Die 13 Frauen und 15 Männer setzen sich in herausragender Weise für die Werte der Demokratie ein. 35 Jahre nach der Friedlichen Revolution leisten sie einen wichtigen Beitrag für das gegenseitige Verständnis und den gesellschaftlichen Dialog in der Bundesrepublik. Sie widmen sich zentralen Themen unserer Zeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, engagieren sich für ein solidarisches Miteinander und sind ehrenamtlich aktiv.
In seiner Rede würdigte der Bundespräsident das besondere Engagement der Geehrten: Sie alle zeigen, dass wir gemeinsam etwas verändern und gestalten können. Was uns dabei verbindet, sind die demokratischen Werte, auf denen unsere freiheitliche Demokratie gründet.
Folgende Bürgerinnen und Bürger wurden ausgezeichnet:
Uwe Ahrendt, Judith Borowski und Roland Schwertner, Glashütte/Sachsen
Verdienstkreuz am Bande
Nomos Glashütte gilt als eine ganz besondere "deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte". Die Uhrenmanufaktur war nach dem Fall der Mauer das erste Unternehmen in Glashütte, das neu gegründet wurde – und zwar noch zu DDR-Zeiten am 1. Januar 1990. Zu verdanken ist dies Roland Schwertner. Zusammen mit Judith Borowski und Uwe Ahrendt hat er ein Unternehmen aufgebaut, das erheblich zum heutigen weltweiten Renommee von Glashütte als traditionsreichem Standort der Uhrenindustrie und exzellenter Handwerkskunst beiträgt. Ein großes Anliegen ist dem Unternehmertrio, sich für die Werte der Demokratie zu engagieren und diese in ihrem Unternehmen stets präsent zu halten. Denn, so sagen sie, Demokratie lebt von unser aller Zutun. Und noch etwas betonen sie immer wieder: Ohne die mutigen Akteure der Friedlichen Revolution wäre der Aufschwung von Glashütte nicht möglich gewesen.
Lorenzo Annese, Bokensdorf/Niedersachsen
Verdienstkreuz am Bande
Lorenzo Annese war 1961 der erste italienische Gastarbeiter im Volkswagenwerk. Mit ausgeprägter Hilfsbereitschaft kümmerte er sich um die vielen Beschäftigten, die kurz nach ihm zu Volkswagen kamen, kämpfte für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Er organisierte Bildungsveranstaltungen und Freizeitaktivitäten. 1965 wurde er der erste ausländische Betriebsrat in Deutschland. Die Werte einer Gewerkschaftsbewegung hat er für alle vorgelebt: Solidarität üben, aktiv mitmachen und aufeinander zugehen. Während seines ganzen Arbeitslebens wurde Lorenzo Annese stets wiedergewählt. Zu seinem Amt als Betriebsrat kamen die Ämter des Vorsitzenden des Ausländerbeirats in Wolfsburg und für ganz Niedersachsen hinzu. Über 20 Jahre engagierte er sich auch kommunalpolitisch. Bis heute setzt er sich wo immer möglich für Integration ein – und dies weit über die große italienische Gemeinde in Wolfsburg hinaus.
Prof.Dr. Alena Buyx, Berlin
Verdienstkreuz am Bande
Die Ärztin und Medizinethikerin ist eine der engagiertesten Stimmen zu Fragen des gesellschaftlichen Wandels in unserer Zeit. Von 2016 bis April 2024 gehörte Alena Buyx dem Deutschen Ethikrat an, ab 2020 als dessen Vorsitzende. Wie wichtig ihr Engagement als Beraterin in ethischen Fragen von Politik, Gesellschaft und Wissenschaft ist, wurde besonders während der Corona-Pandemie deutlich. Trotz zum Teil massiver Anfeindungen war sie eine stets präsente Mittlerin, die den Konflikt zwischen staatlichen Schutzmaßnahmen und individuellen Freiheitsrechten verständlich erläutert hat. Mit großem Engagement bringt sie sich auch in die Debatte zur Digitalisierung und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Arbeitsmarkt ein. So mahnt sie immer an, transparente Regulierungen für den Einsatz der KI zu schaffen. Alena Buyx leistet damit einen wichtigen Beitrag zur verantwortungsvollen Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft.
