Das Interview der Woche mit Evi Seibert. Wir sind unterwegs mit dem Bundespräsidenten. Guten Tag, Herr Bundespräsident.
Guten Tag, Frau Seibert, hier in Bangkok.
Genau – wir sind auf der Reise in Thailand und in Vietnam, und deutscher Zeit ist es jetzt halb drei Uhr nachts. Herzlichen Dank fürs Aufstehen.
Dankeschön, ich bin ausgeschlafen. Sie auch, wie ich sehe.
Das wollte ich nur von Ihnen wissen: Wie ist das, wenn Sie unterwegs sind, mit dieser Zeitumstellung – kommen Sie damit gut klar?
Na, es war leichter in der Zeit als Außenminister, weil ich schlicht und einfach mehr gereist bin, über die Zeitzonen hinweg – da gewöhnt man sich ein bisschen dran, oder sagen wir besser, Jetlags gewöhnt man sich ab. Seitdem ich seltener reise, fällt es mir auch manchmal schwer, in den Schlaf zu kommen oder schlafe kürzer, aber inzwischen und hier während der Asienreise geht es ganz gut.
Auf diesen Reisen treffen Sie, und diesmal auch, natürlich viele wirtschaftliche und politische Gesprächspartner; darüber sprechen wir gleich. Sie sehen aber auch Paläste von innen. Sie haben zum Beispiel den japanischen Kaiser mal getroffen. Hier haben Sie den thailändischen König getroffen. Den kennen wir auch in Deutschland, der macht auch in Deutschland Schlagzeilen. Worüber haben Sie denn mit dem gesprochen?
Ja, das Königspaar ist Deutschland sehr zugetan, und zwar beide. Von dem König wissen wir, dass er häufige Urlaubsaufenthalte und auch längere Aufenthalte in Deutschland hinter sich hat, unser Land liebt. Und was für mich neu war: Auch die Königin hat eine enge Beziehung zu Deutschland. Sie hat ihren Pilotenschein in Braunschweig gemacht und kommt regelmäßig nach Deutschland, um ihn zu verlängern. Und insofern hat sie auch eine Neigung, unser Land nicht nur zu schätzen, sondern immer wieder zu besuchen. Und ich gehe davon aus, wenn die innenpolitischen Kalamitäten, die dieses Land, die Thailand durchgemacht hat, hinter uns liegen, werden der König und seine Frau Deutschland auch wieder besuchen.
Wenn Sie mit Ministerpräsidenten sprechen, das haben Sie auch hier getan in Thailand, dann sprechen Sie natürlich auch die Menschenrechte an. Wie ist das mit dem König? Denn in Thailand kommen ja immer noch Menschen ins Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung – ist das möglich bei so einem König darüber auch zu sprechen?
Ja, wir befinden uns hier in Thailand in einer wirklich ermutigenden Übergangsphase. Das war deutlich zu spüren. Und vor allen Dingen habe ich mich gefreut darüber, dass unmittelbar einen Tag vor unserer Ankunft der Mehrheitsführer im Parlament, Herr Pita, von dem Gericht freigesprochen wurde. Und das zeigt, glaube ich, eine Botschaft, die von Thailand ausgeht, dass man sich stärker wieder der Welt der Demokratie öffnet und man hier nach einem Übergang sucht, der sozusagen die alten Eliten versöhnt mit den neuen aufstrebenden, demokratischen Parteien, vor allen Dingen der jüngeren Generation. Und das war auch im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten erkennbar: Sehr ausdrücklich hat er sich ausgesprochen für die Wahrung der Menschenrechte.
Aber ich hatte ja nach dem König gefragt, also, kann man mit dem König auch so darüber sprechen, oder bleibt es dann dabei, dass man unpolitisch und über andere Dinge spricht?
Überhaupt nicht. Ich habe meiner Freude darüber Ausdruck gegeben, dass der Mehrheitsführer der Partei, die jetzt in der Opposition im Parlament ist, freigesprochen worden ist von den Gerichten. Das hat der König zur Kenntnis genommen. Auch meinen Hinweis darauf, dass von diesem Urteil eine gute Botschaft für Thailand in die Welt geht.
Eigentlich sind Sie hier in dieser Region ja schon Dauergast. In den Nachbarstaaten haben Sie in den letzten Jahren jede Menge Besuche auch abgestattet, um Deutschlands Beziehungen zu den Partnerländern Chinas zu intensivieren. Hat sich da was getan während dieser Zeit, während dieser Besuche? Wie wird das wahrgenommen? Kommt das gut in der Region an, dass wir hier uns tatsächlich bemühen, Partnerschaften zu intensivieren oder sie auch neu aufzubauen?
