Interview mit der Saarbrücker Zeitung

Schwerpunktthema: Interview

9. März 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Saarbrücker Zeitung während seiner "Ortszeit Völklingen" ein Interview gegeben, das am 9. März erschienen ist. Darin sagt er: "Das ist das Wunderbare im Saarland. Hier wird Europa gelebt. Es hat mich immer fasziniert, mit welcher Selbstverständlichkeit, Zuversicht und Verbundenheit die Menschen auf Europa schauen. Gerade in diesen Zeiten, in denen der Krieg zurückgekehrt ist nach Europa, brauchen wir dieses positive Verständnis von Europa."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Redakteuren und Redakteurinnen der Saarbrücker Zeitung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Saarbrücker Zeitung während seiner Ortszeit Völklingen ein Interview gegeben, das am 9. März erschienen ist.


Heute, am 8. März, ist Weltfrauentag. Herr Bundespräsident, was ist Ihre wichtigste Botschaft anlässlich dieses Datums?

Steinmeier Der Weltfrauentag erinnert uns an einem Tag des Jahres an das, was wir an den anderen 364 Tagen noch zu tun haben für die Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft.

Eine überkorrekte, gendergerechte Sprache lehnen viele Menschen ab. Spaltet sie eher die Gesellschaft, oder ist sie doch ein wichtiger Beitrag?

Die Debatte darüber wird teils sehr emotional und polarisierend geführt. Ich versuche es in meiner Sprache unaufgeregt zu halten. Ich spreche die Menschen an als Bürgerinnen und Bürger.

Wie haben Sie das Saarland kennengelernt?

Ich kenne das Saarland seit meiner Jugend. Es ist eine Industrieregion wie die, aus der ich in Nordrhein-Westfalen komme, mit all den Stärken und Härten. Das Saarland ist dafür bekannt, dass hier immer hart gearbeitet wurde, also auch gut gegessen. Dazu hat die Nähe zu Frankreich beigetragen. Wir sind hier an der westlichen Grenze unseres Landes, aber mitten in Europa. Das ist das Wunderbare im Saarland. Hier wird Europa gelebt. Es hat mich immer fasziniert, mit welcher Selbstverständlichkeit, Zuversicht und Verbundenheit die Menschen auf Europa schauen. Gerade in diesen Zeiten, in denen der Krieg zurückgekehrt ist nach Europa, brauchen wir dieses positive Verständnis von Europa.

Was hat sie an Völklingen bisher am meisten beeindruckt?

Was mich nachhaltig beeindruckt hat, war der Besuch bei Saarstahl: Mit welcher Zuversicht man sich vom Betriebsrat über die Auszubildenden bis zur Unternehmensleitung den Umbrüchen stellt, die zu bewältigen sind. Wir haben uns mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verpflichtet, unser Leben emissionsärmer zu gestalten. Bei der Herstellung von Stahl ist das ganz besonders schwierig. Im Gespräch bei Saarstahl konnte ich feststellen, dass man dafür nicht nur die technologischen Lösungen zur Verfügung hat, sondern mit Energie und Optimismus daran gearbeitet wird, bis 2027 hier eine neue Stahlerzeugung hinzustellen.

Sie sehen also eine Zukunft für die Stahlindustrie in Völklingen trotz der hohen Energiepreise?

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie mitleidig manchmal auf die alten Industrien geschaut wird. Aber was wir hier in Völklingen sehen, ist ja auch der Weg in unsere Zukunft. Die Saarstahl bereitet sich darauf vor, grünen Stahl herzustellen, es wird eine ganz neue Anlage gebaut werden. Gerade in dem vor uns liegenden Prozess des Umbaus in klimaneutrales Leben und Wirtschaften werden wir anspruchsvollere Materialien wie Qualitätsstähle brauchen – hergestellt mit massiv reduzierten CO2-Emissionen. Wenn man hier den Umbauprozess so schnell hinbekommt, dass man möglicherweise vor anderen Wettbewerbern fertig ist, dann ist jede Zuversicht für diesen Standort gerechtfertigt.

Sie haben sich eben auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens bezogen. An welcher Stelle haben Sie Verständnis für die teils drastischen Aktionen der Klimaschutzaktivisten der Letzten Generation und wo nicht?

