Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung

Schwerpunktthema: Interview

24. Dezember 2018

Elke Büdenbender hat der Neuen Osnabrücker Zeitung ein Interview gegeben, das am 22. Dezember erschienen ist. Darin heißt es: "Chancengleichheit haben wir wirklich erst dann erreicht, wenn ganz selbstverständlich das Akademikerkind eine Lehre macht, und wenn Töchter und Söhne eines nicht-akademisch ausgebildeten Elternpaars studieren. Meine Botschaft an alle Eltern ist: Stützen Sie ihre Kinder in ihren Talenten, auch wenn sie einen anderen Bildungsweg gehen als von Mutter oder Vater erwartet."

Elke Büdenbender während eines Interviews (Archivbild)

Elke Büdenbender hat der Neuen Osnabrücker Zeitung ein Interview gegeben, das am 22. Dezember erschienen ist.

Frau Büdenbender, 2018 neigt sich dem Ende zu. War es ein gutes Jahr?

Für mich war es ein sehr erfülltes Jahr und politisch betrachtet war es hierzulande ungewöhnlich spannend. Es konnte doch keinen unberührt lassen, wie lange zum Beispiel die Regierungsbildung dauerte. Gerade auf Auslandsreisen haben wir wahrgenommen, dass das sehr aufmerksam verfolgt wurde. Der Sorge um Deutschlands Stabilität sind wir in Deutschland und im Ausland immer wieder begegnet. Ich habe diese Sorge allerdings nicht geteilt.

Finden Sie, dass die Deutschen zu viel jammern?

Ich bin jedenfalls häufig beeindruckt von der Zuversicht und von der inneren Kraft von Menschen, die unter widrigsten Umständen leben müssen. Im Oktober habe ich auf einer Libanonreise als UNICEF-Schirmherrin auch einige Flüchtlingsunterkünfte besucht. Vor allem die Kinder und Jugendlichen hatten dort so einen positiven Spirit, dass ich dachte, den müssten wir in Flaschen packen und mit nach Deutschland nehmen.

Sie haben im ersten Amtsjahr des Bundespräsidenten mit dem Bundespräsidenten eine Reise ins Innere der Republik unternommen und in allen 16 Bundesländern Station gemacht. Was haben Sie entdeckt?

Ich war begeistert, wie stark sich die Deutschen ehrenamtlich engagieren – und dies sogar dann, wenn sie kleine Kinder oder betagte Eltern betreuen. Und ich habe keine gespaltene, von der Migrationsdebatte aufgeriebene Gesellschaft erlebt. Im Gegenteil: Die Deutschen packen an. Außerdem habe ich Teile des Landes kennengelernt, die mir bislang unbekannt waren – der Bergbau im sächsischen Freiberg ist da nur ein Beispiel. Ich selbst komme aus dem Siegerland und ich sage es ehrlich: Ich mag stark durch Industrie geprägte Städte wie Siegen. Und ich bin fasziniert vom Ruhrgebiet – wunderschöne Natur konkurriert dort mit rauchenden Schloten.

Was bleibt, wenn dort die letzte Zeche geschlossen ist?

Auf jeden Fall muss der Strukturwandel dort weiterhin intensiv unterstützt werden. Diese Region hat Deutschland schließlich jahrzehntelang ernährt. Das Revier verdient unsere Aufmerksamkeit. Genau wie andere Gebiete im rasanten Strukturwandel, zum Beispiel die Lausitz. Duisburg ist eine der ärmsten Städte und hat dennoch beeindruckende Ecken, zum Beispiel die türkische Hochzeitsmeile in Marxloh, wo sich Brautausstatter an Brautausstatter reiht. Auch das ist Deutschland. Dort habe ich auch eine Schule erlebt, in der Lehrerinnen und Lehrer jeden Morgen wieder vor vielen Kindern stehen, die größtenteils kaum ein Wort Deutsch sprechen. Diese Pädagogen müssen wir unterstützen. Tolle Leute! Und wir müssen jene Handwerksbetriebe fördern, die junge Migranten als Lehrlinge einstellen.

Sie selbst sind ein Beispiel, dass in Deutschland Aufstieg möglich ist – nach der Lehre zur Industriekauffrau wurden Sie Juristin. Sehen Sie sich als Vorbild?
Als Vorbild?

Nein, das wäre anmaßend. Aber mein Werdegang kann ein Beispiel dafür sein, dass die Bildungswege allen offen stehen und dafür allerdings auch Disziplin und Einsatz nötig sind. Ich selbst hatte das Glück, in Gießen zusammen mit anderen Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung zu studieren. Das gab mir Geborgenheit und hat mich durch das Jurastudium begleitet.

Studien belegen, dass die Herkunft noch immer über Karrieren entscheidet.

Ja, leider. Da sind wir noch nicht am Ziel. Chancengleichheit haben wir wirklich erst dann erreicht, wenn ganz selbstverständlich das Akademikerkind eine Lehre macht, und wenn Töchter und Söhne eines nicht-akademisch ausgebildeten Elternpaars studieren. Meine Botschaft an alle Eltern ist: Stützen Sie ihre Kinder in ihren Talenten, auch wenn sie einen anderen Bildungsweg gehen als von Mutter oder Vater erwartet.

Was kann der Staat bei der beruflichen Bildung tun?

