Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamts unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung"

Schwerpunktthema: Bericht

4. Dezember 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 4. Dezember vierzehn Frauen und vierzehn Männer in Schloss Bellevue mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung" würdigte er das langjährige ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeichnet unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung" Lisa Bechner mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland im Großen Saal in Schloss Bellevue aus

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 4. Dezember in Schloss Bellevue vierzehn Frauen und vierzehn Männer mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Unter dem Motto Zukunft braucht Erinnerung würdigte er anlässlich des Tages des Ehrenamtes ihr herausragendes Engagement für die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland.

Die Auszuzeichnenden kommen aus allen Bundesländern, sowie aus Frankreich und der Tschechischen Republik. Sie setzen sich für das Gedenken an Unrecht und Diktatur ebenso ein wie für die Erinnerung an die deutsche Freiheits- und Demokratiegeschichte.

Folgende Bürgerinnen und Bürger wurden ausgezeichnet:

Baden-Württemberg

Aleida Assmann, Konstanz
Verdienstkreuz 1. Klasse

Die herausragende Kulturwissenschaftlerin ist eine Vordenkerin der Erinnerungskultur und sie ist überzeugt: Die Gesellschaft braucht ein Gedächtnis, wie der Einzelne eins braucht: um zu wissen, wer wir sind und was wir erwarten können, um uns zu orientieren und zu entwickeln, so formulierte es Aleida Assmann im Oktober 2018, als sie in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam. Immer wieder gibt sie wichtige Denkanstöße: Wie wir an den Holocaust erinnern, wenn keine Zeitzeugen mehr berichten können; wie wir beim Erinnern der Einwanderungsgesellschaft besser gerecht werden; und wie wir die Gedenkgrenzen in Europa auflösen können, damit Erinnern verbindet statt auszugrenzen. Mit all diesen Impulsen für die Erinnerungskultur hat sich Aleida Assmann große Verdienste erworben.

Bayern

Prof. Dr. Alexander Fried und Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried, Tirschenreuth
Verdienstkreuz am Bande und Verdienstmedaille

Alexander Fried wuchs in der damaligen Tschechoslowakei auf und hat während der NS-Herrschaft Zwangsarbeit, drei Konzentrationslager und einen Todesmarsch erleiden müssen. Der Großteil seiner jüdischen Familie ist von Deutschen ermordet worden. Sein eigenes Überleben sieht der Historiker als Verpflichtung an, von seinem Schicksal Zeugnis zu geben. Deshalb wirkt er bei Seminaren in der Lehrerfortbildung und ist bis heute in zahllosen Zeitzeugengesprächen mit Jugendlichen aktiv. Unterstützt wird er dabei von seiner Ehefrau, die als Tochter einer jüdischen Mutter eigene biographische Bezüge zum Holocaust hat. Aber Dorothea Woiczechowski-Fried engagiert sich auch darüber hinaus. Nach ihrer Pensionierung war die Ärztin bei mehreren Hilfseinsätzen in Afrika und Asien aktiv und sie engagiert sich im Landkreis Tirschenreuth für das Programm Demokratie Leben in der Mitte Europas. Dort vermittelt sie vor allem Kenntnisse über die jüdische Religion und wirkt gegen Antisemitismus.

Dr. Uwe Timm, München
Verdienstkreuz 1. Klasse

Sein erster Roman Heißer Sommer ist ein bis heute beeindruckendes Selbstzeugnis aus der Zeit der Studentenbewegung und des gesellschaftlichen Aufbruchs 1968. Seither ist Uwe Timm einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart und wie kaum ein anderer setzt er sich in seinem Werk mit Licht- und Schattenseiten der Geschichte Deutschlands auseinander. Ob mit seinem Bestseller Am Beispiel meines Bruders oder mit seinem jüngsten Roman Ikarien – Uwe Timm macht mit seinen autobiographischen Romanen immer wieder die deutsche Vergangenheit und den Umgang damit zum Thema. Dabei nimmt er stets den einzelnen Menschen mit seinen Schwächen und Konflikten in den Blick, um vieles Unverstehbare der deutschen Vergangenheit für Nachgeborene verständlicher zu machen. Das macht das Werk von Uwe Timm zu einem wichtigen Stück deutscher Erinnerungskultur.

Berlin

Lisa Bechner
Verdienstkreuz am Bande

Ab 1938 nahm Großbritannien rund 10.000 jüdische Flüchtlingskinder auf, um sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Deutschland zu bewahren. Jungen und Mädchen im Alter von drei Monaten bis zu 16 Jahren fuhren ohne Eltern in ein fremdes Land. Viele Kinder sahen am Bahnhof ihre Familien zum letzten Mal. Lisa Bechner gründete im Jahr 2000 den Verein Kindertransport-Organisation Deutschland und erinnert seither an das Schicksal dieser Kinder. Sie hat zahlreiche Zeitzeugengespräche in Schulklassen organisiert; sie sorgte für ein Denkmal am Berliner Bahnhof Friedrichstraße; und sie hat eine intensive Zusammenarbeit mit der Landespolizeischule Berlin etabliert. Dank Lisa Bechner bekommen insbesondere Berliner Schüler sowie angehende Polizisten einen bewegenden Eindruck davon, was Flucht und Verfolgung, Asyl und Humanität tatsächlich bedeuten.

Prof. Dr. Gisela Bock
Verdienstkreuz 1. Klasse

Gisela Bock ist Feministin, Wissenschaftlerin und eine vielfache Pionierin. In den 1970er-Jahren gehörte sie zu den Gründerinnen des Autonomen Frauenzentrums in Berlin und initiierte die Kampagne Lohn für Hausarbeit, die eine grundlegende Diskussion zur geschlechtlichen Arbeitsteilung auslöste. Als Professorin in Florenz, Bielefeld und Berlin etablierte sie die Frauen- und Geschlechterforschung in der Wissenschaftslandschaft. Ihre Habilitation über Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus wurde ein Standardwerk. Ihr Buch über Frauen in der europäischen Geschichte wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Auch dank Gisela Bock hat der Kampf um Emanzipation und Gleichberechtigung große Erfolge erzielt. Aber sie zeigt in ihren Arbeiten zugleich: Auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts bleibt noch viel zu tun.

Gülaynur Kanaat Uzun
Verdienstmedaille

Neukölln ist ein bunter Bezirk Berlins. Seit vielen Jahren arbeitet Gülaynur Kanaat Uzun dort als Stadtteilmutter und im lokalen Mutter-Kind-Treff. Dabei informiert sie Migrantinnen über das soziale und politische System in Deutschland, sie ermutigt Frauen zur Emanzipation und begleitet sie auf diesem Weg. Weil sie die Vielfalt ihres Bezirks kennt, leistet sie zudem als Stadtteilführerin einen wichtigen Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur. Sie erläutert Touristen wie Einheimischen die lange Migrationsgeschichte des Stadtteils – von Glaubensflüchtlingen aus Böhmen im 18. Jahrhundert, über die Gastarbeiter, wie man bis in die 1980er-Jahre sagte, bis hin zu den Flüchtlingen der Gegenwart. Gülaynur Kanaat Uzun zeigt, dass Migration kein neues Phänomen ist, und dass die Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte die Identifikation von Zuwanderern mit ihrer zweiten Heimat stärkt.

Prof. Dr. Detlef Lehnert
Verdienstkreuz am Bande

Der Historiker und Politikwissenschaftler hat sich um die Erinnerung an die intellektuellen und politischen Wegbereiter der Demokratie in Deutschland verdient gemacht. Mit eigenen Mitteln gründete Detlef Lehnert die Hugo-Preuß-Stiftung und die Paul-Löbe-Stiftung Weimarer Demokratie. Die Stiftungen pflegen das Andenken an herausragende Demokraten und treiben die Forschung voran. So tragen sie etwa die Buchreihe Historische Demokratieforschung, in der seit 2011 bereits 13 Bände erschienen sind. Detlef Lehnert leistet mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Demokratie. Die Erinnerung an die Mühen und Opfer, unter denen die Demokratie in Deutschland verwirklicht wurde, hilft Nachgeborenen zu erkennen, welch großer Wert unsere freiheitliche Demokratie hat und dass dieses hohe Gut nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.

Prof. Dr. Christoph Müller
Verdienstkreuz 1. Klasse

Der Blick auf die Weimarer Verfassung wurde lange Zeit von ihren früheren Kritikern geprägt. Diese besetzten trotz ihrer NS-Vergangenheit in der jungen Bundesrepublik viele Lehrstühle der juristischen Fakultäten und bestimmten den Diskurs. Dagegen starben wichtige Anhänger der Demokratie früh und konnten weniger intensiv nachwirken. Der Jurist Christoph Müller hat mit großem Engagement dazu beigetragen, das zu ändern. Er hat die Gesammelten Schriften von Hermann Heller herausgegeben, dem Vordenker des sozialen Rechtsstaats. Zudem hat er sich um Andenken und Werk des Vaters der Weimarer Verfassung verdient gemacht: Er gründete die Hugo-Preuß-Gesellschaft, deren Vorsitzender er wurde und für die er gemeinsam mit Detlef Lehnert die Gesammelten Schriften von Hugo Preuß herausgegeben hat. Mit großem persönlichem Einsatz leistet Christoph Müller trotz seines hohen Alters wichtige Grundlagenarbeit zur Pflege des demokratischen Gedankengutes in der deutschen Staatsrechtslehre.

Brandenburg

Prof. Dr. Sabine Hering, Potsdam
Verdienstkreuz am Bande

Viel zu lange wurde die Frauenbewegung in historischer Forschung und Erinnerungskultur vernachlässigt. Dabei steht sie mit ihrem Streben nach Selbstbestimmung und politischer Teilhabe für das Ideal der Demokratie. Sabine Hering hat in herausragender Weise mitgeholfen, dieses wichtige Kapitel der deutschen Freiheitsgeschichte im kollektiven Gedächtnis zu bewahren – durch wissenschaftliche Forschungen und durch ihr ehrenamtliches Engagement. Schon 1983 gab sie den Anstoß zur Gründung des Archivs der deutschen Frauenbewegung in Kassel, das sich zur bedeutendsten Einrichtung dieser Art entwickelt hat. Außerdem half sie beim Aufbau des Digitalen Deutschen Frauenarchivs, das in diesem Jahr online ging. Derzeit engagiert sich Sabine Hering beim Projekt Das Potsdamer Frauenwahllokal des Autonomen Frauenzentrums Potsdam. Dort wird an die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren erinnert und Frauen werden ermutigt, sich auch heute politisch zu engagieren.

Lothar Tautz, Erkner
Verdienstkreuz am Bande

Er gehört zu denen, die die Demokratie in Deutschland erkämpft haben. Als Pfarrer in der Stadt Weißenfels war Lothar Tautz eine wichtige Persönlichkeit der Bürgerrechtsbewegung. Er war Mitbegründer der Gruppe Frieden 83, deren Aktion Schwerter zu Pflugscharen weltbekannt wurde. Unter dem Dach der Kirche gründete er Umwelt- und Friedensgruppen, aus denen Aktivisten der friedlichen Revolution im Herbst 1989 hervorgingen. Für den Aufbau der Demokratie wirkte Lothar Tautz als Moderator am Runden Tisch in Weißenfels, im Außen- und Handelsministerium der DDR und in der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt. Die Enquête-Kommission des Bundestages zur SED-Diktatur berief ihn als Experten. Seit 2008 gehört er ehrenamtlich dem Bundesvorstand von Gegen Vergessen – Für Demokratie an. Er ist weiter vor Ort aktiv und organisiert Projekttage an Schulen zur historisch-politischen Bildung.

Bremen

Gerd Meyer
Verdienstkreuz am Bande

Seit mehr als 40 Jahren engagiert er sich für die Aufarbeitung der Geschichte der Region Unterweser. Im Mittelpunkt steht dabei der Bunker Valentin – die monströse Ruine einer U-Boot-Werft, die mehr als 10.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ab 1943 unter unmenschlichen Bedingungen errichten mussten. Viele fanden den Tod. Mit historischen Führungen und Bildungsseminaren erinnert Gerd Meyer an diese Geschichte und hat mit dazu beigetragen, dass der Bunker als nationaler Denkort eingestuft worden ist. Aber sein Engagement geht weiter: Im vergangenen Jahr ist die Ausstellung Die Kinder vom Bullenhuser Damm auf seine Mitinitiative hin im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus Vegesack in Bremen-Nord gezeigt worden. Sie arbeitet ein besonders grausames Verbrechen auf: Am 20. April 1945 wurden in einer Schule in Hamburg 20 jüdische Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren von der SS ermordet. Gerd Meyer streitet dafür, Unrecht und Unmenschlichkeit nicht zu vergessen, sondern aus der Erinnerung daran Kraft zu schöpfen und sich heute für eine menschliche Gesellschaft einzusetzen.

Hamburg

Volker Ahmels
Verdienstkreuz am Bande

Die Diktatur des Nationalsozialismus war total. Auch Musiker und Komponisten, die nicht dem Kunstverständnis der Nationalsozialisten entsprachen, wurden in Deutschland unterdrückt, verfolgt und ermordet. Volker Ahmels, Pianist und Direktor des Konservatoriums Schwerin, engagiert sich in herausragender Weise für die Erinnerung an die Musiker, die Opfer dieser Gewaltherrschaft wurden. 1997 startete er den internationalen Wettbewerb Verfemte Musik in Schwerin. 2008 gründete er das Zentrum für Verfemte Musik an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock, dem er seither als Leiter vorsteht. Er organisiert Konzerte, Symposien und Ausstellungen; er leistet internationale Jugendarbeit und er sensibilisiert angehende Musiklehrerinnen und Musiklehrer. Mit alledem pflegt Volker Ahmels die Erinnerung an die einst verfolgten Musiker und hält damit zugleich ein starkes Plädoyer für die Freiheit und die Vielfalt der Kunst.

Dr. Rita Bake
Verdienstkreuz am Bande

Männer machen Geschichte – so lautete lange Zeit ein fatales Diktum der Erinnerungskultur. Die Verdienste von Frauen dagegen verblassten bei dieser Einstellung rasch. Rita Bake engagiert sich seit vielen Jahren nicht nur für die Verlegung von Stolpersteinen für die Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch dafür, dass die historischen Leistungen von Frauen nicht in Vergessenheit geraten. Im Jahr 2000 initiierte die promovierte Historikerin ein deutschlandweit einmaliges Projekt: den Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Dort werden die Grabsteine bedeutender Hamburger Frauen erhalten oder für sie Gedenksteine aufgestellt. So wird die Erinnerung an Künstlerinnen und Wohltäterinnen, Widerstandskämpferinnen und Frauenrechtlerinnen wachgehalten. Ein kleines Dokumentationszentrum mit Ausstellungen und Führungen macht den Garten der Frauen zu einem besonderen Ort des Gedenkens an weibliche Kraft und Stärke. ein Ort, der nicht denkbar ist ohne den großen Einsatz von Rita Bake.

Hessen

Andreas Dickerboom, Frankfurt am Main
Verdienstmedaille

Gegen Vergessen – Für Demokratie – der Name dieses Vereins ist Programm. Andreas Dickerboom ist der Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Main. Er initiierte mehrere Gedenkveranstaltungen und Argumentationstrainings gegen Rechtsextremismus. Er ist im Vorstand der Bildungsstätte Anne Frank aktiv und möchte mit der neuen Gedenkstätte KZ Katzbach an die Menschen erinnern, deren Arbeitskraft einst in den heutigen Adlerwerken, mitten in Frankfurt, ausgebeutet worden ist. Seit 2013 ist Andreas Dickerboom auch als Gesamtsprecher aller Regionalgruppen von Gegen Vergessen – Für Demokratie aktiv und setzt sich auch dafür ein, dass Menschen aller sozialen Milieus ihr Wahlrecht ausüben. Der Grund für sein großes Engagement ist klar: Die Demokratie ist die einzige Form, in der wir langfristig in Frieden und Freiheit leben können, sagt Andreas Dickerboom.

Mecklenburg-Vorpommern

Angrit Lorenzen-Schmidt, Rostock
Verdienstkreuz am Bande

Geschichtswerkstätten sind bedeutende Akteure der deutschen Erinnerungslandschaft. Sie betreiben Geschichte von unten und verbinden großes ehrenamtliches Engagement mit hoher fachlicher Professionalität. So ist das auch in Rostock, wo Angrit Lorenzen-Schmidt 1995 den Verein Geschichtswerkstatt Rostock mitgegründet hat und seit vielen Jahren dessen Geschäftsführerin ist. Ausstellungen des Vereins haben die Revolution 1848/49 in Norddeutschland, Zwangsarbeit im Ostseeraum und den friedlichen Umbruch 1989 zum Thema gemacht. Die Geschichtswerkstatt unterhält das Kröpeliner Tor als stadtgeschichtliches Begegnungszentrum, sie gibt die Zeitschrift Zeitgeschichte regional heraus und hat 37 thematische Stadtrundgänge durch Rostock organisiert. Bei Angrit Lorenzen-Schmidt laufen alle Fäden dieser erfolgreichen Arbeit zusammen.

Niedersachsen

Farschid Ali Zahedi, Oldenburg
Verdienstmedaille

Der Journalist floh aus dem Iran nach Oldenburg, wo er erst Asyl fand und später deutscher Staatsbürger wurde. Als Opfer von Verfolgung und Flucht ist er sensibel für Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten. 1993 gründete er den Verein Werkstattfilm, dessen erster Vorsitzender Farschid Ali Zahedi seither ist. Mit Dokumentarfilmen und Ausstellungen engagiert er sich für die kritische Aufarbeitung der Regionalgeschichte. Große Aufmerksamkeit errangen seine Arbeiten zur sogenannten Arisierung jüdischer Geschäfte in Oldenburg, die in der Stadt kontroverse Debatten auslösten. Farschid Ali Zahedi hat aber auch Filme zur Vereinsgeschichte des VfB Oldenburg gedreht, ein Film- und Medienarchiv aufgebaut und den Veranstaltungsort KinOLaden gegründet. Doch immer wieder kreist seine Arbeit um Flucht und Verfolgung, Verantwortung und Identität. Themen, die nicht vergangen sind, sondern aktuell bleiben und die belegen: Zukunft braucht Erinnerung!

Nordrhein-Westfalen

Heidrun Breuer, Bergisch Gladbach
Verdienstkreuz am Bande

In der DDR stellte Heidrun Breuer mehrere Ausreiseanträge. Sie wurde verhaftet, verurteilt und ein Jahr im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck in Haft gehalten. Dann kaufte die Bundesrepublik Heidrun Breuer frei. Um ihre kleine Tochter musste sie kämpfen. Erst Monate später ließ die DDR auch die 11-Jährige in die Bundesrepublik ausreisen. Heidrun Breuer hat über ihre Erlebnisse lange geschwiegen. Dann aber hat sich die Krankenschwester entschlossen, als Zeitzeugin aktiv zu werden. Heute erzählt sie in Schulklassen von der Unterdrückung in der DDR, von der Verfolgung, von der Willkür und der Erniedrigung, die sie als politische Gefangene erlitten hat. Meistens ist sie in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Dort haben nur wenige Jugendliche über ihre Familienbiographie einen Bezug zur DDR. Gerade deshalb ist die Arbeit von Heidrun Breuer so wichtig: um der Verklärung der SED-Herrschaft entgegenzuwirken und das Bewusstsein für den Wert der Freiheit zu schärfen.

Martin Sölle, Köln
Verdienstkreuz am Bande

Die Geschichte homosexueller Männer in Deutschland ist geprägt von Kriminalisierung und Emanzipation, sie reicht vom berüchtigten § 175 StGB bis hin zur Öffnung der Ehe für alle. Martin Sölle engagiert sich dafür, dass diese Geschichte nicht vergessen wird. Der Buchhändler gehört zu den Gründern und ist seit vielen Jahren ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Centrum Schwule Geschichte, das sich als Gedächtnis der Schwulenbewegung im Rheinland versteht. Er ist auch im Vorstand von EL-DE-Haus e. V. aktiv, dem Förderverein des NS-Dokumentationszentrums Köln. Martin Sölle hat zahlreiche Zeitzeugen ausfindig gemacht und wichtige Dokumente der homosexuellen Emanzipationsbewegung zusammengetragen. Er organisiert Stadtführungen zur schwulen Geschichte und er erinnert an das Schicksal verfolgter Kölner Homosexueller. Der Blick auf die schwule Geschichte macht betroffen und er zeigt zugleich, was gesellschaftliches Engagement in einer Demokratie erreichen kann.

Burak Yilmaz, Duisburg
Verdienstmedaille

Der Zugang zum Holocaust wandelt sich. Die Zeitzeugen werden weniger und größer wird die Zahl von Menschen in Deutschland, die als Migranten keinen familienbiographischen Berührungspunkt zu dieser Epoche haben. Gerade deshalb ist die Arbeit von Burak Yilmaz so wichtig und so verdienstvoll. Der Sozialarbeiter ist ein engagierter Experte für Antisemitismus, Erinnerungskultur und Islamismus. Seit 2012 fährt er jedes Jahr mit jungen Muslimen nach Auschwitz, um die Folgen von Rassismus und Antisemitismus zu verdeutlichen. Der Besuch des historischen Ortes wird ergänzt um die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in Duisburg sowie mit Gesprächen über den Holocaust, Antisemitismus, aber auch über den Nahostkonflikt. Burak Yilmaz macht mit seiner Arbeit deutlich: In Deutschland gibt es kein Ende des Erinnerns und auch in der Zuwanderungsgesellschaft gibt es für Antisemitismus keinen Platz.

Rheinland-Pfalz

Dr. Hedwig Brüchert, Mainz
Verdienstkreuz am Bande

Hedwig Brüchert kam als Flüchtling aus Böhmen nach Mainz und wurde als alleinerziehende Mutter auf dem zweiten Bildungsweg Historikerin. Sie hat sich stets mit dem Alltag der vermeintlich kleinen Leute befasst – politisch und wissenschaftlich. 1983 initiierte sie den Verein für Sozialgeschichte und forschte ehrenamtlich zu demokratischen Traditionen und der Geschichte der Arbeiterbewegung. Als Mitglied des Stadtrates und als Ortsvorsteherin der Mainzer Neustadt engagierte sie sich selbst für die Demokratie. Heute steht sie an der Spitze der Stiftung Stadthistorisches Museum Mainz. Außerdem ist sie stellvertretende Vorsitzende der Stiftung des im April 2018 eröffneten Gedenkorts Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz, der das Wissen um die Verbrechen der NS-Diktatur mit dem Streiten für Demokratie verbindet.

Saarland

Clemens Lindemann, Kirkel
Verdienstkreuz am Bande

Im politischen Vormärz war der Homburger Landkommissär Philipp Jakob Siebenpfeiffer ein mutiger Streiter für die Pressefreiheit und zählte 1832 zu den Initiatoren des Hambacher Festes. Mehr als 150 Jahre später wurde Clemens Lindemann zum Landrat des heutigen Saarpfalz-Kreises gewählt. Mit großem Engagement nahm er sich der Aufgabe an, an seinen bedeutenden Amtsvorgänger zu erinnern. Seit 1987 wird dank seiner Initiative der Siebenpfeiffer-Preis an Journalistinnen und Journalisten verliehen, die engagiert und furchtlos für Freiheit und Demokratie eintreten. 1989 gründete Clemens Lindemann als Landrat zudem die Siebenpfeiffer-Stiftung, der er bis 2015 vorstand. Die Stiftung erinnert an diesen frühen Vorkämpfer unserer Freiheit und sie ist ein Beispiel dafür, welchen wichtigen Beitrag auch Kommunen zur Pflege unserer Demokratiegeschichte leisten.

Sachsen

Ellen Bertram, Leipzig
Verdienstkreuz am Bande

Man sagt, nur wer vergessen ist, ist wirklich tot. Ellen Bertram will Menschen vor dem Vergessen bewahren. Deshalb erforscht sie das Schicksal all jener Leipziger, die in der Zeit des Nationalsozialismus als Juden verfolgt und ermordet worden sind. In mühevoller Recherchearbeit hat die frühere Bibliothekarin zahllose Daten und Fakten zusammengetragen – in Deutschland und weltweit, ehrenamtlich und auf eigene Kosten. Daraus hervorgegangen ist unter anderem ihr Gedenkbuch Leipziger Opfer der Shoah – heute eines der wichtigsten Werke zur Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert. In Schulen im Geschichtsunterricht genutzt, ebnete es weiteren Forschungen den Weg und informiert die in aller Welt lebenden Nachkommen über das Schicksal ihrer Angehörigen. Damit sorgt Ellen Bertram dafür, dass die jüdischen Opfer nicht vergessen werden – nicht in ihren Familien und auch nicht in ihrer Heimatstadt Leipzig.

Sachsen-Anhalt

Ines Doberanzke-Milnikel, Beendorf
Verdienstkreuz am Bande

Geschichte – vier langweilige Stunden pro Woche in der Schule oder was, das lange her ist, oder immer ohne einen passiert […], so texteten deutsche Hip-Hopper einst, wie viele Jugendliche auf die Vergangenheit blicken. Ines Doberanzke-Milnikel engagiert sich dafür, dass die Auszubildenden von Volkswagen einen besseren Zugang zu Geschichte finden. Fünfmal im Jahr organisiert die frühere Sozialarbeiterin in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee Treffen deutscher und polnischer Azubis in Auschwitz. Der Besuch am historischen Ort und Gespräche mit Zeitzeugen machen Geschichte erfahrbar; die Begegnung mit jungen Leuten anderer Nationalität weitet Horizonte. Inzwischen ist das Projekt auf Nachwuchsmanager und die Auszubildenden von Audi ausgeweitet. Ines Doberanzke-Milnikel ist es auch zu verdanken, dass 2013 der Förderverein für die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz gegründet wurde. So steht ihre Arbeit für zweierlei: für persönliches Engagement und die gesellschaftspolitische Verantwortung deutscher Unternehmen.

Schleswig-Holstein

Rolf Fischer, Schwentinental
Verdienstmedaille

100 Jahre Kieler Matrosenaufstand. Demokratie erkämpfen. Demokratie leben: Unter diesem Motto wird derzeit daran erinnert, dass Kiel einer der Geburtsorte der deutschen Demokratie ist. Dass dies so intensiv und so würdig geschieht, ist auch das große Verdienst von Rolf Fischer. Schon 2008 rief er den Initiativkreis Kiel und die Revolution 1918 ins Leben und wurde dessen ehrenamtlicher Sprecher. Er hielt Vorträge, organisierte Stadtspaziergänge, sorgte für Erinnerungstafeln und schrieb das Drehbuch zu einer Revolutionsrevue, die im Frühjahr 2018 im Kieler Schauspielhaus aufgeführt wurde. Über dies hinaus engagierte sich Rolf Fischer auch als Vorsitzender der Kieler Arbeiterwohlfahrt und übernahm als Abgeordneter und Staatssekretär Verantwortung für sein Land. All dies zeigt: Rolf Fischer erinnert nicht nur an die Wurzeln unserer Demokratie, er lebt sie auch.

Thüringen

Franka Günther, Weimar
Verdienstmedaille

Mit dem Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte hat sie ein bundesweit einzigartiges Geschichtsfestival etabliert. Die Vielfalt der Religionen, Migration und Heimat sowie Gewalt und Frieden – beim Festival in Weimar werden die großen Fragen von gestern und heute diskutiert, offen für alle und mit freiem Eintritt für jeden. Vorträge, Lesungen und Konzerte werden ergänzt durch Workshops mit Studierenden, Schülerinnen und Schülern aus den Ländern des Weimarer Dreiecks. Franka Günther ist der unermüdliche Motor des Festivals, ihr gelingt damit der Brückenschlag von der Vergangenheit zur Zukunft, von Deutschland zu Polen und Frankreich. Zudem hat sie die Biographie von Bertrand Herz, einem Überlebenden des KZ Buchenwald, ins Deutsche übersetzt und damit dazu beigetragen, dass die Schicksale der deportierten Frauen und Männer aus Frankreich und Belgien nicht in Vergessenheit geraten.

Frankreich

Monique Durand, Beine-Nauroy
Verdienstkreuz am Bande

Im Ersten Weltkrieg wurde der Ort Nauroy vollständig zerstört. In der heutigen Gemeinde leitete Monique Durand lange Zeit die Grundschule. Nach ihrer Pensionierung gründete sie 2011 mit anderen den Verein Les Amis de Nauroy et de l’église de Beine. Ihr Ziel: Die Verständigung von Deutschen und Franzosen durch das bessere Kennenlernen der gemeinsamen Geschichte. Als treibende Kraft des Vereins sorgt sie mit großem Engagement für neue deutsch-französische Schüleraustausche und die Zuordnung deutscher Soldatengräber. 2017 organisierte sie ein besonderes Gedenk- und Freundschaftsfest: Eingeladen waren Nachkommen jener Soldaten, die dort 100 Jahre zuvor kämpfen mussten und starben. Durch ihren großen Einsatz für die gemeinsame Erinnerung trägt Monique Durand mit herausragendem Erfolg zu Aussöhnung, Frieden und Völkerverständigung bei.

Tschechische Republik

Jaroslav Ostrčilík, Prag
Verdienstmedaille

Er war noch Student, als er 2007 eine bemerkenswerte Initiative ergriff: Er organisierte einen Gedenkmarsch, um an das Schicksal der deutschsprachigen Einwohner Brünns zu erinnern, die Ende Mai 1945 aus ihrer Heimatstadt vertrieben wurden. Seither organisiert Jaroslav Ostrčilík jedes Jahr diese Erinnerungsveranstaltung, die seit 2015 Versöhnungsmarsch heißt. Auch zahlreiche andere Projekte, die sich mit dem einstigen Zusammenleben der tschechischen, deutschen und jüdischen Einwohner Brünns befassen, initiierte er. Daraus ist das Festival Meeting Brno hervorgegangen, in dessen Organisationsteam der Journalist aktiv ist. Jaroslav Ostrčilík steht für eine kritische Aufarbeitung der deutsch-tschechischen Geschichte. Denn diese ist eine wichtige Voraussetzung für freundschaftliche Bindungen innerhalb eines vereinten Europas.