Am 25. November hat Elke Büdenbender in Berlin die Laudatio auf Theresa Breuer zur Verleihung des 1. Urania Courage Preises gehalten. Die Filmemacherin und Aktivistin wurde als Gründerin der Kabul Luftbrücke
ausgezeichnet.
Laudatio von Elke Büdenbender
Der Urania Courage Preis wird heute Abend zum ersten Mal verliehen. Er zeichnet außergewöhnliches zivilgesellschaftliches Engagement aus.
Ich freue mich und fühle mich geehrt, den ersten Urania Courage Preis an Theresa Breuer verleihen zu dürfen. Sie ist Journalistin und Filmemacherin und eine der Initiatorinnen der Kabul Luftbrücke
. Mutig und unermüdlich setzt sie sich seit über einem Jahr für die Menschen in Afghanistan ein, vor allem für die Frauen, indem sie ihnen die Flucht aus dem Land ermöglicht. Dabei war sie als Journalistin eigentlich mehr in der Beobachterrolle, und das traf auch ihre beruflichen Vorstellungen von Journalismus.
Reporterin wollte Theresa Breuer schon immer werden. Vor der Kamera ihres Vaters spielte sie schon als Kind rasende Reporterin
. Sie war neugierig, eine in meinen Augen sehr wichtige Eigenschaft, und interessiert – an den Menschen, an der Welt. Sie wollte sie verstehen und hatte viele Fragen, und das schon in jungen Jahren.
Ihr journalistisches Erweckungserlebnis
, wie sie es selbst nennt, war der 11. September 2001. Da war sie vierzehn und spürte doch schon bewusst: An einem einzigen Tag war, auch aus ihrer Sicht, die Welt, wie wir sie zu kennen glaubten, zu einer anderen geworden. Vieles hatte sich dadurch verändert – unser Verständnis von der Rolle der Religion, auch unsere Einstellung zu Geflüchteten, manches Vorurteil hat sich den Weg gebahnt – vor allem hat 9/11 Kriege und Gewalt zur Folge gehabt.
Sie wollte verstehen, warum. Sie wollte Länder verstehen, in denen Al-Qaida sich entfalten konnte, und sie wollte verstehen, welche Rolle wir Deutschen dabei haben, dass solche Konflikte entstehen und sich ausbreiten. Sie wollte in der Region leben und arbeiten, um Antworten auf ihre vielen Fragen zu finden.
So studierte sie Politikwissenschaft und Publizistik an der FU Berlin und ging währenddessen für ein Auslandsjahr nach Beirut. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, bevor sie 2012 mit einem Stipendium der Herbert-Quandt-Stiftung für das Programm Trialog der Kulturen
für ein Jahr nach Israel ging. Danach lebte sie mehrere Jahre in Ägypten und kehrte schließlich wieder nach Beirut zurück.
In beiden Ländern arbeitete sie als freie Journalistin und berichtete unter anderem 2013 aus Kairo von den Nachwehen der Revolution. Schon damals hatte sie ihr Herz an die Region verloren. Heute sagt sie: Wo immer ich hingehe, mein Herz ist im Nahen Osten und in Afghanistan.
Nach Afghanistan kam sie 2017. Bis dahin war sie schreibende Journalistin, aber Schreiben füllte sie auf Dauer nicht aus. So kaufte sie sich eine Kamera und brachte sich mithilfe eines YouTube-Tutorials selbst das Filmen bei. Das war das Richtige für sie, und bei der Suche nach einem Thema für ihren ersten Film stieß sie auf eine Gruppe junger afghanischer Bergsteigerinnen.
Sie begleitete die 16- bis 19-jährigen jungen Frauen auf den mit 7.500 Metern Höhe höchsten Berg Afghanistans, den Noschaq. Diesen hatte noch nie zuvor eine Frau bestiegen. Gegen große Widerstände und trotz offener Drohungen der sie umgebenden Männer haben sich die jungen Frauen nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Das beeindruckte Theresa Breuer sehr.
Für sie ist der Berg eine Metapher für die Widerstände, gegen die afghanische Frauen tagtäglich in ihrem Leben ankämpfen müssen. War sie selbst schon mal in diese Höhen gestiegen? Nein, aber das konnte sie nicht aufhalten. Der erste Film, das erste Mal Bergsteigen – bei diesem Projekt gab es viele erste Male, sagt sie und freut sich darüber. Ich, die ich selbst gern und oft in die Berge gehe, habe großen Respekt vor diesem Mut und dieser Leistung.
