräsident.  

Ich freue mich, dass ich Brigitte Zypries so relativ früh in meinem Studium kennengelernt habe. Ich habe 1976 in Gießen angefangen und wir haben uns auch kurze Zeit später kennengelernt und wir sind uns immer wieder begegnet. Auf unseren etwas unterschiedlichen Lebenswegen. Später dann, sehr viel später in Hannover und dann wieder in Berlin. Ich freue mich, dass wir bis heute Kontakt haben und uns freundschaftlich verbunden sind. 

Es gibt ja diesen blöden Spruch: Wer in seiner Jugend nicht links ist, der hat kein Herz und wer in seinem Alter immer noch links ist, der hat keinen Verstand. Ist da vielleicht sogar ein bisschen was dran?  

Ach, ich weiß nicht, das müssen andere bewerten, wie überhaupt die Kategorien von links und rechts sich im Augenblick deutlich verschoben haben. 

Angenommen, der Student Frank-Walter Steinmeier aus den 70ern säße jetzt hier am Tisch und würde sich unterhalten mit dem Bundespräsidenten Steinmeier. Was würde er ihm sagen?  

Ich weiß überhaupt nicht, ob der junge Student der Mitte der 70er Jahre sich mutig genug fühlte, um dem Präsidenten etwas zu sagen. Aber setzen wir mal voraus, dann würde er vielleicht gegenüber dem Bundespräsidenten den Wunsch äußern, dass mit all den Gefährdungen, unter denen wir leben, mit den Anfechtungen, die wir gegenüber unserer eigenen Demokratie, aber auch in unseren europäischen Nachbarstaaten erfahren, dass wir uns vor allen Dingen dafür engagieren, dass diese Demokratie erhalten bleibt und wissend, dass sie nicht vom Himmel gefallen ist, dass sie nicht auf ewig garantiert ist, dafür zu sorgen, dass sich Menschen immer wieder für sie engagieren. 

Frank-Walter Steinmeier über seine Studienzeit in Gießen. – Das Schloss Bellevue ist ein würdevoller Ort. Dieses Amtszimmer hier repräsentiert unseren Staat, genauso wie das Oval Office in Washington die USA repräsentiert. Herr Bundespräsident, über diese Szene hat die ganze Welt den Kopf geschüttelt: Donald Trump demütigt im Oval Office Wolodymyr Selensky. Der US-Präsident behandelt einen anderen Präsidenten wie ein kleines Kind. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das gesehen haben?  

Ich habe nicht den Kopf geschüttelt, sondern ich war wirklich erschüttert, weil: Wer ein bisschen Erfahrung in der internationalen Politik hat, der weiß, wenn man sein Gegenüber vor der großen Weltöffentlichkeit in dieser Art und Weise demütigt, dann muss Diplomatie scheitern. Und das ist das, was mich am meisten besorgt. Dass jetzt versucht wird, Selensky nicht nur zu einem Unterwerfungsfrieden zu bringen, sondern möglicherweise auch den Fortbestand einer unabhängigen, einer sicheren Ukraine langfristig zu gefährden. Jeder ist für Frieden, am stärksten und am meisten die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst. Aber er muss zu Bedingungen geschlossen werden, der die Ukraine überlebensfähig und souverän hält. Und deshalb bin ich sehr dafür, dass diplomatische Bemühungen, wie sie jetzt stattfinden, fortgesetzt werden. Ich hoffe darauf, dass das, was jetzt begonnen hat in Dschidda in einen Waffenstillstand einmündet. Aber es müssen am Ende auch faire Bedingungen für die Ukrainerinnen und Ukrainer da sein und am Ende auch die Gewährleistung für Sicherheit für die Ukraine. Das ist nicht hinzukriegen mit solchen Veranstaltungen, wie wir sie bedauerlicherweise im Oval Office gesehen haben. 

Sind die USA, so wie wir sie jetzt erleben, noch unser Partner?  

