Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem Sender Deutsche Welle im Vorfeld seiner Reise nach Nordmazedonien und Albanien ein Interview gegeben, das am 28. November veröffentlicht wurde.
Herzlich willkommen im Deutsche Welle Interview, Bundespräsident Frank Walter Steinmeier.
Danke Ihnen sehr.
Herr Bundespräsident, wir wollen gleich über die Ukraine und den Westbalkan sprechen. Aber mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in China, möchten wir Sie doch um eine Einordnung bitten. Welche Reaktion erwarten Sie jetzt von der chinesischen Führung?
Ich glaube, die Einordnung ist noch sehr schwer angesichts der geringen Informationen, die wir bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben. Aber natürlich verfolge ich das intensiv, und die Bilder, die uns aus Peking und mehreren chinesischen Städten erreichen, bewegen mich. Wir alle erinnern uns noch an unseren Kampf gegen Corona, gegen die Pandemie und haben noch in Erinnerung, wie sehr das auch viele in Deutschland belastet hat. Wir können nur erahnen, wie groß die Last für die Menschen in China ist, in der die Maßnahmen ja viel strikter, viel langanhaltender sind – bis heute reichen. Und deshalb habe ich Verständnis dafür, dass die Menschen ihre Ungeduld und ihre Klage auf den Straßen zeigen. Als Demokrat kann ich nur sagen, die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein wichtiges Gut, und ich kann das, was wir sehen, nur mit der Hoffnung verbinden, dass die staatlichen Behörden in China dieses Recht der freien Meinungsäußerung, der Demonstrationsfreiheit achten. Und natürlich hoffe ich, dass die Demonstrationen friedlich bleiben.
Was in der Ukraine jetzt passiert, hat mit der eigentlichen Kriegshandlung nichts mehr zu tun, sondern es ist ein Krieg gegen die Zivilisten. Warum macht das Putin und was ändert das für uns?
Ja, ich würde bestreiten, dass es mit dem Krieg nichts zu tun hat. Ich glaube, das ist ein Teil der Kriegsstrategie, die wir hier sehen. Wir haben nicht nur einen brutalen Angriffskrieg, der militärisch geführt wird gegen die ukrainische Armee, sondern wir haben, und das wird sichtbarer, je näher wir dem Winter kommen, einen brutalen Angriff auf kritische Infrastruktur und damit natürlich auf die Zivilbevölkerung. Wir müssen befürchten, und es war in der letzten Woche schon zu sehen, dass mit der Zerstörung von Gasheizungs- und Strominfrastruktur – wir haben gesehen, was auf die Menschen in der Ukraine zukommen könnte: Not, Dunkelheit und Kälte. Und das ist nicht eine zufällige Begleiterscheinung, sondern es sieht so aus, dass dieses in der Tat auch Ziel des russischen Angriffs und Teil der russischen Strategie ist: die Zivilbevölkerung zu treffen, das Land durch und durch zu zermürben. Und dagegen muss unsere Solidarität stehen. Und deshalb müssen wir helfen, um den Menschen das Überleben zu garantieren in diesem Winter.
Deutschland hilft der Ukraine, auch mit Waffenlieferungen. Die Ukraine lobt inzwischen diese Waffenlieferungen, aber wartet immer noch auf die Kampfpanzer, die Berlin nicht schicken will. Ist ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung nicht ein Grund umzudenken?
Ich glaube in Deutschland ist nicht nur nachgedacht worden, sondern auch umgedacht worden. Wir haben uns zu Entscheidungen verständigen können, und das betrifft gar nicht nur die Regierung, sondern die deutsche Bevölkerung insgesamt, die in wenigen Wochen, in wenigen Monaten gelernt und begriffen hat, dass das, was wir gewohnt waren, an Sicherheit in unserem europäischen Umfeld, dass dieses nicht mehr garantiert ist. Das hat dazu geführt, dass die Regierung massiv Mehrausgaben in der Verteidigung beschlossen hat, auch eine bessere Ausstattung und Ausrüstung der deutschen Bundeswehr – und es hat ja in der Tat vor allen Dingen dazu geführt, dass wir die Ukraine nicht nur humanitär, finanziell und wirtschaftlich unterstützen, sondern in hohem Maße mittlerweile auch militärisch. Ich bin in der Ukraine gewesen, wie Sie wissen, und kann nur bestätigen, dass einerseits die Kritik, die es gab, an der deutschen Rüstungsunterstützung abgeebbt ist, dass es im Gegenteil heute viel Dankbarkeit gibt. Und ich glaube auch, dass die deutsche Bundesregierung auf die richtige Unterstützung gesetzt hat. Als ich dort war, war das eine Zeit, in der der Luftalarm täglich kam und die Menschen in Luftschutzkellern ausharren mussten. Hier einen Schwerpunkt zu setzen auf Air Defence, auf die Verteidigung vor Drohnen und insbesondere Missiles, war genau der richtige Punkt. Und das hilft jetzt, die Städte und Gemeinden in der Ukraine so weit wie möglich zu schützen. Vollumfänglich geschieht das nicht. Aber sechzig, siebzig Prozent der Flugkörper der russischen Armee werden erfolgreich bekämpft von Seiten der ukrainischen Armee, auch dank der deutschen militärischen Unterstützung.
