UNICEF-Neujahrsgespräch

Schwerpunktthema: Bericht

22. Februar 2024

"Lassen Sie uns dieses Jahr gemeinsam zu einem Jahr der Kinder und ihrer Rechte machen", fordert UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender in ihrer Ansprache beim traditionellen Neujahrsgespräch des Kinderhilfswerks.

Elke Büdenbender hält das UNICEF-Banner inmitten einer Gruppe von am UNICEF-Neujahrsgespräch beteiligten Jugendlichen, Expertinnen und Experten sowie offiziellen Repräsentanten des Kinderhilfswerkes

"Zwischen Albtraum und Hoffnung: Kindheit zwischen Krieg und Flucht": Unter diesem Motto stand in diesem Jahr das traditionelle UNICEF-Neujahrsgespräch, zu dem Schirmherrin Elke Büdenbender am 22. Februar ins Schloss Bellevue eingeladen hat. Das Kinderhilfswerk möchte darauf aufmerksam machen, dass es für viele Millionen Kinder auf der Welt Lebensrealität sei, in einem bewaffneten Konflikt groß zu werden. In vielen Ländern wachse eine junge Generation heran, die mit Gewalt, Angst und Vertreibung zurechtkommen müsse.

Lassen Sie uns dieses Jahr gemeinsam zu einem Jahr der Kinder und ihrer Rechte machen.

©: Elke Büdenbender

In ihrer Rede zum Auftakt der Veranstaltung rief Elke Büdenbender dazu auf, Kinder und deren Rechte in diesem Jahr besonders in den Fokus zu rücken. Das Leben von Kindern und Jugendlichen in der Ukraine, im Nahen Osten, in Sudan und anderen Ländern und Regionen hat derzeit nur sehr wenig zu tun mit dem, was zu einer Kindheit gehören sollte, sagte sie. Und es sind nicht nur Kriege, die die Gegenwart und die Zukunftspläne junger Menschen zerstören, sondern auch Wetterextreme, Armut und schwere Kinderrechtsverletzungen.

Elke Büdenbender steht am Rednerpult und hält ihre Ansprache

Elke Büdenbender lobte den partizipativen Ansatz, den UNICEF verfolge: Wir Erwachsenen können Projekte für junge Menschen anstoßen. Die Protagonisten sind jedoch die Kinder und Jugendlichen. Sie müssen von Anfang an einbezogen werden und sollen ihr Leben selbst gestalten.

Zum Auftakt der Veranstaltung las Schauspielerin und UNICEF-Botschafterin Katja Riemann Gedichte von Mädchen und Jungen aus verschiedenen von Krieg betroffenen Ländern aus dem weltweiten UNICEF-Projekt "Poems for peace" vor. In den anschließenden zwei Panels hatten Jugendliche aus Konfliktregionen und erwachsene Fachleute Gelegenheit zum Austausch. In der ersten Diskussionsrunde stellten vier Jugendliche unter dem Thema "Das belastet uns, das gibt uns Hoffnung" ihre Perspektive vor. Im zweiten Panel diskutierten Expertinnen und Experten unter dem Thema "Das können wir tun, um junge Menschen aus Konfliktregionen zu stärken" darüber, welche Lösungsansätze es gibt, um den Jugendlichen Schutz, Stabilität und Perspektiven zu bieten. Schwerpunkte waren Hilfsangebote in den Herkunftsländern sowie zur Integration in Deutschland.

Diskussionsteilnehmende:

  • Mariia Azarkina (16 Jahre), lebt in Kryvyi Rih/Ost-Ukraine und engagiert sich im "UPSHIFT"-Programm von UNICEF Ukraine gemeinsam mit Gleichaltrigen für Zusammenhalt und Lern-/Freizeitangebote trotz Krieg
  • Sham Ghazi (19 Jahre), Mitglied des UNICEF-JuniorBeirats, musste mit ihrer Familie aus Syrien fliehen – lebt heute in Beverungen und engagiert sich hier mit UNICEF für Kinderrechte
  • Sarah Saduzei (19 Jahre), Mitglied des UNICEF-JuniorBeirats – lebt in Frankfurt und engagiert sich hier für UNICEF und weitere Organisationen
  • Oleksandr Zdorenko (19 Jahre), in Kiew/Ukraine aufgewachsen – lebt in Leipzig und möchte Informatik studieren

  • Jochen Steinhilber, Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
  • Dr. Areej Zindler, Leiterin der Flüchtlingsambulanz für Kinder und Jugendliche am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
  • Milena Michy, Multiplikatorin für Gewaltschutz aus einer Gemeinschaftsunterkunft für junge Geflüchtete
  • Ilka Horstmeier, Vorstandsmitglied der BMW AG
  • Aeham Ahmad, Pianist von "Music for Hope"

Ansprache von Elke Büdenbender

Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.

Jedes Jahr freue ich mich sehr auf das Neujahrsgespräch von UNICEF und darf Sie und Euch alle herzlich im Schloss Bellevue begrüßen.

Vielen Dank für diesen bewegenden Einstieg, liebe Frau Riemann. Sie haben drei Kindern aus ganz unterschiedlichen Ländern, in denen sie Kriegen und Vertreibung ausgesetzt sind und diese Erfahrungen zu verarbeiten suchen, eine starke Stimme verliehen.

Liebe Mariia und lieber Oleksandr, ich bin sehr froh, dass Ihr nach Berlin gereist und unsere Ehrengäste seid. Mariia hat ihre Mutter mitgebracht – auch Ihnen, liebe Frau Arzakina, herzlich willkommen. Sie kommen aus Kryvyi Rih im Südosten der Ukraine und haben eine sehr weite und umständliche Anreise auf sich genommen. Oleksandr stammt aus Kiew und lebt mittlerweile in Leipzig. Seit fast genau zwei Jahren ist Ihr, ist Euer Leben nicht mehr so, wie es vorher war und wie Sie es sich sicherlich wünschen.

Der Unterricht in den Schulen und Universitäten in Eurem Heimatland ist unterbrochen oder sogar abgebrochen. Familien und Freundeskreise wurden auseinandergerissen, und Millionen Menschen haben grausame Erfahrungen machen müssen. Ich möchte Euch beiden, Mariia und Oleksandr, von Herzen danken, dass Ihr Eure Erlebnisse mit uns teilen werdet. Auch auf die Schilderungen von Sham Ghazi und Sarah Saduzei, die sich im UNICEF-Juniorbeirat engagieren, bin ich sehr gespannt.

Wir wollen uns heute austauschen, um voneinander zu lernen – und ich denke, auch um uns gegenseitig den Rücken zu stärken. Es wäre schön, wenn wir alle aus diesem Neujahrsgespräch Zuversicht schöpfen könnten.

Zuversichtlich zu bleiben bedeutet ja nicht, dass wir die Realität verkennen. Abends begleiten uns Nachrichten und Bilder aus Kriegsgebieten in den Schlaf, die schwer zu ertragen sind. Und wenn wir schon aus der Ferne die Medienberichte als emotional belastend empfinden, wie schwer muss die Situation erst für die unmittelbar Betroffenen in Krisensituationen sein?

Das Leben von Kindern und Jugendlichen in der Ukraine, im Nahen Osten, in Sudan und anderen Ländern und Regionen hat derzeit nur sehr wenig zu tun mit dem, was zu einer Kindheit gehören sollte. Und es sind nicht nur Kriege, die die Gegenwart und die Zukunftspläne junger Menschen zerstören, sondern auch Wetterextreme, Armut und schwere Kinderrechtsverletzungen.

Lieber Christian Schneider, Sie haben das vergangene Jahr wiederholt als das düsterste in Ihren fünfundzwanzig Jahren bei UNICEF bezeichnet. Und Sie fordern, dass 2024 ein Jahr für Kinder und ihre Rechte werden muss. Dieser Forderung schließe ich mich ausdrücklich an – wie sicherlich alle hier im Saal.

Im Namen aller Kinder auf dieser Welt appelliert UNICEF aber nicht nur, sondern handelt auch, so wie die jeweilige Situation es erfordert. In einer akuten Notlage stehen humanitäre Helferinnen und Helfer Familien bei, um die lebensrettende Versorgung zu gewährleisten. Und genauso wichtig sind die Langzeitprogramme von UNICEF, unter anderem in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kinderschutz und Prävention.

Wir alle wissen aus Erfahrung, dass wir nicht alles alleine schaffen können und kompetente, verlässliche Partner brauchen. Anfang des Monats hat Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, Berlin besucht. Gemeinsam haben wir im Rahmen einer Konferenz mit internationalen medizinischen und psychologischen Fachkräften auf den Hilfsbedarf hingewiesen, den unzählige Menschen in der Ukraine mit Blick auf ihre mentale Gesundheit infolge des russischen Angriffskriegs haben. Die Gewalt hat unermessliche psychische Verletzungen verursacht, und natürlich sind Kinder und Jugendliche besonders betroffen. Selbst die Kinder, die nicht direkt an der Frontlinie leben, bekommen den Krieg unmittelbar zu spüren. Das hat mir Olena Selenska berichtet. Allein der emotionale Stress und die Angst, die ein Sirenenalarm schon bei kleinsten Kindern auslöst – es gibt ein sehr eindrückliches Video von "Ukraine Now" –, bedeutet eine enorme Belastung für ihre kleine Seele.

Die Resilienz der Menschen in der Ukraine wollen wir durch gezielte Initiativen und Einrichtungen stärken und auch die psychische Selbstfürsorge fördern. Menschen müssen den Raum bekommen, über ihr seelisches Leid sprechen zu können. Denn nur mit gesunden Menschen kann nach dem Krieg der Wiederaufbau des Landes gelingen.

Das Gleiche gilt für die Kinder, die hierher fliehen mussten, ob sie in Berlin gelandet sind oder in einer schwäbischen Kleinstadt. Ob aus der Ukraine oder aus anderen Ländern. Auch hier arbeitet das Team von UNICEF mit vielen Akteuren zusammen, um die Stimmen dieser Kinder hörbar und ihre Situation sichtbar zu machen, damit alle, die in Deutschland Verantwortung tragen, dieser Verantwortung auch gerecht werden können.

Für die Umsetzung unserer Vorhaben sind wir auf die Hilfe vieler Personen und Organisationen angewiesen. Großartige Unterstützung erhalten wir auch von Tausenden Ehrenamtlichen. Ihr Engagement kann nicht oft genug hervorgehoben und gewürdigt werden.

Meine Damen und Herren, wir Erwachsenen können als Fachkräfte, Entscheidungsträger und Ehrenamtliche Projekte für junge Menschen anstoßen. Die Protagonisten sind jedoch die Kinder und Jugendlichen. Sie müssen von Anfang an einbezogen werden und sollen ihr Leben selbst gestalten. UNICEF verfolgt diesen partizipativen Ansatz in vielen Bereichen, und ich halte ihn für wichtig und richtig.

Mariia, Du wirst uns nachher von UPSHIFT berichten, dem Programm von UNICEF, in dem Du Dich in der Ukraine engagierst. UPSHIFT vermittelt jungen Menschen grundlegende Fähigkeiten wie Problemlösung, Zusammenarbeit und Kommunikation und befähigt sie, ihre Kompetenzen zu erkennen und auszubauen. UPSHIFT ist ein Paradebeispiel für Partizipation, von denen es bei UNICEF eine ganze Reihe gibt, in Deutschland und weltweit.

Ich habe das große Privileg, überall mit vielen jungen Menschen zusammenzutreffen. Alle stehen vor gewaltigen Herausforderungen, und ich bin immer beeindruckt von ihrer Willenskraft, ihrer Adaptionsfähigkeit und – ganz wichtig – ihrer Courage, ihrem Mut!

Ein ordentliches Quäntchen Courage braucht es wirklich in diesen Zeiten, meinen Sie nicht auch? Dieser Spirit schenkt mir die eingangs erwähnte Zuversicht, dass wir alle gemeinsam dieses Jahr zu einem Jahr der Kinder und ihrer Rechte machen können.

Ich wünsche uns allen gute Gespräche.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier