Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich heute Vormittag mit Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund sowie Unternehmen und Betriebsräten zu einem Gespräch über den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Zustand der Demokratie in Deutschland getroffen. In Schloss Bellevue sprach er mit Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Katja Scharpwinkel, Leiterin der Region Europa, Naher Osten und Afrika bei BASF, Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG, sowie Michael Häberle, Vorsitzender des Betriebsrates im Mercedes-Benz Werk Untertürkheim und Mitglied des Aufsichtsrats der Mercedes-Benz Group AG.
Im Anschluss an das Gespräch erklärte der Bundespräsident:
"Wir treffen uns in bewegten Zeiten. Meine heutigen Gesprächspartner aus Wirtschaft und Gewerkschaften spüren das in ihren Betrieben täglich. Es gibt Unsicherheit und Besorgnis in unserem Land, und wir erleben zugleich, wie politische Extremisten diese Ängste planvoll schüren, um sie für ihre verantwortungslosen Pläne zu missbrauchen.
Die Nachrichten über Ausbürgerungspläne, wonach Rechtsextremisten Millionen Menschen – selbst deutsche Staatsbürger – vertreiben wollen, die haben unser Land aufgerüttelt. In ganz Deutschland sind Hunderttausende aufgestanden, auf die Straßen gegangen: in den großen, auch in den kleineren Städten, alt und jung, Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Heimaten. Menschen, die deutlich gemacht haben: Wir wollen Rechtsextremismus in unserem Land nicht haben, nicht dulden. Und das, was sie gezeigt haben, war ein starkes Zeichen für unsere Demokratie, ein Zeichen allerdings auch, das nötig war!
Ich habe heute Morgen Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Betriebsräte eingeladen, weil ich aus langer Erfahrung weiß: Immer wenn es ernst wurde in unserem Land, wenn es um das gemeinsame Ganze geht, dann hat die Zusammenarbeit der Sozialpartner geholfen, Krisen zu bewältigen und neue Herausforderungen zu bestehen.
Natürlich haben Unternehmer und Gewerkschaften zu vielen Fragen der Gegenwart unterschiedliche Antworten. Auch zu Parteien und Politik. Aber ich weiß, dass sie eines eint: das Eintreten für unsere Demokratie und die entschiedene Ablehnung jeder Form von Rechtsextremismus.
Ganz gleich ob Vorstand oder Vorarbeiter und ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit – wenn unsere Demokratie angegriffen wird, dann ist eine Grenze überschritten, bei der Gegensätze hintanstehen, dann muss die demokratische Mitte, die große Mehrheit unserer Gesellschaft Position beziehen und deutlich machen: Wir stehen zu unserer Demokratie, wir verteidigen dieses Deutschland, und wir lassen uns dieses Land nicht von extremistischen Rattenfängern kaputtmachen.
Die Sozialpartner stehen für diese gesellschaftliche Mehrheit. Die Sozialpartner, Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräte wissen am besten, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft ist.
Nationalistische Abschottung, das Gerede vom Austritt aus der Europäischen Union, Hass auf Menschen mit Migrationsgeschichte – diese Ideologie der Extremisten ist Gift für unsere Volkswirtschaft, Gift für Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie ist eine Gefahr für unser Land.
Wirtschaftsexperten aller Institute warnen in diesen Tagen mit dramatischen Worten vor selbstmörderischen wirtschafts- und europapolitischen Konzepten, die unser Land in den Ruin treiben würden. Damit ist noch gar nicht über einen Arbeitsmarkt gesprochen, auf dem mehr als ein Viertel der Arbeit gerade von denjenigen erledigt wird, die die Rechtsextremisten am liebsten ausbürgern wollen. Das sind Menschen, die an der Supermarktkasse stehen, Lkw, Bus oder Straßenbahn fahren, in Hotels und Restaurants arbeiten, Autos, Häuser und Wohnungen bauen, an Forschungseinrichtungen und Universitäten Impfstoffe entwickeln und viele Unternehmen leiten. Was wären wir eigentlich ohne die?
Aufgeschmissen sind wir aber auch, wenn es nicht gelingt, zusätzliche Arbeitskräfte ins Land zu holen. Ich komme gerade aus Vietnam und Thailand zurück. Glaube niemand, dass die Veränderungen der politischen Stimmung bei uns dort unbemerkt bleiben! Unsere Glaubwürdigkeit, die ist nach wie vor hoch, aber Fragen nehmen zu.
Ich danke der deutschen Wirtschaft, ich danke Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften und Betriebsräten, die meiner Einladung heute gefolgt sind. Sie bekennen sich zu ihrer gemeinsamen Mitverantwortung für die Zukunft der Demokratie und stellen sich Extremisten entgegen. Das ist ein gutes Signal für unser ganzes Land, und ich bin sicher, es wird gehört werden in den Unternehmen und Betrieben in Deutschland.
Für die Sozialpartner haben BDA und DGB heute eine gemeinsame Erklärung verfasst, die heute noch veröffentlicht wird und Ihnen zugeht. So wie auch Demonstrationen gehört werden, brauchen wir jetzt ein breites Bündnis quer durch die Bevölkerung, quer durch Unternehmen, Kultur und Gesellschaft. Ein Bündnis gegen Extremismus und für unsere Demokratie. Wir alle wissen, ein solches Bündnis allein kann noch nicht den Unterschied machen. Demonstrationen und Bündnisse der Sozialpartner ersetzen auch nicht Politik. Wir brauchen Regierungen, eine Opposition, die ihre Arbeit gut machen – aber auch dieses Bündnis kann den Blick auf das lenken, was uns verbindet. Es kann uns Mut machen, gemeinsam Verantwortung zu zeigen. Ich danke meinen Gästen, dass sie dieses heute vorgemacht haben."