Wer mit ihr spricht, spürt deutlich: Sie scheut keine Herausforderungen. Wenn ihr Interesse an einer Sache erwacht ist, verwirklicht sie das mit Kraft und Leidenschaft. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage, Angefangenes wird durchgezogen. Das ist der Ehrgeiz, die Sache gut zu machen, und die Leidenschaft, sich in das Projekt und das Leben zu werfen.
Dass der Film über die Bergsteigerinnen noch nicht fertig geworden ist, liegt nicht an ihr, sondern an der Tatsache, dass nun die Taliban Afghanistan regieren und eine Veröffentlichung des Filmmaterials ihre Protagonistinnen und deren Familien in große Gefahr bringen würde.
Menschen wie die Bergsteigerinnen und andere Afghaninnen und Afghanen, die sie bei ihren Aufenthalten im Land kennengelernt hatte, waren auch der Grund für die Kabul Luftbrücke
. Für Theresa Breuer war das, was im August 2021 in Afghanistan geschah, nichts Fernes und Abstraktes, etwas, das Menschen in einem fernen Land betraf. Hier ging es um Menschen, die ihr ans Herz gewachsen waren – in dem Land, das ihr ans Herz gewachsen ist. Und hier ging es um Menschen, die für sie und ihre Arbeit ihr eigenes Leben in Gefahr gebracht hatten. Sie spürte die Verantwortung für diese Menschen.
Sie war im August 2021 ausnahmsweise nicht in Afghanistan, sondern verfolgte von hier aus das Geschehen. Aber das war der Moment, an dem aus der beobachtenden, Fragen stellenden und Antwort suchenden Journalistin eine Aktivistin wurde, die sie heute ist. An dem Punkt konnte sie nicht mehr nur zusehen und darüber berichten. Sie musste etwas tun!
Nun trommelt sie Mitstreiterinnen und Mitstreiter zusammen, mietet ein Flugzeug, kontaktiert das Auswärtige Amt, schreibt Listen mit Menschen, die dringend raus müssen aus Afghanistan, kümmert sich um Visa, checkt Fluchtrouten. Das Headquarter der Kabul Luftbrücke
ist ihr Wohnzimmer in Berlin.
Mehrfach reist sie selbst nochmal ins Land und koordiniert die Flucht der Menschen vor Ort. Täglich checken sie Fluchtwege und passen sie den Gegebenheiten an. Bis heute haben sie auf diese Weise knapp 2.800 Menschen zur Flucht verholfen. Eine ungeheuer große Leistung!
Seit dem 14. August 2021 hat sich das Leben von Theresa Breuer komplett verändert. Das Leid der Menschen vor Ort, vor allem das der Frauen, lässt sie nicht schlafen. Afghanistan sei immer ein sehr konservatives Land gewesen, sagt sie. Ein Land, in dem die Mädchen und Frauen vielfach eingesperrt, unterdrückt und von Bildung ferngehalten wurden. Das hatte sich in den vergangenen Jahren etwas zum Besseren verändert.
Den Frauen, die sich gegen das Patriarchat stellten, zollt sie tiefen Respekt – das sei in diesem Land wirklich todesmutig gewesen. Es seien nicht viele gewesen, aber immer mehr geworden, vor allem in den Städten. Sie gingen zur Schule, konnten studieren. Auch jetzt stehen ihnen noch einige Universitäten offen, aber die Taliban lassen die Studiengänge auslaufen.
Zunehmend verschlechtert sich die Situation der Frauen, nach und nach werden ihre Rechte weiter eingeschränkt. Frauenrechtlerinnen verschwinden – werden ermordet. Familien verheiraten ihre Töchter an Taliban, um der Familie einen besseren Stand zu verschaffen. Frauen, vor allem Aktivistinnen, so ist Theresa Breuer überzeugt, werden gebrochen. Das ist für mich schlicht unerträglich
, sagt sie. Wenn sie erzählt, spürt man die große Leidenschaft für das Land und seine Menschen. Aus ihren Worten spricht große Empathie, sie leidet richtig mit.
Die Ungerechtigkeit, dass der Ort der Geburt unter anderem darüber entscheiden kann, ob ich als weiblicher Mensch in Frieden alle meine Talente entfalten, mich einbringen und ein selbstbestimmtes Leben führen kann – was ihr alles möglich gewesen ist –, treibt Theresa Breuer um. Deshalb ist für sie klar: Die Frauen müssen aus dieser afghanischen Gesellschaft herausgeholt werden!