Saba-Nur Cheema und Prof.Dr. Meron Mendel, Frankfurt am Main/Hessen
Verdienstkreuz am Bande
Saba-Nur Cheema und Meron Mendel setzen sich seit Langem aktiv gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ein – und dies sowohl beruflich wie auch ehrenamtlich als engagierte Bürgerin und engagierter Bürger. Beiden ist es in besonderem Maße zu verdanken, dass die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main heute eine der führenden Organisationen in der Bundesrepublik ist, die über das Leben von Anne Frank informiert und zugleich mit innovativen Projekten vermittelt, wie Rassismus und Diskriminierung entstehen können und wie dem entgegengewirkt werden kann. Die Eheleute leben den interreligiösen Dialog und engagieren sich, auch mit ihrer Zeitungskolumne "Muslimisch-jüdisches Abendbrot", für ein demokratisches, friedliches Miteinander. Bei all diesen Aktivitäten stehen sie immer für eine offene Diskussionskultur ein.
Dr. Antje von Dewitz, Tettnang/Baden-Württemberg
Verdienstkreuz am Bande
Familienunternehmerin, Umweltschützerin, Verteidigerin der Menschenrechte – das sind für Antje von Dewitz keine Widersprüche. Unter ihr als Geschäftsführerin hat sich das Unternehmen für Outdoor-Kleidung und Sportausrüstung Vaude zu Klimaneutralität, Umweltschutz sowie hohen Sozialstandards in der Lieferkette selbst verpflichtet. Sie ist damit zu einem Vorbild für nachhaltiges und soziales Unternehmertum in der Textil- und Bekleidungsindustrie geworden. Darüber hinaus setzt sie sich dafür ein, Geflüchtete durch Beschäftigung zu integrieren, und ist Mitgründerin der Unternehmerinitiative "Bleiberecht durch Arbeit". Außerdem engagiert sich Antje von Dewitz in vielen Ehrenämtern. So war sie zehn Jahre stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und ist Vorstandsmitglied des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft.
Dr. h. c. Günther Dilling, Wolfenbüttel/Niedersachsen
Verdienstkreuz am Bande
Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 ist ein zentrales Ereignis der deutschen Freiheitsgeschichte. Günter Dilling ist einer der mutigen Aktiven. Als 19-jähriger Tischlergeselle war er Streikführer einer Jugendbrigade in Ost-Berlin. Sie protestierten friedlich gegen soziale Missstände und politische Unterdrückung. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde er verhaftet und zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung flüchtete er in den Westen. Später verhalf Günther Dilling mehr als 70 Menschen zur Flucht aus der DDR. Seit dem Fall der Mauer engagiert er sich als Zeitzeuge in der politischen Bildungsarbeit. Er war 14 Jahre ehrenamtlicher Gästeführer in der Gedenkstätte Marienborn. Bis heute erhebt er seine Stimme für die Opfer des SED-Regimes.
Prof.Dr. Dr.h. c. Dan Diner, Berlin und Tel Aviv/Israel
Verdienstkreuz 1. Klasse
Der Historiker Dan Diner, emeritierter Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem und der Universität Leipzig, hat in herausragender Weise zur Pflege der Wissenschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel beigetragen. Als Direktor des Simon-Dubnow-Instituts in Leipzig hat er führend den Bereich der Jüdischen Studien wie auch der europäischen und Globalgeschichte des 20. Jahrhunderts fortentwickelt. Seine enzyklopädischen Arbeiten zur Bedeutung der jüdischen Lebenswelten für das Verständnis der Moderne haben zudem eine Neuorientierung in den Geschichtswissenschaften bewirkt. Seine Studien zur Gedächtnisgeschichte des Holocaust sind ebenso wegweisend wie der von ihm für das Ereignis "Auschwitz" geprägte Begriff vom "Zivilisationsbruch". Mit seinem großen Engagement um das Geschichtsbewusstsein und die politische Kultur in der Bundesrepublik hat sich Dan Diner in ganz besonderem Maße verdient gemacht.
