Bundespräsident Steinmeier zum 75. Geburtstag von Werner Schulz

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

21. Januar 2025

Schwarz-weißes Porträt von Werner Scholz

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Kindern des DDR-Bürgerrechtlers und Politikers Werner Schulz zum 22. Januar einen Brief geschrieben. An diesem Tage wäre Werner Schulz 75 Jahre alt geworden. Der Bundespräsident schreibt:

„Heute wäre Ihr Vater 75 Jahre alt geworden. Nicht nur durch seinen tragischen Tod im Schloss Bellevue am 9. November 2022 fühle ich mich ihm eng verbunden.

Für seinen großen Mut und seine unerschütterliche Standhaftigkeit während der SED-Diktatur habe ich ihn stets bewundert. Mit seinem Engagement in der Bürgerrechts-, Friedens- und Umweltbewegung war er einer der Wegbereiter der Friedlichen Revolution in der DDR. Im Neuen Forum, am Runden Tisch und in der einzigen frei gewählten Volkskammer hat er die Weichen für eine Deutsche Einheit in Freiheit und in Partnerschaft mit unseren europäischen Nachbarn mitgestellt. Werner Schulz gehört für mich zu den großen Persönlichkeiten der jüngeren deutschen Demokratiegeschichte.

Ihr Vater hat die Demokratie nicht nur erkämpft, sondern als Abgeordneter im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament auch die Mühen der Demokratie im Alltag erlebt. Er war ein Revolutionär, der wusste, dass Unbeugsamkeit in der Diktatur ebenso eine Tugend ist wie Kompromissfähigkeit in der Demokratie.

Wir waren nicht immer einer Meinung, aber mit Werner Schulz konnte man gut streiten – stets respektvoll, auf Augenhöhe und die Lauterkeit der Motive des anderen anerkennend. Diese Art von konstruktivem Streit macht die Stärke der Demokratie aus und bringt uns voran. Heute, in einer Zeit, in der immer häufiger selbstgerecht, unversöhnlich, ja mitunter hasserfüllt gestritten wird, spüren wir das Fehlen von Werner Schulz ganz besonders.

Den großen Wert von Menschenwürde, Freiheit und Demokratie kannte Werner Schulz aufgrund seines Lebensweges ganz genau. Deshalb unterstützte er leidenschaftlich die Bürgerbewegungen gegen die verbliebenen Despoten in Osteuropa, deshalb erhob er seine Stimme gegen jede Umdeutung der Friedlichen Revolution durch Extremisten, und deshalb lag ihm eine demokratische Erinnerungskultur am Herzen. In unserem Buch ‚Wegbereiter der deutschen Demokratie‘ von 2021, für das ich Werner Schulz als Co-Autor gewinnen konnte, schrieb er über den 9. November, dies sei ‚ein Tag der Perspektivvielfalt, der Schuld und des Stolzes, der Trauer und der Freude – reizvoll und herausfordernd für das deutsche Geschichtsbewusstsein‘. Dass sein Leben an einem 9. November, an dem wir in Bellevue über die Zukunft der demokratischen Erinnerungskultur diskutieren wollten, so plötzlich, viel zu früh endete, geht mir nicht aus dem Kopf. Wie gern hätte ich an jenem Tag seine aufklärerische Stimme gehört!

Heute denke ich an Werner Schulz und fühle mit Ihnen erneut den großen Verlust, den Sie und unser Land erlitten haben. Sich auch weiterhin mit Ausdauer, Vernunft und Leidenschaft für unsere freiheitliche Demokratie einzusetzen, das bleibt für mich das große Vermächtnis Ihres Vaters, dem ich mich verpflichtet fühle.“