Die Partnerschaft bezieht sich auf ein Land, und ich weiß, dass Europa und auch Deutschland nach wie vor viele Freunde in den USA haben. Und deshalb würde ich sagen, wir nehmen zurzeit zur Kenntnis, dass die USA Signale setzt, sich von Europa abzuwenden. Sie suchen nach Distanz, sie denken über die amerikanischen Beiträge für die NATO nach. Das alles verändert auch die Rolle Europas. Aber wir sollten von uns aus kein Interesse daran haben, mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Wir setzen darauf, dass transatlantische Partnerschaft auch wieder wachsen kann in Zukunft, vielleicht nicht innerhalb der nächsten Jahre, aber in fernerer Zukunft wieder wachsen kann. Bis dahin muss uns klar sein, dass die Entscheidungen, die jetzt in den USA getroffen werden, uns in Europa zu etwas zwingen, was wir lange Zeit nicht wahrhaben wollten, dass wir für unsere eigene Stärke, auch militärische Stärke sorgen müssen. Und wahrgenommen und ernst genommen werden wir nur, wenn wir neben militärischer Stärke in der Tat auch ökonomische Stärke haben. Dann, glaube ich, muss uns über die Zukunft Europas nicht bange sein. Das wird alles nicht über Nacht geschehen, aber wir müssen jetzt die richtigen Grundentscheidungen treffen. Und ich bin sehr froh darüber, dass das im politischen Berlin doch von vielen erkannt ist und richtige Schritte mindestens auf dem Weg sind. 

Diese Szene im Oval Office, die zeigt vielleicht noch was anderes. Diplomatische Gepflogenheiten werden ja auch gerne mal belächelt als Protokoll-Klimbim. Offensichtlich ist das mehr. Wie wichtig ist die Diplomatie für den Zusammenhalt der Welt?  

Da fragen Sie ja nicht nur einen Bundespräsidenten, sondern auch einen ehemaligen Außenminister, der die Diplomatie nicht als schönes Beiwerk begriffen hat, sondern sie für notwendig hält. Und deshalb sage ich: Uns muss gewiss sein, dass allein Diplomatie die Welt nicht zum Positiven verändern kann. Sie muss gegründet sein auf eigene Stärke. Dafür müssen wir jetzt viel mehr tun. Aber es muss uns ebenso ins Bewusstsein geraten, dass wir mit denjenigen, die uns in der Welt als Partner noch zur Verfügung stehen, dass wir mit denen dafür sorgen müssen, dass nicht das Trumpsche Prinzip der Regellosigkeit die Zukunft der internationalen Beziehungen beherrscht, sondern dass wir mit denen, die unsere Partner sind, dafür sorgen, dass Regeln, nach denen wir uns gemeinsam orientieren, erhalten bleiben. Dazu gehört das Völkerrecht, dazu gehört die Charta der Vereinten Nationen, dazu gehört auch die Grundregel des freien Welthandels und die WTO. Und ich kann Ihnen jetzt gerade nach meiner Rückkehr aus Südamerika – Uruguay, Paraguay und Chile – sagen: Es gibt diese Partner, die in die gleiche Richtung denken wie wir. Es gibt sie nicht nur in Europa. 

Der hr1-Talk heute aus dem Schloss Bellevue in Berlin auf Einladung unseres Staatsoberhauptes, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Wenn ich hier am Schloss vorbeikomme, ehrlich gesagt, denke ich oft noch an Herrn Herkeling, der hier mal, … 

Ich glaube, er auch … (lacht).

 … der verkleidet als Königin Beatrix hier vorgefahren ist, lecker essen gehen wollte. Das war lange vor Ihrer Zeit. Konnten Sie darüber lachen?  