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Johann Georg Goldammer, Freiburg/Baden-Württemberg
Verdienstkreuz am Bande
Johann Georg Goldammer gilt als einer der erfahrensten Waldbrandexperten weltweit. Seit Jahrzehnten befasst sich der Forstwissenschaftler mit natürlichen sowie von Menschen verursachten Vegetationsbränden und deren Folgen. Bereits in den 1980er Jahren begann er, im Bereich der Feuerökologie zu forschen. Er untersuchte die Auswirkungen von Waldbränden in der Taiga auf die Atmosphäre und die Rolle von Feuer im tropischen Regenwald. Er war derjenige, der das Thema Waldbrandverhütung und -bekämpfung in die Vereinten Nationen einbrachte. Bis heute leitet Johann Georg Goldammer die Arbeitsgruppe Feuerökologie am Max-Planck-Institut für Chemie in Freiburg, die Träger des Global Fire Monitoring Center ist. Dieses steht unter dem Schirm der Vereinten Nationen und berät Länder und internationale Organisationen zu der Frage, wie sich Waldbrandkatastrophen reduzieren lassen.
Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl, München/Bayern
Verdienstkreuz 1. Klasse
Im Geiste von Oskar von Miller, dem Gründer des Deutschen Museums in München, technische Exzellenz allen Generationen nahe zu bringen, das bewegt Wolfgang M. Heckl. Er ist seit 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums und darüber hinaus Inhaber des Oskar-von-Miller-Lehrstuhls an der Technischen Universität München. Denn Wolfgang M. Heckl ist nicht nur ein exzellenter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Experimentalphysik und Nanotechnologie, sondern auch ein höchst kreativer Vorreiter der Wissenschaftskommunikation. Experten wie Laien vermag er anschaulich zu erklären, was die Nanotechnologie mit der Astronomie verbindet, das Kleinste mit dem Größten. Mit seiner Arbeit will er zu einem verantwortungsbewussten Handeln innerhalb unserer Gesellschaft beitragen – und dafür ist er ein herausragendes Vorbild.
Gerit Höhle, Bissendorf/Niedersachsen
Verdienstkreuz am Bande
Das Deutsche Rote Kreuz ist Teil der größten humanitären Bewegung der Welt. Gerit Höhle trat bereits mit 18 Jahren in den Ortsverband seiner Heimatgemeinde ein und engagiert sich seitdem dort ehrenamtlich – neben seinem Beruf als Rettungssanitäter beim Malteser Hilfsdienst. Seit 2007 ist er stellvertretender Vorsitzender des DRK-Ortsverbandes Bissendorf. Gerit Höhle war bei den Elbe-Hochwasserkatastrophen 2002 und 2013, beim Moorbrand in Meppen 2018 und im Rahmen der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 im Einsatz. Während der Corona-Pandemie hat er sich unermüdlich um die Organisation von Corona-Testungen in Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen und Kitas gekümmert. Außerdem ist er Initiator des "Sozio-Med-Mobils" in Bissendorf. Dieses ermöglicht, dass auch diejenigen eine Arztpraxis gut erreichen können, die kein Auto haben. Denn auch im Alltag ist für Gerit Höhle gesellschaftlicher Zusammenhalt unerlässlich.
Barbara Honigmann, Straßburg/Frankreich
Verdienstkreuz am Bande
Ihre Bücher sind ein Abbild deutscher Lebenswirklichkeit der vergangenen Jahrzehnte. Sie schützen vor dem Vergessen und helfen, unsere heutige Welt zu verstehen. Eindringlich vermittelt Barbara Honigmann, was es für die Nachkommen der Holocaust-Überlebenden bedeutet, in Deutschland oft als nicht zugehörig gesehen zu werden und selbst auf der Suche nach einer eigenen Identität zu sein. Gleich in ihrem ersten Buch von 1986 hat sie diese Suche am Beispiel ihres eigenen Lebenswegs benannt als dreifachen Todessprung ohne Netz: vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich und aus der Assimilation mitten in das Thora-Judentum hinein
. Immer wieder vermittelt Barbara Honigmann in ihrem literarischen Werk auch das heutige jüdische Leben. Wie wichtig die Fragen sind, die sie in ihrem Werk stellt, das zeigt sich gerade heute wieder besonders deutlich.
