Statement zur aktuellen Lage in Afghanistan

Schwerpunktthema: Bericht

17. August 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich am 17. August in Schloss Bellevue zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan geäußert. Der Bundespräsident sagte: "Wir erleben in diesen Tagen eine menschliche Tragödie, für die wir Mitverantwortung tragen, und eine politische Zäsur, die uns erschüttert und die Welt verändern wird."


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich heute in Schloss Bellevue zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan geäußert. Der Bundespräsident sagte:

Die dramatischen Bilder aus Kabul und die Ereignisse in Afghanistan lassen niemanden unberührt. Besonders bedrückend sind sie für alle, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren für ein besseres Leben der Menschen dort engagiert und dafür vielfach die eigene Gesundheit, ja das eigene Leben eingesetzt haben; für die zehntausenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan gedient haben; für die Angehörigen derjenigen, die gefallen sind. Ich bin mir sicher: Bürgerinnen und Bürger im ganzen Land denken in diesen Stunden an Afghanistan und das afghanische Volk.

Die Bilder der Verzweiflung am Flughafen Kabul sind beschämend für den politischen Westen. Umso mehr müssen wir jetzt zu denen stehen, denen wir durch ihre Arbeit und Unterstützung für unseren Einsatz verpflichtet sind. Deutschland muss alles daransetzen, unsere Landsleute und alle Afghaninnen und Afghanen, die ihnen jahrelang zur Seite standen, in Sicherheit zu bringen. Darüber hinaus müssen wir – gemeinsam mit unseren Verbündeten – nach Möglichkeiten suchen, auch denjenigen zu helfen, die in Afghanistan jetzt von Gewalt oder Tod bedroht sind – darunter viele mutige Frauen.

Der rasche Zusammenbruch der afghanischen Regierung und ihrer Streitkräfte sowie die widerstandslose Übernahme der Herrschaft durch die Taliban wird lange Schatten werfen. Das Scheitern unserer jahrelangen Anstrengungen, in Afghanistan ein stabiles, tragfähiges Gemeinwesen aufzubauen, wirft grundlegende Fragen für Vergangenheit und Zukunft unseres außenpolitischen und militärischen Engagements auf. Bittere Fragen, die wir nicht in erster Linie schnell, sondern ehrlich und gründlich beantworten müssen.

Und Antworten müssen wir auch im westlichen Bündnis gemeinsam suchen. Denn ohne dieses Bündnis und die Solidarität im Bündnis wären wir vor zwanzig Jahren nicht nach Afghanistan gegangen. Das deutsche Engagement wie das Engagement vieler anderer NATO- und westlicher Staaten in Afghanistan ist nur im Bündnis zu verstehen und zu bewerten.

Dennoch bleibt es dabei: Wir erleben in diesen Tagen eine menschliche Tragödie, für die wir Mitverantwortung tragen, und eine politische Zäsur, die uns erschüttert und die Welt verändern wird.

Und doch gibt es allzu viele, die heute schon genau zu wissen glauben, dass es alles immer so kommen musste. Zu denen gehöre ich nicht. Gewiss ist: Es sind furchtbare Tage für all jene, die für ein friedlicheres, demokratischeres Afghanistan gedient, gearbeitet und gelitten haben, ob aus Deutschland, unter unseren Partnern, vor allem aber in der afghanischen Gesellschaft selbst.

Zur Stunde sind mehrere hundert Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz, um die Evakuierung zu sichern und durchzuführen. Wir sind in Gedanken bei den zu Schützenden und bei denen, die ihnen zur Hilfe eilen. Wir hoffen, dass alle diese tapferen Frauen und Männer sicher nach Deutschland zurückkehren.