Das UNICEF-Foto des Jahres zeigt die fünfjährige Alina, die auf einer Wiese im Nordwesten der Ukraine gemeinsam mit zwei Freundinnen das Fahrradfahren übt. Im Hintergrund steigt der Rauch eines brennenden Öllagers auf.
„Durch Ihre Arbeit können wir erahnen, was dieser Krieg für ukrainische Kinder bedeutet. Ihre Bilder zeigen, welche Spuren er bei den Jungen und Mädchen hinterlässt“, sagte UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender bei der Preisverleihung.
Für das Siegerfoto zeichnete Elke Büdenbender Patryk Jaracz mit dem ersten Preis aus. Den zweiten Preis erhielt Oliver Weiken für seine Reportage über afghanische Kinder, die in Kohlebergwerken arbeiten. Der dritte Preis ging an Natalya Saprunova für eine Reportage über die Kinder des indigenen Volkes der Ewenken in Sibirien.
UNICEF Deutschland zeichnet in diesem Jahr zum 24. Mal Bilder und Reportagen professioneller Fotojournalistinnen und -journalisten aus, die die Persönlichkeit und die Lebensumstände von Kindern auf herausragende Weise dokumentieren.
Ansprache von Elke Büdenbender:
Änderungen vorbehalten. Es gilt das gesprochene Wort.
Die Vorstellung des UNICEF-Fotos des Jahres ist jedes Mal ein besonderer Anlass, um auf die Situation von Kindern weltweit aufmerksam zu machen.
Bilder können uns helfen, besser zu verstehen, was Kinder in dieser unruhigen Zeit erleben. Sie fangen Stimmungen ein und lassen uns eintauchen in die Lebenswelt der Kinder.
Leider ist es auch in diesem Jahr so, dass uns die Fotos in der überwiegenden Zahl in bedrückende Lebenswelten mitnehmen. Die mehrdimensionalen Krisen der Welt treffen leider oft die Schwächsten: die Kinder.
Erinnern Sie sich noch daran, wie es sich angefühlt hat, als Sie das Fahrradfahren lernten? Ich weiß es! Es war herausfordernd, das Gleichgewicht zu halten, zu treten und dabei auch noch zu lenken. Das Gefühl, endlich selbstständig fahren zu können, hat mich mit großem Stolz erfüllt.
Wenn Kinder neue Dinge entdecken und lernen, dann können sie sich ganz darauf fokussieren. Sie können das Geschehen um sich herum ausblenden. Auf dem diesjährigen UNICEF-Foto des Jahres unseres Preisträgers Patryk Jaracz ist die fünfjährige Alina zu sehen, die auf einer Wiese in der Nähe ihres Heimatdorfes in der Westukraine das Fahrradfahren übt. Zwei Freundinnen laufen hinter ihr her. Die Mädchen wirken unbeschwert und fröhlich und scheinen ihre Umgebung in diesem Augenblick vergessen zu haben.
Wenn ich meine Augen von den Mädchen wegbewege, fällt mir jedoch sofort die riesige Rauchwolke auf, die am Horizont aufsteigt. Sie wirkt bedrohlich.
Als ich das Bild zum ersten Mal sah, habe ich mich gefragt, ob die Mädchen womöglich in Gefahr waren. In diesem Moment waren sie es zum Glück nicht. In der Nacht zuvor war eine Drohne in ein Öldepot eingeschlagen, nur wenige Kilometer entfernt von einem Ort in der Oblast Riwne, dort leben Alina und ihre Freundinnen. Dieser Einschlag hatte einen Brand ausgelöst. Auf die gesamte Region gab es in dieser Nacht Drohnenangriffe.
Das UNICEF Foto des Jahres 2023 entstand durch einen Zufall. Meist ist Patryk Jaracz im Süden oder Osten der Ukraine unterwegs, um dort die Folgen des Krieges zu dokumentieren. An dem Tag, an dem er Alina und ihre Freundinnen traf, war er auf dem Weg zu seiner Familie in Polen. Zunächst sah er die dunkle Rauchwolke. Als er die entfernte Szene aus der Entfernung von einem nahegelegenen Ort aufnehmen wollte, entdeckte er die drei Mädchen.
