Elke Büdenbender hat der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, das am 3. Juni erschienen ist.
Frau Büdenbender, Marianne von Weizsäcker hat mal gesagt, das Amt der ersten Frau im Staat sei Hochleistungssport
. Sind Sie sportlich?
Na ja, ich versuche jedenfalls möglichst viel Sport zu machen. Mit zunehmendem Alter lassen ja die Muskeln nach. Nein, im Ernst – mein Mann und ich gehen ja gern wandern, das macht uns beiden viel Spaß, aber ich gehe auch ins Fitnessstudio.
Können sie solche Dinge überhaupt noch tun, ohne überall angesprochen und fotografiert zu werden?
Ja, das geht gut – zum Glück! Ich fahre auch noch mit der S-Bahn. Da erkennt mich keiner, es sei denn, es sind ehemalige Kollegen. Das ist schon angenehm. Aber ehrlich gesagt achte ich auch nicht so sehr darauf, ob Leute gucken.
Ihre Tätigkeit ist tagfüllend, hat im Deutschen aber keinen Namen. Wie finden Sie die Berufsbezeichnung First Lady?
First Lady – der Begriff ist mir doch etwas fremd. Er passt auch nicht in die deutsche Landschaft. Erste Dame ist irgendwie auch seltsam. Ich assoziiere mit meiner Aufgabe eher die große Ehre, Deutschland gemeinsam mit meinem Mann zu repräsentieren und mich gleichzeitig um eigene Projekte und Themen kümmern zu können. Besonders schön ist, dass ich Dinge voranbringen kann, die mich umtreiben und die ich für wichtig halte. Das ist schon eine außergewöhnliche Funktion und für mich eine Chance, etwas ganz Neues zu beginnen.
Was treibt Sie denn um?
Die Menschen, die ich jetzt kennenlerne – etwa als Schirmherrin des Müttergenesungswerks. Da erlebe ich starke Frauen, die sich für mehr Achtsamkeit für Mütter und inzwischen auch für Väter und für pflegende Angehörige einsetzen. Ich habe auch die Schirmherrschaft über UNICEF und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung übernommen.
Worauf kommt es Ihnen an?
Vielleicht klingt es traditionell, aber mir liegen Chancengleichheit in der Bildung und die Vielfalt der Bildungswege sehr am Herzen. Das hängt auch mit meiner Biografie zusammen. Ich will Jugendlichen Mut machen, unterschiedliche Pfade einzuschlagen. Sie sollen nicht das Gefühl haben, in einer Sackgasse zu stecken. Unser Bildungssystem bietet fast überall noch Wege und wo nötig auch Auswege. Dafür möchte ich mich einsetzen. Und, ja, mal schauen, ob ich meine juristischen Interessen noch weiter verfolgen kann. Auch um drinzubleiben.
Sie sind Verwaltungsrichterin. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, Ihr Mann soll Bundespräsident werden?
Ich finde ihn richtig gut für dieses Amt, das muss ich einfach mal sagen. Was mich angeht – da habe ich schon geschluckt und gedacht: Puh! Das lag nicht daran, dass ich es mir nicht zugetraut habe. Aber es ist schon so, dass ich jetzt mit raus muss ins Rampenlicht. Bisher war ich ja in meiner beruflichen Komfortzone. Anders als mein Mann. Der ist das durch seine Tätigkeiten ja schon lange gewöhnt. Jetzt schauen die Menschen schon anders auf das, was ich tue. Oder nicht tue. Oder wie ich aussehe. Oder wie ich nicht aussehe. Und natürlich gibt es auch den Umstand, dass ich jetzt für fünf Jahre aus meinem Beruf aussteige.
Was wäre passiert, wenn Sie zu Ihrem Mann gesagt hätten: Ich möchte dieses Leben nicht führen
?
