Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, mit einem Schreiben für die Einladung zu den Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkrieges gedankt, die ursprünglich am 9. Mai in Moskau geplant waren. Der Bundespräsident schreibt:
In diesen Tagen gedenken Menschen an vielen Orten der Welt zum 75. Mal des Endes des schrecklichsten und blutigsten aller Kriege, des von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges, der im September 1939 mit dem Überfall auf Polen seinen Ausgang nahm.
Ich möchte Ihnen danken für die Einladung, die Sie an die Bundeskanzlerin und an mich ausgesprochen haben zur Teilnahme an den geplanten Feierlichkeiten in Moskau zu diesem besonderen Jahrestag. Ich betrachte es nicht als selbstverständlich, als Vertreter Deutschlands zu dieser Feier eingeladen zu werden, so wenig selbstverständlich wie die Einladung zum Gedenken nach Yad Vashem, wo wir uns im Januar zuletzt persönlich begegnet sind und gemeinsam der jüdischen Opfer gedacht haben.
Die weltweite Herausforderung durch das Coronavirus zwingt uns alle zur Änderung unserer Pläne. Aber es macht den ehrlichen Blick auf unsere Geschichte und auf die Lehren, die wir daraus für eine bessere, friedlichere Zukunft ziehen können, nicht weniger wichtig.
Nirgendwo hat die nationalsozialistische Gewalt- und Schreckensherrschaft mehr Opfer gefordert als unter den Völkern der Sowjetunion. Millionen sowjetischer Soldaten haben im Vernichtungskrieg, den Hitler mit dem Überfall auf die Sowjetunion entfesselte und mit brutaler Rücksichtslosigkeit führte, ihr Leben verloren. Millionen sowjetischer Kriegsgefangener sind in deutscher Gefangenschaft schändlich behandelt und umgebracht worden. Millionen sowjetischer Bürgerinnen und Bürger haben furchtbar gelitten, sind gestorben, wurden ermordet. Unzählige von ihnen in den Gebieten des heutigen Weißrussland und der Ukraine.
Ich will Ihnen und dem russischen Volk an diesem Tag deshalb versichern: Wir wollen und werden die Erinnerung an die Opfer und an die an ihnen begangenen Verbrechen wachhalten. Sie haben ihren Platz im deutschen Gedenken. Das Geschehene erfüllt mich bis heute mit Scham und Demut. An der deutschen Verantwortung gibt es nichts zu relativieren, nichts zu beschönigen, nichts umzudeuten. Sie ist unbestreitbar und wirkt fort.
Die Erinnerung an die furchtbaren Schrecken des Krieges und die unwahrscheinliche Bereitschaft des russischen Volkes zur Versöhnung, sie sind mir und meinen Landsleuten Verpflichtung, uns nicht mit der Entfremdung abzufinden, die in den letzten Jahren unser Verhältnis prägt. Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt, nicht nur gemeinsam und wahrhaftig zurückzuschauen und zu erinnern, sondern auch gemeinsam und mit neuem Vertrauen an einer besseren Zukunft für die Menschen in Deutschland und Russland, in Europa und der Welt, zu arbeiten.