Statement in der Synagoge Fraenkelufer

Schwerpunktthema: Bericht

13. Oktober 2023

Der Bundespräsident hat am 13. Oktober in der Berliner Synagoge Fraenkelufer mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gesprochen. Anschließend erklärte er: "Jeder von uns kann unseren Nachbarn und Mitbürgern beistehen in ihrem Schmerz und ihrer Angst. Wir können sie trösten, können bei ihnen sein, ihnen Mut machen, uns vor sie stellen. Das wünsche ich mir jetzt, nein, das erwarte ich mir jetzt von allen Menschen, die in unserem Land leben, und zwar unabhängig von Herkunft, Erfahrung und Religion."

Bundespräsident Steinmeier bei einem Statement nach einem Gespräch mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in der Berliner Synagoge Fraenkelufer

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich am 13. Oktober in Berlin mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in der Synagoge Fraenkelufer zu einem Gespräch getroffen. Anschließend erklärte der Bundespräsident:

Der heutige Tag ist ein Tag der Angst für Juden weltweit und in Deutschland. Eine Angst, die in Israel vor sieben Tagen grausame Wirklichkeit wurde.

Dort begann vor einer Woche ein noch nie zuvor erlebter Terrorkrieg. Ein Terrorkrieg gegen den jüdischen Staat und seine Menschen. Die Nachrichten und Bilder der letzten Tage sind kaum auszuhalten. Wir ringen noch darum, die Ereignisse zu begreifen und sind doch jetzt schon gefordert, Konsequenzen zu ziehen.

Es hat blutige Kriege im Nahen Osten gegeben, schreckliche Terroranschläge und Raketenbeschuss. Aber das Eindringen von mehr als 1.500 schwer bewaffneten Terroristen nach Israel, die Jagd auf Jüdinnen und Juden machen, Menschen aus ihren Autos zerren, die von Haus zu Haus gehen, jeden ermorden, der in ihre Hände fällt, Eltern mit ihren Kindern, die ein Massaker verüben an den jungen Besuchern eines Musikfestivals, die Menschen in Todesangst verhöhnen, als Geiseln in den Gazastreifen verschleppen – ein solches Maß an roher Gewalt, eine solche unvorstellbare Brutalität und Grausamkeit haben wir zuvor in Israel nicht erlebt. Mehr als 1.000 wehrlose Zivilisten sind diesen monströsen Verbrechen gegen jede Menschlichkeit zum Opfer gefallen.

Für Israel ist nichts mehr wie zuvor. Der Einbruch des Grauenhaften und Unvorstellbaren, die Angstschreie der Kinder, die Verzweiflung derer, die nicht helfen konnten, die nicht abwehren konnten, nicht retten konnten, all das formt sich zu einem schier unerträglichen Schmerz. Schmerz über die Toten, Verletzten, Verschleppten. Aber auch Schmerz über die Verwundbarkeit des Landes, die sich am Samstag auf so schreckliche Art und Weise offenbarte.

Ich habe in den letzten Tagen mehrfach mit dem israelischen Staatspräsidenten Herzog gesprochen. Das Entsetzen, aber auch die Entschlossenheit in seinen Worten sind gleichermaßen groß. Was ist für Israel anderes möglich, als in der Stunde solcher Gefahr mit militärischer Macht die Terroristen zu bekämpfen und ihre Waffenlager und Strukturen zu zerstören. Israel hat das Recht zur Selbstverteidigung. Und wir stehen Israel zur Seite.

Das Morden der Hamas, es hat noch kein Ende! Für heute haben sie zu neuen Gewalttaten gegen jüdische Gemeinden weltweit aufgerufen. Auch für deutsche Juden ist der heutige Freitag ein Tag der Angst. Deshalb ist mein Platz heute unter ihnen. In dieser Stunde stehe ich stellvertretend für unsere ganze Nation an der Seite unserer bedrohten Landsleute, an der Seite aller Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Und die Synagoge in der ich hier spreche, war die erste in Berlin, in der im Herbst 1945 nach der Shoah wieder ein offizieller jüdischer Gottesdienst stattfinden konnte. Der Völkermord an den Juden Europas hat Deutschland eine nie endende historische Verpflichtung auferlegt:

Nie wieder dürfen Juden in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen.

Jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, gehört zum Selbstverständnis unserer Demokratie. Die Sicherheit von Jüdinnen und Juden ist unserer Demokratie in ihr Fundament geschrieben.

Und nur wenn unsere jüdischen Mitbürger in Frieden und Sicherheit leben, nur dann kann unser ganzes Land es tun.

Deshalb sind wir jetzt, in dieser Stunde der Bedrohung, konkret gefordert. Wir verstärken den Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland, ziehen jene zur Rechenschaft, die auf unseren Straßen den Terror gutheißen, gar so schändlich sind, ihn zu feiern. Und wir forcieren den Kampf gegen die Hamas und verbieten auch ihre Tarnorganisationen in Deutschland.

Aber: Nicht nur der Staat, nicht nur unsere Sicherheitsbehörden und unsere Polizei sind gefordert. Jeder von uns kann unseren Nachbarn und Mitbürgern beistehen in ihrem Schmerz und ihrer Angst. Wir können sie trösten, können bei ihnen sein, ihnen Mut machen, uns vor sie stellen. Das wünsche ich mir jetzt, nein, das erwarte ich mir jetzt von allen Menschen, die in unserem Land leben, und zwar unabhängig von Herkunft, Erfahrung und Religion.

Ganz gleich ob seit Generationen in Deutschland lebend oder zugewandert: Wer Deutscher ist oder auf Dauer in unserem Land leben will, muss Auschwitz kennen und begreifen. Der muss die Geschichte kennen, die uns in besonderer Art und Weise mit Jüdinnen und Juden und auch mit dem Staat Israel verbindet. Der muss wissen, dass Antisemitismus, dass Judenhass keine Meinung ist, sondern eine menschenverachtende Straftat. Und der muss die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in unserem Land auch zu seiner Sache machen!

Auch in dieser dunklen Stunde gibt es Hoffnung. Heute Abend wollen sich vor dieser Synagoge Nachbarn zusammenfinden, um den Shabbatgottesdienst durch ihre bloße Anwesenheit draußen auf der Straße zu schützen. Und viele tun es ihnen gleich, an vielen Orten unseres Landes. Und deshalb will ich allen danke, die solche Zeichen der Mitmenschlichkeit senden.

Lassen wir nicht zu, dass Mörder und Terroristen einen Keil in unsere Gesellschaft treiben.

Die Angst ist groß. Ja. Aber der Zusammenhalt ist stärker.