Empfang zum 70-jährigen Jubiläum des Müttergenesungswerkes

Schwerpunktthema: Bericht

17. Juni 2021

Elke Büdenbender hat am 17. Juni zu einem Empfang zum 70-jährigen Jubiläum des Müttergenesungswerkes in den Park von Schloss Bellevue eingeladen.


Elke Büdenbender hat am 17. Juni zu einem Empfang zum 70-jährigen Jubiläum des Müttergenesungswerkes in den Park von Schloss Bellevue eingeladen, um die im Vorjahr pandemiebedingt abgesagte Feier nachzuholen. Die gemeinnützige Stiftung wurde 1950 von Elly Heuss-Knapp, der Frau des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, gegründet. Seither ist in ununterbrochener Tradition die Frau des Bundespräsidenten Schirmherrin des Müttergenesungswerks.

Ansprache von Elke Büdenbender

Wir haben Geburtstag! Wir feiern, aufgrund der Pandemie mit einem Jahr Verspätung und auch leider auch jetzt nur im kleinen Kreis, das 70jährige Jubiläum der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung – Deutsches Müttergenesungswerk.

Erlauben Sie mir zunächst einen kurzen Rückblick auf das vergangene, sehr außergewöhnliche Jahr.

Auf was für ein Jahr schauen wir da! Die Corona-Pandemie, die die Welt heimgesucht hat und noch heimsucht, hat Menschen sehr krank gemacht, sie leiden zum Teil heute noch an den Folgen, sie hat Menschen getötet. Ganze Gesundheitssysteme sind an ihre Grenzen gekommen, und auch in wirtschaftlich starken Staaten haben wir unfassbare Bilder gesehen – von Verstorbenen, von denen nicht würdig Abschied genommen werden konnte, die einsam gestorben sind, deren Angehörige untröstlich zurückgeblieben sind. Auch bei uns sind viele ältere Menschen in Einrichtungen erkrankt und gestorben, aber auch jüngere Menschen – selbst Jugendliche und Kinder – sind nicht verschont geblieben von einer Erkrankung. Auch wir haben erlebt, dass Intensivstationen mehr als ausgelastet waren und verzweifelt um Leben gekämpft wurde, dass Angehörige in der letzten Stunde nicht bei ihren Liebsten sein konnten.

Ich will nicht sagen, dass das alles schon hinter uns liegt – besonders in vielen anderen Ländern der Welt wütet das Virus immer noch mit unverminderter Stärke. Aber es gibt Hoffnung; Forscherinnen und Forscher haben binnen kürzester Zeit Impfstoffe entwickelt, die uns doch weitgehend schützen und hoffentlich nun auch Menschen in den Ländern zugutekommen, die Unterstützung bei der Beschaffung dieser lebensrettenden Impfstoffe benötigen.

Auch an dem Müttergenesungswerk ist dieses Jahr keineswegs spurlos vorüber gegangen, im Gegenteil. Unsere Kliniken standen vor sehr schwierigen Situationen und kämpfen immer noch. Sie und wir brauchen dringend die Unterstützung der Politik, aber auch der Menschen, um die wertvolle Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Müttergenesungswerkes für Mütter – und ihre Kinder –, aber auch für Väter und pflegende Angehörige fortsetzen zu können.

Ich bin ja erst gut vier Jahre als Schirmherrin dabei, aber ich kann mir vorstellen, dass wir das bislang schwierigste Jahr seit der Gründung erlebt haben. Und dieses Jahr zeigt ganz deutlich: Die Arbeit des MGW ist heute nicht weniger wichtig als zur Zeit seiner Gründung. Wir wissen mittlerweile, dass vor allem Frauen und Mütter den Hauptanteil der zusätzlich durch Homeschooling, Homeoffice bzw. Home-everything anfallenden Familienarbeit geleistet haben. Und viele Frauen, die nicht im Homeoffice arbeiten konnten, mussten ihre Arbeitszeit wegen der Betreuung und Beschulung ihrer Kinder – Schulen und Kindergärten waren bzw. sind noch ganz oder teilweise geschlossen – oder der Betreuung ihrer pflegebedürftigen Angehörigen – Tageseinrichtungen waren ebenfalls geschlossen – ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Berufstätigkeit auch ganz aufgeben. Mit den entsprechenden finanziellen Folgen.

Aber auch mit schweren Folgen für ihre Gesundheit! Viele sind am Rande ihrer Kräfte, wenn nicht bereits darüber hinaus. Schon das beschreibt, wie elementar wichtig die Arbeit des Müttergenesungswerkes nach wie vor und gerade jetzt ist.