Ich konnte nicht nur darüber lachen, ich habe damals drüber gelacht und ich habe auch mit ihm gemeinsam darüber gelacht. Ich kenne ihn ein bisschen und wir haben diese Szenerie oft miteinander besprochen und ausgetauscht. Man darf nicht über alles lachen, weil: Das hat natürlich hier im Schloss damals auch große Diskussionen ausgelöst. 

Die Sicherheit, ja.  

Ja, die Sicherheit. 

Und was wäre passiert, wenn die echte Königin gekommen wäre? Wenn die sich getroffen hätten?  

Die Konkurrenz, glaube ich, wäre schnell aufgelöst gewesen. (lacht) 

Heute wäre das undenkbar, wegen der unglaublich hohen Sicherheitsvorkehrungen.  

Ich glaube, es war nicht der einzige Fall. Wir haben danach, glaube ich, ernsthaftere Fälle weltweit erlebt, die dann zur Steigerung der Sicherheitsanforderungen geführt haben. Und ich hoffe sehr, dass es vergleichbare Fälle deshalb heute nicht wieder geben würde. Die Polizeibeamten an der Pforte passen jedenfalls sehr genau auf. 

Das habe ich erlebt. Gleich wird unser Bundespräsident noch private Einblicke gewähren. Dabei hilft uns natürlich wie immer der HR1-Fragebogen. Nun wird auch der beliebte hr1-Fragebogen geadelt, der noch nie hat in unser Staatsoberhaupt ausgefüllt. Mein schönstes Privileg als Bundespräsident ist, … 

…, dass ich Bundespräsident sein kann nach einer politischen Laufbahn, die mich Parteipolitik hat berühren lassen – Außenpolitik, Innenpolitik –, und ich hier auch so etwas wie die Summe meiner Erfahrungen ziehen kann. 

Ein halbes Pfund Butter kostet ungefähr … 

… 2,30 Euro im Discounter, drei Euro beim Bio. 

Von meiner Tochter habe ich gelernt, … 

… immer neugierig zu bleiben. Sie ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und ist damit eher auf Ihrer Seite, die Fragen zu stellen und die stellt sie mir. 

Mein Lieblingsessen …  

Leider ganz viele. Ein Sammelbegriff würde ich sagen, schon häufig italienische Pasta. 

Zuletzt geklaut habe ich … 

Gar nicht. 

Am meisten auf die Palme bringt mich …  

Uneinsichtigkeit und Unvernunft. 

Das Schwierige an der Demokratie ist, … 

…, dass man aushalten muss, dass andere Recht haben. 

Bereut habe ich, … 

…, dass ich während meiner aktiven politischen Phase, vor allen Dingen damals als Chef des Kanzleramtes, wenig Zeit für meine Tochter hatte, die sie vorhin schon angesprochen haben. Zu wenig Zeit hatte. 

Ich würde gerne mal einen Abend verbringen mit ...  

Hape Kerkeling ist immer ein Vergnügen. 

Der 24. August ist für mich...  

Der 24. August ist ein kleiner Feiertag für uns in der Familie, weil meine Frau an dem Tag transplantiert worden ist. Jetzt schon vor 15 Jahren.

Und Sie haben ihr die Niere gespendet?  

Ja. 

Der Glaube?  

Gibt mir nach wie vor Orientierung. 

Meine letzte Zigarette war ...  

… Jahre her. Ich habe Gott sei Dank, nachdem ich bestimmt zwei oder dreimal erfolgreich aufgehört habe, ebenso erfolgreich wieder angefangen. Aber inzwischen bin ich es Gott sei Dank los. 

In meinem Bücherregal unten rechts steht ...  

Sie stellen sich mein Bücherregal zu klein vor (lacht). Es geht einmal um drei Ecken in der Bibliothek drumherum und unten rechts steht in der Tat noch der Rest meiner juristischen Literatur. 