Ich fand immer, dass wir in Deutschland diese Region völlig unterschätzt haben. Wenn ich zurückdenke an meinen ersten Vietnambesuch vor vielen, vielen Jahren, da waren die Straßen in Ho-Chi-Minh-Stadt, in Saigon, auch schon verstopft, aber sie waren verstopft von Fahrrädern. Beim zweiten Besuch waren immer noch Fahrräder da, aber vor allen Dingen durch Mopeds und Roller ersetzt. Wenn Sie heute in Ho-Chi-Minh-Stadt sind, sind die Staus nicht mehr wegen Fahrrädern und Rollern dort, sondern wegen der Autos, die auf den Straßen unterwegs sind. Also, schon das ist ein äußerer Eindruck, der darauf hinweist, was diese Region geschafft hat. Und dasselbe könnte man für Thailand sagen. Also: aufstrebende Wirtschaften, um die wir uns zu kümmern haben. Und man darf ja nicht ganz vergessen: Das ist für die Staaten hier in der Region, in Südostasien mit einem so großen Nachbarn wie China keine einfache Situation gegen die Machtansprüche, die China ganz ohne Zweifel hat. Und bisher haben sie es ganz gut hingekriegt, ihre eigene Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit dabei zu bewahren.
Ein Punkt auf Ihrer Vietnamreise waren Gespräche, eben auch mit Vietnamesen, die gerne zu uns als Fachkräfte kommen wollen. Wir brauchen auch dringend solche Fachkräfte bei uns. Sie machen da sehr viele Kurse, sie bereiten sich ganz akribisch vor. Gegenfrage: Bräuchten wir Deutschen eventuell auch Kurse, zum Beispiel in Sachen Willkommenskultur? Denn einige von denen haben hinterher auch erzählt, dass sie schon in Deutschland waren und es trotzdem nicht sehr einfach ist, in Deutschland anzukommen. Und wenn man sich Studien anguckt, Umfragen unter Fachkräften, dann ist Deutschland da nicht beliebt. Wir rangieren da auf den hinteren Plätzen. Was können wir tun, damit wir beliebter werden, auch zum Beispiel für Vietnamesen, zu uns zu kommen?
Wir sollten nicht unterschätzen, dass die Debatten, die in Deutschland geführt werden, auch hier ankommen. Wir kriegen ja nicht nur manche kritische Nachfragen aus dem europäischen Ausland über das, was sich in Umfragen niederschlägt, was die Radikalisierung der politischen Verhältnisse in Deutschland angeht. Sondern auch hier schaut man ja sehr sorgfältig darauf, ob Fachkräfte, die zuwandern, auch willkommen sind. Ich habe aber den Eindruck, dass das Vertrauen in Deutschland nach wie vor sehr groß ist, dass die Glaubwürdigkeit deutscher Politik – gerade auch durch unsere verstärkte Zuwendung gegenüber diesem südostasiatischen Raum – die Glaubwürdigkeit nach wie vor sehr hoch ist. Insofern glaube ich nicht, dass das ein einschränkender Faktor sein wird. Sondern es wird eher darum gehen, politisch zu werben um diese Länder; gleichzeitig Vorsorge dafür zu treffen, dass die Menschen, die zu uns kommen, nicht unvorbereitet kommen; und wir müssen uns selbst in die Pflicht nehmen und Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen. Will sagen: Wenn wir Arbeitskräfte einladen nach Deutschland zu kommen, dann muss auch gewährleistet sein, dass sie in Deutschland betreut werden, dass ihnen Hilfen gegeben werden, in der deutschen Gesellschaft anzukommen.
Ein gutes Zeichen dafür wären ja die vielen Demonstrationen, die bei uns zurzeit auf den Straßen ablaufen. Auch diese Woche, in der Sie unterwegs sind, gingen diese Demonstration für Demokratie weiter, in den kleinen Städten diesmal vor allen Dingen. Das haben Sie sicherlich auch beobachtet. Glauben Sie, dass das eine neue, dauerhafte Bewegung wird? Weil, viele fragen sich jetzt ja: Wie geht es jetzt weiter? Das ist jetzt der Punkt.
