Elke Büdenbender hat am 8. November als Schirmherrin an der Fachveranstaltung Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe in Zeiten der Pandemie
des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands (CJD) teilgenommen und ein Grußwort gehalten.
Ansprache von Elke Büdenbender
Keiner darf verloren gehen! Das ist der Leitgedanke des Christlichen Jugenddorfwerkes, und es ist ein Ansatz, den ich mit vollem Herzen teile. Unsere Kinder und Jugendlichen sind unsere Zukunft, und wir können – und dürfen – es uns nicht leisten, auch nur einen jungen Menschen zurückzulassen.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Teilhabe und darauf, dass wir sie ernst nehmen. Auch sie gestalten unsere Gesellschaft mit und haben Einfluss darauf, ob sie eine offene und andere Menschen nicht diskriminierende Gemeinschaft ist.
Seit 1947 setzt sich das Christliche Jugenddorfwerk dafür ein, dass wir Kinder und Jugendliche ernst nehmen, ihnen Teilhabe ermöglichen und vor allem ihre individuellen Stärken zum Tragen kommen. Ein selbstbestimmtes Leben ist das Ziel allen Bemühens. Deshalb arbeite ich nun seit gut vier Jahren wirklich sehr gerne mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen – allen voran mit Ihnen, liebe Frau Densborn. Und deshalb habe ich auch sehr gern die Schirmherrschaft für die heutige Fachveranstaltung übernommen.
Die Pandemie – wir haben es alle in den vergangenen anderthalb Jahren oft gehört – hat das, was in unserem Land nicht gut läuft, wie mit dem Brennglas zum Vorschein gebracht. Das gilt ganz besonders für den Bereich Bildung. Wieder einmal haben vor allem diejenigen Schülerinnen und Schüler, die es aus den unterschiedlichsten Gründen schon schwer haben, unter den Beschränkungen und Schulschließungen gelitten – Schülerinnen und Schüler, die besondere körperliche oder geistige Herausforderungen zu bewältigen haben oder aus sozial benachteiligten Familien kommen, wo den Kindern unter Umständen die Unterstützung fehlt.
Ich habe mich in der Zeit der Pandemie viel mit Lehrkräften, anderem pädagogischem Personal sowie Schülerinnen und Schülern verschiedener Schulformen ausgetauscht. Im September haben mich einige Kinder und Jugendliche aus CJD-Einrichtungen aus Sachsen-Anhalt besucht und mir von ihren Erfahrungen berichtet.
Wie alle anderen Kinder und Jugendlichen in Deutschland litten sie vor allem darunter, ihre Freundinnen und Freunde nicht sehen zu können, und darunter, ihr Lernen selbstständig organisieren zu müssen, noch dazu überwiegend digital – bei teilweise schlechter Ausstattung mit digitalen Endgeräten oder schlechten Internetverbindungen im ländlichen Raum.
Gerade das selbstständige Lernen war für viele von ihnen enorm schwierig und in manchen Fällen sogar unmöglich. Einige von ihnen leben in Kinderheimen, in denen ein enormer Personalmangel herrscht. Sonst sind die Kinder ja vormittags in der Schule. Nun waren sie den ganzen Tag vor Ort
, mussten für die Schule lernen und brauchten Erwachsene – so wie die meisten Kinder, die nicht in die Schulen gehen konnten –, die sie liebevoll und geduldig betreuen und dazu noch die Stelle von Lehrkräften einnehmen mussten. Woher so schnell die qualifizierten Menschen nehmen? Hinzu kommt, dass gerade Kinder und Jugendliche, die eine spezielle Betreuung brauchen oder die bereits traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, nicht einfach von irgendwem betreut werden können. Da können nicht einfach mal schnell Fremde einspringen.
Ein weiteres Problem war und ist die räumliche Enge. Da hat nicht jede und jeder sein eigenes Zimmer. Und natürlich auch nicht jeder sein eigenes digitales Endgerät. Da braucht es nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, wie belastend diese Situation für alle Beteiligten war.
Andere Kinder und Jugendliche, mit denen ich sprach, leben zwar in ihren Familien, brauchen aber aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen eine intensive Betreuung, die die Eltern einfach nicht leisten konnten, weil sie selbst im Homeoffice waren oder womöglich gar nicht im Homeoffice arbeiten konnten, weil es ihr Beruf nicht ermöglichte.
Was passiert ist, können wir nicht rückgängig machen. Aber ich finde: Es ist unsere Pflicht, aus den vergangenen anderthalb Jahren Rückschlüsse zu ziehen und für die Zeit, die vor uns liegt, andere Lösungen zu finden.
Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, wie wichtig Bildung ist und wie wichtig sie uns vor allem bei unseren Entscheidungen über weitere pandemiebedingte Maßnahmen, aber auch darüber hinaus sein sollte. Es kann nicht oft genug gesagt werden: Bildung ist unser höchstes Gut. Bildung ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten und damit erfüllten Leben.
Unsere demokratische Gesellschaft lebt davon, dass sich ihre Mitglieder aktiv in sie einbringen, mitmischen, eigene Ideen anbringen und verwirklichen. Wir brauchen vielfältige Perspektiven, um Heimat für alle sein zu können. Deshalb muss es uns gelingen, allen gleichermaßen die Chance auf Bildung zu geben. Der Zugang zu Bildung darf nicht länger von der sozialen Herkunft abhängen, und körperliche und geistige Herausforderungen dürfen den Zugang ebenfalls nicht versperren.
Schulen sind dabei viel mehr als Orte der Wissensvermittlung. Sie ermöglichen die menschliche Begegnung, und das in einem Alter, in dem der Spiegel der Peer Group für die eigene Entwicklung oft wichtiger ist als der der Eltern oder der Lehrkräfte. Die Höhen und Tiefen des Lebens müssen gerade in dem Alter in Gemeinschaft erlebt werden.
Eine Erkenntnis, die wir alle aus der Pandemie mitgenommen haben, ist, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Damit meinen wir meist die globalen Herausforderungen. Aber es gilt ebenso sehr im kleinen Lebenskosmos jedes Einzelnen von uns. Allein schaffen es nur die wenigsten. Wir alle brauchen die Wertschätzung und den Zuspruch anderer.
All das kann digital nur ansatzweise erreicht werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Digitalisierung ist ein großer Gewinn und eine große Chance, und die Schulen müssen definitiv digitaler werden. Aber das Digitale kann das Menschliche nicht ersetzen. Es muss Raum für beides sein. Und wir müssen individuell schauen, wer was wann am meisten braucht.
Unsere Kinder und Jugendlichen – egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung – brauchen den Lern- und Lebensraum Schule. Diese Erkenntnis sollte uns durch die weitere Zeit der Pandemie, aber auch darüber hinaus unbedingt leiten.
Wie wir diesen Lern- und Lebensraum zukünftig gestalten – mit Blick auf die Digitalisierung, die Chancen, die sie bietet, aber auch die Herausforderungen, die sie mit sich bringt –, damit beschäftigen sich Fachleute ja zum Glück bereits sehr intensiv. Ich wünsche mir und uns allen von Herzen Lösungen, die allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen den Zugang zu Bildung und damit gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen.
Keiner darf verloren gehen, dann geht uns auch unsere Gemeinschaft nicht verloren.
Vielen Dank für alles, was Sie in dieser Richtung tun! Und nun wünsche ich uns allen einen bereichernden Austausch am heutigen Tag.