Elke Büdenbender hat dem Handelsblatt ein Interview gegeben, das am 29. März erschienen ist.
Frau Büdenbender, das Amt der First Lady gibt es offiziell gar nicht, dennoch haben First Ladies großen Einfluss. Michelle Obama hat sich für gesunde Ernährung eingesetzt, Brigitte Macron kümmert sich um die Arbeitsmarktchancen von Behinderten. Welche Debatten wollen Sie anschieben?
Ich möchte mich für die berufliche Aus- und Weiterbildung einsetzen. Das ist für mich eine Herzensangelegenheit, auch weil ich selbst eine Lehre gemacht habe. Meiner Wahrnehmung nach erhalten Berufsschulen und Lehrberufe nicht die Wertschätzung, die ihnen gebührt. Außerdem möchte ich mit meinem Engagement ein Zeichen setzen gegen den Fachkräftemangel.
Wie soll das konkret gelingen?
Erst einmal, indem mein Mann und ich für diesen Ausbildungsweg werben und uns dafür öffentlich starkmachen. Administrativ können wir natürlich wenig wirken. Aber wir wollen den jungen Leuten sagen: Berufliche Bildung in Deutschland ist etwas, worum uns die Welt beneidet – schaut euch das an. Vieles, was bei uns ein Ausbildungsberuf ist, wäre in anderen Ländern ein Studium. Mein Neffe hat gerade die Lehre zum Werkzeugmacher beendet, der kann sich die Arbeitsangebote aussuchen.
Wie haben Sie Ihre eigene Lehre in Erinnerung?
Ich habe sie in guter Erinnerung. Für jeden jungen Menschen, der mit 16 Jahren in die Hierarchie eines Betriebs hereinkommt, ist das schon eine Herausforderung. Aber es hat mir Spaß gemacht.
Wenn Sie Ihre Ausbildung mit der Ihres Neffen vergleichen, was fällt Ihnen auf?
Die Berufsbilder haben sich sehr verändert, die Digitalisierung hält Einzug, die Herausforderungen für die Auszubildenden sind wesentlich größer geworden. Jemand, der früher einfach Gas-Wasser-Installateur war, vernetzt heute ein ganzes Haus und arbeitet mit verschiedenen Energiequellen.
Warum haben Sie sich nach der Lehre doch für ein Jurastudium entschlossen?
Ich habe meinen Bildungsweg ja auf einer Hauptschule begonnen, bin dann auf die Realschule. 1979 bin ich in die Gewerkschaft eingetreten und habe darüber junge Leute kennengelernt, die auf dem Siegerland-Kolleg waren. Diejenigen, die dort das Abitur gemacht haben, waren Vorbilder für mich. Ich habe immer gern gelernt, bin auch gern zur Schule gegangen. Dann habe ich gedacht: Das mach ich weiter. Ich wollte Archäologie studieren, aber wusste nicht, wie ich damit Geld verdienen sollte. Deswegen habe ich mich für Jura entschieden. Und dann hat es mir sehr geholfen, dass das Jurastudium klar aufgebaut war. Ein Teil der Studierenden scheitert auch daran, dass manche Studiengänge nicht so strukturiert sind.
Ihr Bildungsweg zeugt von einer Durchlässigkeit, die im deutschen Bildungswesen leider viel zu selten ist.
Genau deswegen möchte ich mich auch für Bildungsgerechtigkeit einsetzen. Die Aufstiegschancen für Kinder aus Familien mit einem kleineren Bildungshorizont sind noch zu schlecht in unserem Land. Bildungsgerechtigkeit heißt, auch benachteiligte Kinder gezielt zu fördern. Sie da abzuholen, wo sie sind: Das Zuwandererkind, das noch kein Deutsch spricht; Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, aus bildungsfernen Familien. Wir können uns schlicht nicht leisten, Kinder zurückzulassen. Wir brauchen diese jungen Menschen. Ich persönlich hatte großes Glück: Meine Eltern waren zwar keine Akademiker, aber wahnsinnig bildungsorientiert.
Das kann man aber nicht staatlich verordnen.
Richtig. Deshalb ist es vor allem wichtig, Kinder, die von Haus aus nicht so sehr gefördert werden, durch andere Stellen besonders zu unterstützen. Das sollte am besten schon in der Kita aufgefangen werden. Man muss mit gezielten Maßnahmen arbeiten: zum Beispiel mit bezahlbaren Kitaplätzen oder mit Jugendhilfe, die Kinder aufsucht und Eltern berät.
Müssen die Betreuungsangebote auch an den Schulen verbessert werden?
