Herr Bundespräsident, am Mittwoch eröffnen Sie in Dresden den 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Welche Bedeutung hat ein solches Ereignis heute noch?
Ein evangelischer Kirchentag ist immer ein Ereignis, das das ganze Land bewegt. Dort finden Debatten zu Themen statt, die auch mir sehr wichtig sind: Den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken sowie Mut und Zuversicht für den notwendigen Wandel zu geben. Bei einem Kirchentag wird stets auch deutlich, dass viele Menschen bereit sind, sich mit anderen und für andere zu engagieren. Während dieser Tage prägen schon die Teilnehmer mit ihrer Offenheit, Hilfsbereitschaft und Fröhlichkeit die Stimmung einer Stadt, in den Bussen und Bahnen und auf den Straßen und Plätzen. Nach einem Kirchentag frage ich mich oft, warum wir Menschen nicht häufiger so sind.
Sie fahren nach Dresden als der erste Bundespräsident seit 40 Jahren, der katholisch ist. Mit welchen Gefühlen brechen Sie nach Dresden auf?
Ich betätige mich als engagierter Christ in der Politik. Die Zugehörigkeit zum evangelischen oder katholischen Glauben hat für mich heute nicht die zentrale Bedeutung. Kirchentage sind von einem Geist der Offenheit geprägt und darauf freue ich mich.
Halten Sie das Engagement der Kirchen in der Tagespolitik für angemessen?
Die Kirchen haben viel zu sagen. Deshalb wünschte ich mir, dass ihre Positionen in der breiten Öffentlichkeit mehr Gehör finden. Wir sollten die Beurteilung kirchlicher Stellungnahmen nicht davon abhängig machen, ob sie mit der eigenen Position übereinstimmen, sondern sie als Mahnung und echtes Anliegen verstehen, nicht nur das Leben der Menschen aktuell zu verbessern, sondern das Überleben der Menschheit zu sichern.
Dennoch sinkt der Anteil der Kirchenmitglieder beständig. Verlieren die Kirchen an Akzeptanz?
Viele Bürger wünschen sich, dass Kirchen auch eigene Fehler und Versäumnisse bekennen, dass sie transparenter arbeiten und Entscheidungswege offenlegen. Dennoch schaffen es die Kirchen eindrucksvoll, die Nöte von Menschen zu erkennen. Sie sind für viele Anlauf- und Auffangstation. Kirchen spielen dabei auch eine Rolle für Atheisten und Kirchenferne. Denen bieten sie offenere Türen als früher an, etwa auch über neue Medien. Wenn ich Kinderbücher und Jugendangebote sehe, dann haben sich viele Kirchen nach meiner Erfahrung viel moderner aufgestellt als früher. Das ist anzuerkennen.
Gilt dieses Kompliment auch für die Ökumene?
Hier erwarte ich seit vielen Jahren viel deutlichere Signale für ökumenische Gottesdienste, den ökumenischen Segen. Dabei denke ich an die Situation gemischt-konfessioneller Ehen, wie meine eigene. Meine geistliche Heimat ist die katholische Kirche, der ich mich sehr verbunden fühle, meine Frau ist engagierte evangelische Christin. Meine Eltern waren evangelisch und katholisch und durch die erfahrene Ökumene im familiären Bereich bin ich immer auf der Suche nach dem Gemeinsamen, nicht nach dem Trennenden. Die Kirchen müssen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit reagieren, denn in ihr sind sie tätig.
Gelingt Ihnen das immer?
Es führt zu einer intensiven Auseinandersetzung. So haben wir unseren gemeinsamen Sohn Linus Florian evangelisch taufen lassen. Ich begrüße ökumenische Annährungen, weil sie es erleichtern, den eigenen Glauben zu leben. Die Gemeinsamkeit der Christenheit wünsche ich mir im Übrigen nicht nur zwischen evangelischer und katholischer, sondern auch zwischen Ost- und Westkirche. Das weltumspannende des Christentums hat doch eine besondere Faszination und Verantwortung. Für mich ist der liebende Gott tolerant und dem Menschen zugewandt.
Der Kirchentag findet in Dresden, in einer ostdeutschen Stadt, statt. In der Bevölkerung machen Christen beider Konfessionen etwa ein Viertel aus. Für viele sind christliche Feste wie Ostern, Himmelfahrt oder der Reformationstag willkommene freie Tage ohne religiösen Bezug. Kann die Politik dieser gesellschaftlichen Entwicklung entgegensteuern?
Einerseits hat die Zeit der Teilung Deutschlands und der extremen Religionsfeindlichkeit der SED in der DDR bis heute nachhaltige Spuren hinterlassen. Andererseits erlebe ich Bürgerinnen und Bürger in den Neuen Bundesländern als sehr sensibel für Themen wie Nächstenliebe, Einsatz für Schwächere, Solidarität und Zusammenhalt. Sie sind skeptisch gegenüber Ellenbogenmentalität und sehen den Menschen. Das sind ganz wichtige Anknüpfungspunkte zu den Anliegen der christlichen Kirchen. Die Kirchen zeigen ein großes Engagement im Kleinen vor Ort und der bevorstehende Kirchentag wird die Dresdnerinnen und die Dresdner positiv erreichen.
Beide großen Kirchen haben sich auch an der Ethikkommission zur Atomkraft beteiligt. Wie sehen Sie die Rolle der Kirchen in dieser Frage?
Auf den Kirchentagen war es immer ein Thema, dass viele Christen auch die friedliche Nutzung der Kernenergie als nicht akzeptabel empfunden haben, wegen des Gefährdungspotentials und der fortwährenden Belastung über Generationen. Diese finden jetzt in der neuen Energiepolitik in hohem Maße Bestätigung. Ich wünsche mir jetzt eine aktive Rolle von evangelischen Christen und Gemeinden bei der nicht einfachen Umsetzung der neuen Energiepolitik.
Werden wir dazu in absehbarer Zeit eine Grundsatzrede des Bundespräsidenten hören?
Am Tag der deutschen Einheit habe ich zum Thema der Integration, also der Einheit in Vielfalt, gesprochen. Am Bankentag zur ethischen Verantwortung von Banken und Bankern. Bei amnesty international über die Bedeutung der Menschenrechte und es wird sicherlich Gelegenheit geben, auch weiterhin grundsätzlich unsere internationale Verantwortung zu betonen. Es gibt in der Welt mehr Erwartungen an uns Deutsche, als wir es uns gegenwärtig klarmachen. Wir müssen aber unserer Verantwortung in der Welt gerecht werden.
Was erwartet die Welt von uns?
Als Bundespräsident erlebe ich bei meinen vielen Auslandsreisen große Erwartungen an Deutschland angesichts der wirtschaftlichen Kraft unseres Landes und dem Know-how etwa in Innovationsbereichen wie der Umwelttechnik. Klimaschutz, Finanz- und Währungsfragen, Armutsbekämpfung, Terrorbekämpfung und Friedenserhaltung: Fast alle der großen heutigen Fragen sind nur noch gemeinsam zu lösen.