Der hr1-Fragebogen ausgefüllt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Vielen Dank. Der Bundespräsident repräsentiert unser Land in guten wie in schlechten Zeiten. Er empfängt Staatsgäste, aber er ist eben auch gefragt, wenn schreckliche Dinge passieren. Und davon hatten wir in den letzten Monaten leider mehr als genug. Es gab viele Anschläge mit Toten und Verletzten. Fällt es Ihnen manchmal schwer, Trost zu spenden?  

Weil ich gerade erst zurückgekommen bin aus Hanau, wo wir erinnert haben an die furchtbaren Morde vor fünf Jahren, erinnere ich mich an den Tag nach den Morden, als ich gemeinsam mit dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten bei und mit den Angehörigen gesessen habe. Der Oberbürgermeister der Stadt Hanau war dabei. Und es gibt Situationen, wo man keinen Trost spenden kann, wenn der Schmerz so groß ist, dass die Trauer noch nicht einmal Einkehr halten kann. Das sind Situationen, wo es manchmal besser ist, man weint gemeinsam mit den Angehörigen und das war so eine Situation, wo niemand Tränen zurückhalten konnte. Eine Situation, wie sie in den letzten Jahren leider zu häufig vorgekommen ist – wenn ich an Halle, an Mannheim, an Solingen, an Magdeburg, an Aschaffenburg denke. 

Wie kann man in solchen Augenblicken Zuversicht geben?  

In solchen Augenblicken darf man überhaupt nicht den Satz sagen Und ab jetzt schauen wir wieder nach vorne. Sondern das sind Situationen, von einer Sekunde auf die andere ist nichts mehr, wie es war für die Menschen, die zurückgeblieben sind, die ihre Angehörigen verloren haben. Und deshalb darf man hohle Formeln, wie Wir schauen jetzt nach vorne überhaupt nicht gebrauchen. Sondern man braucht eine Sprache, mit der man sich in die Situationen der Menschen möglichst weit hineinfühlt, ohne je so zu empfinden wie diejenigen, die gerade ihren Liebsten verloren haben. Aber die anteilnehmende Sprache ist wichtiger als der unrealistische Blick nach vorne, der in einer solchen Situation gar nicht entstehen kann. 

Heute sind wir zu Gast im Amtszimmer des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Ich bin Uwe Berndt und ich habe Ihnen auch noch etwas mitgebracht aus Ihrer Studienzeit in Gießen. Wir haben gerade darüber gesprochen. Wir hatten sie schon erwähnt: Brigitte Zypries, mit der Sie zusammen studiert haben. Und die hat uns tatsächlich ein Grußwort geschickt. Das möchte ich Ihnen mal gerne vorspielen. 

Brigitte Zypries: Lieber Frank, Deine Ortszeit diesmal hat Dich nach Stadtallendorf geführt. Eine Stadt, die nur knappe 50 Kilometer entfernt liegt von unserem gemeinsamen Studienort – von Gießen. Ich war während meiner Zeit in Gießen kein einziges Mal in Stadtallendorf. Aber ich habe mich natürlich jetzt mit der Stadt beschäftigt und festgestellt, dass wir eigentlich 1977 von Stadtallendorf was hätten merken sollen, als aufmerksame Leser des Gießener Anzeigers. Am 01.01.1967 wurde nämlich Allendorf erst zu Stadtallendorf. Und das stand damals bestimmt in unserer Zeitung. Gelernt habe ich auch, dass es ein Museum gibt über die Geschichte der Zwangsarbeit in den Sprengstoffwerken Allendorf. Und das klang für mich so interessant, dass ich mir vorgenommen habe, wenn ich das nächste Mal in Südhessen bin, dass ich dann auch mal einen Abstecher mache nach Stadtallendorf. Dir wenigstens wünsche ich jetzt spannende, interessante, sicher auch anstrengende Tage mit guten Gesprächen. Ich bin gespannt, was Du bei Gelegenheit berichten wirst. Bis dann, Brigitte. 

Aus Kasseler Perspektive ist Stadtallendorf dann schon Südhessen.  