Mit Ihrem Bild, Herr Jaracz, haben Sie eine bewegende Szene und einen beklemmenden Kontrast festgehalten. Einen Moment vermeintlich unbeschwerter Kinderfreude inmitten eines Krieges. Die Mädchen, die wir auf diesem Bild sehen, erleben keine normale Kindheit, so wie wir sie verstehen. Sie erleben einen Alltag, der von ständiger Angst und Gefahr geprägt ist. In einem Krieg, der seit mehr als 600 Tagen andauert und nicht enden will. Der Krieg hängt wie eine dunkle Wolke über dem Alltag der Kinder.
Das diesjährige Siegerbild erzählt auch, was für die Kinder in der Ukraine seit fast zwei Jahren traurige Realität ist: Kind sein im Krieg. Und doch zeigt es eine zweite Wirklichkeit – Kind sein trotz des Krieges. Die kleine Alina vergisst die allgegenwärtige Gefahr für einen Moment und fährt unbeschwert Fahrrad.
Herr Jaracz, Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit Ihrer Fotografie auf die Situation der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Bereits seit Februar 2022 dokumentieren Sie die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und begeben sich dabei oft selbst in Lebensgefahr. Durch Ihre Arbeit können wir erahnen, was dieser Krieg für ukrainische Kinder bedeutet. Ihre Bilder zeigen, welche Spuren er bei den Jungen und Mädchen hinterlässt.
Mehr als sieben Millionen Kinder in der Ukraine sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Jeden Tag müssen sie Angst haben, dass Raketen ihr Zuhause treffen. Viele Jungen und Mädchen leiden unter Stress und psychischen Belastungsstörungen. Schulen wurden zerstört. Rund zwei Drittel der Schulkinder können nicht durchgängig am Präsenzunterricht teilnehmen.
UNICEF ist für die Kinder in der Ukraine da und leistet auf unterschiedliche Weise Hilfe. In sogenannten Spilno-Kinderzentren können Jungen und Mädchen spielen, lernen und erhalten psychologische Unterstützung. UNICEF verteilt Hilfsgüter, wie zum Beispiel Winterkleidung, stellt Generatoren und Heizgeräte für Schulen und Krankenhäuser bereit oder unterstützt Familien mit Bargeldhilfen.
Trotz des Ausnahmezustands, in dem die Kinder in der Ukraine seit fast zwei Jahren leben, strahlen Alina und ihre beiden Freundinnen Tapferkeit und Stärke aus. Die hoffnungsvolle Botschaft, die das UNICEF Foto des Jahres 2023 transportiert, ist die enorme Widerstands- und Anpassungsfähigkeit von Kindern. Das diesjährige Siegerfoto fordert uns alle auf, weiterhin an der Seite der Kinder zu stehen. Umgeben von negativen Nachrichten sind wir es ihnen schuldig, alles dafür zu tun, die Lage der Kinder zu verbessern.
Lieber Patryk Jaracz, ich gratuliere Ihnen herzlich zum "UNICEF-Foto des Jahres 2023"! Ich freue mich, dass Patryk Jaracz uns gleich seine gesamte Reportage vorstellen wird.
Zuvor möchte ich aber einen weiteren Preisträger einer Ehrenvollen Erwähnung nach vorne bitten. Es ist Michael Löwa, der in seiner Arbeit den elfjährigen Johannes und seine Assistenzhündin Enya begleitet hat. Johannes ist an Diabetes Typ1 erkrankt. Enya unterstützt Johannes seit etwa drei Jahren im Alltag. Sie erkennt an seinem Atemgeruch, wenn sein Blutzuckerspiegel sinkt. Es ist eine Reportage, die uns motiviert und uns Hoffnung schenkt, weil sie Lösungen dokumentiert.
Ich freue mich sehr, dass in diesem Jahr eine Bildstrecke aus Deutschland unter den Ehrenvollen Erwähnungen ist und Johannes und Enya heute hier sein können. Toll, dass Sie, liebe Familie Tietz, an dieser Pressekonferenz teilnehmen. Lieber Herr Löwa, Ihnen gratuliere ich herzlich zu dieser Ehrenvollen Erwähnung!
Nun bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit für Patryk Jaracz.