Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der Mitteldeutschen Zeitung während seiner "Ortszeit Quedlinburg" ein Interview gegeben, das am 11. Mai erschienen ist.
Herr Bundespräsident, Sie haben Ihren Amtssitz für drei Tage nach Quedlinburg verlegt. Was gibt es hier, was Sie in Berlin nicht haben?
Wir haben zwei Jahre Pandemie hinter uns, eine Zeit, in der es keine öffentlichen Veranstaltungen und keine Feste gab, in der Gespräche rar geworden sind. Zu Beginn meiner zweiten Amtszeit habe ich mich deshalb entschlossen, mit viel Zeit vor Ort in den Regionen zu erkunden, was die Menschen umtreibt, wie erschöpft sie noch sind, wie groß Angst und Sorgen wegen des Kriegs in der Ukraine sind, mit wie viel Hoffnung die Menschen noch auf die Politik schauen, und was sie von ihr erwarten. Ich will das durch die Pandemie schwer gewordene Gespräch wieder in Gang bringen – dazu dient diese Ortszeit.
Ihre Ortszeit-Besuche haben Sie in Altenburg in Thüringen gestartet. Mit Quedlinburg liegt auch die zweite Station im Osten Deutschlands. Warum?
Die Ortszeit ist kein Format, das spezifisch auf den Osten zugeschnitten ist. Die dritte Station wird eine Stadt im Südwesten sein – so viel kann ich verraten. Wir suchen uns Städte aus, in denen nicht schon alles geregelt ist. Quedlinburg hat eine reiche Geschichte und ist Weltkulturerbe. Es ist aber auch eine Stadt, die viele Veränderungen und Umbrüche ertragen, verarbeitet und immer wieder in eine hoffnungsvolle Zukunft verwandelt hat. Deshalb fand ich den Vorschlag, nach Quedlinburg zu kommen, so spannend und bin gerne der Einladung des Oberbürgermeisters gefolgt. Und schon jetzt kann ich sagen: Die Stadt kann nicht nur stolz auf ihre Geschichte sein, sie hat auch eine sehr lebendige Gegenwart mit Bürgerinnen und Bürgern, die uns zu meiner großen Freude auf dem Marktplatz so herzlich willkommen geheißen haben.
Sie wollen durch die Ortszeit mit den Menschen in Deutschland ins Gespräch kommen. Was erzählen sie Ihnen?
Viele Menschen sind froh, dass sie überhaupt mal wieder einem Menschen aus der Politik begegnen – und nicht nur über die Medien wahrnehmen. Die am häufigsten gestellte Frage war, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht. Und auffällig war auch, dass die Pandemie, die uns in den vergangenen zwei Jahren als Gesellschaft ja fast entzweit hat, bei den Gesprächen auf der Straße keine herausragende Rolle mehr spielte.
Die Menschen in Ostdeutschland gelten als besonders misstrauisch gegenüber Politik und Demokratie. Wie wollen Sie wieder Vertrauen aufbauen?
Vertrauen aufbauen, das kann man nicht von heute auf morgen. Aber Vertrauen ist eben eine Ressource, ohne die Politik nicht auskommt. Ich bin deshalb auch davon überzeugt, dass Politik sich Zeit nehmen muss für die Menschen. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht mehr nur zu einzelnen Veranstaltungen in eine Region oder Stadt zu reisen, sondern mit Zeit zu kommen, um sich in Diskussionen und Gesprächen vor Ort auszutauschen. Die Gespräche sind dabei keine Einbahnstraße. Ich höre, was die Menschen freut, womit sie zufrieden sind, aber auch das, womit sie unzufrieden sind, was sie auch an der Politik ärgert. Und umgekehrt ist es auch für mich eine Möglichkeit, über Politik zu reden, aufzuklären, vielleicht auch manche Wahrnehmungen zu korrigieren und zu zeigen, was zu Recht von der Politik erwartet wird und was Politik auf der anderen Seite auch nicht leisten kann.
Spricht man mit Menschen über den Krieg in der Ukraine, ist da viel Angst und Unsicherheit. Viele fragen sich, wie dieser Konflikt überhaupt enden kann. Haben Sie eine Antwort?
In der gegenwärtigen Situation müssen wir an der Seite der Opfer stehen. Das tut Deutschland finanziell, wirtschaftlich und auch indem wir der Ukraine helfen, sich zu verteidigen. Und ich bin in hohem Maße dankbar, dass überall in Deutschland, auch hier in Quedlinburg gesehen wird, welches Leid die Millionen von Menschen ertragen müssen, die im Augenblick aus ihrer Heimat Ukraine flüchten müssen. Hier wird ganz viel Hilfe geleistet. Auf dem Weg durch die Stadt bin ich schon zwei Ukrainerinnen begegnet, die ihren Dank gegenüber der deutschen Bevölkerung, aber insbesondere auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Quedlinburgs ausgedrückt haben. Denn sie haben hier nicht nur Schutz gefunden, sondern können hier auch ihren Lebensmut und den Traum von einer Rückkehr in die Ukraine zu friedlicheren Zeiten behalten. Wann dieser Traum allerdings wahr wird, kann im Augenblick niemand sagen. Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland sind gegenwärtig festgefahren. Das Ende der Gewalt ist noch nicht in Sichtweite. Deswegen bleibt unsere Hilfsbereitschaft weiterhin gefordert.
Wann werden Sie in die Ukraine reisen?
Ich bin froh darüber, dass ich in einem Gespräch mit Präsident Selensky in der vergangenen Woche einige Irritationen ausräumen konnte. Ich bin bei diesem Telefonat mit ihm übereingekommen, dass zunächst die zweithöchste Repräsentantin des Staates, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, reisen sollte. Wir haben auch die Weichen gestellt dafür, dass die deutsche Bundesaußenministerin Annalena Baerbock diesen Dienstag in Kiew ist und bei dieser Gelegenheit die deutsche Botschaft wiedereröffnen wird. Wie sich die weiteren Besuchstermine gestalten, werden wir sehen.
Politik und Gesellschaft schliddern seit Jahren von einer in die nächste Krise. Ganz einfach gefragt: Wie bleiben Sie da optimistisch?
Bundespräsident wird man nicht als ganz junger Mensch, sondern in einem Alter, in dem man Lebenserfahrung und auch politische Erfahrung gesammelt hat. Und wenn man auf einen längeren Zeitraum zurückblickt, dann erinnert man sich auch an Phasen, in denen es nicht immer nur aufwärts ging, in denen es Rückschläge und längere Krisen gab. Mich macht zuversichtlich, dass wir gemeinsam – Politik und Bürgerinnen und Bürger – in diesem Land immer wieder Wege aus der Krise gefunden haben und deshalb bin und bleibe ich zuversichtlich, dass wir auch nach der Pandemie und mit Blick auf einen Krieg in unserer Nachbarschaft einen Weg in eine gute, friedliche Zukunft finden werden. Das müssen wir auch. Denn neben dem, was uns bisher belastet, bleibt der Kampf gegen den Klimawandel eine große Aufgabe. Selbst wenn der Klimawandel im Augenblick nicht auf den Titelseiten der Tageszeitungen ist. Es ist das Überlebensthema der Menschheit und wir müssen Antworten auf die Frage geben, wie wir es schaffen, diesen Planeten für unsere Kinder und Kindeskinder lebenswert zu halten.
Die Fragen stellte: Julius Lukas