Interview mit der ecuadorianischen Tageszeitung El Comercio

Schwerpunktthema: Interview

10. Februar 2019

Der Bundespräsident hat der ecuadorianischen Tageszeitung El Comercio ein Interview gegeben, das am 10. Februar erschienen ist: "Das Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist die Zukunft der Demokratie. Wir sehen, wie sie an vielen Orten der Welt unter Druck ist. Wir sehen aber auch, wie an vielen Orten in der Welt neue Hoffnung keimt – wie in Ihrer Nachbarschaft, in Venezuela. Sie selbst sind auch ein Beispiel für Öffnung, Aufbruch und Erneuerung. Ecuador setzt hier seit einiger Zeit Maßstäbe."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Arbeitszimmer (Archivbild)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der ecuadorianischen Tageszeitung El Comercio anlässlich des offiziellen Besuchs in der Republik Ecuador ein Schriftinterview gegeben, das am 10. Februar erschienen ist.

Was ist Ihrer Meinung nach Humboldts wichtigstes Vermächtnis im Umweltbereich, für Deutschland und die Welt?

Der 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt in diesem Jahr ist für mich ein willkommener Anlass, die langen und engen Verbindungen zwischen Deutschland und Lateinamerika zu würdigen und ihnen einen neuen Impuls zu geben. Ich freue mich dabei ganz besonders, Ecuador zu besuchen. Für mich eine Premiere.

Das Vermächtnis von Alexander von Humboldt für unsere ganze Welt ist die Einsicht, dass in der Natur alles mit allem verbunden ist, dass der Mensch Teil der Natur ist, nicht ihr Herr, dass auch der Schutz der Umwelt dem Menschen Verpflichtung sein muss. Dies ist ein Naturverständnis, für das wir heute wie selbstverständlich den Begriff der Ökologie verwenden; ein Begriff der allerdings erst Jahrzehnte nach Humboldt geprägt wurde.

Mir geht es auf dieser Reise aber noch um mehr: Das Thema, das mir besonders am Herzen liegt, ist die Zukunft der Demokratie. Wir sehen, wie sie an vielen Orten der Welt unter Druck ist. Wir sehen aber auch, wie an vielen Orten in der Welt neue Hoffnung keimt – wie in Ihrer Nachbarschaft, in Venezuela. Sie selbst sind auch ein Beispiel für Öffnung, Aufbruch und Erneuerung. Ecuador setzt hier seit einiger Zeit Maßstäbe, die weit über die Grenzen des Landes hinaus Aufmerksamkeit verdienen. Und das in einem alles andere als einfachen regionalen Kontext. Ich habe großen Respekt für die beherzten Reformen, die Staatspräsident Moreno und seine Regierung auf den Weg gebracht haben.

Humboldt wird als erster Wissenschaftler betrachtet, der vom Klimawandel spricht. Wie hat die Person Humboldt die Umweltpolitik Ihres Landes beeinflusst und was sind Deutschlands wichtigste Maßnahmen im Kampf gegen dieses Phänomen?

Alexander von Humboldt war ein Pionier dieses Denkens. Sein Verständnis der Umwelt als schützenswerte Sphäre, die wir Menschen mehr brauchen, als sie uns braucht, gilt bis heute. Ich wage zu behaupten, dass er seine Botschaft heute – 200 Jahre später – mindestens genauso eindringlich formulieren würde. Ob es der Plastikmüll im Meer ist, oder das sich verändernde Weltklima mit seinen Konsequenzen: Kein einzelner Staat kann diese riesigen Herausforderungen bestehen. Das geht nur gemeinsam, nur global.

Für einen deutschen Bundespräsidenten ist es eindrucksvoll, wenn eine Persönlichkeit aus Deutschland, wenn ein Berliner, in einem Land wie Ecuador so präsent ist. Es ist aber nicht so, dass die Deutschen Alexander von Humboldts Vorstellungen des Miteinanders von Mensch und Natur seit mehr als 200 Jahren unverbrüchlich folgen.

Wir fangen in Deutschland andererseits mit den ökologischen Themen auch nicht bei null an. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten einen weiten Weg zurückgelegt. In meine Lebensspanne gehört sowohl der Einstieg in als auch der Ausstieg aus der Atomenergie. Wir haben die Verbrennungsmotoren so verbessert, dass unsere Luft deutlich sauberer geworden ist. Mittlerweile führen wir in Deutschland eine Debatte – auch international angestoßen – welche Zukunft diese Art von Motor überhaupt noch hat. Den Deutschen ist der Umweltschutz auch ganz praktisch wichtig. Als Industrieland ist uns bewusst, wie schwierig es sein kann, ökonomische Ambitionen und ökologische Rücksichten miteinander zu vereinbaren. Auch hier hilft der Austausch mit anderen Staaten, die vor vergleichbaren Aufgaben stehen.

Worin genau besteht die Energiewende, die in Deutschland vorangetrieben wird?

Unsere Energieerzeugung richten wir immer stärker auf die Nutzung vor allem von Wind und Sonne aus. Wir entwickeln technisches Know-how für effizienten Energieeinsatz in sämtlichen Lebensbereichen, und wir achten verstärkt darauf, weniger Energie zu verbrauchen – und das ohne Einschränkungen der Lebensqualität, beispielsweise durch die bessere Isolierung von Häusern. All das gehört bei uns zur Energiewende.

Vor fast 20 Jahren haben wir den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, weil deren strahlende Abfälle noch viele Generationen belasten werden. Vor Kurzem ist die wichtige Grundsatzentscheidung gefallen, aus der Kohleverstromung auszusteigen, damit weniger Kohlendioxid in die Erdatmosphäre gelangt.

Das braucht Zeit. Aber unser Ehrgeiz ist es, als hochentwickelte Industrienation diese Ziele zu erreichen. Und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann, und unsere Erfahrungen auch für andere Länder wertvoll sein können.

Welchen Einfluss, glauben Sie, hatte Humboldts Reise nach Ecuador auf seine spätere Arbeit?

Humboldts Reise durch Ecuador hat sein Denken ohne Zweifel tief geprägt und zu seinen Erkenntnissen und späteren Werken beigetragen. Die fünf Monate mit Carlos Montúfar in Quito, und die vielen Jahre, die sie als Gefährten reisten, haben ihn und seine Arbeit inspiriert.

Und denken wir nur an den Chimborazo und den wagemutigen Versuch, ihn zu besteigen. Das hat fast geklappt. Es war jedenfalls für viele Jahre die höchste von europäischen Bergsteigern erreichte Höhe – wie üblich und geübt von Humboldt selbst mit 19.413 Fuß gemessen. Zurück auf tieferen Ebenen nutzte er das Relief des Chimborazo als Schablone für sein weltweit berühmtes Naturgemälde.

Alexander von Humboldt war aber nicht nur Naturforscher. Sondern auch ein Humanist, der von manchen Auswüchsen des Kolonialismus, die ihm begegneten, regelrecht abgestoßen war. Es gibt in seinen Reiseaufzeichnungen eine Stelle, wo er auf der Route von Bogota nach Quito miterlebt, wie sich andere Reisende tragen lassen. Dazu schreibt Humboldt: Mir ist es unmöglich gewesen, auf Menschen zu reiten. Das war in diesem Beispiel ganz konkret gemeint, lässt sich aber bei einer Persönlichkeit wie Humboldt auch in einem größeren, übertragenen Sinne verstehen.

Wie stehen Sie zu Ecuadors Maßnahmen in der Umweltpolitik der letzten Jahre?

Ich freue mich über den spürbar dialogorientierten und pragmatischen Ansatz in der Umwelt- und Entwicklungszusammenarbeit. Dass Ecuador und Deutschland zum Naturschutzgebiet Yasuní ein neues Kapitel aufschlagen konnten, begrüße ich.

Aus der Iniciative Amazónica zum Schutz des Amazonas und seiner dort lebenden Menschen, und dem Programm Reverdecer Ecuador, das den Rechten der Natur zu ihrer Geltung verhelfen will, spricht der Geist und das Naturverständnis Alexander von Humboldts. Er hätte sich bestimmt gefreut, dass die Bewahrung von Pachamama, also der Mutter Natur, in der ecuadorianischen Verfassung verbrieft ist und gelebt wird.

Auf welche Umweltaspekte konzentriert sich Deutschlands Unterstützung von Ecuador?

Wir wollen dort unterstützen, wo Ecuador selbst Bedarf sieht und wo Deutschland etwas anzubieten hat. Wir orientieren uns dabei an den Ökozonen des Landes.

Das heißt konkret: An der Küste unterstützen wir die nachhaltige Bewirtschaftung von Mangroven, im Hochland helfen wir, die lokale Landwirtschaft an sich verändernde Klimabedingungen anzupassen. Im Amazonas steht etwa die Saatgutvermehrung im Mittelpunkt, und auf Galapagos bekämpfen wir gemeinsam mit lokalen Partnern auf Seymour Norte eingeschleppte Schädlinge.

Welche Rolle spielen die Galapagos Inseln heute in den Projekten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit?

Die Galapagos-Inseln sind nicht nur wegen ihrer einzigarten Tier- und Pflanzenwelt ein unbedingt schützenswertes Naturerbe. Dort kann man auf kleinstem Raum sehen, was Humboldt meinte, wenn er sagte: Alles ist Wechselwirkung. Dort wird spürbar, wie verletzlich die Natur auf Einflüsse und Eingriffe von außen reagiert. Galapagos ist ein Schatz, den Ecuador für die ganze Menschheit bewahren hilft – auch in unserem Interesse. Deshalb helfen wir gerne dabei mit.

Ein Beispiel: Auf der Insel Isabela entsteht ein nachhaltiges Kraftwerk, um die Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Finanziert wird es von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau und dem Ecuadorianischen Ministerium für Energie und erneuerbare Energien, gebaut wird es von Siemens.

Mir liegt die Botschaft am Herzen, dass Ökologie und Ökonomie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern Hand in Hand gehen können. In seinem Plädoyer, Natur und Mensch zusammen zu denken, ist Alexander von Humboldts Denken für uns noch heute sehr modern und ein guter Kompass für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überall auf der Welt.