Und die Frage ist richtig gestellt. Weil, ich freue mich darüber und bin dankbar, dass die demokratische Mitte unserer Gesellschaft aufgewacht ist, sich öffentlich äußert, deutlich macht, dass nicht die lautstarken Verächter von der Demokratie in der Mehrheit sind, sondern die meisten Menschen in unserem Lande in Demokratie, in Freiheit, in Rechtsstaat weiterhin leben wollen und bereit sind, auch dafür öffentlich einzutreten. Das ist gut. Und es ist auch gut, dass nicht nur Demonstrationen am Brandenburger Tor stattfinden, sondern am ersten Wochenende in allen deutschen Großstädten und mittlerweile auch in kleineren und mittleren Städten. Das, glaube ich, zeigt sehr viel und darf die Demokraten in diesem Lande sehr selbstbewusst machen und, ich finde, sogar auch ein bisschen stolz machen – dass das gelungen ist, nachdem wir uns über Monate, wenn nicht Jahre eher damit beschäftigt haben, ob wir uns eigentlich noch halten können gegen diesen scheinbar unaufhaltsamen Trend hin zu extremistischen und radikalen Parteien. Das Gegenteil ist offensichtlich der Fall. Die Mehrheit der Gesellschaft steht woanders, und dass sie sich zeigt, das ist gut. Aber: So gut das mit den Demonstrationen ist, ist die andere Wahrheit, über die wir miteinander reden müssen, natürlich, dass Demonstration auch nicht Politik und Engagement ersetzen können. Will sagen: Demokratie ist nie vom Himmel gefallen; sie ist nie auf Ewigkeit garantiert; sie lebt am Ende vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger, und das auf allen Ebenen. Und deshalb plädiere ich dafür, dass diejenigen, die unzufrieden sind, nicht nur den Fernseher abschalten, Abstand zur Politik suchen, sondern sich tatsächlich auch überlegen: Wo kann ich meinen eigenen Beitrag leisten, um in dieser Gesellschaft das zu verbessern, was noch nicht gut ist. Die Möglichkeiten dazu sind, glaube ich, in keinem Land so groß wie in diesem. Das beginnt ja auch nicht erst in der Landespolitik und in der Bundespolitik, im Gegenteil. Gerade auf der kommunalen Ebene, in den Städten, auch in den kleineren Gemeinden werden wieder händeringend Leute gesucht, die Verantwortung übernehmen. Und deshalb würde mich freuen, wenn die Bereitschaft dazu, auch auf der unteren örtlichen Ebene sich wieder stärker zu engagieren, nicht nur in der Sofaecke zu sitzen und zu schimpfen, sondern tatsächlich etwas zu tun, wenn die Bereitschaft dazu wieder größer werden könnte. Das setzt allerdings auch voraus, dass wir mit denen, die in die Verantwortung gehen, noch anders umgehen. Ich habe es so oft bei Treffen mit Bürgermeistern und Gemeindevertretern gehört und erlebt, dass sie sagen: Es fällt einem ja nicht leicht mit Blick auf die eigene Familie, die häufigen Abwesenheitszeiten, wegen Gemeinderatssitzungen, Ausschusssitzungen die eigene Familie zu vernachlässigen. Aber wenn ich das tue und dafür dann auch auf der örtlichen Ebene noch jeden Tag beschimpft werde, dann fällt dieses Engagement noch schwerer. Wir sollten umgekehrt herangehen und es den Menschen einfacher machen, in die Verantwortung zu gehen und das Engagement tatsächlich auch zu zeigen. Ich bin jedenfalls dankbar und nutze jede Möglichkeit, um denen den Rücken zu stärken, die sich für andere in dieser Gesellschaft engagieren.
Eine Frage hätte ich noch zum Hintergrund: Worauf führen Sie denn diese große Unzufriedenheit zurück? Wir sind jetzt hier ja in Ländern, in denen die Leute weniger Geld haben, weniger Rechte haben, denen es insgesamt vielleicht nicht so gut geht. Wir zu Hause, uns geht's eigentlich relativ gut – und sind trotzdem unglaublich unzufrieden. Worauf führen Sie das zurück? Geht's uns zu gut?