Trotzdem entsteht im Ausland oft der Eindruck, dass Deutschland zuerst mal die Tendenz zum Nein hat, bevor es dann irgendwann Ja sagt. Warum ist das so?
Es wird versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Ich habe nach meinen Gesprächen – und ich komme ja doch ein bisschen rum in Europa und darüber hinaus – nicht den Eindruck, dass der deutsche militärische Beitrag in Solidarität mit der Ukraine unterschätzt wird.
In der Ukraine wurde gerade an die Millionen Opfer der Hungersnot Holodomor vor 90 Jahren gedacht. Deutschland will in dieser Woche das Verbrechen als Genozid anerkennen. Mit Blick auf heute: Präsident Selensky vergleicht die Lage damals und heute direkt. Verübt Putin einen Genozid in der Ukraine?
Der Holodomor ist ein Verbrechen, was in Deutschland relativ wenig bekannt ist. Aber wir müssen uns erinnern, dass gerade die Ukraine Opfer dieser Hungerkatastrophe war. Und die Hungerkatastrophe war nicht das Ergebnis von Missernten. Wie über Jahre und Jahrzehnte hinweg, vor allen Dingen von der russischen Geschichtswissenschaft behauptet worden ist. Sondern es war die gezielte Strategie in den Jahren 1932/33 des Stalinregimes, Teile der Bevölkerung der damaligen Sowjetunion hungern zu lassen, um sie gefügig zu machen. Ich bin dem Deutschen Bundestag sehr, sehr dankbar dafür, dass er in dieser Woche die Gelegenheit wahrnimmt, in einem überparteilichen Antrag diese Ereignisse und dieser Tragödie zu erinnern.
Herr Bundespräsident, Sie kennen die Kriegstreiber in Moskau. Putin hat offen über seine Absichten gegenüber der Ukraine über Jahre gesprochen. Die deutsche Führung, auch Sie, haben das nicht ernst genommen. Jetzt droht Putin dem Westen mit Nuklearwaffen. Wie ernst muss man das nehmen und wie damit umgehen?
Erstens würde ich bestreiten, dass das nicht ernst genommen worden ist, wenn Sie die Jahre betrachten. Ich glaube, kaum eine Regierung in Europa hat sich so sehr bemüht, nicht nur den Waffenstillstand zu bewahren, sondern den Waffenstillstand als eine Einleitung zum Frieden zu nutzen. Dazu das Minsker Abkommen, das wir – gemeinsam mit Frankreich und dem damaligen ukrainischen Präsidenten Poroschenko – gegenüber Russland verhandelt haben. Und Sie erinnern sich – wie ich – an die unzähligen Versuche, im Normandie-Format gemeinsam mit Frankreich, Ukraine und Russland Fortschritte hinzukriegen. Es ist am Ende nicht gelungen. Das Bemühen war gleichwohl richtig, wie ich finde. Zweitens, was die russischen Drohungen angeht, Nuklearwaffen anzuwenden, so ist es unerträglich, während gleichzeitig Bemühungen stattfinden, Nuklearwaffen für die Welt in der Zukunft überflüssig zu machen. So ist die Drohung mit Nuklearwaffen nicht nur ungerechtfertigt, sondern sie widerspricht eigentlich allen unseren historischen Erfahrungen, ist unerträglich und eine weitere Eskalation, die von Russland aus in diesem Krieg betrieben wird. Es darf nicht zur Anwendung von Nuklearwaffen kommen und ich glaube, da sind wir uns mit fast umfänglich dem Rest der Welt ziemlich einig. Das haben die Beratungen der G20 in Bali noch einmal zum Ausdruck gebracht. Auch dort: einhellige Verurteilung des Drohens und natürlich erst recht der Anwendung von Nuklearwaffen. Ein klares Signal, was hoffentlich in Moskau verstanden wird.
