Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der georgischen Wochenzeitung Kviris Palitra anlässlich seines Besuchs in Georgien ein schriftliches Interview gegeben, das am 7. Oktober erschienen ist.
Warum kommen Sie jetzt nach Georgien?
Ich bin Präsidentin Surabischwili sehr dankbar für die Einladung zu diesem Besuch. Ich kenne Georgien von mehreren Reisen als Außenminister – vor allem aus den schweren Tagen des Sommers 2008, als es nicht gelungen ist, den Krieg zu verhindern, an dessen Auswirkungen Ihr Land bis heute leidet.
Georgien und Deutschland verbindet eine lange und tiefe Geschichte. Georgien ist ein altes, kulturell unendlich reiches europäisches Kulturland. Das haben wir Deutsche zuletzt durch die eindrucksvolle Präsentation Georgiens bei der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr erfahren. Heute sind unsere Länder als europäische Demokratien miteinander verbunden.
Unsere Länder sind derzeit beide auf der Suche nach der richtigen Balance von individueller Entfaltung und gesellschaftlichem Zusammenhalt, nach Antworten auf eine politische Polarisierung, die für unsere Demokratien gefährlich werden kann. Deutschland und Georgien stehen gemeinsam vor den politischen und technologischen Herausforderungen unserer Zeit. Der Besuch eines deutschen Bundespräsidenten nach 23 Jahren war auch deshalb längst überfällig.
Welche wichtigen Themen werden beim Besuch besonders hervorgehoben?
Das wichtigste Thema meines Besuches ist unsere gemeinsame Zukunft als Demokratien und als europäische Nachbarn. Ein weiterer Akzent liegt auf unseren guten wirtschaftlichen Beziehungen. Georgien hat vieles an wichtigen Reformen auf den Weg gebracht. Aber unser wirtschaftlicher Austausch hat noch viel Potenzial. Dazu gehört etwa, dass mehr junge Menschen in Georgien die Chance zu einer guten dualen Berufsausbildung erhalten, denn die dabei erlernten Qualifikationen werden in der Wirtschaft dringend gebraucht. Dazu gehören aber auch mehr deutsche Investitionen. Deshalb begleiten mich bei meinem Besuch auch Vertreter deutscher Unternehmen. Ich freue mich, dass ich neben den politischen Gesprächen mit der Staatspräsidentin, mit dem Ministerpräsidenten und dem Parlamentspräsidenten auch georgische Kulturschaffende und Intellektuelle treffen werde, um mit ihnen über die Entwicklung Georgiens zu sprechen. Und vor allem freue ich mich darauf, mit Kachetien und seinen Kulturschätzen einen Teil Georgiens zu sehen, den ich noch nicht kenne. Ich will der ständig wachsenden Faszination nachspüren, die Georgien auf deutsche Reisende ausübt. Georgien ist längst kein Geheimtipp mehr. Das Interesse wächst, die Zahl der Touristen auch, und ich treffe immer mehr Deutsche, die bereits in Swanetien gewandert sind, die in den Clubs von Tiflis Nächte durchgetanzt haben, oder auch solche, die schon vor mir in Kachetien waren und von den georgischen Weinen schwärmen. Bei all diesen Themen wollen wir der deutsch-georgischen Zusammenarbeit einen neuen Impuls geben.
Ausgehend von der gegebenen Realität – wird Deutschland die Mitgliedschaft Georgiens in der NATO unterstützen? Ist Georgien bereit für die Mitgliedschaft in der NATO, und wenn nicht, welche konkreten Schritte muss Georgien tun, um endlich die Tür zur NATO aufzuschließen? Die Partner von Georgien begrüßen die Tatsache, dass zwischen Tiflis und Moskau ein direkter Dialog intensiv angefangen wurde. Aber Experten meinen, dass Georgien nicht allein bei Verhandlungen mit Russland bleiben soll und dass die EU hier die Moderation übernehmen sollte. Was denken Sie dazu?
