Diskussionsveranstaltung "Digitalisierung ist weiblich!"

Schwerpunktthema: Bericht

8. März 2021

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender haben am 8. März in Schloss Bellevue über die Wechselwirkung von Digitalisierung und Gleichstellung diskutiert mit der KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou, der Klima- und Tiefseeforscherin Antje Boetius, der Gründerin der Hacker School Julia Freudenberg, der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel und der Vorsitzenden des Digitalrates der Bundesregierung Katrin Suder. Hier finden Sie einen Videomitschnitt.


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender haben am 8. März, dem Internationalen Frauentag, in Schloss Bellevue über die Wechselwirkung von Digitalisierung und Gleichstellung in Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur/Medien und Politik diskutiert mit der KI-Expertin Kenza Ait Si Abbou, der Klima- und Tiefseeforscherin Antje Boetius, der Gründerin der Hacker School Julia Freudenberg, der Kommunikationswissenschaftlerin und Gründerin der digitalen Weiterbildungsinitiative ada Miriam Meckel und der Vorsitzenden des Digitalrates der Bundesregierung Katrin Suder.

Digitalisierung bedeutet Wandel. Verhaltensmuster, Hierarchien, Kommunikationsformen und Entscheidungsprozesse werden aufgebrochen und erneuert. Das kann eine Chance sein – auch für die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern, für mehr Vielfalt und repräsentative Strukturen.

Der Bundespräsident und Elke Büdenbender diskutierten mit ihren Gästen, wie sich die Digitalisierung für Frauen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, in der Kultur und den Medien bemerkbar macht, welche Potenziale sich dadurch für mehr Gleichstellung ergeben und wie diese heute bereits genutzt und gestaltet werden. Dabei geht es um die Nutzung von digitalen Tools und Plattformen, vor allem aber geht es um die uneingeschränkte politische, technische und gesellschaftliche Mitgestaltung der Digitalisierung und der mit ihr verbundenen Veränderungsprozesse. Es geht um die Frage, wie Frauen heute die Welt von morgen mitgestalten können.

Vor der Podiumsdiskussion fand – unter Leitung der fünf Panelistinnen – ein digitaler Workshop in fünf Gruppen mit jeweils fünf etablierten und drei aufstrebenden Expertinnen aus den Themenbereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur/Medien statt.

Zusammensetzung und zentrale Ergebnisse der digitalen Diskussionsrunden:

Wirtschaft

  • Kenza Ait Si Abbou, Managerin für Robotik und Künstliche Intelligenz, Telekom
  • Viola Klein, Gesellschafterin & Geschäftsführerin, Saxonia Systems Holding GmbH
    Begleitung: Susana Gomez
  • Luise Kranich, Bereichsleiterin Innovation, Strategie und Transfer des Forschungszentrum Informatik
    Begleitung: Li Nguyen
  • Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin Initiative D21
    Begleitung: Sandy Jahn, Initiative D21, Referentin für Bildung und Digitalkompetenzen
  • Sonja Alvarez, Stellv. Leiterin Hauptstadtbüro, Wirtschaftswoche

Arbeitsergebnisse:
Mangelnde Gleichstellung führt in der Digitalisierung zu eingeschränkter technischer und wirtschaftlicher Innovationskraft und zu diskriminierenden technischen Systemen, weil Ideen und Perspektiven außen vor bleiben.
Gesellschaftliche Diversität muss Eingang in die technische Entwicklung von digitalen Systemen finden – etwa beim Einsatz von KI in Unternehmen –, sonst drohen verzerrte Ergebnisse, weil die Perspektive homogener Entwicklungsteams und verzerrter Lerndatensätze auf die technischen Systeme durchschlägt.
Die Digitalisierung bietet auch Chancen, denn sie ermöglicht die Sichtbarkeit von Vorreiterinnen, Role Models und von Vorzeigeprojekten, das Teilen von Erfahrungen (sowohl fachlicher als auch sozialer, hinsichtlich neuer Lebensmodelle etc.) und die weltweite Vernetzung.

Politik

  • Katrin Suder, Vorsitzende des Digitalrates der Bundesregierung; Staatssekretärin a.D.
  • Caroline Weimann, Gründerin und Geschäftsführerin, Join Politics
    Begleitung: Tiaji Maynell Sio
  • Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin
    Begleitung: Hanna Völkle
  • Maren Heltsche, Digital Media Women; Sonderbeauftragte Digitalisierung des Deutschen Frauenrates
    Begleitung: Sheyda Weinrich, Deutscher Frauenrat
  • Anna Aridzanjan, t-online.de

Arbeitsergebnisse:
Der Anteil von Frauen in allen Parlamenten in Deutschland ist rückläufig. Nur 9 Prozent aller Bürgermeister*innen sind Frauen. Die Einführung parteiinterner Quoten etwa bei den Grünen, der SPD und der Linken hat den Frauenanteil erhöht – feste Quoten wirken also. Das Ziel muss Parität sein. Der Aufstieg von Frauen in politische Ämter wird erschwert durch männlich dominierte Parteikultur (alltägliche Sexismen), klassische Rollenverteilung bei Haus- und Sorgearbeit etc.
Die Digitalisierung hat noch nicht zu einer Trendwende beigetragen, aber bietet Chancen: zeit- und ortsunabhängige Beteiligungsformen, mehr Sichtbarkeit, Role Models, neue Verwirklichungschancen für Frauen, Schaffung neuer Reichweiten, Auf- und Ausbau von Netzwerken etc.
83 Prozent aller Hasskommentare im Netz richten sich gegen Frauen – das verhindert politische Teilhabe im Netz und verdrängt Frauen, weibliche Zivilgesellschaft aus politischen Diskursräumen – wirksame gesetzliche Maßnahmen sind notwendig, um Frauen vor Frauenfeindlichkeit im Netz zu schützen.
Politik muss das Thema Frauen in der Digitalisierung verstärkt betrachten und bearbeiten.

Bildung

  • Julia Freudenberg, Geschäftsführerin Hacker School
  • Jutta Croll, Vorstandsvorsitzende Stiftung Digitale Chancen
    Begleitung: Carola Croll, Stiftung Digitale Chancen
  • Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstandes Bertelsmann Stiftung
    Begleitung: Rebecca Freitag, ehem. UN-Jugenddelegierte für Deutschland im Bereich nachhaltige Entwicklung
  • Silke Müller, Schulleiterin Waldschule Hatten
    Begleitung: Hannah Selchert, Schülerin der 10. Klasse der Waldschule Hatten
  • Alexandra Borchardt, freie Journalistin

Arbeitsergebnisse:
Digitale Bildung ist heute die Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Dies schließt Kenntnisse darüber ein, wie IT-Systeme funktionieren, und Fähigkeiten, sie kreativ zu gestalten (Programmieren, Konstruieren, praktisch Zusammenbauen, Hacken etc.). Mädchen und junge Frauen brauchen dafür safe spaces, um digitale Bildung fern von Rollenklischees erwerben zu können. Sonst setzen sich die auf selbstbewusstes Auftreten hin trainierten Jungs in Szene, und die Mädchen bleiben im Hintergrund.
Auch im Alltag müssen wir alle darauf achten, Mädchen keine unbegründeten Bildungsklischees zu vermitteln. Der Satz Mathe ist nichts für Mädchen darf nicht mehr fallen.
Besonders bedeutsam sind zudem positive Vorbilder. Frauen, die zeigen, dass es und wie es mit digitaler Bildung geht.

Wissenschaft

  • Antje Boetius, Direktorin Alfred-Wegener-Institut
  • Sabine Hartel-Schenk, Leiterin Stabsstelle Forschung und Technologietransfer, Hochschule Mainz
    Begleitung: Denise Dörfel, TU Dresden
  • Juliane Siegeris, Fachbereich Informatik, HTW Berlin
    Begleitung: Selcan Ipek-Ugay, HTW Berlin
  • Judith Simon, Lehrstuhl für Ethik der Informationstechnologie an der Universität Hamburg
    Begleitung: Laura Fichtner, Universität Hamburg
  • Korinna Hennig, Redakteurin und Moderatorin, NDR

Arbeitsergebnisse:
Kompetenzen in digitalen Technologien könnten in der Wissenschaft grundsätzlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und mehr Frauen Karrierechancen im akademischen Umfeld sowie in wissenschaftsbasierten Ausgründungen bieten, wenn sie mit entsprechender Entlastung / Sicherheit für das private Umfeld und die Organisation des Alltags verknüpft wären. Da ist noch viel zu tun.
Es gilt, digital ownership zu verbessern, das heißt die tatsächliche und empfundene Teilhabe und Verantwortung sowie die Gestaltungskraft von Frauen an und in digitalen Entwicklungen erheblich zu stärken. Dafür sind auch Rollenmodelle und mehr Sichtbarkeit von erfolgreichen Frauen im Digitalbereich wichtig. Denn noch sind nur 21Prozent der IT-Studierenden, 16 Prozent der Promovierten und 16,5 Prozent aller IT-Fachkräfte Frauen.
MINT Studiengänge im Bereich IT, KI, Technomathematik sollten für die verbesserte Gewinnung durch thematische Schwerpunkte ergänzt werden, die für Frauen attraktiv sind, und zudem auch modulare Angebote in anderen disziplinären Studiengängen machen, um mehr Attraktivität und Durchlässigkeit für Frauen zu haben (z.B. KI für nachhaltige Entwicklung; Digitalität in der Gesundheit). Mehr Hochschulen sollten auch konkret Digital- Studiengänge für Frauen anbieten. Es braucht mehr Kommunikation und Medienpartnerschaften, um die Vielfalt von Karrierewegen im Bereich Digitales Forschen, Lehren und Unternehmen sichtbar zu machen.
Mehr finden Sie im Thesenpapier der Arbeitsgruppe.

Kultur/Medien

  • Miriam Meckel, geschäftsführende Gesellschafterin, ada Learning GmbH
  • Nora Bossong, Schriftstellerin
  • Carla Hustedt, Leiterin des Projektes Ethik der Algorithmen der Bertelsmann Stiftung
    Begleitung: Lajla Fetic
  • Maren Urner, Gründerin Perspective Daily
    Begleitung: Anna Kaiser
  • Elisabeth Gamperl, CvD Storytelling, Süddeutsche Zeitung

Arbeitsergebnisse:
Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit bietet Frauen grundsätzlich mehr Mittel, gesehen und gehört zu werden (etwa ein eigenes Agendasetting zu betreiben und sich zu präsentieren, ohne auf oft männliche Gatekeeper angewiesen zu sein).
Bei der Besetzung von Führungspositionen und der Bezahlung ist in Kultur und Medien noch lange keine Gleichstellung erreicht, der Gender Pay Gap existiert weiterhin (Bsp.: freie Theaterregisseurinnen etwa erhalten im Schnitt 39 Prozent weniger als die männlichen Kollegen. Bei höher qualifizierten Angestellten in der Theater- und Filmproduktion sind es 26 Prozent).
Nur 16 Prozent derjenigen, die ein Unternehmen gründen, sind in Deutschland weiblich. Der Anteil von Frauen liegt bei vielen internationalen Tech-Unternehmen noch immer deutlich unter 30 Prozent. Damit gehen wichtige Erfahrungen und Perspektiven verloren – die gleichgestellte Vermittlung dieser Perspektiven ist eine Aufgabe für Kultur und Medien.