Es geht uns nicht zu gut, aber wir haben natürlich jetzt eine Phase von fast zwanzig Jahren hinter uns, in denen es wirtschaftlich immer nur aufwärts ging. Und die Vorstellung davon, dass eine solche Entwicklung auch mal einen Knick bekommen könnte, war in Teilen der Gesellschaft nicht oder nicht mehr vorhanden. Das Entscheidende, glaube ich, aber ist, dass parallel zu dieser Entwicklung wir tatsächlich eine Abfolge von Krisen hinter uns haben, die bei großen Teilen der Bevölkerung den Eindruck hinterlassen hat: Wir kommen da nicht mehr raus. Wenn ich zurückdenke an die Zeit, in der ich aktiv bin in der Politik, dann war es die große Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009; es war die Eurokrise der Jahre 2010/2011 und folgende; wir haben hart diskutiert über Migrationszuwanderung 2016; wir haben wirtschaftliche Eintrübungen nach der Pandemie gehabt; dann kamen Ukrainekrieg, jetzt Nahostkrieg. Ich zähle es nur auf, um zu sagen: Das ist natürlich auch eine Sondersituation, bei der viele den Eindruck haben können, da gerät uns etwas außer Kontrolle, oder ist jedenfalls Ursache für dauerhafte Verunsicherung da. Und deshalb sage ich, das ist eine Gesellschaft unter Dauerstress, bei der mich im Grunde genommen kaum überrascht, dass das auch Unsicherheit und Unzufriedenheit hinterlässt.
Aber das bedeutet doch nicht, dass man sich im Ton so vergreift. Weil, wir haben ja auch die Kontrolle über den Ton verloren. Es ist ja wirklich aggressiv und Wut, was da zustande kommt. Das muss ja nicht unbedingt sein.
Schön, dass Sie das sagen. Weil, daran haben natürlich Medien und soziale Medien insbesondere auch einen Anteil. Wenn ich zu gute Laune habe und das ändern will, dann schaue ich in die Kommentare meiner sozialen Medien, und es ändert sich sofort. Es gibt ja kaum noch irgendwo den Versuch, in den Kommentarspalten der sozialen Medien zu einer vernünftigen Debatte zu kommen, sondern das ist ja nur noch Abrechnung und Verunglimpfung, was ich dort lese. Deshalb schütze ich mich selbst davor und gucke da auch nur noch höchst selten rein. Wir müssen uns wirklich bemühen, dass wir die politische Debatte über das, was ansteht in diesem Lande, auch über das, was nicht gut ist in diesem Land, dass wir das wieder in einem anderen Ton und mit dem Respekt davor, dass es zu einem Ziel unterschiedliche Wege geben kann, dass wir zu dieser Art der Auseinandersetzung wieder zurückkommen. Und sie auch abbilden in den Medien, die sich den Qualitätsmedien zurechnen.
Ein positives Zeichen dafür sind ja vielleicht auch die Demonstrationen gerade, denn da ist ja tatsächlich ein anderer Ton. Da ist sehr viel mehr Humor, sehr viel Kreativität und keine Galgen mehr. Ist das so für Sie ein ermutigendes Zeichen?
Eindeutig ja. Deshalb habe ich vorhin auch gesagt: Ich bin froh darüber, was sich auf den Straßen zuletzt gezeigt hat, bin dankbar dafür, dass die Debatte nicht einfach in eine falsche Richtung weiterläuft, sondern dass es ein wirkliches Gegengewicht gibt. Und die Botschaft von diesen Demonstrationen, den öffentlichen Debatten, die sie mittlerweile ausgelöst haben, ist ja die, dass eine Grenze gezogen wird. Eine Grenze jenseits derer sozusagen der antidemokratische Abgrund besteht; diesseits nicht das Paradies, aber immerhin die Offenheit, in der wir die Zukunft miteinander gestalten können. Und das kann ja Mut machen, das kann Zuversicht machen. Und wenn wir auf die eigene Vergangenheit zurückblicken, dann haben wir, ja, viele Krisen in der Vergangenheit gehabt, aber wir haben sie im Umgang miteinander mit Anstand und wirtschaftlich am Ende auch mit Erfolg überstanden, haben uns da herausgearbeitet. Deshalb: Der Blick auf die Vergangenheit und das Bestehen von Herausforderungen auf der einen Seite und eine neue selbstbewusste, demokratische Mitte, Jung und Alt, Stadt und Land in diesem Land, das gibt mir jedenfalls Zuversicht.
Wir bekommen diese Woche auch neue Parteien. Jetzt am Wochenende ist der Gründungsparteitag der neuen Partei von Sahra Wagenknecht, auf dem rechten Rand formiert sich eine neue Partei rund um den früheren Verfassungschef Maaßen. Wie sehen Sie das, was hat das für Auswirkungen für unsere Demokratie? Zerfasern da noch mehr Stimmen an den Rändern, oder aber stärkt das die Mitte?