Welche Wege führen aus diesem Krieg Ihrer Meinung nach? Wie könnte eine Lösung aussehen, die für beide Seiten akzeptabel wäre?
Ich glaube, jeder, der behauptet, diesen Weg zu kennen, übernimmt sich, und wir sind in einer Kriegsphase, die im Augenblick nicht auf eine Entscheidung militärisch hinausläuft. Ich kann nur sagen, Gott sei Dank sind die Menschen in der Ukraine mutig, engagiert, stellen sich der Bedrohung entgegen. Und wir sehen eine ukrainische Armee, die den scheinbar so übermächtigen Gegner der russischen Armee zurückgekämpft hat. Aber es ist nicht die Entscheidungssituation, bei der wir im Augenblick schon den Ausweg sehen. Jedenfalls: Ich sehe ihn nicht. Und alle Empfehlungen, jetzt einen Waffenstillstand zu machen, sind natürlich leichtfertig, weil im Grunde genommen ein Waffenstillstand zu diesem Zeitpunkt das absegnen würde, was an Unrecht schon stattgefunden hat. Ein Waffenstillstand jetzt würde bedeuten, dass Russland besetztes Gebiet für sich behält und damit die Grenzverletzung, die Missachtung des Völkerrechtes und der Landraub auch noch abgesegnet wäre. Das kann nicht Sinn eines Waffenstillstandes sein. Insofern muss ich sagen: Leider – zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich den Ausweg noch nicht.
Die Ukraine fordert, bevor man über die Verhandlungen überhaupt spricht, vor allem Sicherheitsgarantien, auch von Deutschland. Kann die Ukraine damit rechnen?
Die Ukraine hat dieses gefordert. Die Forderungen der Ukraine, die Erwartungen der Ukraine sind bekannt. Sie sind bekannt, natürlich auch innerhalb der deutschen Bundesregierung. Und es gibt Signale – nicht nur aus Deutschland –, dass man sich eine Solidarität im Sicherheitsbereich in Gestalt von Sicherheitsgarantien vorstellen kann. Aber wir sind jetzt noch in einem Stadium, bei dem wir nicht sagen können, wie genau solche Sicherheitsgarantien aussehen könnten, wer sie im Zweifel leistet, und welchen Inhalt sie haben müssten. Weil: Das Ende des Krieges hängt mit dem Inhalt solcher Sicherheitsgarantien zusammen. Und da wir im Augenblick das Ende noch nicht sehen, können auch die Sicherheitsgarantien noch nicht ausformuliert sein.
Herr Bundespräsident, kürzlich haben wir alle den Atem angehalten, als in Polen zwei Raketen eingeschlagen sind. Wie groß ist Ihre Sorge, dass dieser Krieg, der in der Ukraine stattfindet, doch auf einmal zu uns kommt?
Ich hoffe sehr, dass das vermieden werden kann. Und meine Hoffnung ist stärker geworden. Eigentlich nach der sehr, sehr besonnenen Reaktion, die nicht nur von Seiten der Vereinigten Staaten von Amerika aus gezeigt worden ist, sondern von der NATO insgesamt. Es hat unmittelbar nach dem Einschlag im östlichen Polen, engste Kommunikation zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem polnischen Präsidenten gegeben. Es hat sofort eine Reaktion aus der Spitze der NATO, vom Generalsekretär gegeben, der darauf hingewiesen hat, zunächst die Ursache zu erforschen und dann die Reaktion zu ermessen. Ich glaube, das zeigt, dass Besonnenheit auf Seiten der NATO-Staaten herrscht, und zeigt auch, dass ein Mindestmaß an Kontaktmöglichkeiten auf der militärischen Ebene mit Moskau besteht. Anzumahnen ist, da, wo solche Kontakte bestehen, sollten sie auch beidseitig genutzt werden. Mir ist bekannt, dass offenbar, so die Zeitungsberichte, bei den anfänglichen Kontaktversuchen in Moskau niemand ans Telefon gegangen ist. Das ist ein zusätzliches Risiko, was vermieden werden muss.
Und wie fanden Sie dieses Hin und Her nach dem deutschen Angebot an Polen, die Patriot-Raketen da zu stationieren?