Wir Deutsche kennen Georgiens Hoffnungen und Erwartungen. Wir kennen auch die nicht einfache geopolitische Lage Ihres Landes. Deutschland steht zu den im Bündnis getroffenen Verabredungen. Tatsächlich ist die praktische Kooperation – auch in Auslandseinsätzen wie in Afghanistan – in den letzten Jahren zunehmend enger geworden. Und auch Deutschlands Unterstützung für die territoriale Integrität Georgiens ist unverändert und ungebrochen. Ich werde mich auf meiner Reise auch vor Ort über die Situation an der Verwaltungslinie zu Südossetien informieren.
Es ist gut, dass die Gesprächskanäle zwischen Georgien und Russland auch auf Außenministerebene wieder geöffnet sind. Georgien spricht dabei souverän für sich – und es hat die Unterstützung seiner Partner. Für Deutschland steht fest: Territoriale Integrität ist ein Prinzip, ohne das es keine Friedensordnung in Europa geben kann.
Ehemalige amerikanische und europäische hochrangige Politiker sagen in ihren Interviews, wenn der Westen nach dem Krieg im August 2008 eine strengere Position Russland gegenüber eingenommen hätte, wäre nicht das passiert, was jetzt auf der Krim oder in der Ostukraine passiere. Was denken Sie? Fördert man aggressive Pläne Russlands, wenn man nicht streng genug gegen sie vorgeht?
Als Außenminister habe ich mich damals selbst sehr intensiv dafür eingesetzt, den drohenden Krieg zu verhindern. Die Gründe, warum das nicht gelungen ist, sind sorgfältig auf internationaler Ebene aufgearbeitet worden. Heute beruht die georgische Politik auf klarem Gewaltverzicht. Das halte ich für klug. Was 2014 mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem gewaltsamen Vorgehen Russlands in der Ostukraine geschehen ist, steht aber auf einem anderen Blatt. Europa hat mit seinen internationalen Partnern darauf eine deutliche und geschlossene Antwort gegeben, die auch heute uneingeschränkt gilt. Der Konflikt konnte eingedämmt werden, gelöst ist er aber leider bisher nicht. In den letzten Tagen gibt es immerhin Signale für neue Bewegung auf beiden Seiten. Auch hier gilt: Ohne die Achtung der territorialen Integrität kann es keine dauerhafte Friedensordnung in Europa geben.
Vor einiger Zeit war in der deutschen Presse viel über georgische illegale Migranten zu lesen. Für Georgien war dieses Thema sehr schmerzhaft, da die Gefahr bestand, dass im Falle der Eskalation dieses Problems Deutschland für Georgien die Aussetzung der Visafreiheit verlangen würde. Wie ist nach Ihrer Information die Lage heute, und wie können die Fragen der Arbeitsmigration zwischen beiden Ländern geregelt werden?
Die Visafreiheit ist ein Meilenstein im Verhältnis Georgiens zu Europa. Die Türen für mehr Austausch zwischen der EU und Georgien sind damit weit aufgestoßen. Das kann allerdings dauerhaft nur funktionieren, wenn die neu erlangte Freiheit nicht missbraucht wird. Tatsächlich beantragen jedes Jahr Tausende von georgischen Bürgern in Deutschland Asyl. Und in nahezu allen Fällen kommen unsere Behörden und Gerichte zu dem Schluss, dass diese Asylanträge unberechtigt sind. Die deutschen Behörden arbeiten hier sehr eng und gut mit den georgischen zusammen.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen: Es gibt auch legale Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen, um bei uns zu studieren, einen Beruf zu erlernen oder zu arbeiten. Dafür sind unter anderem eine Sprachprüfung und der Nachweis eines bestimmten Ausbildungsstands erforderlich. Ich hoffe, dass künftig noch mehr Georgier nach Deutschland kommen, bei uns lernen und arbeiten und dann ihre Kenntnisse und Fähigkeiten wieder in Georgien einbringen. Auch davon können unsere beiden Länder profitieren.
Die Fragen stellte: Giorgi Kvitashvili