Es zeigt jedenfalls den Ehrgeiz vieler, die bestehende Unzufriedenheit in dieser Gesellschaft abzugreifen und in parteipolitische Vorteile umzumünzen. Ob das der Demokratie nützt, weiß ich nicht, das wird auch abzuwarten sein. Mehr Parteien bedeuten nicht automatisch mehr Demokratie, sondern es hängt eher davon ab, wie sich die Parteien und ihre Repräsentanten in der Öffentlichkeit und in den politischen Debatten dieser Gesellschaft verhalten.
Jetzt kommen die ganz großen Herausforderungen auf internationaler Ebene eventuell auf uns zu. Diese Woche hat Donald Trump auch New Hampshire gewonnen, das heißt, höchstwahrscheinlich wird er der Kandidat der Republikaner. Welche Sorgen haben Sie vor einer zweiten Amtszeit von Donald Trump auch für uns in Deutschland?
Ich glaube, wir müssen mit dieser Debatte auch anders und mit mehr Rücksicht auf die amerikanischen Verhältnisse umgehen. Ich glaube, wir dürfen sagen, dass wir in Joe Biden einen wirklichen Freund haben. Nicht nur jemand, der die transatlantische Zusammenarbeit fördert, sondern der sich auch Deutschland sehr zugetan fühlt, der mit dem deutschen Bundeskanzler regelmäßig im Austausch ist. Ich kann diesen Eindruck der Freundschaft nur bestätigen nach dem letzten Gespräch, das ich am 6. Oktober mit ihm im Weißen Haus hatte: Er ist ein wirklicher Freund. Und manchmal denke ich mir bei den innerdeutschen Debatten, was wird ein Freund auf der amerikanischen Seite von uns halten, wenn wir ihn in unseren öffentlichen Debatten immer schon zu Geschichte erklären. Die amerikanische Wahl ist offen, die Republikaner mühen sich ab, einen geeigneten Kandidaten zu finden; sollte es Trump am Ende sein und werden, dann wird es einen Wahlkampf geben. Wie der ausgeht, das werden die amerikanischen Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Aber wir sollten die öffentlichen Debatten in Deutschland nicht so führen, dass Biden sozusagen auf aussichtsloser Position kämpft. Das sehe ich nicht so, und wir sollten die Debatten nicht so führen. Das heißt nicht, die Augen davor zu verschließen, dass sich die amerikanischen Wähler auch für Trump entscheiden können. Und selbstverständlich wird in den Ministerien darüber nachgedacht, was das für Deutschland bedeuten könnte. Und ich gebe denjenigen recht, die sagen, dass eine zweite Amtszeit Trump dieses Amerika wesentlich tiefer und anders prägen wird als die ersten vier Jahre, die wir ihn auf der anderen Seite des Atlantiks erlebt haben. Das hat sicherheitspolitische Folgen, etwa wenn die Vereinigten Staaten sich nicht mehr in demselben Maße für die NATO engagieren oder sich sogar stärker zurückziehen, als das in der ersten Amtszeit von Trump der Fall war.
Und, völlig klar, weiß ja jeder: Das wird dann vermehrte Anstrengung natürlich von den europäischen Partnern bedeuten. Aber machen wir uns nichts vor: Wer immer amerikanischer Präsident sein wird in Zukunft, das gilt für diese Wahl und erst recht für die Wahlen der nächsten Jahre, der wird Wert darauf legen, dass Amerika sich auf die Konflikte in der Zukunft vorbereitet. Und die liegen vielleicht für Amerika nicht mehr in Europa, auch nicht mehr in der Auseinandersetzung mit Russland, sondern eher im transpazifischen Raum. Insofern, glaube ich, können wir jetzt ganz unabhängig von der Wahl, die im November in den USA stattfindet, feststellen, dass jedenfalls größere Verantwortung auf die Europäer bei der Organisation der eigenen Sicherheit zukommt.
Ja, Verteidigungsminister Pistorius hat ja schon signalisiert, dass wir dann tatsächlich sehr schnell in der Lage sein sollten, unsere Aufgabe alleine zu übernehmen. Vielleicht auch stärker an der Seite der Franzosen. Präsident Macron war ja vor Kurzem eben erst bei Ihnen zu Besuch. Haben Sie das Gefühl, dass unsere Freundschaft – Freundschaft ist ja immer so eine Sache zwischen Ländern, aber: dass unsere Partnerschaft stark genug ist, um das zu schultern, wenn wir im Spätherbst plötzlich Europa alleine stemmen müssten?