Ich habe natürlich schon abgewogen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass man Entscheidungen, die ein Leben sehr prägen, unbedingt selbst treffen muss. Das habe ich getan und konnte mir dabei sicher sein: Egal, wie ich entscheide, mein Mann wird jede Entscheidung akzeptieren. So, wie es jetzt ist, ist es für uns beide sehr gut.
Sie haben offenbar ein gutes Standing bei Gericht. Hätten Sie nicht weitermachen können?
Ich denke, jetzt ist mein Standing auch nicht schlecht! Diese neue Aufgabe ist für mich total bereichernd, sie ist ein echtes Privileg. Und manchmal habe ich den Eindruck: wie eine Fortbildungsveranstaltung. Es ist also nicht so, dass ich ein eigenständiges Leben aufgegeben habe. Ich habe es gegen ein anderes eigenständiges Leben getauscht.
Als ihr Mann 2009 Kanzlerkandidat wurde haben Sie zum Thema Weiterarbeiten gesagt: Natürlich. Mit einer halben Stelle als Richterin ginge das sehr gut.
Das klang noch ganz anders.
Bei mir ist das so: Ich kann immer nur eine Sache richtig gut machen. Und der Beruf der Verwaltungsrichterin fordert einen außerordentlich.
Mit welchen Themen waren Sie befasst?
Ich war unter anderem für Asylrecht zuständig. Asylentscheidungen sind oft schwierig. Es geht ja nicht darum, ob zum Beispiel eine Frau hierbleiben sollte, weil sie so toll oder gut ausgebildet ist. Das zählt nicht. Es zählt die Rechtslage, und das kann auch eine harte juristische Entscheidung bedeuten. Das allein ist schon schwer. Es noch zu verbinden mit meiner neuen Aufgabe und herausragenden Funktion, das schien mir nicht gut machbar.
Hat das Gericht Ihnen nahegelegt zu pausieren, weil eine Präsidentenfrau als Richterin womöglich befangen wäre?
Nein. Im Gegenteil: Meine Gerichtspräsidentin hat sofort gesagt, sie unterstützt jede Entscheidung. Und ich bin dankbar, dass sie eine erfahrene Richterin hat gehen lassen. Das ist nicht selbstverständlich.
Der Bundespräsident spricht gewichtige Worte und schreitet rote Teppiche ab, seine Frau tut Gutes, ehrenamtlich. Ist dieses Bild noch zeitgemäß?
Wenn Sie meine Vorgängerinnen anschauen: ja. Das waren besondere Frauen, die ihre Aufgaben im Wortsinne ‚ausgefüllt‘ haben – jede auf ihre Weise. Ich habe zum Beispiel besondere Hochachtung vor Elly Heuss-Knapp, der Frau des ersten Bundespräsidenten. Sie hat ihre Familie durch die Zeit des Nationalsozialismus gebracht und in der Nachkriegszeit das Müttergenesungswerk gegründet. Und machen Sie sich keine Sorgen: Reden werde ich schon auch noch halten. Im Übrigen wird einer gewählt von der Bundesversammlung: der Bundespräsident, irgendwann vielleicht auch mal eine Bundespräsidentin. Diese Person hat das Amt und ist demokratisch legitimiert, aber nicht die Partnerin oder der Partner. Das sollten wir bei allem nicht vergessen.
Die Partnerin des Bundespräsidenten übernimmt einen Vollzeitjob, für den es weder Geld noch Rentenanwartschaften gibt. Sollte sie bezahlt werden?
Das ist eine politische Entscheidung, die der Gesetzgeber treffen muss.
Also ja.
Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass wir als Paar am Hungertuch nagen. Das wird schon alles sehr ordentlich entlohnt – nicht nur materiell. Vor allem, wenn man sich überlegt, wo wir herkommen. Das ist doch irre. Kurzum: Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse. Und wenn der Gesetzgeber irgendwann einmal meint, dass er in diesem Bereich etwas ändern sollte, dann soll er das so entscheiden.
Was hat Sie in den ersten Monaten im Amt überrascht?