Es gibt einiges zu tun. Das ist mir wieder ganz klar geworden, als mein Mann und ich in diesem Jahr die Schirmherrschaft über die Woche der beruflichen Bildung übernommen haben. Ein paar Punkte fallen mir dazu spontan ein: Erstens fehlen Berufsschullehrer und -lehrerinnen. Zweitens ist die Meisterausbildung zu teuer. Drittens gibt es für Studierende ein Semesterticket – warum nicht überall auch für Auszubildende, vor allem auf dem Land? Das gleiche gilt für die Unterkunft in Wohnheimen und für internationale Austauschprogramme. Sie sollten ausgebaut werden.

Kehren Sie in Ihren Beruf als Richterin zurück, wenn Ihre Zeit im Bundespräsidialamt endet?

Seit ich 16 bin, habe ich einen Beruf ausgeübt und mein eigenes Geld verdient. Von meinem Amt als Richterin bin ich derzeit ja nur beurlaubt. Und mein Verwaltungsgericht ist nicht weit von Schloss Bellevue entfernt. Mit meinen Kollegen bin ich weiterhin in gutem Kontakt. Perspektivisch möchte ich wieder als Richterin arbeiten. Wann auch immer das sein wird.

Macht es Ihnen Probleme, jetzt immer vor allem eines zu sein: diplomatisch?

Nein, durch meinen Beruf als Richterin war ich darauf gut vorbereitet. Auch dort musste ich unparteiisch sein und mein Verhalten ebenso wie meine Worte wägen. Das hilft mir jetzt sehr.

Allein mit Ihrer Präsenz, können Sie Erwartungen wecken. Hadern Sie manchmal damit, dass Sie dann an Grenzen stoßen?

Ja, sicher. Als Richterin hatten meine Entscheidungen ganz unmittelbare Wirkung. Jetzt kann ich durch mein Engagement Aufmerksamkeit schaffen und Zeichen setzen. Außerdem kann ich Menschen und Initiativen zusammenführen. Das tue ich, wo immer es mir möglich ist. Klar ist aber: Die ganze Welt kann ich nicht umarmen.

Haben Sie unter den First Ladys – ja, wir wissen, Sie mögen den Begriff nicht – schon eine Lieblingskollegin gefunden?

Lieblingskollegin? Nein. Die Frauen, die ich in dieser Position getroffen habe, sind alle sehr gut ausgebildet und uns verbinden ganz unterschiedliche Themen. Mit Doris Schmidauer, der Ehefrau des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, teile ich besonders das Interesse, die berufliche Bildung zu stärken. In Wien habe ich mit ihr einen Ausbildungskongress der EU-Kommission eröffnet und Ausbildungsstätten besichtigt. Sehr positiv entwickelt sich auch der Kontakt mit Agata Kornhauser-Duda, der Ehefrau des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Sie ist Deutschlehrerin. Die Fortentwicklung des deutsch-polnischen Jugendwerkes liegt uns beiden sehr am Herzen. Wir finden beide: Austauschprogramme sind ein guter Weg, Europa zu bauen.

Woran hapert es noch?

Junge Leute, die Gymnasien oder Hochschulen besuchen, erreichen wir mit den bestehenden Austauschangeboten. Aber wir müssen auch Auszubildenden die Teilnahme am internationalen Jugendaustausch ermöglichen. Eine sehr gute Initiative sind die Europässe für kleine Handwerksbetriebe – so kommen auch Friseurinnen und Maurer für einen Monat ins Ausland.

Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Verraten Sie uns, was auf Ihrem Zettel ganz oben steht?

Mein ganz persönlicher Wunsch ist, dass unsere Tochter und unsere Neffen und Nichten ihre beruflichen Ziele erreichen und ihre Prüfungen bestehen. Und vor allem hoffe ich, dass wir es schaffen, in unserem Land möglichst alle Kinder mitzunehmen. Bei meinen Besuchen in Hilfseinrichtungen sehe ich, wie viele Kinder unter widrigen Umständen aufwachsen und Unterstützung benötigen. Für sie wünsche ich mir von Herzen, dass Menschen für sie Gutes tun und ihnen den Weg in die Welt ebnen – und dass sie dafür auch anständig bezahlt werden.

Zum Schluss: Was verbindet Sie mit Ihrem Mann, dem Präsidenten, ganz besonders?

Einmal natürlich unsere Tochter – und (sie lacht): unser Humor! Ja, wir lachen über dieselben Dinge. Vor allem aber stützen wir uns – und gehen dabei auch kritisch miteinander um. Für uns ist es dabei eine total neue Erfahrung, dass wir zusammen arbeiten und so viel zusammen sind. Als Außenminister war mein Mann manchmal nur für Stunden zu Hause – und hat dann trotzdem schnell noch für unsere Tochter ein Regal zusammengeschraubt.

Und noch etwas: Ist im Hause Steinmeier auch das Weihnachtsessen eine Koproduktion?

Wir machen – wie viele – zu Weihnachten Familienhopping. Und deshalb ist meine mittlerweile 89-jährige Schwiegermutter für das Festessen zuständig. Da besteht sie drauf. Wir sind am Heilig Abend bei ihr im Lippischen. Das Menu ist völlig überraschungsfrei: Es gibt seit Jahrzehnten das gleiche, nämlich Kassler mit Sauerkraut. Und wenn wir dann meinen 88-jährigen Vater besuchen, gibt es auch eine gute Tradition: Dann kochen meine Brüder.

Die Fragen stellten: Beate Tenfelde und Berthold Hamelmann

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier