Laudatio auf Edith Bischof zur Verleihung des Niedersächsischen Staatspreises 2020

Schwerpunktthema: Bericht

13. September 2021

Elke Büdenbender hat am 13 September die Laudatio auf die Wolfsburger Unternehmerin Edith Bischof zur – pandemiebedingt verschobenen – Verleihung des Niedersächsischen Staatspreises 2020 gehalten.

Elke Büdenbender hält die Laudatio auf die Wolfsburger Unternehmerin Edith Bischof zur – pandemiebedingt verschobenen – Verleihung des Niedersächsischen Staatspreises 2020

Elke Büdenbender hat am 13 September die Laudatio auf die Wolfsburger Unternehmerin Edith Bischof zur – pandemiebedingt verschobenen – Verleihung des Niedersächsischen Staatspreises 2020 gehalten.

Mit dem Staatspreis werden seit 1978 Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich durch ihr Wirken für das Land verdient gemacht haben. Er ist mit 35.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung ging 2020 je zur Hälfte an die mittelständische Unternehmerin Edith Bischof und den Pianisten Igor Levit.

Ansprache von Elke Büdenbender

Warum? – diese Frage gibt es bei Edith Bischof nicht. Für sie ist die Sache klar: Wenn es ein Problem gibt, schaut sie es sich an, sucht eine Lösung und handelt. Wer mit ihr spricht, spürt schnell: Diese Frau zögert nicht, sie packt an. Nicht fragen – tun!, das ist ihre Lebenseinstellung.

Alle zwei Jahre wird der Niedersächsische Staatspreis vergeben, und zwar an Menschen, die sich durch ihr herausragendes Wirken in den Bereichen Kultur, Frauen, Soziales, Wissenschaft, Umwelt und Wirtschaft um das Land Niedersachsen verdient gemacht haben. Edith Bischof tut das mit ihrer zupackenden Art in gleich vier Bereichen: Frauen, Soziales, Umwelt und Wirtschaft, und deshalb ist sie in meinen Augen die absolut würdige Preisträgerin des Niedersächsischen Staatspreises 2020.

Seit vielen Jahren setzt sie sich unermüdlich für ihre Mitmenschen und ihre Überzeugungen ein. Sie gibt Menschen in ihrem Umfeld eine neue Perspektive im Leben, sie setzt sich für eine höhere Anerkennung der beruflichen Aus- und Weiterbildung ein und kämpft gegen den Fachkräftemangel in ihrer Branche.

Edith Bischof leitet seit 1979 ein Busunternehmen in Wesendorf. Knapp 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das Unternehmen und etwas über 40 Busse. Eigentlich müsste man sagen: leitete, denn mit ihren 71 Jahren ist sie vor knapp drei Jahren eigentlich in den Vorruhestand getreten. Ihr Sohn, der schon seit 1995 im Unternehmen mitarbeitete, hat nun die Leitung übernommen. Aber die Betonung liegt auf eigentlich, denn von Ruhe kann nicht die Rede sein, so richtig loslassen, kann sie noch nicht. Wie auch – mit dieser Lebenseinstellung?

Arbeit habe sie immer als großen Glücksfall angesehen, sagt sie. Sie sei phantasievoll, kreativ, immer auf der Suche nach Lösungen für bestehende Probleme. Und Probleme gibt es in der Branche genug: Fachkräftemangel, Mangel an Auszubildenden, das aggressive Abwerben von Buskraftfahrerinnen und -fahrern unter den Busunternehmen, und dann ist da noch das Genderproblem, das Festhalten an tradierten und überholten Klischees bei der Berufswahl. Aber das alles hält sie nicht ab, es spornt sie an.

Es gab zum Beispiel eine Zeit, da stellte sie fest, dass wenn sie eine Reinigungskraft suchte, sich immer nur Frauen meldeten. Und wenn sie Kraftfahrerinnen oder Kraftfahrer suchte, meldeten sich nur Männer. Kann nicht sein! Darf nicht sein!, dachte sie sich und lud die Frauen zum Vorstellungsgespräch ein. Dort sprach sie dann aber nicht über die notwendigen Reinigungsarbeiten, sondern ließ die Frauen einfach mal eine Runde mit einem Bus über ihren Betriebshof fahren. Und siehe da: Sie waren begeistert! Sie hätten es sich selbst nicht zugetraut und wurden von Frau Bischof eines Besseren belehrt.

Die Begeisterung der Frauen motivierte Frau Bischof, daraus ein richtiges Projekt zu machen. Durch ihren großen persönlichen Einsatz gelang es ihr schließlich 2004, in einer Kooperation mit VW Coaching und dem Bildungswerk Verkehrsgewerbe Niedersachsen das Projekt Vorfahrt für Frauen ins Leben zu rufen. Los ging es mit knapp dreißig Frauen, die alle über vierzig Jahre alt waren, seit langer Zeit arbeitssuchend und alleinerziehend. Alle schafften die elfmonatige Weiterbildung und fanden danach eine Stelle als Berufskraftfahrerin. Mittlerweile ist mehreren hundert Frauen über dieses Projekt der Wiedereinstieg ins Berufsleben gelungen, und auch Männer können seit ein paar Jahren hier eine Weiterbildung oder Umschulung machen. Andere Bundesländer haben sich ein Beispiel daran genommen und ähnliche Projekte ins Leben gerufen.

