Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem ZDF-Morgenmagazin im Rahmen seiner Terminserie Land in Sicht
am 7. Juni in Anklam ein Interview gegeben, das live gesendet wurde.
Herzlich willkommen, wir sind in Anklam auf dem Marktplatz. In der Tat sprechen wir seit 6 Uhr schon über das Thema Landflucht
hier in Anklam mit Bürgern und Politikern und zwei Vertreterinnen des Jugendparlaments, der Bürgermeister ist hier und der Staatssekretär für Vorpommern. Wir sprechen über das Thema Landlust
, weil so viele Menschen sich entschließen, hier in diesem wirklich wunderschönen Landstrich zu bleiben. Aber auch über das Thema „Landfrust“. Die Dörfer veröden hier und da, es gibt zu wenig Infrastruktur, zu wenig Digitalisierung, und über die Probleme sprechen wir eben heute Morgen auch. All das nehmen wir jetzt mit und wollen dazu den Bundespräsidenten befragen, den ich hier herzlich begrüße. Herzlich willkommen! Guten Morgen, Frank-Walter Steinmeier!
Sie sind ja in diesen Tagen auch in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs mit ihrer Aktion Land in Sicht
. Da geht es um die Entwicklungsperspektiven im ländlichen Raum. Gestern waren Sie hier in der Gegend in dem schönen Ort Rothenklempenow – dort haben Sie sich ein Bio Catering Startup angeguckt. Das ist ein Dorf nahe der polnischen Grenze, da sind viele Städter, die sich hier selbstständig gemacht haben. Nun kann ich mir vorstellen, Ihnen als Bundespräsident werden hier die roten Teppiche ausgerollt. Aber Sie haben auch sicherlich ein bisschen was von den Schwierigkeiten hier in der Region mitbekommen. Was ist Ihr Eindruck?
Ich suche ja nicht die roten Teppiche. Aber ich habe mit Absicht meine Reise durch die ländlichen Räume nicht mit der Überschrift Landflucht
versehen, sondern das heißt mit großer Absicht Land in Sicht
, weil ich dieses Gerede über abgehängte Räume, ehrlich gesagt, nicht mehr hören kann. Es ist, glaube ich, auch deprimierend für die Menschen, die notwendigerweise auf dem Land leben müssen; da komme ich auch her und hätte das nicht besonders beglückend gefunden. Deshalb sage ich, lass uns doch mal da hingehen, nicht verschweigen, wo es Probleme gibt. […] Ich bin, glaube ich, 1992/1993 das erste Mal in Anklam gewesen. Anklam hat viele Jahre um seinen Ruf gekämpft. Viele hatten die Stadt schon abgeschrieben, vielleicht sogar auch einige hier aus der Region.
Damals sah es ja noch anders aus, oder?
Es sah sehr anders aus – inzwischen hat sich die Stadt wunderbar entwickelt, es gibt heute mehr Zuzüge als Wegzüge. Es gibt viele Aufgaben und Probleme, aber wir sollten auch nicht verschweigen, wo es diese Aufwärtsentwicklung und positive Entwicklungen gibt.
Wir zeigen heute beides hier im ZDF Morgenmagazin mit MoMa vor Ort
– was sich hier tut in Anklam, deshalb sind wir auch hier, aber es hapert auch noch an einigen Stellen.
[ZDF-Einspieler über Anklam]
Herr Bundespräsident, wir haben es gerade im Beitrag gesehen: Der Mann hat gesagt, er fühlt sich abgehängt. Die Politik in Berlin und Brüssel kommt nicht an. Wenn sich die Menschen oder manche der Menschen hier so alleine gelassen fühlen, was hat die Politik da versäumt?