Der Streit geht ja eher um die Frage: Mittelhessen oder Oberhessen? Genau. Ich glaub, es ist Oberhessen. 

Für mich ist es Mittelhessen, Stadtallendorf, oder?  

Ich weiß nicht, ob die Grenzziehungen eigentlich jemals geklärt worden sind. 

Haben Sie damals als Student auch Stadtallendorf links liegen lassen? Klar, man war auf seinen Studienort fixiert.  

Ich habe mich selbst gefragt und natürlich bin ich häufig in Marburg gewesen. Ich bin auch noch näher dran gewesen an Stadtallendorf sicherlich: in Rauischholzhausen. Rauischholzhausen war ein Teil der Universität Gießen. Hatte dort landwirtschaftliche Versuchsflächen. Einmal im Jahr fand dort ein Universitätsfest statt. Das war schon nah dran an Stadtallendorf. Noch näher dran ist, glaube ich, Amöneburg. Da bin ich auch ein-, zweimal gewesen. Aber in Stadtallendorf selbst meines Wissens nicht. 

Wie kommen wir jetzt von Stadtallendorf nach Kuba? Sie haben sich kubanische Musik gewünscht.  

Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass ich gerade aus Südamerika zurückkomme, von Besuchen in Uruguay, Paraguay und Chile, viel lateinamerikanische und südamerikanische Musik gehört und mich dann an den Buena Vista Social Club erinnert habe. 

Und den hören wir jetzt. "Chan Chan“ für Frank-Walter Steinmeier. [Einspieler Musik] 

Der Bundespräsident packt seine Standarte ein. In der kommenden Woche verlegt er seinen offiziellen Amtssitz für drei Tage nach Stadtallendorf. Er wird sich dort nicht langweilen. Er will mit den Hessen in Kontakt kommen. Er will mit ihnen diskutieren. Wo kann man Sie überall treffen in Stadtallendorf?  

Wir fangen an, wie üblich bei diesen Ortszeiten, mit einem Gespräch mit der Kommunalpolitik, natürlich dort im Rathaus. Wir haben eingeladen zu einem runden Tisch – Kaffeetafel kontrovers –, wo wir die Frage "Migration und Zuwanderung: Wie geht das in Stadtallendorf?" diskutieren werden. Aber nicht nur bei solchen formalen Diskussionen werden wir uns begegnen, sondern wir haben tiefen Einblick in das Sport- und Vereinsleben der Stadt. Wir treffen Jugendliche, wir machen Betriebsbesichtigungen und reden dort mit Geschäftsführern, Betriebsräten, mit Auszubildenden; gehen in der Stadt auch in die Geschäfte und reden auf der Straße mit den Leuten. Also es besteht ganz viel Gelegenheit, uns erstens zu treffen, aber noch wichtiger für mich, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Und Sie werden auch eine Boxschule besuchen. Was ist das Besondere an dieser Boxschule?  

Nachdem, was ich gelesen habe, ist diese Boxschule ja ein Instrument oder eine Möglichkeit zur Integration von Jugendlichen. Und offenbar wird das in der Stadt auch mit Zufriedenheit beobachtet, wie es gelingt, gerade in dieser Boxschule, Jugendliche, die zugewandert sind, in die Gesellschaft zu integrieren. Das werde ich mir einfach mal anschauen. Wie gesagt, wir kommen ja nicht in der Erwartung, dass alles das, was über gelingende Integration in Stadtallendorf geschrieben worden ist, eins zu eins stimmt. Sondern wir sind neugierig, wie viel davon wahr geworden ist und wo möglicherweise auch Defizite sind. Das eine oder andere ist uns auch aus den Schulen schon schriftlich zugegangen: Lehrern, die gesagt haben, wir brauchten eigentlich noch eine bessere Ausstattung, um erfolgreiche Integrationsarbeit zu schaffen. 