Dass es uns gibt, verdanken wir einer ganz ungewöhnlichen Frau, nämlich Elly Heuss-Knapp.

Lassen sie uns diese inspirierende Frau noch einmal würdigen und zurückschauen auf ein außergewöhnliches Leben, auf ein außergewöhnliches Frauenleben. Geboren noch im 19. Jahrhundert – nämlich am 25. Januar 1881 in Bonn –, wurde sie in turbulenten Zeiten groß. Das Deutsche Reich war gerade einmal 10 Jahre alt.

Es war die Zeit der Industrialisierung, aber auch die Zeit, in der sich die Frauenbewegung zu formen begann. Bereits ab den 1870er Jahren entstanden Frauenvereine, die einen eindeutig frauenemanzipatorischen Ansatz hatten und sich insbesondere in der Frauenbildung engagierten. Insbesondere die Lehrerin Helene Lange und ihre Mitstreiterinnen traten ab den 1880er Jahren in Preußen für eine wesentlich verbesserte Mädchenbildung ein.

Elly Knapp kam als Tochter bürgerlicher Eltern, ihr Vater war der renommierte Nationalökonom und Staatsrechtler Georg Friedrich Knapp, in den Genuss einer für ihre Zeit guten Ausbildung und legte bereits 1899 ihr Lehrerinnenexamen ab. Danach arbeitete sie an einer von ihr mitgegründeten sogenannten Fortschrittsschule in Straßburg – ihr Vater war an der dortigen Universität Professor – und unterrichtete Mädchen.

Sie studierte dann ab 1905 Volkswirtschaftslehre in Freiburg und Berlin und begann bereits damals, erste politische Vorträge zu halten. Im Jahr 1910 veröffentlichte sie ihr erstes Buch Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen. Sie lernte ihren späteren Mann Theodor Heuss kennen, und die beiden führten schon damals, das geht auch aus ihrem sehr berührenden Schriftwechsel vor ihrer Eheschließung hervor, eine den bzw. die andere sehr wertschätzende Beziehung auf Augenhöhe.

Elly Heuss-Knapp gehörte wie ihr Mann, den sie 1908 heiratete, bereits im späten Kaiserreich und natürlich in der Weimarer Republik zum liberalen Bürgertum. Sie setzte sich für demokratische Prinzipien, einen sozialen Liberalismus, aber eben auch für die Frauengleichberechtigung ein. Sie war ein hochpolitischer Mensch und kandidierte bereits 1919 zur deutschen Nationalversammlung und später für den Reichstag. Bei diesen Wahlen setzte sie sich dafür ein, dass Frauen direkt aufgefordert werden sollten, wählen zu gehen – ohne dass eine Partei empfohlen wurde.

Sie sah aber auch immer die große Not der Frauen und Mütter; bereits 1914 gründete sie einen Verein zur Arbeitsvermittlung von Frauen der Soldaten. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie und ihre Familie, der Sohn Ernst Ludwig Heuss wird 1910 geboren, die außerordentlich turbulenten Jahre der Weimarer Republik, den Aufbruch in einen demokratischen Staat, den Widerstand der alten Institutionen – auch und gerade in der Justiz – gegen die Demokratie und schließlich den Niedergang mit der anschließenden Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, erlebt haben mögen.

Während der Zeit des Nationalsozialismus hatte ihr Mann Berufsverbot, und nun war sie es, die die Familie vollständig allein durch ihre Berufstätigkeit als Werbefrau ernährte – unter anderem erfand sie den Jingle. Ihr Sohn gehörte dem Widerstand an, unterstützte – wie auch Elly und Theodor – verfolgte Menschen und hat viele Menschenleben gerettet.

Elly Heuss-Knapp und ihr Ehemann gehörten nach dem Krieg beide dem Landtag von Baden-Württemberg an. Und sie war eine überzeugte Europäerin, sie war Mitbegründerin des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung. Dann wurde Theodor Heuss 1949 zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt, und Elly legte ihr Mandat – ich kann mir vorstellen, nicht unbedingt leichten Herzens – nieder, um mit ihm diese neue Aufgabe auszufüllen.

Dies alles gehört dazu, wenn wir über die Frau reden, die am 31. Januar 1950 das MGW gegründet hat, denn daraus erklärt sich der Geist, in dem wir arbeiten. Elly Heuss-Knapp hat das Müttergenesungswerk als ihr Vermächtnis begriffen. Der sehr moderne Gedanke sorge auch für Dich selbst, damit Du weiterhin für andere sorgen kannst ist geboren sicherlich auch aus dem eigenen Erleben als berufstätige Mutter, der Idee von Gerechtigkeit und natürlich aus dem unmittelbaren Eindruck der Folgen des von Deutschland entfesselten zweiten Weltkrieges insbesondere auch für Mütter und ihre Kinder.

Dazu schaffte sie es, fünf Organisationen, die bis heute das Müttergenesungswerk tragen, unter einem Dach zusammenzuführen: Die Arbeiterwohlfahrt, Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Evangelischer Fachverband für Frauengesundheit und die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung e.V. (KAG, Caritas).

Sie – die Wohlfahrtsverbände und ihre Kliniken – leisten seit 71 Jahren großartige Arbeit für die Mütter unseres Landes – und seit einigen Jahren nun auch für Väter und pflegende Angehörige. In Ihren Kliniken können diese die Atempause bekommen, die sie für ihre Sorgearbeit wohlverdient haben und obendrein dringend benötigen. Dafür danke ich Ihnen, Ihren Klinikleiterinnen und -leitern sowie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von ganzem Herzen.

Gerade die Kliniken stehen durch die Corona-Pandemie unter enormem Druck. Viele mussten vorübergehend schließen und können nun aufgrund der Hygieneauflagen mit nur teilbelegten Häusern finanziell nur schwer überleben. Als Schirmherrin habe ich mein Bestes gegeben, mich für die Verlängerung des Rettungsschirmes stark zu machen. Aber die Zeit war lang, und sie war und bleibt kräftezehrend. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz und dafür, dass Sie sich nicht haben unterkriegen lassen. Und ich verspreche Ihnen, ich werde auch weiterhin mit wachem Blick die Entwicklung verfolgen und Sie unterstützen, wo immer ich kann.

Einen ebenso großen Dank möchte ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen des MGW aussprechen. Sie ebnen Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen den Weg in die Kurmaßnahme, die ihnen wieder die Kraft für den Alltag zurückgeben soll. Durch Ihre kompetente und zielgerichtete Beratung ersparen Sie diesen erschöpften Menschen unnötige Wege und mühsame Recherchen und sorgen dafür, dass sie schnellstmöglich in die Klinik kommen, die ihren Anfordernissen am besten entspricht.

Die Zahlen zeigen: Der Bedarf ist mit deutschlandweit über 135.000 Beratungen pro Jahr konstant hoch – und wird pandemiebedingt sicher sogar noch steigen. Dabei haben die Kuranträge über Beratungsstellen eine sehr hohe Erfolgsquote.

Aus diesem Grund finde ich die Forderung des MGW nach einem gesetzlichen Anspruch auf Beratung auch absolut richtig und unterstütze sie aus vollem Herzen!

Einen ebenso wertvollen Beitrag zur erfolgreichen Arbeit des MGW leisten auch Sie, liebe Organisatorinnen der Haus- und Straßensammlungen. Jedes Jahr sammeln Sie aufs Neue wertvolle Spenden ein, die die Arbeit des MGW vollumfänglich erst möglich machen. Auch Ihnen möchte ich dafür von Herzen danken und Sie bitten, nicht müde zu werden, für das MGW zu werben!

Eine Person möchte ich heute – aus aktuellem Anlass – besonders hervorheben: Die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes Anne Schilling wird im September nach 20 Jahren ihr Amt schweren Herzens niederlegen und den Staffelstab weiterreichen. Liebe Frau Schilling, für die vielen Jahre des vollen Einsatzes für die Stiftung danke ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen persönlich alles Gute!

Meine lieben Damen, lieber Herr Bierei, Elly Heuss-Knapp hat einmal gesagt: Billig ist der Weg zur inneren Ruhe niemals zu haben, weder für den, der ihn geht, noch für den, der darauf führen will. Nein, billig ist der Weg nicht, aber er sollte es uns wert sein – für unsere Mütter, unsere Väter, unsere pflegenden Angehörigen. Unsere Familien. Und Sie zeigen durch Ihre tagtägliche Arbeit, dass Ihnen unsere Familien diese Mühe wert sind.

Unsere Mütter und unsere Väter brauchen die Kurmaßnahmen – jetzt vielleicht mehr denn je. Deshalb ist die Arbeit des Müttergenesungswerks auch nach 71 Jahren noch genauso wichtig – und vielleicht sogar wichtiger denn je.

Vielen Dank, dass Sie heute gekommen sind, trotz der uns immer noch einschränkenden Pandemie und trotz der kurzfristigen Einladung. Sie wissen sicherlich, dass wir vorhatten, das Jubiläum in viel größerem Rahmen zu begehen. Nach mehreren Verschiebungen haben wir uns aber nun entschieden, es wenigstens im kleinen Rahmen endlich zu begehen. Denn Sie haben sich diese Wertschätzung – und sei sie nun auch nur klein, aber fein – mehr als verdient.