Mit welcher Botschaft besuchen Sie Griechenland?
Zuerst einmal: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Nationalfeiertag, den Sie am Montag begehen. Ich freue mich sehr, dass ich am Tag darauf zu Ihnen nach Griechenland kommen werde. Es wird mein vierter Besuch als Bundespräsident sein. Ich möchte die vielfältigen Beziehungen unserer Länder würdigen, vom historischen Gedenken über politische Herausforderungen wie Migration und Nachhaltigkeit bis zur Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.
Die Schuldenkrise im vergangenen Jahrzehnt hat die bilateralen deutsch-griechischen Beziehungen sehr stark belastet. Wie beurteilen Sie den heutigen Zustand der Beziehungen beider Länder?
Ja, ich habe die schwierigen Jahre in den deutsch-griechischen Beziehungen in deutlicher Erinnerung. Ebenso wie die freundschaftlich vertrauensvollen Kontakte, die trotz alledem immer zwischen den Repräsentanten auf der deutschen wie auf der griechischen Seite bestanden und funktionierten. Ich bin sehr froh, das gilt für Griechenland, für unsere bilateralen Beziehungen wie für Europa, dass Ihr Land den Weg aus der Krise geschafft hat. Die außerordentlichen Kraftanstrengungen, die vielen von Ihnen auch schmerzhafte persönliche Einschnitte abverlangt haben, verdienen größten Respekt.
Heute zeigt sich, die Wirtschaft wächst, und ich hoffe sehr, dass das Wachstum immer mehr auch in der Breite der Bevölkerung ankommt. Ich bin dankbar, dass unsere beiden Länder heute in vertrauensvoller Partnerschaft miteinander verbunden sind. Die Kooperation im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich ist breitgefächert und steht auf soliden Beinen. Wir sind enge Verbündete in der EU und in der NATO, wir stellen uns gemeinsam den Bedrohungen für Frieden und Stabilität und suchen gemeinsam nach Antworten auf den Klimawandel.
Sie haben Projekte wie das Deutsch-Griechische Jugendwerk sehr stark unterstützt. Eine andere Form der Zusammenarbeit, die Deutsch-Griechische Versammlung, ist aber vor Kurzem auf Eis gelegt. Ist es ein Beleg für ein nachlassendes Interesse für die Vertiefung der Beziehungen?
Ich erinnere mich gut, als wir 2018 den Beschluss für die Gründung des Deutsch-Griechischen Jugendwerks gefasst haben. Bis heute haben mehr als 10.000 junge Menschen an Austauschprogrammen teilgenommen. Erfreulich ist auch, dass immer mehr Kommunen sich miteinander vernetzen. Thessaloniki hat gleich zwei deutsche Partnerstädte, Köln und Leipzig – und auch viele kleinere deutsche Städte haben Partner in Griechenland. Viele tausende Menschen unserer beiden Länder haben im jeweils anderen Land ihre Heimat gefunden. Auch das Goethe-Institut in Athen und Thessaloniki ist ein wichtiger "Brückenbauer" für die Verständigung zwischen den Menschen in unseren beiden Ländern. Ich freue mich auch, dass deutsche Unternehmen zu den größten Investoren in Griechenland zählen.
Die Beteiligung von weit über hundert deutschen Unternehmen am deutschen Partnerlandauftritt bei der Thessaloniki International Fair im September hat deutlich gezeigt, dass Griechenland als einer der aktuell dynamischsten EU-Märkte hochattraktiv ist und welches Potenzial im Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit steckt. Besonders weit zurück reicht unsere archäologische Kooperation. Deshalb freue ich mich ganz besonders, an der Festveranstaltung zum 150-jährigen Bestehen des Deutschen Archäologischen Instituts Athen während meines Besuchs teilhaben zu können.
Sie haben sich vor einem Monat für eine Begrenzung der Migration nach Deutschland ausgesprochen. Griechenland seinerseits ist als Land mit EU-Außengrenzen besonders vom Migrationsdruck belastet und reagierte scharf auf die Grenzkontrollmaßnahmen Deutschlands. Wird die Migrationsfrage die Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland belasten?