Auch da sollten wir uns nichts vormachen. Wir werden als Europäer ohne die Amerikaner nicht schnell in der Lage sein, unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten. Deshalb muss unsere Anstrengung darauf gerichtet sein, die Amerikaner möglichst lange in der Verantwortung zu halten. Aber je nachdem, wie sich diese Wahl entscheidet, wird der Druck auf die Europäer schneller oder langsamer kommen. Er wird jedenfalls da sein. Insofern, glaube ich, sind wir gut beraten, uns vorzubereiten. In der deutschen Bundesregierung und dem Verteidigungsministerium finden solche Vorbereitungen statt. Sie haben natürlich auch immer finanzielle und finanzpolitische Folgen, wie wir jetzt schon spüren. Und es wird vor allen Dingen darum gehen, die Gesellschaft darauf vorzubereiten, Mehrheiten dafür zu gewinnen, dass für diese vermehrten Anstrengungen für die eigene Sicherheit auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Das ist eine Aufgabe, die war in der Vergangenheit nie einfach, und wenn die Anstrengung größer werden in Zukunft, wird auch diese Überzeugungsarbeit schwerer fallen. Der müssen wir uns stellen in einer Demokratie, und ich habe den Eindruck, die Politik wird es tun.
Sie haben sich mit dem französischen Präsidenten getroffen, auch um zu vereinbaren, dass er bald seinen Staatsbesuch bei Ihnen nachholt. Haben Sie denn schon einen Plan? Reisen Sie wieder mit ihm gemeinsam durch Deutschland?
Wir werden sicherlich gemeinsam in Deutschland unterwegs sein. Der französische Präsident hat den Wunsch geäußert, dass er tatsächlich auch einen Eindruck von Ostdeutschland gewinnen will. Und deshalb kann ich jetzt schon sagen: Ich freue mich auf diesen Besuch. Er wird unmittelbar vor der Europawahl stattfinden, und wir werden beide gemeinsam in Deutschland unterwegs sein.
Auf dieser Reise [Anm.: Staatsbesuch in Vietnam, offizieller Besuch in Thailand] ist Ihre Frau wieder mit dabei. Sie hat ein Programm, bei dem sie sehr viel auch mit den Leuten hier direkt zu tun hat. Beneiden Sie sie manchmal? Würden Sie manchmal auch gern ihr Programm mitnehmen?
Manchmal beneide ich sie, ja – andererseits, der Bundespräsident hat die politischen Gespräche zu führen. Und das ist nicht weniger notwendig als der unmittelbare Kontakt mit der Bevölkerung, mit denjenigen, die sich um die sozialen Belange in den Ländern, die wir besuchen, kümmern. Beides gehört zusammen, und deshalb finde ich es wirklich sehr gut und auch eine Bereicherung für solche Reisen, wenn wir beide Aspekte durch gemeinsames Reisen in solchen Besuchen unterbringen.
Eine Frage noch zum ersten Arbeitstag. Da geht es dann direkt wieder weiter: Sie haben dann die Vertreter von Wirtschaft und Industrie bei sich, eben auch zum Thema Demokratie. Was werden Sie mit denen besprechen?
Das ist ein bisschen die Fortsetzung dessen, was wir zur Mitte des Interviews miteinander diskutiert haben. Wir können uns freuen darüber, dass die Demonstrationen derjenigen, die sich eindeutig und vorbehaltlos für Demokratie aussprechen, stattfinden. Aber sie werden am Ende auch in eine Debatte übergehen müssen, die dauerhaftes Engagement zeigt. Und es ist hier der Versuch, im Gespräch mit Vertretern von Wirtschaft und Arbeit – es werden ja nicht nur Unternehmensvertreter und Wirtschaftsverbände dort sein, sondern auch Gewerkschaft und Betriebsräte –, es ist der Versuch, zu zeigen, dass es bei allen Unterschieden, die man im Alltag von Arbeit und Wirtschaft erlebt, ein gemeinsames Interesse von beiden Seiten geben muss, sich für die Demokratie in diesem Lande zu engagieren.
Vielen Dank, Herr Bundespräsident.
Ich danke Ihnen.
Die Fragen stellte: Evi Seibert