Elke Büdenbender hat der Rheinischen Post ein Interview gegeben, das am 7. September erschienen ist.
Frau Büdenbender, das Schloss Bellevue öffnet für ein Bürgerfest zwei Tage seine Türen, das Engagement ehrenamtlicher Helfer wird gewürdigt. Aber wie nah können ein Bundespräsident und seine Frau den Bürgern im Alltag sein?
Das erklärte Ziel meines Mannes war von Anfang an, als Bundespräsident nicht nur große Städte, sondern auch kleine Orte im ganzen Land zu besuchen und dort auf allen Ebenen Bürger zu treffen. Er hat außerdem die Kaffeetafel
eingeführt, zu der er Bürger zum Gespräch einlädt. Ich treffe bei meinen Terminen auch häufig Jugendliche. Klar: Wir leben derzeit ein anderes Leben als viele andere, aber durch unsere Besuche und Termine kommen wir den Menschen doch sehr nah. Und was mich wirklich freut: Sie haben keine Scheu vor uns.
Haben Sie in diesen Gesprächen spüren können, wie die Stimmung im Land ist, oder kam die Entwicklung im sächsischen Chemnitz mit den fremdenfeindlichen Aufmärschen für Sie überraschend?
Erst einmal war ich total erschüttert über den Tod des jungen Mannes. Das ist schrecklich. Schrecklich ist aber auch, dass danach die Trauer und die Wut von Extremisten instrumentalisiert wurden. Da hat sich gezielt geschürte Gewalt ausgetobt. Mein Mann und ich diskutieren in unseren Gesprächen mit Bürgern immer auch über kritische Themen und Probleme. Aber das, was in Chemnitz passiert ist, das habe ich so nicht für möglich gehalten. Für mich ist das sehr bedrückend.
Haben Sie Sorge vor einem Rechtsruck in Deutschland?
Wir müssen achtsam sein. Und zugewandt. Wir haben bei unseren Reisen durch Deutschland viele Menschen kennengelernt, die ihr Schicksal – zum Beispiel in einem sterbenden Dorf – selbst in die Hand nehmen. Die packen einfach an. Sie stellen sich gegen depressive Stimmungen. Aber wir haben auch erlebt, dass Menschen Angst haben – davor, abends alleine auf die Straße zu gehen, vor gesellschaftlichem Abstieg, vor Arbeitsplatzverlust. Ich bin überzeugt: Man muss sich die Mühe machen miteinander zu reden. Nur, wenn man herausfindet, warum eine Situation ist, wie sie ist, kann man an die Ursachen gehen und so Wut und Angst begegnen. Da wird vor allem den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern unglaublich viel abverlangt. Ich wünsche mir aber von allen Menschen, dass sie sich für den jeweils anderen verantwortlich fühlen.
Wenn etwas schief läuft, rufen Bürger nach dem Staat und die Politiker rufen nach der Zivilgesellschaft. Gibt es eine Entfremdung?
Es gibt eine Hol- und eine Bringschuld. Vielleicht müssen wir aber die Aufgabenverteilung neu definieren. Was können Politiker tun und was die Bürger? Der Staat muss für Sicherheit sorgen. Wenn er das nicht tut, muss man sich damit auseinandersetzen. Gleichzeitig dürfen wir Bürger unsere eigene Verantwortung nicht auf Politiker abwälzen. Wir sollten noch mehr für demokratische Bildung tun und vor allem in einen neuen Dialog miteinander eintreten. Und zwar mit Respekt. Denn Demokratie hängt von uns allen ab. Demokratie fängt am Küchentisch an. Sie ist ein Prozess und Demokratie ist Arbeit. Das ist mühsam. Aber der beste Weg.
Ziehen Sie Parallelen zum Ende der Weimarer Republik?
Nein. Die allermeisten Menschen in Deutschland gehören zur Mitte unserer Gesellschaft. Aber wir müssen aufpassen. Und wir müssen uns auf jeden Fall in der Sprache mäßigen.
Sie haben die berufliche Aus- und Weiterbildung zu ihrer Herzensangelegenheit erklärt. Warum mangelt es in unserer Gesellschaft hier an Wertschätzung?
Weil das Pendel eine Zeit lang stark in Richtung Studium ausgeschlagen ist. Ich würde berufliche Bildung aber nicht gegen die Universität ausspielen. Es sollte klarer werden, wie anspruchsvoll Ausbildungen für Handwerksberufe sind. Sie dauern häufig länger als ein Bachelorstudiengang. Der Installateur ist heute ein versierter, digital aufgestellter Techniker. Die Firmen brauchen Fachkräfte. Und es gibt wunderbare Ausbildungsberufe. Denken Sie nur an den Klavierbauer. Jedenfalls muss die Ausbildung attraktiver werden. Auszubildende sollten zum Beispiel viel häufiger wie Studenten eine Zeit ihrer Ausbildung im Ausland verbringen können.
Gibt es wirklich Fachkräftemangel oder sind die Bedingungen für Fachkräfte einfach zu schlecht? Schlechte Bezahlung, zu wenig Urlaub.