Ich wusste zum Beispiel nicht, wie viele Menschen in Deutschland neben Beruf und Kindern ein Ehrenamt übernehmen. Das ist für mich sehr beeindruckend. Oder: Neulich habe ich meinen Mann auf eine Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete begleitet. Dort haben mich Frauen im Westjordanland tief beeindruckt: hoch intelligente, aktive Frauen aus Kultur und Wirtschaft. Dazu eine interessante, kluge Richterin, die jetzt Entscheidungen über Familienrecht treffen kann. Das sind sehr, sehr mutige Frauen, die völlig frei sprechen, hochpolitisch sind und öffentlich fordern, etwas zu ändern an der dortigen Situation. Diese Eindrücke nehme ich dann mit und erzähle davon. Auch wenn man nicht überschätzen sollte, was man dort erreichen kann.
Der Job als erste Frau im Staat war biografisch ja eher nicht erwartbar, oder?
Das stimmt allerdings: Ich komme aus Netphen Salchendorf...
Wie bitte?
N-e-t-p-h-e-n Salchendorf, ein kleiner Ort im Johannland, das ist eine katholisch geprägte Gegend inmitten des eher evangelischen Siegerlandes. Meine Familie hat einen handwerklich-bäuerlichen Hintergrund: Mein Vater hat mit vierzehn Tischler gelernt und später als Stahlbauschlosser gearbeitet. Meine Mutter hat eine Hauswirtschaftsausbildung gemacht. Und meine Brüder arbeiten beide in der Industrie.
Welche Rolle haben in der Familie Politik oder Religion gespielt?
Meine Mutter und meine Großmutter, die mich sehr geprägt haben, waren sehr gläubig, ohne sich deshalb ein falsches Bild von der Kirche zu machen. Und auch wenn sie sehr traditionell gelebt haben, waren sie Frauen, die immer ihre eigenen Entscheidungen getroffen haben. Das war mir ein Vorbild. Und politisch, ja, schon eher konservativ.
Sie waren die einzige Akademikerin der Familie. War das gut oder schwierig?
So habe ich das gar nicht wahrgenommen. Ich bin ja erst einmal auf die Realschule gegangen und habe dann eine Ausbildung als Industriekauffrau in einem Maschinenbaubetrieb gemacht. Das Abitur kam erst später. Ich halte diese Wege – Gymnasium, Studium und berufliche Bildung – für absolut gleichwertig. Das ist schon sehr umfassend, was da an Schulen der beruflichen Aus- und Weiterbildung oder Meisterschulen gelehrt wird. Als Sonderrolle habe ich meinen Weg daher nicht empfunden.
Es gibt ein Foto von Ihnen mit 80-er-Jahre-Strubbelhaarschnitt in einer Wohngemeinschaft. Haben Sie da geraucht, getrunken und Leute angeschleppt, wie es sich für die wilden Jahre gehörte?
Ich glaube, besonders rebellisch war ich nie. Und meine größte WG, die war in der Tat wild, aber vor allem, weil wir sieben Leute waren. Wir hatten aber immer einen Plan, jeder hat Geld eingezahlt in eine Kasse, sogar für Besucher.
Wo haben Sie Ihren späteren Mann zum ersten Mal gesehen?
Im Seminar von Helmut Ridder, das war einer der prägenden Juristen der Universität Gießen. Bei ihm war mein Mann Assistent. Ich saß da mit einer Freundin, und er kam rein mit Ridder und seinen Mitarbeitern. Das hatte natürlich einen gewissen Nimbus. Aber er hat uns einfach alle angelächelt, auch die ‚Kleinen‘. Ja. Das war einfach auffällig.
Und dann? Wer hat angefangen?
Och. Wie man sich so kennenlernt. Man merkt, dass man Interessen teilt. Man findet einander sympathisch. Und dann kommt man zusammen. Wahrscheinlich kommt noch dazu, dass wir einen ähnlichen familiären Hintergrund haben. Außerdem verbinden uns unser Humor und die Haltung, dass man sich nicht so ernst nimmt. Aber: Wie soll man die Chemie der Liebe erklären? Ich kann es nicht.
In der WG mit Freund Frank, wer hat da abgespült?
Alle. Niemand hätte durchgehen lassen, dass einer nicht abspült.
Wer von Ihnen beiden hat das Jura-Studium besser abgeschlossen?
Oh. Also so genau kann ich es gar nicht sagen, ich denke, wir haben das beide ganz gut hinbekommen. Ich meine, beim ersten Staatsexamen war er etwas besser und beim zweiten ich.
Als Sie Ihre Tochter Merit großgezogen haben, war ihr Mann dauernd unterwegs. Sie waren meist alleinerziehend, oder?
Ich habe mich nie als alleinerziehend empfunden. Es ist ein Riesenunterschied, ob man in einer stabilen Beziehung lebt oder nicht. Mein Mann hat intensiv Anteil am Leben unserer Tochter genommen. Also – allein betreuend, ja, zeitweise. Und als er in Bonn war, das war kein Spaziergang. Aber alleinerziehend, nein.
Was unterscheidet Sie von der Generation Ihrer Tochter?
Ich bin begeistert, wie selbstbewusst die jungen Frauen heute durchs Leben gehen. Mir tun da manchmal die Jungs fast etwas leid. Der Unterschied zu meiner Generation ist, dass diese Mädchen noch viel selbstverständlicher tun, was sie für richtig halten. Auch wenn ich nicht glaube, dass ich mich von irgendetwas hätte abhalten lassen, bin ich unglaublich beeindruckt, wie angstfrei sie in die Welt ziehen. Das hätte ich mich nicht getraut in dem Alter.
Ihre Tochter studiert Arabistik und gehört zur Sorte junger Leute, die mit offenem Blick in die Welt aufwächst. Zugleich fürchten sich mehr Deutsche denn je vor Fremden. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, Angst hat man vor allem dann, wenn man etwas nicht kennt. Und ich glaube, es hilft einem, keine Scheu vor Menschen zu haben und sie etwas näher kennenzulernen. Auch wenn es sich nicht immer direkt ergibt. Ich erwähnte ja die Richterin, die ich bei der Reise ins Westjordanland traf: Sie wirkte zunächst sehr streng auf mich: Kopftuch, langer Mantel. Trotzdem habe ich dann gemerkt: Da ist eine Nähe und etwas, was uns verbindet und worüber wir uns unterhalten können. Das hat mir geholfen, Vorurteile abzubauen.
Haben Sie den Eindruck, Ihrem Mann Opfer gebracht zu haben?
Nein, also wirklich nicht. Es ist alles ein besonderes Privileg, auch dass ich mein Amt als Richterin ruhen lassen und das hier machen kann. Das ist ein Geschenk. Manchmal stehe ich da und denke: Nee, wirklich? Ich?
Ihr Mann hat Ihnen vor sieben Jahren etwas geopfert, seine Niere. Was bedeutet Ihnen der 24. August?
Das kann ich kaum in Worte fassen. Im Grunde hat er mir Leben geschenkt. Wir haben wirklich in den Abgrund geschaut, als nach der Geburt meiner Tochter zum ersten Mal meine Nieren versagten. So etwas ändert den Blick aufs Leben. Eine Nierenerkrankung tut ja nicht weh, sie kommt schleichend. Vierzehn Jahre lang habe ich Jahr für Jahr Kraft und Lebensqualität verloren. Und erst nach dem 24. August 2010, dem Tag der Transplantation, habe ich gemerkt, was es bedeutet, wieder Kraft zu haben. Das ist geschenktes Leben.
Hat das die Beziehung zu Ihrem Mann verändert?
Es verbindet uns noch stärker, und es verschiebt auch die Prioritäten. Da ist es von besonderem Wert, wenn wir fünf Jahre lang etwas gemeinsam machen können.
Die Fragen stellte: Constanze von Bullion.