Jürgen Klopp, Mainz/Rheinland-Pfalz
Verdienstkreuz am Bande
Jürgen Klopp war Trainer bei Mainz 05, Borussia Dortmund und beim FC Liverpool. Seine Mannschaften führte er zu ungezählten Siegen und Titeln. Er selbst wurde 2019 und 2020 zum Welttrainer des Jahres gekürt. Erfolg und Ruhm haben ihn jedoch nie davon abgebracht, sich jedem einzelnen Sportler zuzuwenden und in ihm den Menschen zu sehen. Auch für seine zahlreichen Fans hat er sich immer viel Zeit genommen und sich auch der gesamten Region, in der er gelebt hat, zugewandt. Von Liverpool aus hat der populärste Deutsche in Großbritannien erheblich zu einem positiven Bild unseres Landes beigetragen. Stets hat sich Jürgen Klopp auch gesellschaftlich und sozial engagiert. So hilft er benachteiligten jungen Menschen, setzt sich für Toleranz ein und zeigt, wie Zusammenhalt und Solidarität gelebt werden können. Jürgen Klopp ist damit vielen ein großes Vorbild geworden – und ein herausragender Fußballbotschafter weit über die Sportwelt hinaus.
Toni Krahl, Glienicke/Nordbahn/Brandenburg
Verdienstkreuz am Bande
Mit der Band City wurde ihr Frontman Toni Krahl nicht nur in der DDR zur Rocklegende. Im halben Land und der zerschnittenen Stadt
, wie es in einem ihrer Lieder heißt, hat er das Lebensgefühl eines ganzen Landes besungen. Als Künstler war es ihm dabei stets ein persönliches Anliegen, für Menschenrechte und Toleranz einzutreten. 1989 wirkte er bei Konzerten in Ost-Berlin mit, welche die friedlichen Demonstrationen gegen das SED-Regime unterstützten. Im September 1989 gehörte er zu den Initiatoren der "Resolution von Rockmusikern und Liedermachern für eine Demokratisierung der DDR-Gesellschaft". Auch im wiedervereinigten Deutschland hat Toni Krahl nicht aufgehört, sich für die Werte der Demokratie stark zu machen. Besonders wichtig sind ihm dabei junge Menschen. Er ist Pate des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums in Berlin-Köpenick, das er selbst besucht hat. Die Schule musste er jedoch verlassen, nachdem er 1968 gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag protestiert hatte und daraufhin verhaftet wurde. Außerdem tritt er für das Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" ein.
Prof. Ute Mahler und Werner Mahler, Oranienburg/Brandenburg
Verdienstkreuz am Bande
Die Fotografien von Ute und Werner Mahler sind seit Jahrzehnten in renommierten Sammlungen vertreten. Beide haben sie für die ostdeutsche Modezeitschrift "Sibylle" gearbeitet, 1990 die Fotoagentur Ostkreuz mitgegründet und sich mit Fotoprojekten wie "Wo die Welt zu Ende war" mit der heutigen deutsch-deutschen Realität auseinandergesetzt. Die Werke von Ute und Werner Mahler sind seit jeher stilprägend, in Ost und West, im In- wie im Ausland. Stets haben sie ihre individuelle Sicht auf die Welt dargestellt und dabei ihr Publikum ermutigt, das eigene Umfeld intensiv wahrzunehmen und der eigenen Sicht Raum zu geben. Denn in dem Werk von Ute und Werner Mahler geht es immer um den einzelnen Menschen mit seinen Empfindungen, seinem Umfeld, seiner Würde.
Natalya Nepomnyashcha, Berlin
Verdienstmedaille
In einem demokratischen Staat sollen alle die gleichen Chancen haben. Dass in Deutschland dennoch die eigene Herkunft bereits bei jungen Menschen erheblichen Einfluss auf Bildungschancen hat, zeigen immer wieder Studien und Statistiken. Natalya Nepomnyashcha hat als Schülerin selbst erfahren müssen, wie schwer es ist, gegen Vorurteile anzukämpfen, und das bei besten Schulnoten und Abschlüssen. Damit dies nicht so bleibt, hat die heute erfolgreiche Unternehmensberaterin 2016 das Förderprogramm "Netzwerk Chancen" gegründet, das sie ehrenamtlich leitet. Mit der Initiative fördert Natalya Nepomnyashcha junge Menschen, die aus finanzschwachen Familien kommen. Denn auch ihnen will sie den Weg bereiten, einen Beruf auszuwählen, den sie wirklich ausüben wollen.
Gerhard Polt, Schliersee/Bayern
Verdienstkreuz am Bande
Wann er lachen muss, wisse er oft selbst nicht, hat Gerhard Polt einmal gesagt. Wie der Kabarettist jedoch sein Publikum zum Lachen bringt, das weiß er ganz genau. Und das große Publikum des Bayern reicht weit über seine Heimat hinaus, erreicht das ganze Land, Jung wie Alt. Seit Jahrzehnten prägt Gerhard Polt als gesellschaftskritischer Künstler das deutsche Kabarett. Seine Figuren stellen zumeist typische Vertreter unserer Gesellschaft dar, die in oft grotesker, aber immer liebevoller Überzeichnung uns allen den Spiegel vorhalten. Mit seinem feinen Humor, der nie verletzend wirkt, gilt Gerhard Polt als der Erbe Karl Valentins. Sein Ratschlag, nur über die Zuneigung kann man Dinge klarer sehen
, sollte auch Maxime für das gesellschaftliche Miteinander sein.
Isabel Raabe und Franziska Sauerbrey, Berlin
Verdienstkreuz am Bande
Sinti und Roma bereichern seit Jahrhunderten Europa und seine Kultur, und doch sind oftmals nur Stereotype über sie bekannt. Das digitale "RomArchive" dokumentiert ihre Geschichte aus der eigenen Perspektive. Initiiert haben das Projekt, in dem die Selbstrepräsentation der Sinti und Roma im Mittelpunkt steht, Isabel Raabe und Franziska Sauerbrey. Vor zehn Jahren begannen sie, in ganz Europa Interviews mit Sinti und Roma zu führen, Objekte aus Sammlungen und Bibliotheken für eine Datenbank zu erschließen und mit einem internationalen Kuratorenteam ein Archiv aufzubauen. 2019 ging das allen frei zugängliche "RomArchive" online, seitdem wird es in der Trägerschaft des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma weitergeführt. Wie verdienstvoll die Arbeit von Isabel Raabe und Franziska Sauerbrey ist, zeigen auch die Auszeichnungen des "RomArchive" mit dem European Cultural Heritage Award und dem Grimme Online Award.
Helga Schubert, Neu Meteln/Mecklenburg-Vorpommern
Verdienstkreuz am Bande
In ihrem Werk verarbeitet die Schriftstellerin und Psychologin Helga Schubert kunstvoll Erfahrungen und Beobachtungen aus ihrem Alltag. Darin greift sie immer wieder grundlegende gesellschaftspolitische Themen auf. Ihre Geschichten erzählen von einer Kindheit im Krieg, von Flucht, von der Auseinandersetzung mit dem SED-Regime. Schon in der DDR war sie politisch aktiv, weswegen sie von der Stasi über viele Jahre observiert wurde. 1989 gehörte sie zu den ersten Demonstrierenden in Berlin, und sie wirkte am Zentralen Runden Tisch in Ost-Berlin mit, der den Weg zu freien Wahlen mitbereitete. Bis heute erhebt Helga Schubert ihre Stimme für einen konstruktiven Dialog über Geschichte wie Gegenwart. Als engagierte Schriftstellerin setzt sie sich für ein gesellschaftliches Miteinander ein, das auf Ausgleich, Verständigung und Übernahme von Verantwortung setzt – die Stärken eines freiheitlich demokratischen Staates.
Lutz Seiler, Michendorf/Brandenburg
Verdienstkreuz am Bande
Lutz Seiler macht als Schriftsteller, so wird gesagt, die Deutschen mit sich selbst bekannt und darüber hinaus die Welt mit den Deutschen. Er wuchs im vom Uranbergbau geprägten Thüringen auf und gehört zu der Generation, die noch in der DDR erwachsen wurde. In Gedichten, Erzählungen und Romanen reflektiert er mit seiner von poetischer Feinheit geprägten Sprache Erfahrungen aus den letzten Jahren der DDR und der Zeit nach der Wiedervereinigung. Er greift Themen auf, die 35 Jahre nach der Friedlichen Revolution mehr denn je aktuell sind und helfen, gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen. Das ist ein mehr als literarisches Verdienst. Außerdem leitet Lutz Seiler das Peter-Huchel-Haus in Michendorf. An diesem ehemaligen Treffpunkt von Künstlern, die in Opposition zum SED-Regime standen, gelingt es ihm, den Ort über das Museale hinaus zu beseelen und ein großes Publikum für die heutige Literatur und Kunst zu interessieren.
