Bundespräsident Steinmeier kondoliert zum Tod von Edzard Reuter

Schwerpunktthema: Pressemitteilung

29. Oktober 2024

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat heute Helga Reuter zum Tod ihres Mannes Edzard Reuter kondoliert. Der Bundespräsident schreibt:

Unser Land hat einen Manager, Stifter und engagierten Bürger verloren, dessen Zwischenrufe und Denkanstöße die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatten über Jahrzehnte hinweg belebt und bereichert haben. Edzard Reuter war ein Brückenbauer, der sich um das friedliche Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Kultur in unserer Gesellschaft verdient gemacht hat. Und er war ein ökonomischer Visionär, der unermüdlich an Unternehmer und Manager appellierte, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, statt nur kurzfristige Gewinne im Blick zu haben.

Edzard Reuter wurde 1928 in Berlin geboren. Seine Eltern, Ernst und Hanna Reuter, engagierten sich in der Weimarer Republik für die Sozialdemokratie. Als die Familie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ins Exil nach Ankara fliehen musste, war Edzard Reuter sieben Jahre alt. Bis zu seinem 18. Geburtstag lebte er in der Türkei, lernte Menschen und Kultur kennen und erlebte große Gastfreundschaft. Die Jahre in Ankara prägten ihn fürs Leben: 'Offen zu sein für Fremde', hat er einmal gesagt, 'sie nicht abzustoßen, sondern willkommen zu heißen, das habe ich in der Türkei gelernt.'

Es war Ihrem Mann ein Herzensanliegen, Menschen mit Einwanderungsgeschichte auf ihrem Weg in unsere Gesellschaft und in eine selbstbestimmte Zukunft zu unterstützen. Gemeinsam mit Ihnen rief er eine Stiftung ins Leben, um die Chancengerechtigkeit und das respektvolle Zusammenleben der Verschiedenen in unserem Land zu fördern. Gerade heute stärken Einrichtungen wie die Helga-und-Edzard-Reuter-Stiftung den Zusammenhalt.

Der Name Edzard Reuter bleibt untrennbar mit Daimler-Benz verbunden. Als Vorstandsmitglied und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens hat Ihr Mann in den Achtziger- und Neunzigerjahren ein Stück deutsche Industriegeschichte mitgeschrieben. Er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass der Autokonzern zu einem großen, weltweit agierenden Technologiekonzern wurde. Die harte und oft auch persönliche Kritik, die ihm nach seiner Ablösung als Vorstandschef entgegenschlug, hat Ihren Mann tief getroffen. Es zeugt von seinem Mut und seiner Geradlinigkeit, dass er im Rückblick Fehler eingestanden hat, ohne seine Strategie grundsätzlich in Frage zu stellen.

Auch nach seiner Zeit als Unternehmenslenker hat Edzard Reuter sich immer wieder zum Zustand unserer Wirtschaftsordnung geäußert. Er warnte vor einem rücksichtslosen 'Turbokapitalismus', vor 'blanker Gier', vor einer Ökonomie, die nicht mehr den Menschen dient. Es ging ihm, mit einem Wort des Philosophen Michael Sandel, um die 'moralischen Grenzen des Marktes', um Ethik und Anstand und die Kraft zur Selbstbescheidung.

Edzard Reuter war ein politischer Kopf und ein streitbarer demokratischer Bürger. Als Buchautor, Interviewpartner und kritischer Berater der Politik hat er sich immer wieder eingemischt. Er stand für eine politische, demokratisch legitimierte Europäische Union, warnte vor einem Zerfall der Weltordnung, rief zum Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf, verteidigte die Meinungsvielfalt und forderte einen offenen, lebendigen demokratischen Diskurs.

Edzard Reuter war ein Anwalt der Aufklärung, eine Stimme der Vernunft. Seine Stimme wird fehlen, gerade in diesen Zeiten der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüche.

2018 waren Sie und Ihr Mann zu Gast im Schloss Bellevue. Wir haben damals seinen 90. Geburtstag nachgefeiert. Meine Frau und ich, wir erinnern uns gern an dieses Abendessen und an die Gespräche mit Ihnen beiden. Wir werden Edzard Reuter als beeindruckende Persönlichkeit der deutschen Zeitgeschichte in Erinnerung bewahren. Er hat sich in besonderer Weise um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.