Interview mit der Eckernförder Zeitung während der "Ortszeit Eckernförde"

Schwerpunktthema: Interview

16. Juni 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Eckernförder Zeitung während seiner "Ortszeit" ein Interview gegeben, das am 16. Juni erschienen ist. Darin sagt er: "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass politischer Alltag darin besteht, zwischen verschiedenen Interessen einen Ausgleich oder Kompromiss zu organisieren. Die Demokratie ist die einzige Regierungsform, in der Fehler korrigiert werden [...] Diktaturen und autoritären Herrschaftsformen fehlt diese Korrekturfähigkeit."

Bundespräsident Steinmeier im Gespräch mit den Redakteuren der Eckernförder Zeitung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Eckernförder Zeitung am 14. Juni während seiner "Ortszeit Eckernförde" ein Interview gegeben, das am 16. Juni unter der Überschrift Die Sicherheit in der Ostsee muss neu gedacht werden in der gedruckten Ausgabe erschienen ist.


Herr Bundespräsident, Sie sind im ländlichen Ostwestfalen aufgewachsen und sind jetzt zu Gast im ländlichen Schleswig-Holstein. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten haben diese beiden Regionen?

Die Landschaft ist hier oben schon sehr anders. Die Weite, der blaue Himmel, 363 Tage Sonne im Jahr, wie ich heute gehört habe (lacht). Das kann ich für meine alte Heimat, die ich auch sehr liebe, nicht sagen. Aber die Menschen sind sich schon ein bisschen ähnlich. Sie haben etwas Zupackendes, stehen mit beiden Füßen auf dem Boden, können trotz allem die Sterne sehen und sind zuversichtlich.

Das ist jetzt Ihre achte "Ortszeit". Was zieht Sie in kleine und mittlere Städte?

Es ist wichtig, dass wir versuchen, wieder ins Gespräch zu kommen. Und zwar zwischen der Hauptstadt Berlin und den Regionen und kleineren Städten. Wir haben insbesondere ein Stück weit verlernt, miteinander zu reden und zu debattieren. Ganz besonders ist mir das während und nach der Pandemie aufgefallen. In die politischen Debatten kehrte zunehmend eine Rohheit ein. Gleichzeitig fehlte das Verständnis für andere Positionen. Die politische Kommunikation hat gelitten. Wir müssen wieder lernen, wie man demokratisch vernünftig miteinander streitet. So ist die Idee für die "Ortszeiten" entstanden.

Was lernen Sie selbst dabei?

Für mich ist das eine gute Gelegenheit, um der Frage nachzugehen: Stimmen die Themen, die in Berlin diskutiert werden, mit den Themen überein, die in den Regionen, bei den Menschen am Abendbrottisch, diskutiert werden – oder sind das dort möglicherweise ganz andere?

Und was ist Ihre Einschätzung? Welche Themen bewegen die Menschen in Schleswig-Holstein besonders?

Das ist in den verschiedenen Regionen, die ich besucht habe, sehr unterschiedlich. Ich habe Bürger in Eckernförde zu einer Kaffeetafel eingeladen. Da wurde viel darüber geredet, wie weit Schleswig-Holstein beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist. Meine letzte "Ortszeit" führte mich nach Senftenberg in der Lausitz-Region, wo man noch um eine Zukunft nach dem jahrzehntelangen Braunkohleabbau ringt. Das findet alles gleichzeitig statt. Aber in der großen politischen Kommunikation bildet sich diese Gleichzeitigkeit nicht unbedingt ab. Es gibt Themen, die überall am Abendbrottisch eine Rolle spielen, etwa der Krieg Russlands gegen die Ukraine, und es gibt spezifische Themen, die nur in der jeweiligen Region eine Rolle spielen, die für die betroffenen Menschen aber nicht weniger wichtig sind. Das mitzunehmen nach Berlin ist wichtig.

Wenn Sie sagen, dass wir Kommunikation nach Jahren im Krisenmodus neu lernen müssen, schwingt da auch Selbstkritik mit? Sehen Sie Versäumnisse der Politik?

Die Krisen, die zu einem gewissen Erschöpfungszustand in der Gesellschaft geführt haben, sind ja keine erfundenen Krisen. Eurokrise, die Migrationskrise im Jahr 2015, Corona. Und als wir den Eindruck hatten, dass wir die Pandemie überstanden haben, kam der Krieg in der Ukraine. Mir geht es nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern wieder mehr Verständnis dafür zu schaffen, dass wir in einer liberalen und pluralen Demokratie leben, in der unterschiedliche Meinungen nichts Außergewöhnliches sind, sondern der Normalzustand.

Wie kann das gelingen?

Wir müssen uns daran gewöhnen, dass politischer Alltag darin besteht, zwischen verschiedenen Interessen einen Ausgleich oder Kompromiss zu organisieren. Die Demokratie ist die einzige Regierungsform, in der Fehler korrigiert werden, etwa dadurch, dass in den Regierungszentralen der Unmut der Bürger gespürt wird oder dass Wahlen die Verhältnisse verändern. Diktaturen und autoritären Herrschaftsformen fehlt diese Korrekturfähigkeit. Insofern sollten wir uns darüber bewusst sein, dass manches, was so beschwerlich und ärgerlich erscheint, eben auch ein Vorteil ist.

Wie nehmen Sie die Zufriedenheit der Menschen mit der Demokratie wahr?

In der Demokratie werden Entscheidungen getroffen, die möglichst durch eine öffentliche Debatte vorbereitet werden und die den Versuch machen, unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft wieder neue Perspektiven zu bieten. Wir haben die klassischen Konflikte zwischen Umwelt und Wirtschaft, zwischen Kohlendioxid-Einsparung und Instrumenten, die dazu führen, dass wir manche Lebensweisen so nicht fortsetzen können, etwa in der Mobilität. Diese Veränderungsprozesse erzeugen Unmut.

