Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem Verein 321–2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland e. V. ein kurzes Interview gegeben, das am 18. Januar auf der Internetseite www.2021jlid.de des Vereins veröffentlicht wurde.
Was bedeutet das Festjahr "#2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland" für Sie?
Ich freue mich sehr darauf. Seit über 1.700 Jahren gibt es jüdisches Leben an Donau und Rhein – das ist eine beeindruckende Zeitspanne, an der wir ablesen können, wie lang, tief und untrennbar die jüdische Kultur mit der Geschichte Mitteleuropas und Deutschlands verwoben ist. Das Judentum gehört zu Deutschland, es hat die deutsche Geschichte und Kultur immer mitgeschrieben, vor und nach dem Zivilisationsbruch der Shoah – es prägt und es bereichert uns.
Das feiern wir mit diesem Festjahr und rücken hoffentlich mehr ins Bewusstsein, dass jüdisches Leben Teil unserer Gesellschaft ist: seit über anderthalb Jahrtausenden. Und dabei geht es auf keinen Fall nur um die Vergangenheit. Das Festjahr lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, das zeitgenössische jüdische Leben in seiner ganzen Vielfalt, mit seinem großen Schwung.
Was ist Ihnen besonders wichtig?
Für eine lebendige Gesellschaft, für ein gutes Miteinander ist es sehr wichtig, dass die Menschen in unserem Land, jüdisch und nicht jüdisch, aufeinander zugehen, sich austauschen und kennen. Aber das ist beschwerlicher geworden in den vergangenen Jahren. Antisemitismus und Fremdenhass, Nationalismus, religiös verbrämter Extremismus und Rassismus zeigen sich immer unverhohlener, auch, aber nicht nur im Netz. Es sind die alten, bösen Geister in neuem Gewand. Wer fürchten muss, auf offener Straße angegriffen zu werden, wird das Vertrauen schwerer aufbringen können, auf andere zuzugehen, sich zu öffnen und zu Hause zu fühlen.
Aber nur wenn Juden hier vollkommen sicher, vollkommen zu Hause sind, ist dieses Deutschland vollkommen bei sich. Die Zahl derer, die sich hörbar und sichtbar gegen Antisemitismus auflehnen, die ihn in den Medien, im Plenum des Deutschen Bundestages, in Behörden, in Schulen und Jugendzentren, am Arbeitsplatz, zu Hause und auf der Straße bekämpfen, muss größer werden – niemand darf wegschauen!
Was soll bleiben vom Festjahr? Was wünschen Sie sich für die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland?
Ich bin zutiefst dankbar, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder aufgeblüht ist. Und ich würde mir wünschen, dass es gelingt, dieses jüdische Leben stärker wahrzunehmen als das, was es ist: ein facettenreicher, individueller und eben auch ganz alltäglicher Teil unser vielfältigen Gesellschaft.
Das bedeutet aber auch: Jüdische Kultur und Religiosität müssen sich frei und sicher entfalten und entwickeln können. Es ist die Aufgabe des Staates, aber auch die Verantwortung der ganzen Gesellschaft, dafür Sorge zu tragen. Und wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte: mehr jüdische Deutsche, die in die Politik gehen.
Die Fragen stellte: Frau Nambowa Mugalu