Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 9. Dezember zu einer Gesprächsrunde zur Lage im Iran in Schloss Bellevue eingeladen. Anlass war der Tag der Menschenrechte. Im Anschluss gab der Bundespräsident ein Pressestatement ab:
Vor knapp drei Monaten, am 16. September, kam Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei in Teheran ums Leben.
Seitdem gehen mutige Menschen in vielen Städten des Iran zu Tausenden auf die Straße, um friedlich gegen Unterdrückung und für Menschenrechte zu protestieren.
Es sind vor allem junge Iranerinnen und Iraner, die in ihrem Land für ein selbstbestimmtes Leben in Würde demonstrieren, für Gleichberechtigung, Presse- und Meinungsfreiheit, gegen staatliche Willkür und die alltägliche Diskriminierung von Frauen und Minderheiten.
Seit knapp drei Monaten geht das iranische Regime mit maßloser Gewalt gegen diese Demonstrantinnen und Demonstranten vor. Unschuldige Frauen und Männer, die von ihrem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machen, werden niedergeknüppelt, festgenommen, gefoltert, viele erschossen oder erschlagen. Mehr als 500 Menschen sollen der Polizeigewalt bislang zum Opfer gefallen sein, darunter auch Kinder. Und gestern ist erstmals ein zum Tode verurteilter Demonstrant hingerichtet worden.
Die Berichte über das menschenverachtende Vorgehen des iranischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung erschüttern mich und viele andere Menschen in unserem Land. Und es sind bei Weitem nicht nur, aber natürlich ganz besonders die hier lebenden Menschen iranischer Herkunft, die in diesen Tagen auf einen Erfolg der Freiheitsbewegung hoffen und zugleich um ihre Verwandten und Freunde im Iran bangen.
Es ist mir ganz wichtig, ihnen zuzuhören, um besser zu verstehen, wie sie die Lage vor Ort sehen und bewerten, welche Anliegen und Forderungen die mutigen Menschen im Iran seit Wochen auf die Straßen treiben, um auch zu erfahren, mit welchen Hoffnungen, welchen Sorgen die iranischstämmigen Menschen hier in Deutschland auf die Entwicklungen in ihrer iranischen Heimat schauen. Deshalb habe ich heute zu einer deutsch-iranischen Gesprächsrunde hier ins Schloss Bellevue eingeladen.
Ich bin sehr dankbar, dass ich ausführlich mit engagierten Frauen und Männern sprechen konnte, die dem Iran besonders verbunden sind. Zu Gast waren eine Journalistin, eine Schauspielerin, Iran-Experten und -Expertinnen aus der Wissenschaft und ein deutscher Korrespondent, der seit vielen Jahren aus dem Iran berichtet. Und ich bin besonders dankbar, dass auch eine Iranerin bei uns sein konnte, die angesichts der zunehmenden Gewalt auf den Straßen dort erst jüngst nach Deutschland geflohen ist.
Ich habe in den vergangenen anderthalb Stunden viel gelernt, und ich danke meinen Gästen für den offenen und respektvollen Austausch.
Morgen begehen wir den Internationalen Tag der Menschenrechte. In Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt erinnern wir an den 10. Dezember 1948, als die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten. Wir erinnern daran, dass Menschenrechte universell sind: Sie stehen jedem und jeder Einzelnen zu, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Herkunft, religiöser oder politischer Anschauung.
Der Iran hat die Charta der Vereinten Nationen unterzeichnet. Er hat völkerrechtlich bindende Verträge ratifiziert, aber das Regime in Teheran bringt Angst und Schrecken über die Menschen im eigenen Land.
Ich habe viele, gerade auch junge Menschen im Iran kennenlernen dürfen, die sich trotz der Gängelung durch die autoritäre Führung ihr Selbstbewusstsein bewahrt haben und sich nach einer Zukunft in Freiheit ohne Gängelung und staatlicher Willkür sehnen. Mein Respekt gilt heute allen Iranerinnen und Iranern, die in ihrem Land auf die Straße gehen, um gegen Gewalt, Unrecht und Unterdrückung zu demonstrieren, wohl wissend, dass sie sich damit in Lebensgefahr begeben. Ich bewundere ihren Mut!
Wir gedenken heute der Iranerinnen und Iraner, die ermordet wurden, weil sie für ein Leben in Freiheit und Würde eintraten. Wir nehmen Anteil am Schmerz der Angehörigen, die um ihre Toten trauern. Wir denken an die Demonstrantinnen und Demonstranten, die im Gefängnis sitzen, weil sie keine Untertanen sein wollen, sondern selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger. Und wir wollen ihnen sagen: Wir sehen Euer Leid! Wir sehen die Verbrechen, die man Euch antut!