... Unmut, der ganz aktuell vor allem den politischen Rändern hilft...

Richtig. Es gibt Gruppierungen in der Gesellschaft, die das Scheinversprechen abgeben, dass sich eigentlich nichts ändern müsse. Diese unterstellen beispielsweise, dass uns der Krieg in der Ukraine nichts angeht, ebenso wenig wie fliehende Menschen, die über das Mittelmeer zu uns kommen, und dass es den Klimawandel angeblich nicht gibt oder alle Berichte dazu maßlos übertrieben sind. Meine Hoffnung ist, dass sich am Ende diejenigen durchsetzen, die den Menschen nicht vormachen, dass alles so bleiben kann, wie es ist, sondern die die Menschen mitnehmen und die Zukunft der Gesellschaft neu organisieren – von der Mobilität bis zur Energieversorgung.

Aktuell profitiert von dieser Auseinandersetzung die AfD. Ministerpräsident Daniel Günther hat kürzlich gesagt, dass das Erstarken der AfD nicht zuletzt auf das Handeln der etablierten Parteien zurückzuführen ist, auch seiner CDU. Teilen Sie diese Ansicht?

Komplexe gesellschaftliche Veränderungen kann man kaum einem einzigen Schuldigen zuordnen. Ich glaube auch nicht, dass der Ministerpräsident es so gemeint hat. Natürlich kann das Handeln von Parteien damit zu tun haben. Ich gehe aber davon aus, dass es viel gewichtigere Gründe gibt, etwa den Veränderungsdruck, unter dem wir als Gesellschaft stehen.

Bleiben wir doch mal bei der Suche nach Schuldigen: Der erste Entwurf für das neue Gebäudeenergiegesetz hat eine heftige Debatte ausgelöst. Hier sehen wir, wie Bürger reagieren, die sich überfordert und nicht mitgenommen fühlen. Erklären Politiker ihre Politik zu wenig?

Man kann Politik nie genügend erklären. Ganz sicherlich waren nach dem Bekanntwerden des Entwurfs zum Heizungsgesetz viele Fragen offen. Das hat die Bürger verunsichert. Die Debatte darüber hat die Politik veranlasst, neu nachzudenken. Ich kann jetzt einen Tag nach einem politischen Kompromiss noch nicht sagen, ob das zu einer Beruhigung der Gemüter führen wird. Ich hoffe, dass die Diskussion jetzt sachlicher geführt wird.

Muss man aus dieser Debatte nicht auch den Schluss ziehen, mehr mit dem Bürger zu kommunizieren?

Ich will das nicht für andere beantworten. Ich sage für mich, dass ich die Notwendigkeit gesehen habe, häufiger meinen Amtssitz in Berlin zu verlassen, um in die Regionen zu gehen. Was ich bei diesem Bemühen feststelle, ist, dass die Distanz der Bürger zur Politik nicht deprimierend groß ist. Die Bürger nähern sich mindestens interessiert. Und was ich feststelle, ist eigentlich sehr positiv: Sie kommen mit großen Erwartungen an die Politik. Ja, es sind auch Erwartungen an Kommunikation, aber natürlich auch an Inhalte. Und die wichtigste Erwartung ist die: Baut die Brücken in die Zukunft möglichst so, dass viele hinübergehen können.

Würden Sie die von Ihnen vorgelebte "Ortszeit" auch anderen Spitzenpolitikern empfehlen?

Wir brauchen möglichst viele Formate, in denen es zum direkten Gespräch zwischen Politikern und Bürgern kommt. Damit nehmen wir den Verächtern der Demokratie das Argument, dass Bürger nicht gehört werden. Das ist entscheidend wichtig. Wenn ich hiermit ein Beispiel geben kann, dann gern.

Schleswig-Holstein spielt eine wichtige Rolle bei der Großübung "Air Defender". Seit Montag donnern Kampfjets über unsere Köpfe hinweg. Was sagen Sie den Menschen, die mit gemischten Gefühlen auf diese Großübung schauen und sich fragen: Wie gut ist Deutschland militärisch aufgestellt?

Europa war nicht vorbereitet auf einen Krieg. Von vielen Generationen in der Politik wurde daran gearbeitet, den Krieg unwahrscheinlich zu machen und zu verhindern, dass passiert, was jetzt passiert ist. Nach meiner Überzeugung ist es richtig, die Wehrhaftigkeit und Verteidigungsfähigkeit unserer Demokratie zu stärken und unsere Stärke auch in das militärische Bündnis der NATO einzubringen. Nach meinem Eindruck gibt es eine große Bereitschaft in der Bevölkerung, diesen Weg mitzugehen.

Welche Eindrücke nehmen Sie insgesamt aus Eckernförde mit?

Die Menschen begegnen mir mit einer Freundlichkeit und Offenheit, die ich mir so nicht vorgestellt habe. Ich freue mich darüber, dass dies eine Stadt ist, die Wechsel und Veränderung in vielfältiger Weise hinter sich gebracht hat. Hier ist der Wandel Normalität. Früher war die Stadt geprägt von Fischerei und Fischverarbeitung, heute von Tourismus. Die Marine hat an strategischer Bedeutung gewonnen, gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Die Sicherheit in der Ostsee muss neu gedacht werden. Der Marinestandort wird weiter an Bedeutung gewinnen. Ich kehre mit einem sehr positiven Eindruck von Eckernförde nach Berlin zurück. Hier wird so vernünftig miteinander umgegangen, dass die Zukunft hier gelingen wird.


Die Fragen stellten: Miriam Scharlibbe, Dirk Jennert, Arne Peters