Ich finde, Deutschland hat ein Angebot gemacht, was der Bedrohungssituation angemessen ist. Wie die polnische Regierung damit umgeht, ist ihre Sache. Und ich sehe ja, dass dazu auch in Polen selbst Diskussionen stattfinden, in die ich mich nicht einmischen will.
Herr Bundespräsident, Sie reisen jetzt nach Nordmazedonien und Albanien. Der Ukraine-Krieg hat in Europa und auf dem Westbalkan eine neue Dynamik entwickelt. Wird dieser Krieg den Integrationsprozess des Westbalkans in der EU beschleunigen?
Ich weiß nicht, ob er beschleunigt wird, aber meine Reise dahin hat durchaus auch den Sinn zu signalisieren, dass der westliche Balkan auf keinen Fall vergessen ist. Wir haben natürlich auch Debatten mit Kolleginnen und Kollegen des westlichen Balkans gehabt, die ihre Sorge darüber geäußert haben, dass der Beitrittswunsch, der Annäherungswunsch an die Europäische Union der Ukraine möglicherweise anders behandelt wird, beschleunigter behandelt wird als all das, was an Beitrittsanträgen vom westlichen Balkan aus bekannt ist. Und ich verstehe manche Ungeduld. Aber wie viele andere werde ich auch dort versichern, dass der westliche Balkan auf keinen Fall vergessen ist. Und die Reise in die zwei Länder Nordmazedonien und Albanien dient ja auch der Botschaft in die gesamte Region. Wenn die entsprechenden Fortschritte innerstaatlich erreicht werden, dann wird der Weg in Richtung Mitgliedschaft in der Europäischen Union auch überschaubarer werden.
Die EU hat keinen Zeitplan für den Westbalkan. Manche Länder setzten sich dort selbst das Ziel: Das ist das Jahr 2030. Wenn Sie jetzt dort in den Parlamenten, vor den Menschen sprechen, werden Sie sagen, dass das ein realistisches Ziel ist?
Ich bin Präsident, kein Prophet. Und deshalb bleibt es bei dem Satz: Es hängt an der innerstaatlichen Reformbereitschaft und an der Bereitschaft, die Reformen auch umzusetzen. Und wir können doch heute auch anders argumentieren gegenüber den Staaten des westlichen Balkans, weil zum Beispiel Nordmazedonien und Albanien entscheidende Schritte nach vorne getan haben. Das stärkt das Selbstbewusstsein in den Ländern und macht auch für andere in der Region des westlichen Balkans klar: Dieser Schritt lohnt sich. Und im Übrigen dürfen wir ja nicht vergessen, dass jenseits der Beitrittsfrage im engeren Sinne, auf dem Weg dahin, auch Fortschritte erreicht werden. In Berlin ist vor vielen Jahren schon der Westbalkan-Prozess begonnen worden. Das war anfangs mühsam, wie ich mich erinnere. Aber wenn ich an den letzten Gipfel denke, so finde ich doch, dass das Reisen mit Personalausweisen, die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Universitätsabschlüssen, die Bereitschaft der Europäer, auch bei den gestiegenen Energiepreisen zu unterstützen: Das sind ja signifikante Fortschritte. Insofern, ich verstehe die Ungeduld, keine Frage. Aber wir sind auch nicht in einer Phase, in der Entmutigung angesagt wäre. Sowieso nicht wegen der Ukraine, weil wir die westlichen Balkanstaaten alle im Blick behalten, aber auch mit Blick auf Nordmazedonien und Albanien, wo es Schritte nach vorne gibt.
Die EU erwartet vom Westbalkan schnelle Reformen, aber sie sagt auch, wir müssen uns auch selbst erst einmal reformieren, bevor wir wieder aufnahmefähig werden, damit wir handeln können. Und wie lange kann das Ihrer Meinung nach eigentlich noch dauern?
Es sollte möglichst schnell gehen. Aber ich gebe zu, ich sehe im Augenblick nicht die Signale, dass es zu einer schnellen Reform der europäischen Institutionen kommen wird. Da ich nun seit vielen Jahren auch europäische Institutionen von innen kenne, weiß ich, dass wir in einer Abfolge von multiplen Krisen stecken: Wir können die Eurokrise erinnern; wir erinnern uns noch stärker an die sogenannte Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016; wir haben eine riesige Herausforderung für die Europäische Union durch die Bekämpfung der Covid-Pandemie gehabt. Das sind natürlich alles Krisen, die schnell aufeinander folgten, und wie wir jetzt sehen, die Pandemie-Krise, die noch nicht vorbei ist, und der russische Angriffskrieg gegenüber der Ukraine, der uns alle miteinander belastet. So was absorbiert Kräfte und macht nicht gleichzeitig die Köpfe frei für die inneren Reformen, bei denen ich allerdings Ihnen zubillige, dass sie dringend erforderlich sind.