Ich glaube, wir müssen einfach erkennen, dass wir eine objektive, eine wachsende Distanz zwischen dem ländlichen Raum und den Städten haben. Und die darf nicht größer werden. Das ist Aufgabe der Politik. Ich stimme überhaupt nicht überein mit jüngsten wissenschaftlichen Äußerungen, die es gegeben hat, die öffentliche Förderung ganz auf Städte zu konzentrieren. Mir geht dabei immer eine Realität verloren, die offensichtlich aus dem Blick geraten ist: dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland im ländlichen Raum wohnt und eben nicht in den Städten. Ungefähr 57% der Menschen wohnen im ländlichen Raum. Denen zu sagen, da kommt keine Förderung mehr hin, das finde ich zynisch. Deshalb müssen wir im ländlichen Raum weiterhin fördern. Die Aufgaben liegen auf der Hand, sie waren eben im Beitrag schon genannt: Infrastruktur, Straßen sind das eine, aber auch moderne Infrastruktur wie Internet – die wird erforderlich sein, gerade um auch Betriebe zu halten, vielleicht auch Betriebe zu interessieren, wieder in den ländlichen Raum zu kommen, wo die Ansiedlungsbedingungen vielleicht günstiger sind als in der Stadt.
Es sind sich ja alle einig, dass das gefördert werden muss. Internet war hier heute Morgen auch ein großes Thema. Eine Steuerberaterin hat gesagt: Ich würde gerne auch Homeoffice machen; das geht nicht, weil das Internet zu langsam ist.
Gestern Abend hatten wir diesen Bürgerdialog hier, da sagt eine Frau, sie würde gern in der ZDF Mediathek Filme gucken – geht auch nicht; das Internet ist viel zu langsam. Das heißt, es sind sich ja alle einig, aber es passiert offenbar nichts. Was kann man tun, was kann die Politik tun, dass es sich endlich verändert und verbessert?
Ich glaube, es ist kein Wahrnehmungsproblem – erkannt ist es. Es geht jetzt darum, dass das umgesetzt wird. Und dass der Satz, der eben auch gefallen ist, Wir brauchen 5G nicht an jeder Milchkanne
, nicht so verstanden wird, dass die ländlichen Räume nicht mehr in den Genuss moderner Infrastruktur kommen. Ganz im Gegenteil, wir brauchen gerade in den ländlichen Räumen Internetverbindungen, wie ich eben gesagt habe – nicht nur, um die ZDF Mediathek zu erschließen, das vielleicht auch, aber vor allem ist es wichtig, um wirtschaftliche Zukunft hier in diesen ländlichen Räumen möglich zu machen. Deshalb, ja!, muss da investiert werden, und deshalb muss die Politik da auch in die Pötte kommen.
Sie haben eben eine hochinteressante Diskussion angesprochen, die es ja in der Tat gibt: Sollte man vor allem die Städte fördern und das Land oder Teile des Landes nicht mehr? Da haben Sie ja klar Position bezogen. Aber kann man wirklich das Land großflächig in seiner Gänze fördern, oder ist es nicht doch so, dass man auswählen muss und manche Dörfer, die vielleicht zu klein sind, wo zu wenig Menschen leben, dass man die vielleicht aufgibt, um die anderen Dörfer jenseits der Städte zu erhalten?
Es geht nicht nur um öffentliche Förderung. Aber wenn ich einen Satz dazu sagen darf – hier beginnt vielleicht auch das Missverständnis, als ob jede öffentliche Förderung automatisch nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird. Das ist nicht wahr. Wir haben gestern gerade viele Orte in Vorpommern gesehen, die sehr profitieren von europäischen Fördermitteln aus unterschiedlichen europäischen Programmen. Das LEADER-Programm ist vielleicht dasjenige, das am meisten in Anspruch genommen wird; das ganz gezielt eben nicht flächendeckend, nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nach der Qualität der Projekte vorgeht. Und wir haben gesehen, dass mit diesem Programm von Dorfgemeinschaftshäusern bis zu Einrichtungen, in denen Nischen gesucht werden für zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, nicht nur qualitätshaltige, sondern wirklich zukunftsträchtige Förderung betrieben werden kann.
Wenn Sie mir noch einen Satz erlauben, dann einen Nachsatz zu dem Verhältnis von öffentlicher Förderung auf der einen Seite und der Rolle der Menschen, die auch hier auf dem Marktplatz in Anklam stehen, auf der anderen Seite. Ich habe wirklich auf dieser Reise unter der Überschrift Land in Sicht
in allen Städten Deutschlands immer wieder festgestellt: Vieles hängt auch an den Menschen selbst. Sie haben manchmal Kleinstädte, in denen Sie einen kleinen Kreis von ehrenamtlich Tätigen sehen, die was verändern wollen und die Andere mitnehmen. Und Sie sehen, dass eine Entwicklung in Gang kommt, wie ich sie zum Beispiel in einer Kleinstadt in Sachsen gesehen habe, wo wir einen Bürgermeister haben, der hat gesagt: Ja, hier gibt es vieles, was nicht mehr da. Hier ist die Tankstelle weg, da ist das Café weg. Jetzt öffne ich selbst ein Café.
Und er hat ein paar Leute gesucht, mit denen er den Kindergarten […]
Also Eigeninitiative?
Eigene Initiative – indem er auch, sagen wir mal, den öffentlichen Stellen gezeigt hat: Hier geht noch was. Und wenn da etwas in Gang gekommen ist, dann interessiert sich die Politik auch wieder stärker. Wie ich überhaupt finde, dass Politik in den ländlichen Räumen stärker präsent sein muss. Sie müssen Ansprechpartner sein für die Menschen nicht nur in der Stadt, sondern gerade auch im ländlichen Raum.
Viele Probleme, die Sie angesprochen haben, gelten ja für viele ländliche Räume. Was hier so ein bisschen besonders ist in Vorpommern: dass die rechten Parteien doch sehr stark sind. Zwei Sitze der NPD im Stadtrat, bei den Kommunalwahlen jetzt die AfD zweitstärkste Kraft. Kann man das alleine damit erklären, dass sich hier viele Menschen auch nach den Brüchen nach der Wende in den letzten 30 Jahren abgehängt fühlen, oder gibt's da andere Erklärungen dafür?
Wenn sich solche Entwicklungen ergeben, hat das nie nur einen Grund, aber ich vermute, es hat schon viel zu tun mit den Jahren unmittelbar nach der Wende. Es gab sicherlich auch Jahre, in denen das Thema verschwiegen worden ist. Ich würde heute einen fairen Blick auf die Situation werfen wollen und sagen: Ja, das Problem ist nach wie vor da. Aber was sich doch verändert hat: Wir haben doch heute eine mit der Demokratie, mit dem Grundgesetz verbundene große Mehrheit der Bevölkerung, die dieses Land repräsentiert und auch gar nicht will, dass es geprägt wird durch Rechtsextremisten insbesondere. Insofern verändert sich was, ohne dass ich jetzt sage, es ist alles gut. Aber diese Veränderungen hin zu einem positiven Gesamtbild sollten wir auch in der Öffentlichkeit nicht verschweigen und nicht immer wieder hier gerade von Anklam diese Wahrnehmung, wie sie vor kurzem noch in Zeitungen beschrieben worden ist, als sozusagen Hort von Rechtsextremisten [befördern]. Sie [das ZDF] haben sich hier in der Stadt bewegt und haben dieses Bild ja wahrscheinlich auch nicht wiedergefunden.
Nein. Ganz kurz – wir müssen leider zurückgeben nach Berlin, vielen Dank, Herr Steinmeier! Das wollte ich noch sagen: Land in Sicht
machen Sie ja weiter?
Land in Sicht
geht weiter, natürlich.
Sie sind zum siebten Mal unterwegs.
Heute ist die siebte Station. Wir haben im Bayerischen Wald angefangen, über die Südwestpfalz, Nord-Niedersachsen, jetzt hier noch in Vorpommern.
Und wie wir gesehen haben, immer nah an den Leuten. Vielen Dank Herr Steinmeier. Vielen Dank, Herr Bundespräsident!
Die Fragen stellte: Andreas Wunn