Nun läuft das Projekt über das Bildungswerk Verkehrsgewerbe Niedersachsen in Hannover und wird gefördert über die Arbeitsagentur, was aber nicht bedeutet, dass Frau Bischof nicht noch weiter daran mitwirkt. Denn das tut sie noch immer – jeden Tag. Nach wie vor ist sie im Vorstand des Bildungswerkes und sorgt dafür, dass das Projekt ständig angepasst und aktualisiert wird. Ein neuer Schwerpunkt soll zum Beispiel nun auf die Sprache gelegt werden, da mangelnde Sprachkompetenz der Ausübung des Berufes doch oft im Wege steht.

Als Schirmherrin der Initiative Klischeefrei, die sich für eine Berufswahl frei von Geschlechterklischees einsetzt, freut mich Frau Bischofs Engagement in dieser Hinsicht natürlich besonders! Wir machen uns so viele Gedanken, wie wir mehr Frauen in so genannte Männerberufe bekommen können und umgekehrt, und diskutieren, wo wir ansetzen müssen, was ja grundsätzlich auch richtig ist. Aber Frau Bischof redet eben nicht lange, sie macht einfach – und das finde ich sehr, sehr beeindruckend!

Doch ihr Einsatz für Frauen ist nicht alles. Auch Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem Menschen aus Serbien und Montenegro, bietet sie mit einer Anstellung in ihrem Unternehmen eine Perspektive, die ihnen ohne sie wahrscheinlich fehlen würde. Und nicht nur das; oft setzt sie sich auch noch für den Familiennachzug ein, kümmert sich um notwendige Formulare und sucht einen geeigneten Wohnraum. Das dauere manchmal gefühlt ewig, aber das hält sie nicht ab. Diese Menschen seien hochmotiviert, aber auch durch die Formalitäten sehr verunsichert. Da kann sie nicht einfach nur zusehen.

Sie selbst weiß zudem, wie es sich anfühlt, an einem fremden Ort neu anzufangen – und dann noch ohne Kenntnisse der Landessprache. Sie erzählt es mit einem Augenzwinkern, und auch wenn es nicht ganz zu vergleichen ist – es ist dennoch erlebte Erfahrung, die nicht in Vergessenheit geraten ist. Geboren wurde sie 1950 in Sachsen, sechzig Kilometer vor Dresden. Ihre Eltern zogen früh in den Westen, sie wuchs zunächst bei ihren Großeltern auf. Als sie eingeschult wurde, holten die Eltern sie und ihren jüngeren Bruder zu sich nach Freiburg – wo sie mit ihrem sächsischen Dialekt von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern als Flüchtling gehänselt wurde.

Später zog die Familie nach Wolfsburg, wo sie mit nun breitem schwäbischem Dialekt auf das Unverständnis der niedersächsischen Mitschülerinnen und Mitschüler traf. Obwohl sie ein gutes Zuhause hatte und sie sehr stolz auf ihre Eltern ist, musste sie schon recht früh lernen, selbst zurechtzukommen und sich zu behaupten. Sie war kein typisches Mädchen, so wie man es sich in den 1950er und 1960er Jahren vorstellte; sie war aktiv und konnte schon früh jeden Baum erklimmen. Im Puppenwagen fuhr sie lieber die Katze spazieren als eine Puppe. Sicher wurden da die Wurzeln gelegt für ihr späteres Engagement.

Sie erkannte, dass es falsch ist, andere auszugrenzen, und auch, in festgefahrenen Klischees zu denken. Und ihre Energie hatte sie damals auch schon, diesen Tatendrang. Und der ist, wie gesagt, nach wie vor da.

Denn obwohl sie doch eigentlich im Vorruhestand ist, hat sie auch schon einen neuen Plan, ein neues Projekt, das sie eifrig vorbereitet. Sie leidet daran, dass es so viele junge Menschen gibt, die – wie sie es nennt – durchs Raster gefallen sind. Ohne Schulabschluss und/oder arbeitslos, ohne Perspektive, ohne ein unterstützendes Elternhaus. Sie könne man doch nicht einfach hängenlassen, findet Edith Bischof. Noch sei sie in der Findungsphase, sagt sie. Aber das Projekt Vorfahrt habe auch ein paar Jahre bis zur Realisierung gebraucht, und so nimmt sie sich nun die Zeit, ihr neues Vorhaben in die Wege zu leiten.

Was ihr wirklich zu schaffen macht, und das zunehmend, ist der Wertewandel in der Gesellschaft. Sie findet es falsch, dass alle nur noch Ärztin oder Anwalt werden wollen und sollen – Hauptsache studieren. Dabei ist sie überzeugt: Die berufliche Ausbildung verdient unsere Wertschätzung! Natürlich kann sie da vor allem für ihre Branche sprechen.

Sie sagt: Wer Busfahrerin oder -fahrer wird, hat eine grundsolide Ausbildung in der Tasche und einen sicheren Arbeitsplatz. Menschen müssten immer irgendwie transportiert werden. Außerdem ist es ein Beruf mit großer Verantwortung. Sie findet es schade, dass das nicht gesehen wird. Der Fachkräftemangel in ihrem Bereich macht ihr seit Jahren zu schaffen – auch wenn sie selbst Wege gefunden hat, genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben.

Von der Gesellschaft wünscht sie sich da ein klares Umdenken und mehr Anerkennung für Ausbildungsberufe. Auch ich schätze die Qualität unserer beruflichen Aus- und Weiterbildung und die Vielfältigkeit unseres Bildungs- und Ausbildungssystems sehr, und deshalb möchte ich Frau Bischof für Ihren Einsatz in dieser Hinsicht ganz besonders danken!

Sie selbst schafft es, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihren Beruf zu begeistern. Viele arbeiten Jahrzehnte bei ihr, oft sogar über das 65. Lebensjahr hinaus, und das mit großer Freude. Das Arbeitsklima in ihrem Unternehmen ist von Wertschätzung und Respekt geprägt. Für Menschen in Krisensituationen hatte sie schon immer ein offenes Ohr und hat sie stets unterstützt – das war schon so, bevor sie das Busunternehmen leitete. Bei ihr werden Menschen als ganze – mit all ihren Stärken und Schwächen – gesehen und so akzeptiert und so gefördert. Das schafft Motivation, langanhaltende Motivation – was am Ende natürlich auch ihrem Unternehmen dient. Das nenne ich nachhaltiges Engagement!

Nachhaltig ist auch ihr Beitrag zum Klimaschutz. Die Umwelt ist ihr sehr wichtig, sagt sie. Gerade erst hat sie vier neue Busse angeschafft. Vier Busse, die 50 Menschen transportieren können, sind besser als 50 einzelne PKW. Sie vermietet Kleinbusse an Firmen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort zu Veranstaltungen und ähnlichem nicht alle einzeln fahren müssen. So leistet ihr Unternehmen nicht nur einen großen Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch zur Mobilität im ländlichen Raum, die – wie wir wissen – gerade für junge Leute von enormer Bedeutung ist. Ich selbst bin ja auch auf dem Lande – im Siegerland – groß geworden und weiß, wie wichtig verlässlich fahrende Busse sind.

Für ihre Überzeugung tritt Frau Bischof in vielen Ämtern ein. Sie war und ist seit vielen Jahren im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen aktiv, im Bildungswerk Verkehrsgewerbe Niedersachsen, in der Industrie- und Handelskammer, im Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer und in der Vereinigung Deutscher Unternehmerinnen. Sie schätzt den Austausch, der auch über die Grenze Niedersachsens hinausgeht, die Anstöße, die sie dort bekommt, und die Netzwerke, die sie über die Jahre aufgebaut hat.

So viel Energie, so viel Engagement, so viel Einsatz für andere Menschen und die gute Sache – das ist wirklich bewundernswert! Und dennoch bleibt Frau Bischof so bescheiden. Als sie das Schreiben mit der Nachricht erhielt, dass sie die Preisträgerin des Niedersächsischen Staatspreises ist, hielt sie es zunächst für ein Missverständnis. Sie konnte es gar nicht fassen. Dabei ist es nicht die erste Auszeichnung. Im Februar 2017 erhielt sie die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Aber diese Auszeichnungen sind für sie kein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen und zurückzulehnen. Nein, sie sind ihr Ansporn weiterzukämpfen – dafür, dass alle Menschen in unserem Land eine Perspektive im Leben haben. Wenn es nach ihr ginge, würde es gar nicht erst zur großen Bildungsschere in unserem Land kommen. Sie würde mit der gezielten Förderung gleich im Kindergarten ansetzen.

Sie weiß, dass sie nicht alle Probleme dieser Welt lösen kann, aber sie ist fest davon überzeugt, dass, so sagt sie es selbst, viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten einen großen Unterschied machen und die Dinge zum Besseren bewegen können.

Liebe Frau Bischof, Menschen wie Sie braucht unsere Gesellschaft. Menschen, die nicht wegschauen. Die hinschauen und durch empathisches Zuhören erkennen, wo jemand Hilfe benötigt oder wo es Missstände gibt. Und die dann anpacken. Sie leisten somit einen großen Beitrag für den Zusammenhalt in unserer Gemeinschaft – den wir in diesen Zeiten mehr denn je brauchen.

Für Ihre Empathie, Ihre Tatkraft und Ihr beherztes und unermüdliches Engagement erhalten Sie heute den Niedersächsischen Staatspreis, und das mehr als zu Recht. Ich danke Ihnen von Herzen und freue mich, dass der Herr Ministerpräsident Ihnen den Preis nun überreichen wird.

Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier