Schriftinterview mit der Siegener Zeitung

Schwerpunktthema: Interview

27. Juni 2020

Elke Büdenbender hat der Siegener Zeitung für ihr "Handwerk Special" ein Schriftinterview gegeben, das am 27. Juni 2020 erschienen ist.

Elke Büdenbender (Archivbild)

Elke Büdenbender hat der Siegener Zeitung für ihr Handwerk Special ein schriftliches Interview gegeben, das am 27. Juni erschienen ist.

Frau Büdenbender, 2018 wurden Sie mit der Ehrenmedaille des Deutschen Handwerks ausgezeichnet, weil Sie sich als Fürsprecherin der dualen Ausbildung besonders verdient gemacht haben. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Über die Auszeichnung mit der Ehrenmedaille des Deutschen Handwerks habe ich mich sehr gefreut. Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit im Bildungsbereich sind meine Themen. Hier möchte ich möglichst viel bewegen durch mein Engagement während der Amtszeit meines Mannes als Bundespräsident. Ich möchte Aufmerksamkeit auf den besonderen Wert und die Vielfalt der beruflichen Bildung lenken.

In jedem jungen Menschen schlummern Talente. Die Aufgabe von uns Erwachsenen ist es, ihnen dabei zu helfen, diese Talente zu entdecken. Das hilft ihnen nicht nur dabei, selbstbewusst durch das Leben zu gehen, sondern auch eine Berufswahl zu treffen, die ihren Neigungen und Interessen entspricht. Außerdem sind der Ausbildungs- und der Arbeitsmarkt in Deutschland immer noch zu stark an vermeintlich typischen Geschlechterrollen orientiert. Und vielfach besteht der Glaube, dass ein Studium in ein besseres und glücklicheres Berufsleben führt. Wenn ein junger Mann jedoch entdeckt, dass er besonders gut mit älteren Menschen kann – wieso sollte er dann nicht in die Altenpflege gehen? Oder wenn eine junge Frau feststellt, dass sie geschickt mit Holz umgehen kann, was sollte sie davon abhalten, Tischlerin zu werden?

Zum Thema berufliche Bildung und Ausbildungsberufe führe ich immer wieder Gespräche – unter anderem mit Hans Peter Wollseifer, dem Präsidenten des Deutschen Handwerks, und mit Holger Schwannecke, dem Generalsekretär. Daraus hat sich eine wunderbare und sehr fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt!

Auch Sie haben damals nach Ihrem Abitur am Siegerland-Kolleg zunächst eine Ausbildung gemacht. Wie hat Sie diese Zeit für Ihr Leben geprägt?

Neben wunderbaren, lebenslangen Freundschaften hat mir meine Ausbildung sehr auf meinem weiteren beruflichen Weg geholfen. Während der Ausbildung bin ich in die Gewerkschaft eingetreten und habe dort Menschen kennengelernt, die meine Vorbilder wurden. Durch sie habe ich von der Möglichkeit erfahren, dass auch ich mich weiterqualifizieren und das Siegerland-Kolleg besuchen kann, um das Abitur zu machen.

Später habe ich mich dann ja entschieden, noch weiter zu gehen und Jura zu studieren. Meine Freunde und Vorbilder aus der Zeit meiner Ausbildung haben mir nicht nur Ideen, sondern auch Halt für diesen weiteren Schritt gegeben. Und auch die Inhalte aus der Ausbildungszeit konnte ich wunderbar im Jurastudium einsetzen: Es hilft ungemein, wenn man aus der Praxis weiß, was zum Beispiel ein Wechsel ist und nicht nur darüber in Büchern liest.

Wir erleben immer noch den Trend, dass viele junge Menschen auf Biegen und Brechen ein Studium ansteuern oder von ihren Familien in diese Richtung "geschoben" werden. Kann eine solide duale Berufsausbildung mit dem universitären Bildungsweg "mithalten"? Wie kann in Ihren Augen die Wertschätzung für eine Ausbildung im Handwerk gesteigert werden?

Wir sollten berufliche Bildung und Hochschule nicht im Wettbewerb zueinander sehen. Kein Ausbildungsweg ist von vorne herein besser als der andere. Viele Ausbildungsberufe verlangen den jungen Menschen einiges an theoretischem, vor allem technischem Wissen ab. Mein Mann und ich waren vor einiger Zeit im Berufsbildungs- und Technologiezentrum Gallinchen bei Cottbus. Dort werden unter anderem Anlagenmechanikerinnen und -mechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ausgebildet. Wenn es da um Dinge wie Smart Home geht, braucht man einiges an mathematischem und naturwissenschaftlichem Wissen. Und es gibt ja auch Studiengänge, die es nicht unbedingt einfach machen, einen gut bezahlten Einstieg ins Berufsleben zu finden.