Dabei hätte sie sich vorher nicht vorstellen können, so aktiv einzugreifen. Wie gesagt: Ihre Beobachterrolle kam ihrem Bedürfnis, Fragen zu stellen und die Welt zu verstehen, sehr entgegen. Das Leid der Frauen in Afghanistan hat das verändert.
Ihr war schon immer bewusst: Schon mit der eigenen Präsenz als Journalistin vor Ort mischt man sich immer zu einem gewissen Grad ein, beeinflusst die Art und Weise, wie sich Menschen darstellen, und den Blick der Leserinnen und Leser oder Zuschauerinnen und Zuschauer auf die Situation. Hier aber war für sie ganz klar: Nur zuzugucken, wäre feige gewesen. Sie musste handeln.
Noch heute verhelfen Theresa Breuer und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter wöchentlich bis zu 50 Afghaninnen und Afghanen zur Flucht. Die Kabul Luftbrücke
ist die einzige spendenfinanzierte Nichtregierungsorganisation, die Menschen aus Afghanistan herausholt. Bis heute erreichen sie unzählige Hilferufe, ihr E-Mail-Postfach quillt über – 6.000 Mails warten da. Mittlerweile besteht die Kabul Luftbrücke
aus zwanzig Leuten, sie hat Teams in Afghanistan, Pakistan und im Iran.
Theresa Breuer hätte sich sehr gewünscht, dass die Arbeit der Kabul Luftbrücke
heute nicht mehr nötig wäre. Aber dem ist leider nicht so. Sehr frustrierend findet sie das – zu Recht!
Sie selbst wird für eine gewisse Zeit nicht mehr nach Afghanistan reisen können. Sie hat erfahren, dass die Taliban ihr nach dem Leben trachten. Ihr war klar, dass der Tag kommen würde, an dem das Reisen nach Afghanistan für sie zu gefährlich werden würde. Sie ist keine Kriegsberichterstatterin an der Front. Denn, so sagt sie trocken: Man lernt nichts über ein Land, wenn man erschossen wird.
Auch ihrer Mutter zuliebe wird sie nicht mehr dorthin reisen. Ihre Eltern haben sie immer unterstützt. Als Theresa Breuer damals nach Afghanistan ging, um ihren Film über die Bergsteigerinnen zu drehen, häuften sich gerade die Nachrichten von Selbstmordattentaten. Ihre Mutter versuchte, sie zu überzeugen, nicht zu fahren – und ließ sie am Ende doch ziehen. Sie wollte sie dort sogar besuchen,
aber Theresa Breuer sagte zu ihr: Mama, Afghanistan ist kein Ort für Mütter.
Ich selbst bin auch Mutter und kann nur sagen: Ich bewundere Ihre Mutter, liebe Frau Breuer! Für den Mut, Sie gehen zu lassen.
Theresa Breuer will sich nun nach und nach aus der Kabul Luftbrücke
zurückziehen, weil diese sie nicht mehr unbedingt brauche. Filme machen möchte sie wieder, sie arbeitet an einer fiktionalen Serie. Mehr weiß sie nicht, denn sie plant nicht mehr. Das Leben hat ihr gezeigt: Alles, was sie macht, macht sie mit Leidenschaft, und dann ergibt sich alles andere.
Es sind immer wieder die Menschen, die sie an einen Ort binden. Zu sehen, wie Menschen Schwierigkeiten überwinden, ihre Widerstandsfähigkeit, ihr Mut – das fasziniert sie immer wieder, und das erinnert sie immer wieder daran, dass sie das Glück hatte, in einer Gesellschaft aufgewachsen zu sein, die ihr ein privilegiertes Leben ermöglicht hat.
Wir alle hier können heute dankbar sein – dafür, dass wir in Theresa Breuer eine so würdige Preisträgerin gefunden haben. Eine wahre Botschafterin für Deutschland. Eine Frau, die sich mutig und voller Leidenschaft humanitär einsetzt und nicht nur anderen Menschen hilft, sondern konkret Leben rettet. Dafür gebührt ihr unser aller Dank und unsere Wertschätzung.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung, liebe Frau Breuer, und bitte bewahren Sie sich Ihren offenen Blick, Ihr empathisches Herz, Ihren unbändigen Mut und Ihre ungebremste Tatkraft!