Ja, aber das können wir nicht einfach bei den Lehrern abladen. Lehrer können nicht neben dem Fachunterricht auch noch die Dinge vermitteln, die Kinder idealerweise im Elternhaus lernen: Wie verhalte ich mich in ungewohnten Situationen? Wie spreche ich Erwachsene an? Das sind elementare Dinge, an denen es aber mangelt, wenn Kinder in der Familie nicht ausreichend gefördert werden.
Sollten wir nicht erst einmal alle Schulen in einen passablen Zustand versetzen – Schultoiletten reparieren und die Decke abdichten, durch die der Regen tropft?
Klar. Dem Bildungswesen muss man natürlich insgesamt sehr viel Aufmerksamkeit schenken, vor allem auch bei diesen Basics.
Auch mehr Geld?
Da kann ich nur als Mutter antworten und die sagt: Ja! Ja! Ja! Und, liebe Länder: Sprecht euch ein bisschen besser ab, damit es nicht so furchtbar schwierig ist, mit Kindern von einem ins andere Bundesland zu ziehen.
Woran liegt es, dass der Akademiker immer noch das bessere Image hat als der qualifizierte Facharbeiter?
Da gibt es hartnäckige Vorurteile. Viele Eltern glauben: Wenn mein Kind studiert, hat es die besten Chancen. Aber das ist heute nicht mehr so. Wir alle kennen die Beispiele von dem studierten Taxifahrer. Außerdem: Eltern sollten akzeptieren, wenn ihre Kinder vielleicht andere Begabungen haben und andere Wege gehen oder vielleicht auch mal einen Umweg einschlagen. Ein Kind in eine bestimmte Richtung zu zwingen, führt meistens zu nichts Gutem, im schlimmsten Fall geht es ganz schief. Das zeigt die hohe Quote der Studienabbrecher.
Zusammengefasst sagen Sie also: lieber Meister als Master?
(lacht) Auf diese Schlagzeile würde ich es nicht bringen. Ich möchte das Studium nicht gegen die berufliche Ausbildung ausspielen. Ich finde ja im Gegenteil: Die Bildungswege kreuzen sich und die Berufe später dann erst recht.
Meister und Master dann schon eher?
In meinem Fall war es so. Ich habe eine Lehre zur Industriekauffrau gemacht, dann mein Abi nachgeholt und schließlich studiert. Ich glaube, vielen Leuten ist nicht klar, dass der Weg in die Berufsausbildung keine Sackgasse ist, sondern dass es ganz breit gefächert weitergehen kann – auch an der Uni oder einer Fachhochschule.
Muss denn jeder Akademiker werden?
Nein, absolut nicht. Menschen haben unterschiedliche Neigungen und Begabungen. Aufstiegschancen gibt es auch für Lehrlinge. Meine Brüder haben beide eine Ausbildung gemacht und sind im Beruf gut vorwärtsgekommen. So ist es auch fast allen meiner Mitschüler ergangen, die mit mir die Mittlere Reife gemacht haben. Die allermeisten beruflichen Ausbildungen können mit akademischen Berufen mithalten. Hinzu kommt: Ein Facharbeiter verdient mehr als mancher Geisteswissenschaftler.
Sie haben das gute Image der deutschen beruflichen Bildung im Ausland angesprochen. Sind Sie besorgt, dass die Zukunftschancen, die dieses System Deutschland bietet, verloren gehen?
Jedenfalls müssen wir uns darum kümmern. An Universitäten, die Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, müsste mehr dafür geworben werden, sich für das Lehramt in einem Berufskolleg oder einer Berufsschule zu entscheiden. Die Herausforderungen an den Berufsschulen sind groß. Da sind junge Menschen, die sich schon in einer Firma behaupten müssen und gut ausgebildete Lehrer brauchen. Darum werden mein Mann und ich gemeinsam die Schirmherrschaft der Woche der beruflichen Bildung übernehmen. Das hilft dabei, das Thema bekannter zu machen.
Gerade Mädchen schrecken vor vielen technischen Ausbildungsberufen zurück.
Darum schätze ich die Initiative Klischeefrei
unter Führung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung so sehr. Sie will junge Menschen dazu bringen, auch anders zu denken. Ich finde, dass junge Männer auch in die Kita gehören als Erzieher. Und junge Frauen brauchen nicht unbedingt Friseurinnen zu werden, sondern können oft auch gut Mechatronik. Es geht bei der Initiative darum, dass sich Kinder und Eltern davon freimachen, dass Mädchen klassische Frauenberufe ergreifen müssen und Jungs klassische Männerberufe.
Stört es Sie, dass Sie als Gattin des Bundespräsidenten in ein sehr traditionelles Rollenbild hineindrängt werden?
Ich habe immer selbst entschieden, welche Wege ich gehe. Da könnte man keinem anderen die Verantwortung für geben.
Die wohl größte Herausforderung für die Arbeitswelt ist die Digitalisierung. Die Jobs, die wir heute machen, gibt es in zehn Jahren vielleicht nicht mehr. Wie können sich Berufsschulen darauf vorbereiten?