Waltraud Thiele, Halle (Saale)/Sachsen-Anhalt
Verdienstkreuz am Bande
Bereits mit Beginn ihres Lebens hat Waltraud Thiele die Willkür und Unmenschlichkeit des SED-Regimes erfahren müssen. Sie wurde 1948 als Tochter einer politischen Gefangenen im Zuchthaus "Roter Ochse" in Halle geboren, von ihrer Mutter getrennt und ein Jahr später in ein Kinderheim gebracht. Da es ihrer Mutter nach Entlassung aus der Haft untersagt war, darüber zu sprechen, blieb Waltraud Thiele zu DDR-Zeiten ihre eigene Geschichte unbekannt. Direkt nach der Wiedervereinigung begann sie, sich der Aufarbeitung des SED-Unrechts zu widmen und Opfer politscher Gewalt zu beraten. Seit 2014 engagiert sie sich im Vorstand der "Vereinigung der Opfer des Stalinismus in Sachsen-Anhalt" und im Fachbeirat der "Beratungsstelle DDR-Heimkinderfonds Sachsen-Anhalt". Außerdem ist sie als Zeitzeugin aktiv. Für ihren wichtigen Einsatz wurde Waltraud Thiele zur "Botschafterin für Demokratie und Toleranz" ernannt.
Marlehn Thieme, Bad Soden/Hessen
Verdienstkreuz am Bande
Die Rechts- und Sozialwissenschaftlerin ist seit Langem in herausragender Weise ehrenamtlich aktiv. Seit 2018 ist Marlehn Thieme Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe. Dabei ist sie eine wichtige Stimme bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, um Hunger weltweit langfristig zu beenden. Von 2004 bis 2019 gehörte Marlehn Thieme dem Rat für Nachhaltige Entwicklung an, dessen Vorsitzende sie ab 2012 war – als erste Frau. Sie hat in dieser Funktion die Bundesregierung beraten und erheblich dazu beigetragen, das Konzept des nachhaltigen Wirtschaftens in Deutschland gesellschaftlich zu etablieren. Außerdem engagiert sie sich seit 25 Jahren in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mit ihrem persönlichen Einsatz hat sich Marlehn Thieme ganz besonders um eine Verständigung zwischen Kirche und Wirtschaft in gesellschaftlichen Fragen verdient gemacht.
Kassandra Wedel, München/Bayern
Verdienstkreuz am Bande
Die Tänzerin und Schauspielerin verlor als Kleinkind bei einem Unfall das Gehör und verwirklichte dennoch ihren Traum. Tanz ist ihr Leben. Für Kassandra Wedel ist dies kein Widerspruch. Sie hört Musik, indem sie die Vibrationen fühlt, und setzt sie in Tanz und Gebärden um. So schafft sie eine ganz eigene Form visueller Poesie, mit der sie in herausragender Weise zur Sichtbarkeit gehörloser Menschen und der Deutschen Gebärdensprache beiträgt – und dies weit über die Grenzen der Kulturszene hinaus. Zugleich engagiert sie sich für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben. Kassandra Wedel ist damit eine vorbildliche Brückenbauerin und mehr noch: Sie verändert die Sicht auf Gehörlosigkeit. Denn diese soll nicht als Defizit verstanden werden, sondern als ein Ausdruck von Vielfalt.
Stephan Zänker, Erfurt/Thüringen
Verdienstkreuz am Bande
Viele Jahre wurde die Weimarer Republik von ihrem Ende her als eine Geschichte des Scheiterns gesehen. Der Historiker Stephan Zänker hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch an ihre wegweisenden Errungenschaften zu erinnern – wie Frauenwahlrecht, soziale Verbesserungen und parlamentarische Demokratie. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass in Weimar mit dem "Haus der Weimarer Republik – Forum für Demokratie" ein lebendiger Erinnerungsort entstanden ist. Zugleich ist es ein Forum für demokratische Debatten. Aber Stephan Zänker ist nicht nur einer der engagiertesten Akteure in der Bundesrepublik bei der Erforschung deutscher Demokratiegeschichte. Er lebt deren Werte auch im Alltag und ist vielfältig sozial aktiv, beispielsweise in seiner Kirchengemeinde.