Der Bundespräsident hat der slowakischen Tageszeitung SME ein Schriftinterview gegeben, das am 2. September, dem ersten Tag des offiziellen Besuchs des Bundespräsidenten in der Slowakischen Republik, erschienen ist.
Was ist die Hauptbotschaft, die Sie mit Ihrem Besuch senden möchten?
Die Slowakei und Deutschland sind heute gute Freunde und enge Partner. Das gilt für unsere sehr guten politischen Beziehungen: als Mitglieder in der Europäischen Union, die wir beide als Union gemeinsamer Werte wie gemeinsamer Politik schätzen, und als Verbündete in der NATO. Auch unsere wirtschaftlichen Beziehungen sind sehr gut. Unsere Volkswirtschaften sind heute eng miteinander verflochten und diese Verbindung entwickelt sich sehr dynamisch weiter. Mit meinem Besuch möchte ich unsere enge Partnerschaft und Freundschaft würdigen und stärken. Gemeinsam stehen wir natürlich vor großen Herausforderungen, vor allem bei der Überwindung der Corona-Pandemie und ihren Folgen, bei der Transformation unserer Industrien zur Klimaneutralität und bei der Frage nach der Zukunft unserer Demokratien. In all diesen Fragen sollten wir voneinander lernen. Wir werden sie am Ende nur gemeinsam gut meistern können.
Ich freue mich darauf, die guten Gespräche mit Staatspräsidentin Čaputová diesmal in Bratislava fortzusetzen. Wir werden uns mit neuen Impulsen für das deutsch-slowakische Verhältnis befassen und natürlich auch mit europäischen Themen. Das ist von besonderer Aktualität. Denn die Beschränkungen der Corona-Pandemie haben den Austausch zwischen unseren Ländern deutlich erschwert. Gleichzeitig wurde uns dadurch die Bedeutung unserer europäischen Nachbarschaft in vielen praktischen Fragen, ob Reisemöglichkeiten oder Lieferketten, noch einmal viel klarer bewusst. Wir waren innerhalb der Europäischen Union so solidarisch miteinander wie kaum irgendwo anders auf der Welt, etwa durch gemeinsame Impfstoffbeschaffung und vor allem auch mit dem Wiederaufbaufonds. Das große Thema der inneren Kraft und Erneuerungsfähigkeit unserer Demokratien steht ebenfalls auf unserer Agenda. Deutschland und die Slowakei stehen da vor ganz ähnlichen Herausforderungen.
Die Slowakei hat eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland, zum Beispiel im Automobilbereich. Für die Zukunft spricht man in diesem Bereich über Elektromobilität und Batterieherstellung. Können Sie sich vorstellen, dass diese Zusammenarbeit noch vertieft werden könnte?
Die Automobilwirtschaft in Europa und gerade auch zwischen unseren beiden Ländern ist hochgradig vernetzt. Wie sehr wir in Europa auf funktionierende Lieferketten in dieser Schlüsselbranche unseres gemeinsamen Wirtschaftsraums angewiesen sind, hat uns die Pandemie im vergangenen Jahr gelehrt. Diese Vernetzung, die ja letztlich das Beste an Können und Erfahrung unserer Länder zusammenführt, wird gerade jetzt für eine erfolgreiche Transformation der Automobilwirtschaft gebraucht. Die Elektromobilität ist ein bedeutender Baustein der Energiewende im Verkehrssektor, insbesondere um die CO₂-Flottengrenzwerte zu erreichen. Eng verknüpft damit sind Forschung, Entwicklung und Produktion von Batterien und Batteriezellkomponenten. Das übergeordnete Ziel muss eine eigene europäische Batteriezellfertigung sein, die nachhaltige, innovative und zugleich wettbewerbsfähige Produkte herstellt.
In welchen Bereichen könnte sich die deutsch-slowakische Zusammenarbeit vertiefen, zum Beispiel im Zusammenhang mit den grünen Zielen der Union?
Der Schutz des globalen Klimas und der Umwelt ist unsere Verantwortung für kommende Generationen. In diesem Sommer haben wir extremes Wetter erlebt, verheerende Brände und Überflutungen, die zahlreiche Opfer forderten. Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen immer mehr Menschen in Europa ganz konkret und existenziell. Ich möchte mich auch für die große slowakische Anteilnahme an der Hochwasserkatastrophe in Deutschland bedanken.
Die Herausforderungen einer Transformation für mehr Klima- und Umweltschutz sind enorm. Die Slowakei und Deutschland sind Staaten mit starken Industrien. Wenn unsere Produkte auch in Zukunft in der Welt wettbewerbsfähig sein sollen, dann müssen wir diese grundlegenden Veränderungen aktiv angehen. Das muss so gelingen, dass der soziale Friede in unseren Gesellschaften erhalten bleibt. Wir sehen bereits jetzt, dass sich deutsche Akteure in der Slowakei verstärkt mit Nachhaltigkeitsfragen befassen, darunter zahlreiche Unternehmen, das Goethe-Institut und die politischen Stiftungen. Und natürlich verfolgen wir mit Interesse auch die slowakischen Maßnahmen zur Umsetzung der ambitionierten europäischen Klimaschutzziele.
Ist die europäische Hilfe an die Mitgliedsstaaten nach der Krise in Zusammenhang mit der Pandemie ausreichend oder erwarten Sie noch weitere Maßnahmen?
Dass sich die Mitgliedstaaten in der Corona-Krise auf solch ein neuartiges Hilfsprogramm mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro geeinigt haben, war ein Meilenstein. Der Hilfsfonds ist ein wichtiges Vertrauenssignal und Ausdruck gelebter Solidarität innerhalb der Europäischen Union. Für mich ist ganz entscheidend, dass wir den europäischen Geist der wechselseitigen Hilfe unter dem Druck der Pandemie erneuern konnten. Er ist für die künftigen großen Herausforderungen Europas eine unverzichtbare Kraft.