Natürlich muss die Arbeit anständig bezahlt werden, vor allem in so wertvollen Berufen wie der Pflege. Die Wertschätzung für Handwerker oder Pflegeberufe wird aber bald von alleine steigen, wenn wir realisieren, dass wie keine Automechaniker, keine Schreiner, keine Elektriker mehr bekommen.
Stimmt es noch, dass alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen haben?
Die Chancengleichheit gerät dort in Gefahr, wo Kinder keine Unterstützung bekommen, wo sie sich selbst überlassen sind. Hier kann zum Beispiel die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung helfen. Für Chancengleichheit ist es wichtig, dass Kinder gefördert werden, nicht nur mit Geld, sondern mit Bildung und vor allem mit Zuneigung. Damit das möglich ist, dürfen auch die Schulklassen nicht so groß sein. Sonst haben die Lehrerinnen und Lehrer schlicht nicht genug Zeit für ihre Schüler.
Sie gehen Ende Oktober erstmals als Schirmherrin für UNICEF auf Reisen und besuchen ein Flüchtlingsprojekt im Libanon. Ein vergleichsweise armes Land, dessen Bevölkerung in etwa zu 25 Prozent aus Flüchtlingen besteht. Was kann Deutschland davon lernen?
Geduld und Fürsorge. Ich bin sehr beeindruckt davon, was die Menschen im Libanon für die Flüchtlinge leisten. Mit meinem Mann habe ich in Jordanien und Libanon Schulen besucht, die Flüchtlingskindern unter schwierigen Bedingungen ganz gezielt Chancen durch Bildung geben. Das Flüchtlingsthema wird uns dauerhaft begleiten. Als Asylrichterin habe ich hautnah erlebt, welche unvorstellbaren Odysseen die Menschen hinter sich haben, ganz unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus sie in Deutschland bekommen. Gemessen daran leben wir in Deutschland in sehr, sehr guten Verhältnissen.
Ihr Mann hat Ihnen eine Niere gespendet. Seit dem 24. August 2010 haben Sie ein neues Leben, wie sie sagen. Organspenden sind auf einem Tiefstand in Deutschland. Sind Sie, wie Gesundheitsminister Spahn, dafür, dass Verstorbenen grundsätzlich Organe entnommen werden können, es sei denn es liegt eine Widerspruchsregelung vor?
Da bin ich zwiegespalten. Es ist ein höchstpersönliches Thema. Wir sollten versuchen, die Menschen – durch transparente Verfahren, durch Beispiele – davon zu überzeugen, wie wunderbar die Vorstellung sein kann, im Tod Leben zu schenken. Jeder sollte sich darüber Gedanken machen. Und daher sollte auch der Bundestag das Thema aufgreifen. Das jetzige Verfahren, dass die Krankenkassen die Menschen anschreiben und um Einwilligung zu einem Organspendeausweis bitten, trägt offensichtlich nicht.
Sie mögen die Bezeichnung First Lady
nicht.
Den Begriff gibt es bei uns gar nicht. Ich bin schlicht die Ehefrau des Bundespräsidenten.
Welcher Moment in ihrer bisherigen Zeit als Partnerin des Bundespräsidenten hat Sie besonders berührt?
Ganz erhebend war für mich – auch als Staatsbürgerin – die Wahl meines Mannes zum Bundespräsidenten. Die breite Mehrheit war ein besonderer Vertrauensvorschuss und sie bedeutet besondere Verantwortung, das war mir an dem Tag sehr klar. Er hat schon in seiner Antrittsrede zur Stärkung der Demokratie aufgerufen. Das war sehr emotional. Und dann gab es einen sehr berührenden Moment bei einem Besuch in Indien, wo ich noch nie zuvor war. Von Säureattentaten entstellte Frauen nahmen ihr Leben wieder selbst in die Hand mit der mutigen Haltung: Nicht wir, sondern die Gesellschaft muss sich schämen. Und wir trafen Kinder, die von Müllkippen in Schulen geholt wurden. Als wir fragten, welche Vorbilder sie haben, nannten sie keine Prominenten, sondern Mitschüler, die die Aufnahme zur Polizeischule oder zum College geschafft haben. Da sind mir die Tränen gekommen.
Sie mögen Hunde. Wann zieht der First Dog
im Schloss Bellevue ein?
Wir sind noch nicht ganz durch mit dem Thema. Ich finde Rauhaardackel so toll.
Echte Kämpfer.
Oh ja. Die buddeln sich zum Fuchs vor. Vielleicht wird es aber auch ein anderer Hund. Es ist auch noch keine Entscheidung gefallen, ob wir uns überhaupt einen Hund anschaffen. Schön wäre es schon. Aber wir sind viel unterwegs. Und die Gärtner hätten natürlich ein Wörtchen mitzureden.
Haben Sie schon einen Namen für den Rauhaardackel?
Nein. Das hängt davon ab, wie er mich das erste Mal anguckt.
Die Fragen stellte: Kristina Dunz