Brief an US-Präsident Joe Biden zum 11. September

Schwerpunktthema: Bericht

9. September 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Joseph R. Biden, zum zwanzigsten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 geschrieben: "Kaum ein Datum ist so sehr zur Chiffre für eine Epoche geworden [...] Wer die Bilder sah, fühlte sich – in Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden – auch selbst getroffen und ahnte, dass nach diesem Tag die Welt eine andere sein würde."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Arbeitszimmer (Archivbild)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Joseph R. Biden, zum zwanzigsten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 geschrieben. Der Bundespräsident schreibt:

Kaum ein Datum ist so sehr zur Chiffre für eine Epoche geworden wie der 11. September 2001. Am heutigen Tag jähren sich die heimtückischen Terroranschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika zum zwanzigsten Mal. Ich will Ihnen, auch im Namen meiner Landsleute, unser tief empfundenes Mitgefühl für die Opfer ausdrücken. Unsere Gedanken sind mit ihren Angehörigen, für die jener Tag im September für immer mit dem unsagbaren Schmerz des Verlustes ihrer Liebsten verbunden sein wird, und mit allen Amerikanerinnen und Amerikanern.

Der 11. September 2001 war eine historische Zäsur. Die grauenvollen Bilder jener Anschläge haben sich in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingebrannt. Noch heute erinnern sich, auch in Deutschland, die meisten an die Stunden, in denen sie fassungslos den Schrecken am Bildschirm verfolgten. Wer die Bilder sah, fühlte sich – in Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden – auch selbst getroffen und ahnte, dass nach diesem Tag die Welt eine andere sein würde.

Die außenpolitischen Konsequenzen aus den Anschlägen haben die folgenden zwei Jahrzehnte geprägt: der Kampf gegen den Terrorismus, auch in Europa, der Krieg im Irak, aber auch die Bündnissolidarität und der Einsatz in Afghanistan. Das Gedenken heute lässt sich nicht trennen von der Rückschau auf diese Ereignisse. In manchen Entscheidungen waren wir unterschiedlicher Auffassung, sind politisch unterschiedliche Wege gegangen. Aber größer als alle Differenzen war das, was uns verbindet – als strategische Partner im nordatlantischen Bündnis und als Demokratien, die für eine freiere, gerechtere, friedlichere internationale Ordnung eintreten. Das dürfen wir auch in diesen Wochen nicht vergessen. Nach dem Fall von Kabul gibt es viele, die behaupten, genau zu wissen, dass alles schon immer so kommen musste. Zu denen gehöre ich nicht. Aber ohne Zweifel erleben wir eine neuerliche politische Zäsur. Wir sollten die notwendigen Diskussionen über die Lehren, die wir daraus ziehen müssen, auch gemeinsam als Bündnispartner führen.

Es wird für uns alle darum gehen, Ziele und Mittel unseres Handelns besser in Übereinstimmung zu bringen. Aber ich bin überzeugt, unsere Lektion kann nicht Gleichgültigkeit gegenüber der Welt sein. Wir müssen im Bewusstsein der Begrenztheit unserer Möglichkeiten immer wieder Verantwortung übernehmen, um Hass und Gewalt entgegenzutreten und ihnen die Grundlage zu entziehen. Darin sehe ich die fortdauernde Aufgabe unserer Demokratien: Verantwortung für den Zusammenhalt innerhalb unserer Gesellschaften, aber auch darüber hinaus in der Welt.

Ich bin sicher, auch eine künftige Bundesregierung wird bereit sein, sich an Ihrer Seite für diese Ziele zu engagieren.