Die duale Ausbildung ist eine Verzahnung von praktischer und theoretischer Ausbildung. So müssen die Lehrpläne auch erstellt werden. Dafür ist Input aus den Betrieben und aus den Verbänden hilfreich: Welche Jobprofile werden besonders benötigt? Wo besteht der größte Qualifikationsbedarf? Die Inhalte an unseren Schulen verändern sich ständig.
Aber manchmal dauert es sehr lange, bis so ein Curriculum umgesetzt ist. Bis es nach dem Verfassen durch alle Gremien durch ist, sind zwei, drei Jahre um. In der Zeit hat sich wieder vieles verändert.
Darauf muss das Bildungssystem reagieren. Aber das ist ja möglich.
Braucht jeder Schüler ein Tablet?
Wir haben verschiedene Schulen mit Experimentierklassen besucht: Dort arbeiten die Schüler im Unterricht schon mit Tablets. Die Hausaufgaben werden digital übermittelt. Aber das hängt natürlich auch von den finanziellen Möglichkeiten ab. Grundsätzlich finde ich diesen Ansatz gut, aber es ist auch wichtig, Bücher zu lesen und mit der Hand zu schreiben.
Kinder sind täglich in Onlinenetzwerken unterwegs, müssten die nicht auch auf den Lehrplan?
Der Umgang damit müsste den Schülern beigebracht werden – mit einem kritischen Blick. Wie das dann konkret aussehen kann, das sollten Experten entscheiden.
Wie haben Sie es denn bei Ihrer Tochter gehandhabt?
Unsere Tochter wird jetzt 22. Sie hat ihr erstes Handy bekommen, als sie in die fünfte Klasse aufs Gymnasium kam. Und ein Smartphone – ach, da war sie schon ein Teenager.
Und da gab es feste Regeln, wie lange sie es benutzen darf?
Ja, gab es. Und sie hat es auch ganz vernünftig gehandhabt.
Sprechen wir über ein weiteres Riesenthema: die Integration von Flüchtlingen. In den Klassen müssen ganz grundlegende Fähigkeiten vermittelt werden. Kann das gelingen?
Mein Mann und ich haben sehr, sehr gute Beispiele an Berufsschulen gesehen, in Stuttgart zum Beispiel. Dort gibt es eine der wenigen Schulen des Lebensmittelhandwerks. Flüchtlinge können dort erst einmal ein, zwei Jahre lang in die Berufsvorbereitung gehen. So kann die Schule erkennen, auf welchem Stand sie sind. Oft müssen die Schulen ja erst mal die Sprache vermitteln. Die wenigsten Flüchtlinge können schon sehr gut Deutsch.
Das kostet Geld und Nerven.
Ich habe sehr gute Beispiele im Handwerk erlebt, wo junge Flüchtlinge als Azubis aufgenommen wurden. Dahinter steht oft ganz viel persönliches Engagement der Chefs. Und auch Berufsschulen tun sehr viel, damit sich die Flüchtlinge willkommen fühlen, Anschluss finden und Freundschaften schließen.
Es bringt aber nichts, wenn sich nur vereinzelte Betriebe und Berufsschulen engagieren.
Deswegen bin ich der Meinung, dass man es stärker systematisieren müsste. Das ist eventuell nicht so einfach aufgrund des föderalen Systems in Deutschland. Aber vielleicht kann man die Erfahrungen teilen und sich zusammentun, um zu ermitteln: Wo gelingt es am besten?
Tut die Wirtschaft genug bei der Integration?
Ich habe mich bereits mit den Spitzen des Handwerks getroffen. Sie haben ein starkes Interesse daran, gerade junge Zuwanderer für ihre Betriebe und für die Ausbildung zu gewinnen. Aber natürlich brauchen sie Unterstützung.
Wen wollen Sie noch kontaktieren? Wer sind Ihre Verbündeten?
Bei der Woche der beruflichen Bildung, über die der Bundespräsident und ich die Schirmherrschaft haben, sind die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern, die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften und die Kultusministerkonferenz dabei. Das sind die starken Player. Ich selber bin ansonsten mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als Schirmherrin unterwegs und mit der Initiative Teach First
. Es gibt sehr viele Engagierte, die manchmal nur noch zusammengebracht werden müssen. Aber ich stelle fest, dass das Interesse wirklich groß ist.
Die Woche starten Sie gemeinsam mit Ihrem Mann, wie geht es dann weiter? Werden Sie Ihre Ausbildungsinitiative künftig allein voranbringen?
Nein, das ist unsere gemeinsame Initiative und wir werden sie gemeinsam weiterführen.
Frau Büdenbender, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellten: Mona Fromm, Moritz Koch, Thomas Sigmund