Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der rumänischen Tageszeitung Adevărul ein Interview gegeben, das am 4. Mai, zu seinem Besuch in Rumänien, erschienen ist.
Ihr Besuch in Rumänien findet während der schwersten Sicherheitskrise in Europa nach 1945 statt. Was können Deutschland und Rumänien konkret tun, um die Ukraine mehr zu unterstützen und die Solidarität innerhalb der NATO und in der EU zu stärken?
Deutschland und Rumänien arbeiten als Partner in der EU und der NATO eng und vertrauensvoll zusammen. Wir haben gemeinsam einschneidende Sanktionen gegen Russland verhängt. Ein weiteres Sanktionspaket wird gerade vorbereitet. Deutschland unterstützt die Ukraine finanziell, humanitär und im militärischen Bereich: Die Bundesregierung hat zuletzt in der vergangenen Woche der Lieferung von schweren Waffen zugestimmt. Ich weiß, dass auch Rumänien bereits substanziell geholfen hat und weiter helfen wird. Unsere Geschlossenheit in der Reaktion auf den brutalen russischen Angriffskrieg hat Moskau überrascht. Auf unserer Geschlossenheit beruht unsere Stärke.
Wie betrachtet Deutschland den Einsatz Rumäniens im Rahmen der Maßnahmen der NATO und der EU in Bezug auf die russische Invasion in der Ukraine?
Deutschland und Rumänien leisten ihren Beitrag. Unsere Botschaft ist klar: Unsere Freunde und Verbündete können sich auf uns verlassen. Gemeinsam werden wir jeden Quadratzentimeter unseres Bündnisgebiets beschützen. Auch bei der humanitären Hilfe der Millionen von Menschen, die aus der Ukraine flüchten mussten, arbeiten wir eng zusammen. Ich möchte an dieser Stelle der rumänischen Regierung und Bevölkerung für die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine meinen großen Dank und Respekt aussprechen.
Die deutsch-rumänische Partnerschaft besteht seit 30 Jahren. Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieser Freundschaft und Zusammenarbeit? Wie betrachtet Deutschland die künftige Entwicklung dieser Partnerschaft – in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sicherheit sowie in weiteren Bereichen von gemeinsamem Interesse?
Wir feiern dieses Jahr ein besonderes Jubiläum. Am 21. April 1992 unterzeichneten Deutschland und Rumänien hier in Bukarest den Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft
. Auch wenn die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern schon sehr viel länger besteht, bildet dieser Vertrag bis heute die Grundlage für unsere engen und vielfältigen Beziehungen. Wir freuen uns auch über die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Kontakte. Die deutsche Minderheit in Rumänien, deren Vertreterinnen und Vertreter ich bei meinem Besuch in Bukarest treffen werde, spielt dabei eine besondere Rolle, ebenso wie die wachsende Zahl der in Deutschland lebenden rumänischen Bürgerinnen und Bürger. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Beziehungen unserer Länder auf diesem starken Fundament weiter positiv entwickeln werden.
Deutschland wird dafür kritisiert, sich in eine gefährliche Abhängigkeit von russischer Energie begeben und zu lange auf Diplomatie gesetzt zu haben. Nach Beginn des Krieges hat Deutschland eine Zeitenwende in der Verteidigungs- und Russland-Politik angekündigt. Trotzdem hat die Ukraine Ihren Besuch in Kiew abgelehnt. Beeinflussen diese Kritik sowie die Ablehnung des Besuchs nach Kiew Deutschlands Position gegenüber der Ukraine und die von Deutschland geleistete militärische Hilfe?
Die Ausladung von Präsident Selensky ist eine ukrainische Entscheidung, die ich zur Kenntnis genommen habe. Ich bleibe dabei, was ich bereits an dem Tag der Ausladung gesagt habe: Diese Entscheidung ändert nichts an unserer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Wir unterstützen die Ukraine aus ganzem Herzen und mit vereinten Kräften – politisch, finanziell, humanitär und insbesondere auch militärisch.
Inwieweit ist Deutschland entschlossen, die Energieimporte aus Russland zu unterbrechen und, falls dies erwünscht wird, wann wäre Deutschland bereit, auf das russische Erdgas und Erdöl zu verzichten?
Wir gehen raus aus russischer Kohle, russischem Öl, russischem Gas – und zwar vollständig. Jetzt geht es darum, diese Entscheidung schnellstmöglich umzusetzen. Wir stimmen das mit unseren Partnern in Europa ab. Wir wollen das gemeinsam tun. Deutschland unterstützt den Plan der Europäischen Kommission, der vorsieht, binnen eines Jahres die Abhängigkeit der EU von Gaslieferungen aus Russland um zwei Drittel und bis 2024 nahezu komplett zu beenden. Deutschland möchte bereits bis August Kohleimporte aus Russland einstellen. Auf russisches Erdöl wollen wir bis Jahresende 2022 und Erdgas im Laufe von 2024 verzichten. Daran arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck. Wir suchen alternative Lieferanten und Importwege und beschleunigen die Energiewende hin zu erneuerbaren Energiequellen.
Wie müssten die NATO und die EU Ihrer Meinung nach reagieren, wenn auch andere Staaten, wie z. B. die Republik Moldau, von Russland bedroht würden?
Die Republik Moldau ist Teil der europäischen Gemeinschaft und verdient unsere unerschütterliche Unterstützung und Solidarität. Das haben wir in den vergangenen Wochen mit der von der Bundesaußenministerin gemeinsam mit ihrem rumänischen und französischen Kollegen initiierten Moldau-Unterstützungsplattform gezeigt: 45 Delegationen aus 36 Ländern und von 9 internationalen Organisationen und Finanzinstitutionen haben sich zur kurz- und mittelfristigen Unterstützung Moldaus bekannt. Es ist entscheidend, die Resilienz Moldaus weiter zu stärken. Dazu werden wir beitragen und es freut mich, dass Rumänien bereits zugesagt hat, die nächste Konferenz auszurichten.
Die Ukraine hat den Antrag für den EU-Beitritt ausgefüllt, so auch die Republik Moldau, und Georgien befindet sich im gleichen Prozess. Wie steht Deutschland zum EU-Beitritt dieser Länder und zur Einschaltung eines Eilverfahrens?
Die Ukraine ist Teil der europäischen Familie. Das haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der Erklärung von Versailles im März deutlich gemacht. Deutschland steht voll und ganz hinter dieser Erklärung. Zu den Anträgen der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau bereitet die Europäische Kommission eine Stellungnahme vor, die sie dem Rat vorlegen wird. Danach wird der Rat über weitere Schritte entscheiden. Im Moment konzentrieren wir uns auf konkrete Unterstützungsmaßnahmen.
Aus deutscher Sicht: Welche Sicherheitsgarantien kann die Ukraine in künftigen Verhandlungen erhalten, um ein Friedensabkommen zu schließen?
Es ist allein Sache des ukrainischen Volkes, seines Parlaments und seiner Regierung, über die Zukunft der Ukraine zu entscheiden. Wenn das bedeutet, dass die Ukraine im Rahmen von Verhandlungen zu solchen Entscheidungen kommt, dann unterstützen wir das. Deutschland war in der Vergangenheit bereit, Verantwortung zu übernehmen – und wir sind es weiterhin.
Die Fragen stellte: Ion Ionita