Wir denken heute auch an die vielen Menschen iranischer Abstammung, die in Deutschland leben. Viele Deutsch-Iraner sind geprägt von einer tiefen Liebe zu ihrer iranischen Heimat und zur persischen Kultur. Viele von ihnen haben Familienangehörige und Freunde im Iran. Wir sehen auch ihren Schmerz und ihre Wut.
Ich habe eben noch einmal gehört, wie angespannt viele Deutsch-Iraner und Deutsch-Iranerinnen in diesen Wochen angesichts der ungewissen Lage im Iran sind. In der vielfältigen iranischstämmigen Gemeinschaft stehen Emotionen und Positionen mitunter auch gegeneinander. Aber gerade jetzt ist es besonders wichtig, dass wir als demokratische Bürgerinnen und Bürger vernünftig, zivilisiert und respektvoll miteinander streiten, statt uns zu zerstreiten und gegenseitig mit Vorwürfen zu überziehen. Denn das schadet dem gemeinsamen Eintreten für die Menschenrechte und nützt am Ende allein den autoritären Kräften im Iran. Diesen Gefallen dürfen wir ihnen nicht tun!
Wir in Deutschland stehen nicht allein mit unserer Anteilnahme. In vielen Ländern der Welt bekunden Menschen ihre Solidarität mit der iranischen Freiheitsbewegung. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat die Gewalt des Regimes in Teheran vor wenigen Tagen mit großer und mit klarer Mehrheit verurteilt. Es ist wichtig, dass die jüngsten Menschenrechtsverletzungen im Iran von unabhängigen Experten untersucht werden, damit die Verantwortlichen eines Tages auch zur Rechenschaft gezogen werden können. Und es ist wichtig, dass die Europäische Union Sanktionen gegen die Verantwortlichen im Iran verhängt hat.
Ich appelliere eindringlich an die religiöse und politische Führung in Teheran: Stoppen Sie die Gewalt gegen Kinder, Frauen und Männer, die auf den Straßen und Plätzen des Iran friedlich demonstrieren! Achten Sie die Menschenrechte, die den Iran genauso verpflichten wie alle anderen Länder der Welt! Hören Sie auf, Verschwörungslegenden über ausländischen Einfluss zu verbreiten. Es sind Ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger, die gegen Sie aufbegehren, Ihre eigenen Kinder, Ihre eigenen Enkel, Neffen und Nichten. Stellen Sie sich der Wahrheit!
Und zu dieser Wahrheit gehört noch etwas: Ein Regime, das täglich auf die eigene Bevölkerung schießen lässt und zugleich anderen Staaten die Vernichtung androht, ein solches Regime darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen!
Ich verurteile aufs Schärfste, dass der Iran Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Waffen unterstützt. Ich verurteile aufs Schärfste, dass das iranische Regime antisemitischen Hass verbreitet und Israel mit einer Vernichtung droht.
Die Menschenrechte sind keine Erfindung des Westens, sondern eine zivilisatorische Errungenschaft der Menschheit. Sie sind kein Machtinstrument einzelner westlicher Staaten, sondern Ausdruck des tiefen menschlichen Verlangens nach Freiheit, Würde und Selbstbestimmung. Es ist ein Verlangen, das keine Grenzen kennt und das niemals und nirgendwo erlöschen wird. Die mutigen Proteste im Iran führen in diesen Tagen der ganzen Welt vor Augen, dass die Sehnsucht nach Freiheit nirgendwo zu ersticken ist.
Ich bin und ich bleibe überzeugt: Selbst das brutalste Regime wird den Willen der Menschen niemals brechen. Es ist die Hoffnung auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden, die in allen Ländern dieser Welt lebendig ist – die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ohne Unterdrückung, Unrecht und Gewalt!
Wir in Deutschland, in der Europäischen Union und in der internationalen Gemeinschaft dürfen unseren Blick nicht abwenden, wir müssen genau beobachten, was im Iran geschieht. Wir dürfen nicht aufhören, unsere Stimme zu erheben gegen diese menschenverachtende Gewalt des iranischen Regimes. Das gehört zu unserer Verantwortung, nicht nur morgen, am Tag der Menschenrechte, sondern jeden Tag aufs Neue.