Interview mit der Zeitung UniReport

Schwerpunktthema: Interview

7. Februar 2014

Daniela Schadt hat der Zeitung UniReport ein Interview gegeben, das am 7. Februar erschienen ist. Darin heißt es zum 100 Geburtstag der Universität: "Ich wünsche meiner Universität, dass sie für ihre Studierenden ein Ort bleibt, an dem sie sich umfassend bilden können. Ich habe jeden Tag meiner Studienzeit genossen und hoffe, dass dies auch den heutigen Studierenden so geht. Bildung muss ein Erlebnis, eine Freude sein und dem menschlichen Impuls folgen, Zusammenhänge verstehen zu wollen."

Daniela Schadt im Austausch mit Jugendlichen (ARCHIVBILD)

Daniela Schadt hat der Zeitung UniReport ein Interview gegeben, das am 7. Februar erschienen ist.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Studentin an der Goethe-Universität?

Ich weiß, ich war sehr aufgeregt und habe mich wahnsinnig auf das Studium gefreut. Ich dachte, jetzt bricht endlich die große Freiheit für mich an, jetzt kann ich mich endlich auf das konzentrieren, was mich wirklich interessiert.

Wie war damals die Atmosphäre an der Goethe-Universität?

Frankfurt war schon damals eine sehr große Uni. Es war nicht einfach sich zurechtzufinden am Anfang. Allein das große Angebot an Seminaren und Vorlesungen! Zu Beginn jedes Semesters wollte man möglichst alle Vorlesungen und Seminare besuchen, die einen interessierten. Allesschien so unglaublich spannend – wenn auch in den Geisteswissenschaften herzlich unorganisiert. Im Laufe des Semesters hat sich der Stundenplan dann meist auf ein zu bewältigendes Maß reduziert.

Haben Sie in Bockenheim studiert?

Ja, die Germanisten residierten damals in der Mertonstraße; die Gebäude waren nicht gerade eine Zierde moderner Architektur, aber zumindest funktional. Die Anglisten und Philosophen hatten es etwas besser, sie waren in alten Villen im Kettenhofweg untergebracht. Ein wirkliches Campusleben gab es damals nicht. Die Mensa war meistens voll und laut, aber wir sind ohnehin meistens in das Café in der Mertonstraße gegangen oder in eine Studentenkneipe in der Nähe, die von zwei älteren Damen betrieben wurde und die bei uns nur Zu den alten Tanten hieß, dort gab es so Dinge wie Pellkartoffeln mit Spinat. Besonders steril war der Turm, in dem die Politische Fakultät untergebracht war – gibt es den noch?

Ja, aber die Politik- und Erziehungswissenschaften sind im April 2013 in ein neues Gebäude auf dem Campus Westend gezogen.

Das habe ich gehört, hinter das ehemalige IG-Farben-Gebäude. Ich bin dort früher häufig mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Die Erschließung des Areals ist bestimmt eine gute Lösung für die Universität.

Gab es zu Ihrer Zeit an der Goethe-Universität eine offizielle Begrüßung oder einen Einführungskurs?

Nein, es gab nur diese vielen Vorlesungen und Seminare. Das Angebot war sehr bunt, manchmal vielleicht zu bunt, und vielfach von den Vorlieben des jeweiligen Dozenten abhängig. Es fehlte ein systematischer Epochenüberblick. Diesen könne sich jeder selbst in einer der gängigen Literaturgeschichten anlesen, hieß es.

Welche Professoren hinterließen denn einen Eindruck bei Ihnen?

In Germanistik vor allem der leider schon verstorbene Ralph-Rainer Wuthenow, weil er als Komparatist den Blick geöffnet hat für die Literatur anderer Länder. Und über mehrere Semester hinweg habe ich die Seminare von Dieter Kimpel besucht, mit dem wir Studenten intensiv und sehr temperamentvoll über Schillers ästhetische Theorie diskutiert haben. Diese war vor allem durch dessen Beschäftigung mit Kant inspiriert. Kimpel hat uns sehr gefordert, wir haben uns richtig reingearbeitet, und ich glaube, es hat beiden Seiten großen Spaß gemacht.

Welche Haltung haben Sie damals vertreten?

Das weiß ich heute im Detail gar nicht mehr, nur, dass wir Unmengen an Literatur durchgearbeitet haben, um argumentativ mithalten zu können. In den begehrten Seminaren herrschte jedoch großer Andrang, wer zu spät kam, saß auf Fensterbänken oder auf dem Boden. Es gab Seminare, in denen uns die Dozenten und Professoren mitgerissen haben in ihrer Begeisterung für ein Thema. Vor allem bei den Politologen. Nach den Seminaren von Herfried Münkler – damals war er noch Assistent von Iring Fetscher, inzwischen lehrt er an der Berliner Humboldt-Universität und ist ziemlich prominent – hat ein fester Kreis von Studenten die Debatten einfach in der Mensa oder im Café fortgesetzt. Und ich kann mich noch an ein Rousseau-Seminar bei Ingeborg Maus erinnern, da haben wir Studenten uns in unserer Freizeit getroffen, um bis in den späten Abend über den contract social zu diskutieren.

War die Universität infolge der 68er noch sehr politisiert?

Unsere Debatten waren eher fachlich, weniger politisch. Aber natürlich ging es auch um Dinge wie die Volkszählung oder den Sturz des Schahs im Iran. Zudem gab es eine Politisierung durch den Ausbau der Frankfurter Startbahn West. Aber ganz grundsätzliche Forderungen nach einer anderen Gesellschaftsordnung standen nicht mehr im Zentrum wie bei den sogenannten 68ern. Wir wurden lediglich mit einigen ihrer Spätausläufer konfrontiert. Ich denke da an einige absurde Auftritte diverser kommunistischer Gruppen, sogenannter K-Gruppen. Die versuchten einmal eine Germanistik-Vorlesung zu sprengen, und wollten uns Studenten allen Ernstes veranlassen, als fähnchenschwenkendes Jubelkomitee den gerade angereisten sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew zu begrüßen. Das lehnten wir empört ab. Ich erinnere mich noch, dass ein Student entnervt aufsprang und rief, er habe gerade zwei Wochen lang an der Startbahn demonstriert, jetzt wolle er endlich wieder etwas über Literatur lernen. Es wurde immer lauter, die Aktivisten brüllten, wir brüllten zurück, der Professor brüllte – und schließlich verließen wir geschlossen den Vorlesungssaal. Ein anderes Mal kam Rudi Dutschke zu einem Vortrag nach Frankfurt, und die moskautreuen K-Gruppen verteilten Flugblätter mit dem Titel Ein Fossil stellt sich vor. Obwohl ich keine Dutschke-Sympathisantin bin fand ich das unerträglich arrogant. Der Mann hatte in der Geschichte der Bundesrepublik sicher größere Fußstapfen hinterlassen als alle diese Leute zusammen.

Demonstrierten Sie selbst gegen die Startbahnt?

Nein, ich war nicht wirklich davon überzeugt, dass die Startbahn unnötig sei.

Sie haben soeben von einem Seminar bei Ingeborg Maus gesprochen. Waren Professorinnen damals nicht eher eine Seltenheit?

Es gab sie, aber es waren nicht viele. Ich kann mich an Silvia Bovenschen in der Germanistik erinnern oder eben an Ingeborg Maus in den Politikwissenschaften, bei der ich dann auch meine Abschlussprüfung gemacht habe. Aber Frauen waren klar unterrepräsentiert.

Auch in der Studierendenschaft?

Nein, Politik hörten vielleicht noch mehr Jungs, aber Literaturwissenschaft war ein klassisches Frauenthema – ich habe es trotzdem studiert.

Warum haben Sie überhaupt studiert? Ihr Vater hatte doch in Hanau ein Unternehmen. Wäre es nicht logischer gewesen, eine Lehre zu machen?

Nach dem Abitur war völlig klar, dass und auch was ich studiere. Aber ich war ja auch fein raus, weil meine ältere Schwester eher naturwissenschaftlich-mathematisch interessiert war und schließlich BWL studierte; allerdings hat auch sie das Unternehmen später nicht übernommen. Als Jüngere war ich unbelastet von solchen Erwartungen, und ich hätte es auch weder gewollt noch gekonnt, es war einfach nicht mein Ding.

Haben Ihre Eltern Ihnen Ihr Studium finanziert?

Ja, anfangs wohnte ich auch noch zuhause und bin von Hanau nach Frankfurt gependelt. Aber irgendwann fand ich, dass zum Studieren auch eine eigene Wohnung gehört, und so bin ich dann doch bald nach Frankfurt gezogen, in die Stalburgstraße zwischen Eckenheimer und Eschersheimer Landstraße – eine klassische Studentenbude von 25 Quadratmetern für, wenn ich mich recht erinnere, 345 Mark Miete im Monat. Kein Luxus, aber ich habe meine Bude geliebt.

Jobbten Sie während Ihres Studiums? Schrieben Sie schon für eine Zeitung?

Es war eine unglaublich freie Zeit, in der ich alles Mögliche gemacht habe. Bei meinem Vater habe ich in der Telefonzentrale gearbeitet, war Briefträgerin, was sehr begehrt war, weil es gut bezahlt wurde, und habe auch gekellnert. Erst nach dem Studium habe ich ein Praktikum beim Hanauer Anzeiger gemacht, dann beim Hessischen Rundfunk und volontiert habe ich dann bei der Nürnberger Zeitung. Dort bin ich später als Redakteurin geblieben.

Welche Rolle hat das Studium für Sie in Ihrem bisherigen Leben gespielt?