Der Umgang mit Migration ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Ich möchte bei meinem Besuch die Bemühungen der griechischen Regierung, aber auch das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger würdigen, die hier mithelfen. Für uns Europäer ist es entscheidend, dass wir gemeinsam zu tragfähigen Lösungen kommen und die Lasten innerhalb der EU gerecht verteilen. Ich setze große Hoffnung in das Gemeinsame Europäische Asylsystem. Mein Land arbeitet daran, die Beschlüsse schnellstmöglich umzusetzen. Mein Land steht zu seiner europapolitischen Verantwortung. Es wird keine Alleingänge geben, sondern ein mit unseren EU-Partnern eng abgestimmtes Vorgehen.
Die hohen Seeankunftszahlen, insbesondere in der Ägäis, stellen eine sehr ernst zu nehmende Belastung für Griechenland dar, und Deutschland weiß das griechische Engagement, das letztendlich auch im Namen der EU geleistet wird, sehr zu schätzen. Ich bin überzeugt, dass wir uns in der Migrationsfrage nicht auseinanderdividieren lassen dürfen.
Sie werden in Griechenland auch mit dem Thema der Forderungen nach Kriegsentschädigung und Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Mit welcher Geste werden Sie dem begegnen?
Als deutscher Bundespräsident bekenne ich mich zu unserer politisch-moralischen Verantwortung für die Gräueltaten der Deutschen in Griechenland. Das nationalsozialistische Deutschland hat furchtbare Verbrechen an Frauen, Kindern, Männern verübt. Dieses furchtbare und schmerzhafte Kapitel müssen wir in unserer Geschichte lebendig halten. Ich bin dankbar, dass wir innerhalb des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds dafür zahlreiche Projekte entwickeln konnten. Mein Besuch in Griechenland beginnt in Thessaloniki. Dort werde ich an einer Zeremonie teilnehmen, die den Baubeginn des künftigen Holocaust-Museums Griechenlands markiert. Es ist mir wichtig, meinen Besuch an dem Ort, dem alten Bahnhof, zu beginnen, von dem aus fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt in die Vernichtungslager deportiert wurde. Wir wollen, dass hier ein Ort der Erinnerung, aber auch der Aufklärung und Warnung vor menschenfeindlichen Bewegungen unserer Zeit entsteht. Ich werde auch Kreta besuchen. Vor der Schönheit dieses beliebten Reiseziels gerät das dunkle Kapitel der deutsch-griechischen Geschichte sowohl auf Kreta als auch in vielen anderen Teilen des Landes allzu leicht in Vergessenheit, gerade bei uns Deutschen. Umso wichtiger ist es, beständig daran zu erinnern und die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit zu stärken.
Auf Kreta werde ich mit Bewohnern von Kandanos zusammentreffen, das 1941 von der Wehrmacht in einem kriegsverbrecherischen Akt, für das der verantwortliche Befehlshaber vor Gericht nie verurteilt wurde, vollständig zerstört wurde. Ich wünsche mir, dass wir weiter zusammen an unserer Erinnerungskultur arbeiten, im gemeinsamen europäischen Geist. Die Frage der Reparationen ist für unser Land völkerrechtlich abgeschlossen, die Frage unserer Geschichte dagegen wird es niemals sein.
Vor Ihrer Reise nach Griechenland haben Sie die Türkei und davor Zypern besucht. Wie schätzen Sie die Chancen ein, die Entspannung in der Region zu stabilisieren und eine Lösung des Zypernproblems herbeizuführen, und wie behilflich kann Deutschland dabei sein?
In diesem Sommer jährte sich die De-facto-Teilung der Insel Zypern zum fünfzigsten Mal, ein trauriges Jubiläum. Ich habe daher auf meinen Reisen in diesem Jahr alle Seiten dazu aufgefordert, mit neuem Mut konstruktive Initiativen zu ergreifen und den Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen. Den Vereinten Nationen kommt nach wie vor die zentrale Rolle bei der Lösung der Zypernfrage zu. Ich habe daher auch Deutschlands Unterstützung für die Arbeit der Vereinten Nationen unterstrichen, diese zeigt sich auch in der Entsendung deutscher Polizisten zu UN-Friedensmission auf Zypern. Gerade in diesen Zeiten ist Stabilität im östlichen Mittelmeer besonders wichtig.
Die Fragen stellte: Georgios Pappas