Am Ende kennen wir es doch von uns selbst: Die Dinge, die uns Freude machen, gehen leichter von der Hand. Wenn aber jemand anderes meint, wir müssten Dinge machen, dann verlassen uns Lust und Motivation. Das ist doch in Ausbildung und Beruf ganz ähnlich. Der eine mag das Lernen im Universitätsbetrieb, die andere macht lieber etwas mit ihren Händen. Am Ende können aber beide Wege zum Traumberuf führen.

Nach wie vor macht der Staat bei der Förderung von Studium und Ausbildung große Unterschiede. Noch immer werden die Ausbildungskosten von den Betrieben getragen und eine teure Meisterausbildung muss – im Gegensatz zum Studium – im erheblichen Umfang privat finanziert werden. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um mehr jungen Menschen den Karriereweg im Handwerk finanziell zu ebnen?

Es geht dabei nicht nur um die konkreten Kosten für die Ausbildung. Bei meinen Besuchen in verschiedenen Einrichtungen berichteten mir eigentlich alle immer wieder, dass ein Azubi-Ticket – ähnlich dem Semesterticket für Studierende – eine große finanzielle Hilfe wäre. Mancherorts gibt es das bereits. Und in Zeiten, in denen Wohnraum immer teurer wird, wünschen sich viele auch Wohnheime für Auszubildende und nicht nur für Studierende.

Und dann gibt es Fördermöglichkeiten, die auch einfach noch nicht so bekannt sind. So wie Studierende über die Erasmus-Programme der Europäischen Union ein Auslandssemester machen können, besteht für Auszubildende auch die Möglichkeit, über das Erasmus+ Programm Erfahrungen im EU-Ausland zu sammeln. Als überzeugte Europäerin finde ich das großartig und für den Zusammenhalt in Europa auch sehr wichtig. Deshalb erwähne ich diese Möglichkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Arbeiten in angestaubten und unmodernen Werkstätten war gestern. Als Botschafterin der dualen Ausbildung haben Sie bereits viele Berufsbildungszentren, Berufskollegs und Ausbildungsbetriebe besucht. Auch in Ihrer Heimat – dem Siegerland – stehen Ihnen die Türen für einen Besuch in den modernen Aus- und Weiterbildungszentren des Handwerks weit offen. Wie empfinden Sie insgesamt die personelle und technische Ausstattung sowie den Stand der Digitalisierung?

In der Tat sind heutzutage viele Werkstätten nicht mehr staubig und dunkel, sondern es dominieren hochtechnologische Anlagen und Maschinen, die man nicht nur bedienen können, sondern vielfach auch programmieren muss. Die junge Generation hat in puncto Digitalisierung auch gar keine großen Berührungsängste – vieles, was wir Älteren uns mühsam erschließen mussten und müssen, ist für sie ganz selbstverständlich. Davon können die Älteren einfach viel lernen. Ja, man sollte dieses Potenzial nutzen. Warum sollte eine Auszubildende ihrem Betrieb nicht einen überzeugenden Internetauftritt gestalten oder die Kundenkommunikation digitalisieren? Übrigens benutze ich bewusst die weibliche Form, denn natürlich können junge Frauen dies genauso gut wie junge Männer!

Durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft ist die Zukunft für Betriebe schwer planbar. Wie steht es in dieser Zeit um die Ausbildungsverhältnisse? Ist zu befürchten, dass die Zahlen einbrechen und sich damit der Fachkräfte-/Nachwuchsmangel weiter verschärft?

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind enorm, natürlich auch für die Ausbildungsbetriebe. Ich war daher sehr froh zu hören, dass das große Konjunkturpaket der Bundesregierung genau das aufgegriffen hat und Betriebe, die ihr Ausbildungsplatzangebot erhalten oder sogar erhöhen, mit Prämien fördert. Das ist eine sehr wichtige Maßnahme, um den Ausbildungsplatzbedarf zu erhalten und auch um die berufliche Bildung zu stärken. Ich finde, alle Betriebe, die ausbilden, verdienen unsere Unterstützung. Sie tun enorm viel für die jungen Menschen in unserem Land und damit für uns alle.

Was raten Sie jungen Menschen und auch deren Eltern in Bezug auf die Berufswahl? Welche eigenen Erfahrungen haben Sie durch Ihre Eltern und auch bei Ihrer Tochter gemacht?

Talente entdecken und fördern – das ist ganz entscheidend! Es macht junge Menschen selbstbewusst und rüstet sie für die Zukunft. Selbstbewusstsein und eine gute Ausbildung – sei es durch ein Studium oder eine duale Ausbildung – bedeuten Sicherheit in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint.

Die Fragen stellte: Rebecca Dalhoff