Wie schwer ist es eigentlich in diesen Zeiten wirklich mit dem Volk ins Gespräch zu kommen, wo Sie doch quasi Tag und Nacht von Sicherheitskräften umzingelt sein müssen? Natürlich ist der Bundespräsident eine gefährdete Person und muss beschützt werden, aber dann können Sie ja schlecht auf die Marktfrau zugehen. Wie machen Sie das dann tatsächlich?  

Ja, da haben wir ehrlich gesagt, Herr Berndt, da haben wir auch gelernt. Wir sind bei der ersten Ortszeit auch in der üblichen Aufstellung losgezogen und haben gemerkt, das erzeugt eine zu hohe Schwelle für die Bürgerinnen und Bürger, auf uns zuzugehen. Wir haben dann flexiblere Modelle mit den Sicherheitsbeamten, mit der Polizei diskutiert und das funktioniert, werden Sie auch in Stadtallendorf sehen, das funktioniert inzwischen ganz gut. Und so kommt das zustande, woran Sie eben Zweifel hatten, ob es zustande kommt, das Gespräch mit der Marktfrau oder denjenigen, die in den Geschäften einkaufen oder denjenigen, denen wir in Sportveranstaltungen begegnen. Das funktioniert ganz gut. Und ehrlich gesagt, unsere Anwesenheit ist sehr selten auf Ablehnung gestoßen. Es gab von Extremisten organisierte kleinere Demonstrationen und Proteste, die wir auch mal erlebt haben in zwei, glaube ich, der Ortszeiten, wenn ich richtig zurückdenke. Aber im Grunde genommen bestätigt sich nicht dieses Übermaß an Ablehnung von Politik, von dem ich immer lese. Die Menschen sind eigentlich nach wie vor ganz froh, wenn sie dem Bundespräsidenten begegnen, wenn sie ihm Fragen stellen können und er vielleicht im Zweifel sogar Antworten hat. 

Das können wir dann erleben, nächste Woche in Stadtallendorf: Frank-Walter Steinmeier. Genau zwei Jahre noch wird Frank-Walter Steinmeier unser Staatsoberhaupt sein, dann hat er seine zweite Amtszeit erfüllt. Das ist ja schon noch mal eine Zeit, die absehbar ist, aber wo man einiges auch noch anstoßen kann. Also was steht bei Ihnen denn so auf Ihrer To-Do-Liste? Was wollen Sie in Ihrer Amtszeit noch machen?  

Also es sind drei Dinge, um die ich mich im Augenblick aktuell kümmere und die nicht morgen oder übermorgen vorbei sein werden. Sie nehmen zur Kenntnis, ich habe mich intensiv bemüht, das Thema "Aufarbeitung der Corona-Zeit“ nochmal ins Visier zu nehmen. Ehrlich gesagt nicht, weil ich Großes vorzuwerfen hätte. Zweitens auch, weil ich überhaupt nicht empfehlen kann, jetzt nach Sündenböcken oder Schuldigen zu suchen, sondern weil es uns doppelt helfen könnte. Weil erstens die Demokratie zeigen könnte, wir sind in Deutschland besser durch die Pandemie gekommen als andere. Und zweitens, da wo wir besser werden könnten, können wir ja auch lernen. Und beide Dinge sind so wichtig, dass ich eigentlich dem neuen Bundestag nur empfehlen kann, sich der Aufarbeitung tatsächlich zu widmen. Das Zweite ist das Thema "Handlungsfähigkeit des Staates“. Ich glaube, da gibt es eine Riesenerwartung, dass sich bei der langen, langen Diskussion, die wir über Entbürokratisierung haben, endlich etwas verändert. Und es geht natürlich nicht nur im engeren Sinne um Entbürokratisierung – kürzere und verständlichere Formulare etwa –, sondern es geht natürlich auch darum, dass wir unsere Verwaltung stärker digitalisieren, um mehr Menschen zur Verfügung zu haben, die auch tatsächlich für Beratungsaufgaben zur Verfügung stehen.