Nun sind aus dem Fonds gerade erst die ersten Gelder geflossen und über die genaue Verteilung wird teilweise erst im nächsten Jahr – auch abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder – entschieden.
Im vorigen Jahr haben wir gesehen, dass sich die Europäische Union als Ganzes Geld leiht, bislang handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme. Können Sie sich vorstellen, dass sie zu einer dauerhaften wird?
Ich halte die europäische Integration und Kooperation für unerlässlich, gerade in der Krise wäre es ungleich schwerer, stünde jeder von uns allein. Die Umsetzung des Next-Generation-EU-Pakets läuft an, und die Kreditaufnahme der Europäischen Union stößt am Kapitalmarkt auf große Nachfrage. Die geplante Tilgung der neuen EU-Schulden wird bis zum Jahr 2058 dauern: Dieses Projekt reicht also weit in die Zukunft.
Auslöser für diese gemeinsame Kraftanstrengung war die Pandemie, die uns alle schwer getroffen hat. Es war eine Antwort auf eine ganz besondere Lage und nicht die Vorbereitung einer Dauerlösung.
Welche sind aus Ihrer Sicht die größten Bedrohungen für die Demokratie in Europa? Sind es zum Beispiel der Populismus und die Desinformationen?
Europa als Ganzes und alle EU-Mitgliedstaaten stehen vor Problemen, die viele Menschen in unseren Gesellschaften beunruhigen. Die Klimakrise und die Notwendigkeit eines klimagerechten Umbaus unserer Wirtschaft stehen sicher weit oben auf der Agenda. Hinzu kommen die ungleichen ökonomischen und sozialen Entwicklungen innerhalb der EU, auch infolge der Finanzkrisen. Sie haben unseren politischen Zusammenhalt in den vergangenen Jahren strapaziert. Nicht zuletzt bleibt die sehr schwierige Frage, wie Europa mit Flüchtlingsbewegungen umgeht. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen, Repräsentanten und Prozesse ist entscheidend für eine funktionierende Demokratie. Die populistische Verhöhnung der liberalen Demokratie, der Hass auf Andersdenkende, die Angriffe auf Minderheiten, neuer Nationalismus und die Preisgabe von Vernunft und Kompromiss sind daher ernsthafte Krisenzeichen. Die Feinde der Freiheit erobern den politischen Raum, wenn sich die demokratischen Kräfte nicht zur Wehr setzen. Deshalb müssen wir wieder lernen, engagiert für die Demokratie einzustehen und unter Beweis stellen, dass sie in der Lage ist, mit den aktuellen Problemen fertig zu werden.
Wie nehmen Sie die Situation in Afghanistan nach dem Abzug der westlichen Alliierten wahr? Können Sie sich für die Zukunft eine Zusammenarbeit mit der Taliban-Bewegung vorstellen?
Wir haben getan, was wir tun konnten und mussten, um in den vergangenen Tagen möglichst viele Menschen aus Afghanistan in Sicherheit zu bringen, Menschen, denen wir Schutz und Zuflucht schulden. Unsere Regierung wird gemeinsam mit den Partnern alle zur Verfügung stehenden Kanäle nutzen, auch in Kontakten mit Vertretern der Taliban, um weitere Ausreisen aus Afghanistan zu ermöglichen. Wir alle, die wir uns in den vergangenen zwanzig Jahren für ein besseres Leben und ein stabiles Gemeinwesen in Afghanistan engagiert haben, müssen uns in diesen Wochen selbstkritische Fragen stellen. Es sind grundsätzliche Fragen, die auch das Selbstverständnis unserer Außenpolitik berühren. Wir sollten sie deshalb nicht schnell, sondern vor allem gründlich und ehrlich beantworten. Und nach Möglichkeit gemeinsam mit unseren Partnern, auch im atlantischen Bündnis.
Wird man, Ihrer Meinung nach, in dieser Situation auf europäischer Ebene auf Überlegungen zu Quoten für die Flüchtlingsaufnahme zurückkommen?
Beim Thema Flucht und Migration gibt es nach wie vor keine Einigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Wir haben bis heute in der EU nicht zu einer wirklich gemeinsamen Politik gefunden. Für mich ist klar: Wir müssen denen Zuflucht gewähren, die nach unseren selbstgesetzten Maßstäben Anspruch auf Schutz und auf Asyl haben. Das macht uns als Europäer aus, auch wenn wir nicht alle Menschen aufnehmen können, die aus guten Gründen ein besseres Leben suchen. Es wird weiterhin Krisen geben, die Menschen zur Flucht nach Europa bewegen. Damit müssen wir in Europa solidarisch umgehen und dürfen die Staaten mit einer EU-Außengrenze, gerade im Süden Europas, nicht allein lassen.
Verstehen sie die Befürchtungen aus der Ukraine, dass der Bau von Nord Stream 2 die Einnahmen des Landes reduziert, das so verwundbarer gegenüber Russland wird? Genauso kann die Slowakei um Einnahmen aus dem Gastransit kommen.
Die Debatte und auch der Streit über Nord Stream 2 dauern ja in Europa und auch auf der anderen Seite des Atlantiks bereits eine ganze Weile. Daher ist es gut, dass Deutschland und die USA nun einen Weg vereinbart haben, der den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden sucht. Das Wort des US-Präsidenten, wir sollten über solche Differenzen nicht die große Zahl gemeinsamer Interessen aus dem Blick verlieren, sollten wir aus meiner Sicht auch gemeinsam in Europa beherzigen.
Die Fragen stellte: Matúš Krčmárik