Wir sind ja nicht am Anfang der Klimadebatte. Der Klimawandel ist zu spüren, weltweit, in Europa, auch in unserem Land. Wir müssen Wege finden, wie wir uns von Verhaltensweisen der Vergangenheit verabschieden. Das haben die Allermeisten gelernt. Aber die Zeit drängt. Deshalb brauchen wir die Ungeduld der Jugend, um auch die Älteren davon zu überzeugen, das eigene Verhalten, auch das Konsumverhalten zu überdenken. Bei den Aktionen der Letzten Generation gehöre ich nicht zu denen, die eine Kriminalisierung der Bewegung befürchten. Aber ich habe ganz große Zweifel, ob die Aktionen zu einem besseren Verständnis unserer Sorgen um das Weltklima beitragen oder Menschen anregen, sich zu engagieren.

Sehen Sie sich in Ihrem Amt hier auch als Vermittler? Neben dem Klimawandel gibt es ja viele weitere polarisierende, spaltende Themen. Zum Beispiel die aktuelle Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine...

Als Bundespräsident habe ich die Möglichkeit, häufig ganz unterschiedliche Stimmen und Positionen an einen Tisch zu holen. Es ist nicht immer garantiert, dass das zu einem besseren gegenseitigen Verständnis führt. Aber ich finde schon, dass der Bundespräsident besonders in herausfordernden Zeiten wie diesen Orientierung geben kann und muss. Gerade in einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Ich möchte deutlich machen und habe das bereits mehrfach getan, wo ich unsere Verantwortung sehe, ja sogar unsere Pflicht zur Solidarität in solchen Krisensituationen sehe.

Nimmt beim Thema Waffenlieferungen die Polarisierung zu?

Wenn ich an die vergangenen fünf Ortszeiten zurückdenke, war die Diskussion nie die gleiche. In Ostdeutschland hat die Frage nach unserer Verantwortung für die Ukraine die dominante Rolle gespielt, wenn ich an der Kaffeetafel kontrovers mit Bürgerinnen und Bürgern zusammenkam. Bei den Besuchen im Westen des Landes haben Themen wie Klimawandel oder wirtschaftliche Zukunft immer die größere Rolle gespielt. Mit Blick auf die wieder zunehmenden Angriffe der russischen Armee ist deutlich geworden, dass, wenn wir die Ukrainerinnen und Ukrainer unterstützen wollen, wir sie auch in die Lage versetzen müssen, sich zu verteidigen. Wenn man einen Appell zum Waffenstillstand an beide Seiten richtet und dabei nicht unterscheidet nach Täter und Opfer, dann führt das dazu, dass man den Landraub, den Russland begangen hat, sogar belohnt. US-Präsident Joe Biden hat dazu gesagt: Wenn Russland die Kämpfe einstellt, bedeutet das das Ende des Krieges. Wenn die Ukraine ihre Verteidigung aufgibt, bedeutet das möglicherweise das Ende der Ukraine.

In Völklingen gibt es viel sozialen Sprengstoff, die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich spielt hier eine große Rolle. Es gibt viele Bedürftige. Und auch viele Menschen mit Migrationshintergrund. War das ein Thema bei ihren Gesprächen?

Das war ein großes Thema beim Austausch mit den haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitikern. Es kann nicht verwundern, dass viele darauf hingewiesen haben, wie sehr die Zukunft dieser Stadt an Saarstahl hängt. Die Vorsitzende des Integrationsbeirates hat in der Runde eine eher optimistische Sicht für die Integration der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund vertreten. Nicht ausgelassen hat sie allerdings, dass es mit Blick auf Personalprobleme in Kitas und Schulen bessere Bedingungen für Integration geben müsste. Da steht das Saarland nicht alleine da, ich weiß, wie sehr alle 16 Bundesländer im Augenblick um die Frage des Personals ringen und nach unterschiedlichen Modellen suchen.

Was ist denn das erfolgreichste Konzept, um solche Probleme in der Zukunft anzugehen?

Wir müssen dafür sorgen, dass die Berufe, in denen ein Dienst von Mensch zu Mensch geleistet wird, wieder attraktiver werden. Von der Alten- und Krankenpflege bis hin zu den Lehrberufen. Daneben bedarf es Initiativen, die dort, wo Integration noch nicht gelungen ist, über den schulischen Bereich hinausgehen. Ich konnte gestern einen Völklinger Boxverein besuchen, wo die Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich in der Überzahl waren. Im Gespräch mit ihnen ist mir erneut klar geworden, welche Orientierungsfunktion solche Vereine haben. Davor sollten wir großen Respekt haben.


Die Fragen stellten: Esther Brenner, Peter Stefan Herbst, Marco Reuther, Sarah Umla