Da haben Sie ja die Schirmherrschaft übernommen für eine Gruppe, die das durchdenkt. Aber das sind auch so Dinge, die wir schon seit Jahren hören. Und man fragt sich, warum ist dieses Land so schwerfällig eigentlich? Natürlich ist niemand für Bürokratie in Deutschland.  

Niemand ist für Bürokratie, aber sie wächst relativ selbstständig ... 

Warum ist das so bei uns?  

… und ab und zu muss man halt darüber nachdenken, wo man Schnitte machen kann. Ich sage ja immer, lasst uns zurückdenken an die Krisen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten überwunden haben. Lasst uns nicht lamentieren über das, was ist, sondern lasst uns daran erinnern, dass wir unsere Kraft zu Reformen auch immer wieder gefunden haben. Deshalb: Nicht durch Kleinmut und Hader und Selbstzweifel gewinnen wir die Zukunft, sondern indem wir uns auf unsere Stärken besinnen und nach vorne schauen. 

Von den Bundespräsidenten bleibt oft so eine Kernbotschaft übrig, also Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, Der Islam gehört zu Deutschland: Was würden Sie sich wünschen? Welcher Satz sollte von Ihrer Präsidentschaft bleiben?  

Ich habe ja vorhin auf meine etwas längere Biographie verwiesen und habe gelernt: Die Deutschen mögen Ruck-Reden, aber sie mögen den Ruck nicht. 

Ja, genau.  

Das habe ich dann bitter erfahren müssen nach der sogenannten Agenda 2010. Deshalb würde ich mir wünschen, dass nicht ein Satz in Erinnerung bleibt, sondern dass die Ernsthaftigkeit meines Engagements um die Demokratie in diesem Lande erhalten bleibt und dass ich dieses auf vielfältige Art und Weise unterlege. 

Die Bundesversammlung wird in zwei Jahren Ihren Nachfolger wählen. Bis dahin ist noch Zeit. Natürlich werden Sie keinen Vorschlag machen, aber wäre es nicht langsam Zeit mal für eine Frau in diesem Amt?  

Ja, ich wollte Sie gerade schon korrigieren, als Sie Nachfolger gesagt haben. Ich glaube, wir müssen davon ausgehen, dass es den starken Wunsch nach einer Nachfolgerin geben wird. Aber Sie haben recht, ich werde dazu keine Empfehlungen machen. Das wird die nächste Bundesversammlung sein. 

Aber vielleicht können wir, zum Schluss sozusagen, noch die Stellenausschreibung für Ihren Job formulieren. Also was sollte da drinstehen? BundespräsidentIn, männlich, weiblich, divers, sollte mitbringen …  

… nicht nur Lebenserfahrung, sondern – nach meiner Auffassung – auch ein bisschen politische Erfahrung und Neugier auf das, was sich um unser Land herum tut. 

Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Gespräch, vielen Dank für den Besuch im hr1-Talk. Am Schluss ist es bei uns üblich, dass der Gast eine Klitzekleinigkeit auswendig aufsagt.  

Ein Grundsatz, den ich jungen Menschen, auch Besuchergruppen immer wieder sage, die mich dann fragen Herr Steinmeier, Sie sind Bundespräsident geworden. Sie haben dies oder das vorher gemacht. Wie plant man eine solche Karriere? Und meine Antwort ist immer, indem man sie nicht plant. Denn das Leben ist am Ende das, was sich ungeplant ereignet. 

Ein schöner Satz zum Schluss dieses Gesprächs. Damit gehen wir in den Sonntag. Vielen Dank für das Gespräch! Sie können es wie gesagt nachhören, auch im Internet auf hr1.de. Mein Name ist Uwe Berndt. Wir beide wünschen einen schönen Sonntag. Tschüss.  

Danke.

Die Fragen stellte: Uwe Berndt