Es war eine sehr anregende und auch unbekümmerte Zeit, vielleicht eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Es wurde so unglaublich viel angeboten und man konnte alles machen, mal in die Anglistik zu Klaus Reichert, mal in die Philosophie zu Alfred Schmidt gehen. Das war wunderbar!

War das Studium für Sie wichtig, um später Journalistin werden zu können?

Als Journalist muss man nicht unbedingt studiert haben, aber es hilft zweifellos; allein wenn ich an die Selbstdisziplin denke, die es erfordert, um sich ein Thema zu erarbeiten. Und dann ist da auch so eine grundlegende Neugierde, einer Sache nachzugehen, die Journalisten und Wissenschaftler teilen.

Hätten Sie sich vorstellen können, Wissenschaftlerin zu werden?

Wenn mein damaliger Freund mich nicht zum Examen gedrängt hätte, würde ich womöglich heute noch studieren. Es gab doch noch so viel, was ich noch lernen wollte! Aber schließlich habe ich mich doch angemeldet, und es ist auch gut gelaufen. Für die Wissenschaftswelt bin ich aber nicht unbedingt geboren. Ich wollte eigentlich immer schon zur Zeitung. Nur wusste ich damals noch nicht, ob ich lieber ins Feuilleton oder ins Ressort Politik wollte. Es hat sich ergeben, dass ich bei der Nürnberger Zeitung in der Politik gelandet bin – und das war genau der richtige Themenbereich für mich.

Haben Sie auch etwas von Frankfurt mitgenommen?

Schadt: da konnte man einen Schoppen trinken und gegebenenfalls Handkäs mit Musik essen. Und manchmal gingen wir auch in die Batschkapp oder in den Jazzkeller. Ich habe im Oratorienchor der Frankfurter Singakademie gesungen, und mit den Freunden von dort bin ich häufig in die Oper. Damals war Michael Gielen Generalmusikdirektor, es war musikalisch aufregend, und es gab namhafte moderne Regisseure wie Ruth Berghaus oder Hans Neuenfels, der eine legendäre „Aida“-Inszenierung auf die Bühne brachte.

Könnten Sie sich vorstellen, heute in Frankfurt wieder zu leben?

Die Stadt hat sich sehr verändert, vieles erkenne ich gar nicht mehr wieder. Aber ich finde Frankfurt eine sehr lebenswerte Stadt. Sie ist sicherlich nicht so glamourös wie München und nicht so in wie Berlin. Viele denken beim Namen Frankfurt zuerst an die Banken und den Flughafen, aber die Stadt bietet so viel mehr. Sie ist modern und zugleich bodenständig, selbstbewusst ohne großes Tamtam, ihre Internationalität scheint selbstverständlich. Man spürt, dass es einmal eine freie Reichsstadt war in der die Bürger das Sagen hatten und sogar eine Universität gestiftet haben.

Welche Orte suchen Sie auf, wenn Sie nach Frankfurt kommen?

Erst einmal rein ins Zentrum, von der Hauptwache über den Liebfrauenberg durch die Neue Kräme zu meinem Teeladen und weiter über den Römer zur Schirn. Wenn ich ganz viel Zeit habe, gehe ich zum Museumsufer, auf jeden Fall aber ins jüdische Museum am Schaumainkai, dort gibt es ein wunderbares Büchercafé mit fabelhaften Kuchen.

Was würden Sie der Universität zum 100. Geburtstag wünschen?

Ich wünsche meiner Universität, dass sie für ihre Studierenden ein Ort bleibt, an dem sie sich umfassend bilden können. Ich habe jeden Tag meiner Studienzeit genossen und hoffe, dass dies auch den heutigen Studierenden so geht. Bildung muss ein Erlebnis, eine Freude sein und dem menschlichen Impuls folgen, Zusammenhänge verstehen zu wollen. Bei aller Notwendigkeit straffer Lehrpläne muss die Universität ein Ort bleiben, der geistige Horizonte öffnet. Sie darf sich nicht zu einer Art akademischem Parcours entwickeln, durch den man mit hängender Zunge und nur halb verdautem Wissen bis zum Examen hindurchjagt. Und ich wünsche mir noch mehr interdisziplinäre Ansätze, etwa gemeinsame Diskussionsforen von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften. Dabei denke ich natürlich nicht an die Vermittlung von Spezialkenntnissen, sondern daran, Verständnis für die jeweils anderen Fragen und Problemstellungen zu wecken.

Und was würden Sie den Studierenden mit auf den Weg geben?

Erstens: Macht Euch bewusst, was für eine unglaubliche Chance solch ein Studium ist, um Neues zu erfahren, um zu verstehen und natürlich für eine gute Ausbildung. Und zweitens: Studiert Fächer, die Euch wirklich wichtig sind und nicht solche, die scheinbar eine einträgliche Karriere sichern. Ich jedenfalls konnte mir nie vorstellen, jahrzehntelang in einem Beruf zu arbeiten, der mir keine Freude macht.

Die Fragen stellte: Christine Burtscheidt.