Im Ukrainekrieg zeigen sich die meisten Westbalkanländer sehr solidarisch. Sie setzen die Sanktionen gegen Russland um, trotz großer Sorgen um die Folgen. Ein Land tut es nicht. Das ist Serbien. Stattdessen demonstriert es immer wieder die Nähe zu Moskau. Unterstützt die EU ausreichend diese solidarischen Haltungen im Westbalkan? Und wie geht man eigentlich mit Serbien um?
Um die erste Teilfrage zu beantworten. Das ist einer der Gründe, weshalb ich jetzt in der Region bin. Weil ich mir natürlich auch ein Bild von der Stimmung in den Ländern dort verschaffen will. Und ich denke, wir werden sicherlich auch ein Stimmungsbild bekommen. Ob Nordmazedonien und Albanien sich in dieser Situation, in der ja nicht nur Solidarität mit der Ukraine gezeigt wird, in der ja nicht nur die gemeinsame Haltung etwa bei der Steigerung des wirtschaftlichen Drucks auf Russland unter Beweis gestellt wird, sondern wo Länder wie Nordmazedonien und Albanien auch ihre Pflicht innerhalb der NATO erfüllen, und Albanien darüber hinaus auch jenseits von NATO noch im UN-Sicherheitsrat vertreten ist. Ich finde, das ist ungeheuer viel, auf das wir schauen können, das wir respektieren sollten. Aber was auch Selbstbewusstsein in diesen Ländern auslösen sollte. Ob das so ist, werde ich sicherlich bei meiner Reise feststellen. Und was Serbien angeht, Ihre zweite Teilfrage, so muss es dabei bleiben, dass wir versuchen, Serbien zu überzeugen, dass der Weg, den Serbien im Augenblick geht, Fragen aufwirft, und die Fragen nach der Ernsthaftigkeit mit dem der Weg Richtung Europa gesucht wird. Ich begleite den Weg des westlichen Balkans in Richtung der Europäischen Union seit fast zwanzig Jahren und bin auch häufiger in Serbien gewesen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen in Serbien nicht zurückstehen wollen hinter dem Wunsch, der aus den anderen westlichen Balkanstaaten auch kommt: sich der Europäischen Union anzunähern, irgendwann Mitglied zu werden. Insofern kann ich nur hoffen und werde mich weiter bemühen, auch die politische Führung in Serbien davon zu überzeugen, diesen Weg mit Eindeutigkeit zu gehen.
Zum Schluss noch kurz auf diesen gerade in letzter Minute beigelegten Konflikt zwischen Serbien und Kosovo. Was können Deutschland und Europa tun, um tatsächlich dieses Sicherheitsrisiko in der Region dauerhaft einzudämmen?
Was den Konflikt angeht, so finde ich, passt das zu der letzten Frage: Weil die Konfliktbeilegung vielleicht noch einmal unter Beweis gestellt hat, wie wichtig Europa, wie wichtig die Europäische Union in der Region ist. Wenn es nicht diesen Wunsch Richtung Europa gäbe, dann hätte Europa im Grunde genommen auch keine Verhandlungsmacht in solchen Konflikten zwischen Serbien und Kosovo. Da aber, und das unterstelle ich, nach wie vor der Wunsch, nach Europa zu kommen, irgendwann Mitglied der Europäischen Union zu werden, in allen Ländern des westlichen Balkans ausgeprägt ist, hat Europa diese Verhandlungsmacht, diese Verhandlungsmöglichkeiten und konnte in dieser aus unserer Sicht vermeintlich kleinen, überschaubaren Pflicht über Autokennzeichen zu einer Lösung beitragen. Wenn kleinere Konflikte lösbar sind, sollten auch größere Konflikte, die zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Serbien und Kosovo beitragen könnten, angegangen werden und auch in diesem Sinne friedlich gelöst werden.
Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Gespräch.
Danke Ihnen sehr.
Die Fragen stellte: Rosalia Romaniec